Protokoll der Sitzung vom 16.05.2018

(Anhaltender Beifall von den Koalitionsfraktio- nen.)

Ich danke Ihnen, Herr Abgeordneter Scharf. - Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der LINKE-Landtagsfraktion, Herrn Abgeordneten Ralf Georgi.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Koalitionsfraktionen haben einen Antrag zum Thema „Inklusive Gesellschaft“ vorgelegt. Ich möchte gleich sagen: Wir begrüßen es ausdrücklich, dass wir uns heute, gerade nach der letzten Landtagssitzung, mit diesem wichtigen Thema beschäftigen. Ich finde es richtig, dass sich der Landtag zu einer inklusiven Gesellschaft bekennt, in der körperliche oder geistige Beeinträchtigungen und das Streben nach Anerkennung und einem selbstbestimmten Leben keine wesentlichen Hindernisse mehr darstellen.

Es stimmt schon: Man ist nicht behindert, man wird behindert. Das muss ein Ende haben. Wir haben schon viel erreicht. Das hat Kollege Scharf ja schon angesprochen. Aber auf dem Weg dorthin haben wir noch einiges vor uns. Es ist bei Weitem noch nicht alles Erforderliche und Mögliche geleistet. Hier sind alle gesellschaftlichen Kräfte und auch wir in der Opposition gefordert, aber insbesondere die Bundes

(Abg. Scharf (CDU) )

und unsere Landesregierung. Es geht letztlich darum, dass die in der UN-Behindertenrechtskonvention festgeschriebenen Ziele und Rechte von Menschen mit Behinderungen endlich umgesetzt werden. Das Übereinkommen hat nach Artikel 1 den „Zweck (…), den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten aller Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern“. Im Zentrum stehen dabei die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und die Einbeziehung in die Gesellschaft.

Wie aber sieht die Realität für behinderte Menschen aus? Ich habe eine Anfrage an die Landesregierung gestellt, mit der wir erfahren wollten, wie viele Bahnhöfe im Saarland eigentlich barrierefrei sind. Ich habe die ernüchternde Antwort erhalten, dass von den 77 Bahnhöfen und Stationen im Saarland gerade einmal 20 vollumfänglich barrierefrei sind. Dabei heißt es in Artikel 9 der UN-Behindertenrechtskonvention, dass alle geeigneten Maßnahmen zu treffen sind, um für Menschen mit Behinderungen den gleichberechtigten Zugang zu Transportmitteln zu gewährleisten. Insofern finde ich es schon etwas erbärmlich, wenn 10 Jahre nach Inkraftteten der UNBehindertenrechtskonvention an 29 Bahnhöfen im Saarland überhaupt kein Zugang und an 20 Bahnhöfen nur ein eingeschränkter Zugang für Menschen mit Behinderungen besteht. Nicht nur hier stellen wir fest, dass Anspruch und Wirklichkeit weit auseinanderklaffen. Ähnlich sieht es bei Gehwegen und Straßenübergängen, aber auch in öffentlichen Gebäuden, Hallen und Wohnungen aus.

Es stellt sich aber auch die Frage, wie zum Beispiel private Dienstleister hier mehr in die Pflicht genommen werden können, seien es Ärzte, Rechtsanwälte oder etwa Kinobetreiber. Oder denken Sie an eine Geburtstagsfeier, die Sie ausrichten möchten. Finden Sie einmal eine Räumlichkeit, die wirklich barrierefrei ausgestattet ist! Ich spreche hier von barrierefreien Zugängen und Toiletten. Sie werden merken, das ist gar nicht so einfach.

(Beifall bei der LINKEN.)

Und nur am Rande: Eine barrierefreie Infrastruktur kommt nicht nur Menschen im Rollstuhl zugute, sondern auch älteren Menschen, Menschen mit Rollator oder Eltern mit Kinderwagen. Hier kann und muss also noch einiges geschehen, meine Damen und Herren.

Wir unterstützen ausdrücklich das Ziel, dass künftig Menschen mit einer Betreuung in allen Angelegenheiten nicht mehr pauschal vom Wahlrecht ausgeschlossen werden sollen. Das ist richtig und lange überfällig. Zur Frage des Wahlrechts gehört aber auch immer die barrierefreie Erreichbarkeit von

Wahlbüros und Eintragungsräumen zur Unterstützung von Volksbegehren. Hier hat es landesweit durchaus Fortschritte gegeben, aber jedes einzelne Wahlbüro, jeder Eintragraum, der nicht barrierefrei zu erreichen ist, stellt für Menschen mit Behinderung eine Hürde dar. Diese Hürde muss abgebaut werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der LINKEN und bei der SPD.)

Dabei brauchen die Städte und Gemeinden die Unterstützung des Landes, denn die finanzielle Notlage der Kommunen ist ja bekannt.

Ich möchte noch kurz auf die Ausgleichsabgabe für Betriebe eingehen. Dies wurde ja schon vom Kollegen Scharf angesprochen, und auch ich habe dies in der Rede zum Bundesteilhabegesetz vorgetragen: Nach der geltenden Regelung müssen Betriebe ab einer bestimmten Größe 5 Prozent der Stellen mit Schwerbehinderten besetzen. Diese Vorschrift wird aber zu oft unterlaufen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit arbeiten entgegen der Bestimmungen in mehr als jedem vierten Betrieb von entsprechender Größe keine Menschen mit Behinderungen. Hier sind aus unserer Sicht weitere Appelle an die Unternehmer nicht ausreichend. Stattdessen brauchen wir höhere Abgaben für die Betriebe, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen.

(Vereinzelt Beifall bei der LINKEN.)

Wir müssen alles unternehmen, um so viele Menschen mit Behinderung wie möglich in Beschäftigung zu bekommen. Das ist wichtig für ein selbstbestimmtes Leben.

Ich will eines ganz deutlich sagen: Die Barrierefreiheit und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ist keine Nebensächlichkeit, sondern ein Grundrecht. Wir unterstützen deshalb die in dem Antrag der Koalitionsfraktionen an die Landesregierung gerichteten Forderungen. Es ist richtig, dass wir die Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen verbessern müssen. Mit bloßen Absichtserklärungen kommen wir hier aber nicht weiter. Es müssen Taten folgen und konkrete Maßnahmen ergriffen werden. Damit die geforderte inklusive Gesellschaft kein leeres Versprechen bleibt, fordern wir einen Aktionsplan für Barrierefreiheit im Saarland, der alle Bereiche in den Blick nimmt und konkrete Handlungsfelder und Maßnahmen formuliert, die dann zeitnah umgesetzt werden.

Wir brauchen auch mehr Förderschullehrer. Das ist aber sicher nicht der alleinige Schlüssel zum Erfolg. Die Schulen brauchen insgesamt eine bessere Personal- und Finanzausstattung. Insbesondere dort, wo viel im Rahmen der Inklusion geleistet wird, dürfen die Betroffenen mit den damit verbundenen Herausforderungen nicht alleine gelassen werden.

(Beifall bei der LINKEN.)

(Abg. Georgi (DIE LINKE) )

Damit Inklusion gelingt, müssen selbstverständlich die Rahmenbedingungen stimmen. Hier ist es mit ein paar Förderschullehrern nicht getan. Begreifen wir aber inklusive Bildung und eine inklusive Gesellschaft nicht nur als Herausforderung und Aufgabe, sondern als eine große Chance für uns alle! Inklusion beinhaltet immer den Gedanken, dass Vielfalt unser Zusammenleben bereichert. Deshalb sollten wir uns alle gemeinsam auf den Weg machen.

Wie gesagt: Wir unterstützen den Antrag der Koalitionsfraktionen und verbinden damit die Hoffnung, dass es nicht bei leeren Versprechungen bleibt und die Landesregierung hier deutlich aktiver wird, um die in der UN-Behindertenrechtskonvention niedergelegten Ziele und Rechte von Menschen mit Behinderungen in die Tat umzusetzen. Mögen den Worten Taten folgen! - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der LINKEN.)

Vielen Dank, Herr Kollege Georgi. - Für die SPDLandtagsfraktion rufe ich Herrn Abgeordneten Sebastian Thul auf.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Saarland auf dem Weg zur inklusiven Gesellschaft, so lautet der Titel unseres gemeinsamen Antrags. Herr Kollege Hermann Scharf hat auch schon betont, es handele sich um einen Weg, um einen Weg, den wir, so hoffe ich, alle gemeinsam gehen wollen. Ich bin sehr dankbar, dass die LINKE heute diesen Weg noch ein weiteres Stück mit uns gehen will. Das ist ein Weg, auf dem der Fortschritt nicht mehr aufzuhalten ist, ein Weg, dessen Ende noch nicht erreicht ist, bei dem vor allem aber auch das Ziel schon klar ist. Für uns steht als Ziel fest: Wir wollen, dass in unserer Gesellschaft alle Menschen, ob mit oder ohne Behinderung, die gleichen Rechte, Chancen und Teilhabemöglichkeiten haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Fraktion steht für die Teilhabe aller Menschen, egal ob mit oder ohne Behinderung.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Um den Weg auch künftig gut beschreiten zu können, müssen wir auch einen Blick in die Vergangenheit wagen. Schauen wir uns den Anfang dieses Weges an, um die Bedeutung der UN-Behindertenrechtskonvention, die heute schon mehrfach angesprochen wurde, zu verstehen.

Bis zum Beginn der Neuzeit war das Leben - und Überleben! - von Menschen mit Behinderung abhängig vom Wohlwollen der Familie. Familienhilfe oder Obdachlosigkeit, in Extremfällen Vertreibung oder Tötung, so sah die Bandbreite im Umgang mit die

sen Menschen aus. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns bitte nicht so tun, als wäre heute diese Bandbreite in der Welt nicht mehr vorhanden! Die UN-Behindertenrechtskonvention richtet sich ja nicht nur an Deutschland; wir sind hier sicherlich schon ein gutes Stück dieses Weges gegangen. Aber immer noch gibt es in der Welt die Vertreibung und die Tötung von Menschen mit Behinderung. Auch dessen müssen wir uns bewusst sein. Die UN-Behindertenrechtskonvention, auf die sich fast alle Länder dieser Erde geeinigt haben, war auch deshalb ein ganz wichtiger Schritt in die Moderne und hin zur Inklusion, hin zur Umsetzung von allgemeinen und universellen Menschenrechten.

Nach der anfänglich sehr dunklen Geschichte mit Verstecken, Vertreibung und Ermordung wurde die Familie im Zuge der Frühindustrialisierung zunehmend der kapitalistischen Verwertungslogik unterworfen und damit auch der Umgang mit Menschen mit Behinderungen beeinflusst: Diese wurden zunehmend in staatliche Einrichtungen abgeschoben. Da war noch nicht von Beschäftigung die Rede, da war man weit entfernt von dem, was wir heute in unseren Werkstätten - der Kollege Hermann Scharf hat es erwähnt - für Menschen mit geistiger Behinderung machen. Das geschah damals, zu Zeiten der Frühindustrialisierung, nicht nur aus Fürsorge, sondern vor allem auch, damit sie der arbeitenden Bevölkerung nicht im Weg stehen - deshalb wurden damals Menschen mit Behinderung in staatliche Einrichtungen abgeschoben.

Im Nationalsozialismus erreichte diese Verwertungslogik eine zuvor und danach nie wieder dagewesene Perversion. Ich erinnere an dieser Stelle an Begriffe wie „Aufartung", „Rassenpflege", „Euthanasie". Mir sei an dieser Stelle der Hinweis gestattet, dass derartige Begriffe auch oft in denselben Texten vorkommen, in denen von „Altparteien“ und „Konsorten“ die Rede ist. Das sind Beispiele für die zynische Entfremdung von Worten, die nur einen Zweck verfolgten: Die Auslöschung von „lebensunwertem Leben".

Im Zuge der Aktion T4 wurden mehr als 100.000 Menschen mit geistiger Behinderung von den Nazis ermordet. Wir, die wir hier im Hohen Hause sitzen, haben diese Verbrechen nicht begangen, aber wir haben die Verantwortung dafür, dass das nie wieder geschieht, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Ein Meilenstein auf dem Weg zur inklusiven Gesellschaft ging von den behinderten Menschen und ihren Familien selbst aus: Die Lebenshilfe, die organisierte Selbsthilfe der Eltern, legte die Grundlage für den Weg in die inklusive Gesellschaft in den Sechzigerjahren im Nachkriegsdeutschland. Erstmals forderten Menschen mit Behinderungen selbst gleiche Rechte und setzten sich gegen die Stigmatisierung

(Abg. Georgi (DIE LINKE) )

als schwache, nicht selbstbestimmte Menschen ein. „So wollen wir leben!“, der Kollege Scharf hat es eben erwähnt. Ich muss sagen: Was mir bei meiner früheren Arbeit in den Werkstätten an Lebensfreude begegnet ist, ist eigentlich mit Worten gar nicht auszudrücken. Das muss eigentlich jeder einmal selbst erlebt haben. Jedem Kollegen, der noch keine Einrichtung, sei es eine Tagessförderstätte, sei es die Frühförderung, sei es eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung, besucht hat, sei ein solcher Besuch ans Herz gelegt. Setzt man sich vor Ort damit auseinander, sieht man den Lebenswillen und die positive Energie dieser Menschen.

(Ministerin Bachmann: Sehr richtig!)

Doch der Weg weg von der Stigmatisierung hin zum selbstbestimmten Menschen war ziemlich lang, und er ist auch noch nicht zu Ende. Es war weit bis zur Verankerung des Benachteiligungsverbots von Menschen mit Behinderungen im Grundgesetz. Dabei reden wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht über Vorgänge vor 100 Jahren, sondern von der jüngeren Geschichte.

Den vorläufigen Höhepunkt auf dem Weg in die inklusive Gesellschaft stellt die Verabschiedung des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen dar, die sogenannte UN-Behindertenrechtskonvention. Diese konkretisiert erstmals weltweit die bestehenden Menschenrechte bezogen auf die Situation von Menschen mit Behinderungen. Der Geist der UN-Behindertenrechtskonvention nimmt Abstand davon, Menschen mit Behinderungen über ihre vermeintlichen Defizite zu definieren, und begreift Behinderung als Teil der Vielfalt des menschlichen Lebens. Das hat vorhin ja auch der Kollege Scharf mit seinen wunderschönen Zitaten zum Ausdruck gebracht.

Das ist übrigens eine Herangehensweise, mit der wir vielen Menschen, keineswegs nur behinderten Menschen, begegnen sollten: Wir sollten die Menschen viel stärker an dem messen, was sie mitbringen, was sie können. Wir sollten sie in dem, was sie können, bestärken, sie nicht aber ausgrenzen wegen dem, was sie nicht können, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Ich hoffe sehr, dass es in diesem Hause eine übergroße Mehrheit gibt, die niemandem etwas absprechen will, was die UN-Behindertenrechtskonvention den Menschen zukommen lassen will. Heute wollen wir hier einen weiteren Schritt in Richtung der inklusiven Gesellschaft gehen. Lieber Kollege Georgi von der LINKEN, wir wollen es dabei nicht nur bei Worten belassen. Wir hätten hier einen Antrag in schönster Prosa vorlegen können, um ein paar warme Worte zu verteilen. Wir haben in unserem Antrag aber, darauf bin ich ein bisschen stolz, konkrete

Maßnahmen vorgesehen und verfolgen zwei Ziele: Zum einen wollen wir konkrete weitere Schritte in Richtung einer inklusiven Gesellschaft anstoßen, konkrete Maßnahmen umsetzen, damit ein Leben in Teilhabe möglich wird. Zum anderen wollen wir und das sage ich auch in Richtung der AfD-Landtagsfraktion und mit Blick auf die Debatte, die wir beim letzten Mal in diese Hohen Hause hatten - gemeinsam festhalten, dass wir die Teilhabe aller Menschen mit Nachdruck verfolgen und uns gegen jeglichen Rückschritt in der Diskussion wehren.

Ich möchte nun auch noch etwas auf unsere konkreten Vorhaben eingehen. Ein wichtiges Thema ist der rollstuhlgerechte Wohnungsbau. An mich als Abgeordneten wurde der Hilferuf einer Familie herangetragen, die ganz dringend sozialen Wohnraum braucht, die verträgliche Wohnungsmieten braucht, die auch vom Amt bewilligt werden. Ich habe im Landkreis Neunkirchen keine einzige für die Familie geeignete Wohnung gefunden, auch nicht in Zusammenarbeit mit den öffentlichen Institutionen, die diese Auflagen und Rahmenbedingungen erfüllt. Hat man selbst einmal versucht, eine solche Wohnung zu finden, kann man sich vielleicht auch leichter in diese Menschen hineinversetzen. Diese Menschen, die eigentlich in ihrem gewohnten Umfeld bleiben wollen, die fest in ihre Familie und das Gemeinwesen vor Ort integriert sind, werden aufgrund ihrer Behinderung gezwungen, den Wohnort zu wechseln. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das empfinde ich und das empfinden die Betroffenen als menschenunwürdig.

Menschen, die im Rollstuhl sitzen und deswegen gezwungen sind, ihre Wohnung zu verlassen, werden aber auch der öffentlichen Hand stärker zur Last fallen. Ich betrachte auch einmal den volkswirtschaftlichen Aspekt: Was geschieht mit diesen Menschen, die zuvor in einer Dorfgemeinschaft lebten, gut integriert waren, für die sich Familie, Freunde und Ehrenamtliche aufgeopfert haben, die nun aber gezwungen werden, ihr Gemeinwesen und ihr Sozialgefüge zu verlassen? Sie werden teure Hilfen beantragen müssen. Sie werden Fremde in ihre Wohnung lassen müssen, die ihnen helfen, die ihnen zur Hand gehen. Freunde, die helfen könnten, werden wahrscheinlich nicht verfügbar sein. Stellen Sie sich nur einmal vor, man muss umziehen aus Walsheim im Bliesgau nach Perl. Welcher Freund und wer von der Familie wird dann noch jeden Tag vorbeikommen können, um die notwendige Hilfestellung anzubieten?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir müssen auch im Rahmen der Diskussion um die neue Ausgestaltung des sozialen Wohnungsbaus in unserem Land ganz besonderen Wert darauf legen, dass Menschen mit Behinderung einen barrierefreien, rollstuhlgerechten sozialen Wohnungsbau vorfinden.

(Abg. Thul (SPD) )

Ich bin dafür, dass wir das mit harter Hand angehen. Ich bin dafür, dass wir die Förderung durch öffentliche Institutionen daran knüpfen, dass die Bauten barrierefrei und rollstuhlgerecht sind oder zumindest in angemessenem Umfang barrierefreie und rollstuhlgerechte Wohnungen zur Verfügung gestellt werden. Das sind wir den Menschen im Rollstuhl schuldig.

Kommen wir zum zweiten Punkt, den ich besonders hervorheben möchte: die Änderung von Kommunalund Landtagswahlgesetz. Gemäß § 13 Bundeswahlgesetz sind Menschen, für die in allen Angelegenheiten ein Betreuer bestellt ist, vom Wahlrecht ausgeschlossen. Ich kann aus eigener Erfahrung aus den Werkstätten für Menschen mit Behinderung berichten, dass gerade unter den geistig behinderten Menschen viele eine vollumfängliche Betreuung haben und deshalb vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Damit sind deutschlandweit nach wie vor bis zu 85.000 Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen und das, obwohl die Abschaffung des Wahlrechtsausschlusses ohne Begründung schon Bestandteil des Koalitionsvertrags der Bundesregierung aus der abgelaufenen Legislaturperiode war! Deshalb haben wir uns hier heute dazu entschlossen, die Landesregierung erneut dazu aufzufordern, sich dafür einzusetzen, dass zur nächsten Bundestagswahl diese 85.000 Menschen wählen und an unsere Demokratie teilhaben dürfen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)