Protokoll der Sitzung vom 19.10.2004

Ich erteile der Fraktion der PDS das Wort. Herr Dr. Hahn, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Schwarz, ich will Ihnen ganz klar sagen: Kompromisse ja, Selbstverleugnung nein!

(Beifall bei der PDS)

Sie haben mich mit Ihrem Beitrag nicht überzeugen können, nicht einmal im Ansatz. Ich komme darauf in der Folge noch im Einzelnen zurück.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Geschäftsordnung gibt sich der Landtag einen Rahmen für die künftige gemeinsame Arbeit, wird das Prozedere für die Beschlussfassung von Gesetzen, die Behandlung von Anträgen, die Besetzung von Ausschüssen und parlamentarischen Gremien, der Ablauf von Plenarsitzungen und nicht zuletzt die Umsetzung von Minderheitsrechten für alle Mitglieder und Fraktionen des Landtages verbindlich geregelt.

Alle diejenigen, die dem Landtag schon bisher angehörten, wissen, wie oft wir in den letzten Jahren an Grenzen gestoßen sind, zum Teil auch fraktionsübergreifend beklagt haben, dass die Bestimmungen der Geschäftsordnung zu unflexibel, Entscheidungsabläufe intransparent und den Bürgerinnen und Bürgern schwer vermittelbar und die Plenarsitzungen oft zu langatmig waren. Wir haben nur ein einziges Mal in fünf Jahren die Möglichkeit, aus den Fehlern der Vergangenheit Konsequenzen zu ziehen und über die Geschäftsordnung zu versuchen, unsere Arbeit bürgernäher und effektiver zu gestalten.

Die PDS-Fraktion hat dazu nicht nur in den letzten Jahren, sondern auch ganz aktuell zahlreiche Vorschläge unterbreitet. In vielen Punkten waren wir uns dabei bislang übrigens auch mit der SPD einig. Vierzehn Jahre sind nahezu sämtliche Reformvorschläge an der Arroganz der absoluten CDU-Mehrheit gescheitert. Diese Mehrheit ist jetzt gebrochen, meine Damen und Herren, und das ist gut so. Endlich besteht – vielleicht sollte man besser sagen bestünde – nun die Chance zu durchgreifenden Korrekturen, dem Ausbau der Minderheitenrechte und der Stärkung der Kontrollmöglichkeiten der Legislative gegenüber der Exekutive.

Seit Freitagmittag liegt nun der gemeinsame Entwurf von CDU und SPD für die neue Geschäftsordnung vor. Um es ganz klar zu sagen: Dieser Entwurf ist eine einzige Enttäuschung.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, während die beiden Wahlverlierer in Koalitionskungelrunden an der neuen Geschäftsordnung bastelten, hat die PDS-Fraktion eine öffentliche Diskussion angestoßen und als die mit Abstand stärkste Oppositionsfraktion eigene alternative Vorschläge unterbreitet. Unser Hauptziel war und ist dabei, dass der Sächsische Landtag als Parlament moderner, lebendiger und transparenter wird. Der nunmehr vorliegende Text von CDU und SPD erfüllt nicht ein einziges dieser Kriterien. Minderheitenrechte werden weiter mit Füßen gestoßen, statt Politik für die Bürger gibt es Postengeschacher und Versorgungsmentalität, statt einer Öffnung des Landtages sollen zentrale Anträge künftig hinter verschlossenen Türen in den Ausschüssen beraten

werden. Von der CDU hatten wir nichts anderes erwartet. Dass die SPD jedoch aus Gründen blanken Machtstrebens dieses Spiel mitmacht, war für mich unvorstellbar, meine Damen und Herren.

(Zurufe von CDU und SPD: Oh ha!)

Frau Kollegin Schwarz, ich will Ihnen ersparen alle Zitate vorzutragen, die Sie und Ihre Vorgängerin hier zur Geschäftsordnung gebracht haben und was Sie alles verändert haben wollten. Ich bleibe dabei: Wer aus niederen Beweggründen eigene Positionen ohne Not über Bord wirft, der handelt nicht nur moralisch fragwürdig, sondern er befördert auch jene Politikverdrossenheit, die wir dann hier alle gemeinsam beklagen.

Im Übrigen, liebe Frau Kollegin Schwarz, ist der Kurs auch für die SPD selbst höchst gefährlich. Nun mag man sich ja noch einen Landtagsvizepräsidenten schenken lassen, der einen dann nicht wieder weggenommen werden kann, aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, haben Sie schon einmal eine Sekunde darüber nachgedacht, was passiert, wenn die Verhandlungen über eine Koalition scheitern oder die Regierung später auseinander bricht? Sie werden dann so gut wie keine Minderheitenrechte in der Geschäftsordnung haben, die Ihnen ein eigenständiges Agieren als Fraktion ermöglichen.

Wollen Sie sich wirklich in eine derart sklavische Abhängigkeit von der CDU-Fraktion begeben? Ich hätte das nicht für möglich gehalten und ich sage, ich bin auch ganz persönlich von einigen im wahrsten Sinne des Wortes enttäuscht, die bislang eine Stärkung des Parlaments, die Erweiterung der Rechte von Minderheiten einforderten und nun davon offenbar nichts mehr wissen wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere von der SPD-Fraktion! Noch besteht die Chance zur Umkehr.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS – Gelächter bei der CDU)

Vielleicht haben Sie es wirklich noch nicht realisiert: Die CDU-Fraktion hat keine Mehrheit mehr. Wenn Sie wollen, dann können wir hier und heute für eine Stärkung der demokratischen Strukturen im Landtag sorgen. Wir haben es gemeinsam in der Hand. Es liegen zahlreiche Änderungsanträge vor, bei denen Sie beweisen können, dass Sie Ihre Eigenständigkeit noch nicht an der Tür der Staatskanzlei abgegeben haben.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Ich will gern einräumen, meine Damen und Herren, dass der vorliegende Entwurf gegenüber früheren Arbeitsfassungen für diese Geschäftsordnung einige leichte Verbesserungen aufweist.

(Widerspruch des Abg. Heinz Lehmann, CDU)

Herr Kollege Lehmann, Sie müssen zwar erst noch in die Schuhe Ihres Vorgängers hineinwachsen, aber wir können die Sache differenziert betrachten und deshalb sage ich auch Positives. Sie werden sich wundern.

Es gibt also durchaus Dinge, die gegenüber früheren Arbeitsfassungen korrigiert wurden. So hat die CDU-Fraktion, wenn auch erst unter Androhung von rechtlichen

Schritten, davon abgelassen, der PDS-Fraktion den 1. Vizepräsidenten streitig zu machen. Die ursprünglich geplante massive Reduzierung der Redezeiten bei den Aktuellen Debatten ist vom Tisch, entgegen vorheriger Pläne können nun doch Anträge aus dem Ausschuss direkt ins Plenum zurückgeholt werden. Aufgrund unserer erfolgreichen Klage vor dem Landesverfassungsgerichtshof – und nur deshalb – können einmal abgelehnte Kandidaten von der dazu berechtigten Fraktion nun erneut aufgestellt werden und der willkürlichen Ablehnung von Oppositionsvertretern durch die Mehrheit wird durch das eingeführte Entsenderecht ins Präsidium, in Ausschüsse und andere parlamentarische Gremien eine deutliche Schranke gesetzt. Schließlich ist auch unserer Forderung, endlich die Bildung von Enquete-Kommissionen im Sächsischen Landtag zuzulassen, Rechnung getragen worden.

Dass wir dafür sind, dass die Bündnisgrünen den Fraktionsstatus erhalten, haben wir wiederholt betont. Diesem Punkt der Geschäftsordnung werden wir demzufolge selbstverständlich zustimmen. Ich brauche sicher auch nicht zu betonen, dass wir es begrüßen, dass künftig Anträge ohne Stellungnahme der Staatsregierung und ohne vorherige Beratung in einen Ausschuss auf die Tagesordnung einer Plenarsitzung des Landtages gesetzt werden können.

Aber, meine Damen und Herren, es bleiben nach wie vor eine ganze Reihe von Kritikpunkten und ohne Grund nicht berücksichtigte Vorschläge. Die nachfolgende Auflistung ist keine Rangfolge, sondern orientiert sich am Aufbau der Geschäftsordnung und den später zu behandelnden Änderungsanträgen – auch wenn Herr Lehmann vorhin schon vor der eigentlichen Debatte über die Änderungsanträge de facto erklärt hat, dass die Fraktion keinem einzigen Änderungsantrag zustimmen will. Ich halte das für ein merkwürdiges Demokratieverständnis.

(Beifall bei der PDS – Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Das machen die seit 14 Jahren!)

Die PDS-Fraktion hat wiederholt deutlich gemacht, dass sie keinerlei Grund sieht, einen zusätzlichen Versorgungsposten für die SPD-Fraktion zu schaffen. Niemand in diesem Land braucht einen 3. Vizepräsidenten des Landtages. Deshalb werden wir dieses Ansinnen eindeutig ablehnen, zumal dies auch zu einer unnötigen Aufblähung des Präsidiums führen würde. Wir wollen die bisherige Zahl von 16 Mitgliedern beibehalten.

Abgesehen davon, dass wir grundsätzliche, auch verfassungsrechtliche Bedenken dagegen haben, dass nach den Plänen von CDU- und SPD-Fraktion sämtliche Anträge, auch gegen den Willen des jeweiligen Antragstellers, in die Ausschüsse überwiesen werden sollen, und dazu auch noch einen komplexen Änderungsantrag stellen werden, bleiben wir bei unserer Forderung, dass die Ausschüsse des Landtags in der Regel öffentlich tagen sollen.

(Beifall bei der PDS)

Dies haben wir schon immer gefordert, aber wenn jetzt fast alle Anträge nur noch im Ausschuss inhaltlich aus

führlich debattiert werden und dann in der Sammelvorlage untergehen, ist es umso mehr geboten, die Öffentlichkeit bei den Ausschussberatungen zuzulassen.

(Frau Dr. Gisela Schwarz, SPD: Es ist Ihre Schuld, wenn sie untergehen!)

Im Übrigen erlaube ich mir, Frau Kollegin Schwarz, daran zu erinnern, dass die SPD-Fraktion in der letzten Debatte zur Geschäftsordnung im Jahr 1999 vehement genau diese Öffentlichkeit gefordert und mit einem eigenen Änderungsantrag dokumentiert hatte.

(Beifall bei der PDS)

Wir werden mit Interesse beobachten, wie die SPD-Fraktion heute dazu abstimmt. Auch das pro forma bisher schon in der Geschäftsordnung verankerte Selbstbefassungsrecht der Ausschüsse muss endlich mit Leben erfüllt werden. Es ist nicht länger hinnehmbar, dass die die Regierung tragende Mehrheit aus Prinzip fast jegliche Selbstbefassung blockiert, egal wie drängend das jeweilige Thema ist. Hier vertreten wir nachdrücklich die Auffassung, dass eine qualifizierte Minderheit eine solche Selbstbefassung durchsetzen können muss. Dies ist vor allem auch deshalb erforderlich, meine Damen und Herren – und davon haben Sie nichts gesagt, Herr Lehmann –, damit eines der wenigen klar ausgehandelten Minderheitenrechte, nämlich die Einberufung von Sondersitzungen eines Ausschusses, nicht länger dadurch ausgehebelt werden kann, dass die Mehrheit bei der Bestätigung der Tagesordnung einfach jegliche Befassung mit dem beantragten Thema ablehnt und die Sondersitzung nach drei Minuten beendet ist, wie es in der Vergangenheit mehrfach geschah und namentlich von der SPD-Fraktion massiv kritisiert worden ist. Wir werden sehen, wie sich die SPD-Fraktion nachher zu dem Änderungsantrag verhält.

Auch eine andere bisherige Forderung der Sozialdemokraten, nämlich dass bei Gesetzesberatungen in der 1. Lesung eine allgemeine Aussprache zwingend erfolgen muss, wenn eine Fraktion dies verlangt, steht heute wieder zur Abstimmung. Auch hier werden wir sehen, wie sich die einzelnen Fraktionen verhalten.

Die PDS-Fraktion möchte den Landtag für externe Sachverständige und Betroffene weiter öffnen. Vertrauenspersonen von Volksanträgen sollen zu ihren Gesetzentwürfen im Plenum ebenso sprechen können wie Repräsentanten von landesweit tätigen Vereinen, Verbänden und Organisationen, und zwar über sie unmittelbar betreffende Probleme.

(Beifall bei der PDS)

In der 1. Wahlperiode nach der Zeit der Runden Tische – der Präsident hat vorhin auch daran erinnert – gab es so etwas im Übrigen bereits einmal im Sächsischen Landtag. 1994 hat die CDU-Fraktion derartige Möglichkeiten jedoch abgeschafft. Da auch wir nicht davon ausgehen, meine Damen und Herren, dass die externen Vertreter, von denen ich gesprochen habe, hier permanent im Landtag sprechen werden und sprechen sollen, soll dies im Einzelfall jeweils mit der Mehrheit des Landtages beschlossen werden, das heißt, CDU- und SPD

Fraktion hätten es selbst in der Hand. Aber die grundsätzliche Möglichkeit, dass hier Externe reden, sollte aus unserer Sicht auf jeden Fall geschaffen werden.

(Thomas Jurk, SPD: Typisches Minderheitenrecht!)

Überhaupt, Kollege Jurk, müssen Minderheitenrechte endlich gestärkt werden, wie es bislang die SPD-Fraktion immer wieder gefordert hat. Es darf nicht länger so sein, dass eine Mehrheit willkürlich alle offenkundig dringlichen Anträge ablehnen und deren Aufnahme auf die Tagesordnung verweigern kann. Es ist auch nicht hinnehmbar, dass das Recht auf Herbeirufung eines Mitglieds der Staatsregierung zwar in der Verfassung steht, aber in der Praxis noch nicht ein einziges Mal zur Anwendung gekommen ist, weil die regierungstragende Mehrheit sich einer entsprechenden Forderung prinzipiell ständig verweigert hat.

(Marko Schiemann, CDU: Das stimmt nicht!)

Das ist die Wahrheit. Hier fordern wir die Einführung eines Minderheitenquorums von einem Drittel. Meine Damen und Herren, dies gewährleistet zum einen, dass auch gegen den Willen der Mehrheit ein Minister heranzitiert werden darf, und stellt andererseits sicher, dass damit nicht inflationär umgegangen wird. Wird der gemeinsame Antrag von PDS-Fraktion, FDP-Fraktion und Bündnis 90/Die Grünen angenommen, dann kann die Herbeirufung durch keine Oppositionsfraktion allein genutzt werden, sondern es müssen immer mehrere Fraktionen zusammenarbeiten. Wir sind auch hier sehr gespannt, wie sich die SPD-Fraktion zu diesen Fragen verhalten wird, die sie früher immer selbst eingefordert hat.

Ein weiterer wichtiger Punkt aus Sicht der PDS-Fraktion: Wir wollen die Fragestunde im Landtag deutlich aufwerten. Mindestens aller drei Monate soll sich künftig der Ministerpräsident persönlich den Fragen der Abgeordneten stellen.

(Beifall bei der PDS)

Dies ist in anderen Parlamenten in Deutschland und vor allem in Europa gängige Praxis und würde die Kontrollfunktion des Landtags spürbar stärken. Da der Sächsische Landtag nicht einzelne Minister, sondern allein den Ministerpräsidenten wählen und abwählen kann, erscheint es aus unserer Sicht geradezu geboten, dass auch der Regierungschef selbst dem Parlament bei Anfrage Rede und Antwort steht.

Was die Aktuelle Stunde anbelangt, so werden wir es nicht hinnehmen, dass es möglich sein soll, diese künftig nach der Behandlung von Gesetzentwürfen, womöglich um 17.00 oder 18.00 Uhr, stattfinden zu lassen. Hier haben wir einen Änderungsantrag eingebracht und hoffen dabei auf die Unterstützung des Hauses.

Auch bezüglich des Abstimmungsverfahrens schlagen wir verschiedene Korrekturen vor. An einer Abstimmung sollen künftig nur jene Mitglieder des Landtages teilnehmen dürfen, die zum Zeitpunkt des Beginns der Abstimmung tatsächlich im Sitzungssaal anwesend waren. Dies gilt auch bei eventuell notwendiger Wiederho

lung der Abstimmung, um eine Verfälschung des Ergebnisses durch hinzugerufene Abgeordnete zu verhindern.