Protokoll der Sitzung vom 25.01.2008

„Das Höchste, was man erreichen kann, ist zu wissen und auszuhalten, dass es so und nicht anders gewesen ist, und dann zu sehen, was sich daraus für heute ergibt.“ Mit diesen Worten Hannah Ahrendts führt die neue Satzung der Stiftung Sächsische Gedenkstätten in die den Auftrag der Stiftung erklärende Präambel ein. Diese Worte stehen auch für die Auseinandersetzung mit den Orten der Unmenschlichkeit und des Verbrechens in der Zeit der kommunistischen Diktatur nach 1945, in der SBZ und der DDR, Orten wie Bautzen oder der „Runden Ecke“ in Leipzig.

Gerade ein Land, das so stark von den Wunden zweier Diktaturen geprägt ist, muss aus meiner Sicht alles in seiner Macht Stehende tun, einerseits den Opfern der Verbrechen und ihren Hinterbliebenen Orte des Gedenkens zu schaffen, andererseits aber gleichzeitig auch Aufklärung zu betreiben, die die authentischen Orte einbezieht, die Ursachen der Entstehung von Rassenwahn, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen die Menschen aufdeckt und begreifbar macht. Dabei kann und darf es nicht um die Gleichsetzung von Opferschicksalen oder historischen Perioden gehen. Die Würde des Menschen ist ein individuelles Gut, und ihre Verletzung muss auch individuell betrachtet werden.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN sowie vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)

Im Gegenteil, gerade die Differenziertheit und Komplexität gilt es zu verstehen und in der demokratischen Erinnerungskultur aufzuarbeiten. Dabei steht für die sächsische Landesregierung die Singularität des Holocaust vollkommen außer Frage und schlägt sich auch in der praktischen Gedenkstättenarbeit nieder. Wir sind den Opfern beides schuldig: ihre Leiden in einem zeitgeschichtlichen Kontext wahrzunehmen und sie gleichzeitig ihrer Singularität nicht zu berauben.

Ich gebe zu, dass das ein schwieriges und mitunter auch widersprüchliches Unterfangen ist. Ich bin Gunther Hatzsch sehr dankbar für die Schilderung eines persönlichen Schicksals, womit er versuchte, genau diese Komplexität und Widersprüchlichkeit an einer Biografie darzustellen.

Das ist ein schwieriges Unterfangen, insbesondere an den Orten, die mehrfach in der Geschichte zu Orten des Verbrechens wurden, in denen vormalige Täter zu Opfern eines Regimes wurden und umgekehrt. Ich denke an Torgau oder den Münchner Platz hier in Dresden.

Die Arbeit der Stiftung Sächsische Gedenkstätten stellt sich diesem schwierigen Auftrag und beweist das durch die Gestaltung der einzelnen Gedenkstätten mit allen Schwierigkeiten, die es dabei auszuhalten gilt. Allerdings gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Opferverbänden in den Gremien der Stiftung seit deren Errichtung im Jahr 2003 schwierig.

Die gemeinsame Verständigung aller Opferverbände in einer Stiftung war von Beginn an eine unabdingbare Voraussetzung für eine sinnvolle und erfolgreiche Arbeit der Gedenkstättenstiftung gerade hier in Sachsen. Alle Opferverbände in einem Beirat zusammenzufassen war der Versuch, genau diese Verständigung herbeizuführen. Von Anfang an war aber auch umstritten, ob die gewählten Organisationsformen der Stiftung geeignet sind, den Unterschieden der einzelnen Opferverbände, insbesondere aber auch den Unterschieden der historischen Zeiträume und ihrer Opfer, die sie repräsentieren, überhaupt gerecht zu werden und genau diese Verständigung herbeizuführen.

Im Laufe der Zeit hat sich eine Reihe von Kritikpunkten an den gewählten Organisationsformen herauskristallisiert – ich verweise auf den Beitrag von Herrn Gerstenberg –, die vor allem in dem Vorwurf einer „Waagschalenmentalität“ zum Ausdruck gebracht wurden. Im Zuge der Diskussion um diese Kritikpunkte legten im Januar 2004 fünf Opferverbände der NS-Zeit ihre Arbeit in der Gedenkstättenstiftung nieder und traten aus dem Stiftungsbeirat aus.

Die Landesregierung hat diese Schritte zutiefst bedauert und bemüht sich seitdem darum, wieder zu einer gemeinsamen, alle Opferverbände umfassenden Arbeit der Gedenkstättenstiftung zurückzufinden. Wir nehmen dabei die vorgetragenen Bedenken und Sorgen aller Beteiligten sehr, sehr ernst, denn die Gedenkstättenstiftung erfüllt nun mal keinen Selbstzweck. Sie soll uns – das betone ich hier noch einmal – das Leid der Opfer erinnern und an unsere gemeinsame Verantwortung appellieren.

Wir haben daher intensiv im Stiftungsrat und in vielen Gesprächen mit den Opferverbänden über mögliche Organisationsformen diskutiert und versucht, den Erfahrungen der Vergangenheit Rechnung zu tragen. Wir sind dabei auf einem guten Weg, aber wir brauchen dazu viel Geduld und Vertrauen. Genau deshalb war und bin ich nicht erfreut über die heutige Diskussion, da es angezeigt ist, zunächst im Stillen Gespräche zu führen und Kompromissmöglichkeiten zu suchen, die auf die berechtigten Sorgen der Betroffenen Rücksicht nehmen – übrigens auch Kompromissmöglichkeiten bei der Gestaltung und Novellierung des Gesetzes.

Der Stiftungsrat hat im Sommer 2007 eine neue Satzung verabschiedet, die vielen der vorgetragenen Bedenken – zum Beispiel getrennte Beiräte – wirksame Lösungen gegenüberstellt und die auf breite Zustimmung gestoßen ist. Ein zentrales Element der Veränderung wird deshalb die Arbeit von zwei Beiräten sein, die sich den Diktaturen vor und nach 1945 und den von ihnen begangenen Verbrechen widmen. Wir wollen damit Raum geben für dieses differenzierte Arbeiten, ohne den gemeinsamen Auftrag der Stiftung zu verlassen. Wir wollen Raum schaffen für eine Gedenkstättenarbeit, die die Unterschiede herausarbeitet und gewichtet und die Gemeinsamkeiten bei der Erinnerung der Opfer und ihrer Leiden nicht vergisst.

Leider ist es bis heute nicht gelungen, die vier weiteren Opferverbände der NS-Zeit – mit Ausnahme der Vertreter der Zwangsarbeitergedenkstätten – für die Mitarbeit zu gewinnen. Ohne eine perspektivische Anpassung des Gedenkstättengesetzes, die auch die aktuelle Debatte über die Gedenkkultur in Deutschland auf Bundesebene aufgreift, wird es allerdings nach meiner jetzigen Kenntnis nicht gelingen, eine dauerhafte Mitwirkung des Zentralrats der Juden und der Vertreter der Sinti und Roma zu erreichen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ruhe, Zeit und Verlässlichkeit sind die Voraussetzungen für Vertrauen. In diesem Klima haben wir und habe auch ich die Gespräche mit den Beteiligten in der Vergangenheit geführt und werde dies auch weiterhin tun. Wir wollen so das Vertrauen aller in die Arbeit der Gedenkstättenstiftung wieder zurückgewinnen und unsere Gespräche mit dem Ziel der Rückkehr aller Verbände in die Arbeit der Stiftung zum Erfolg bringen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dazu ist es allerdings auch notwendig, dass alle demokratischen Kräfte in diesem Land den geistigen Nachfahren der NSDiktatur, die offen oder verdeckt und getarnt die Menschheitsverbrechen der Nazis verherrlichen oder gar negieren, den Kampf ansagen.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der Linksfraktion, der FDP und den GRÜNEN)

Auch das gehört zu den vertrauensbildenden Maßnahmen gegenüber den Opfern und Hinterbliebenen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Meine Damen und Herren! Damit ist die 1. Aktuelle Debatte, beantragt von der Linksfraktion zum Thema „Erneute Blamage Sachsens verhindern – Gedenkstättengesetz endlich novellieren“, beendet.

Meine Damen und Herren, wir kommen nun zu

2. Aktuelle Debatte

Industriekultur in Sachsen: Potenziale ausschöpfen – Technikbegeisterung und Forscherdrang fördern

Antrag der Fraktion der FDP

Zunächst hat die Fraktion der FDP das Wort, danach CDU, Linksfraktion, SPD, NPD, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Herr Dr. Schmalfuß, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sachsen ist weltweit bekannt für seine imposanten Kirchen, seine prunk

vollen Schlösser, seine herrlichen Kunstsammlungen und das berühmte Meißner Porzellan. Das steht außer Frage. Aber, verehrte Damen und Herren, ich sage: Sachsen ist noch viel mehr als das. Sachsen war das Pionierland der industriellen Revolution in Deutschland. Maschinen aus Chemnitz, Kohle aus der Lausitz, Tuche aus Westsachsen,

Rohstoffe aus dem Erzgebirge – auch dadurch erlangte Sachsen Weltruhm.

Noch heute zeugen unzählige technische Denkmäler, beeindruckende Fabrikanlagen und Produktionsstätten überall im Land von dieser Tradition. Dank vieler vor allem auch ehrenamtlich engagierter Sachsen sind viele einmalige Denkmäler erhalten und heute Besuchern zugänglich. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Museen, Schauwerkstätten und Besucherbergwerken überall in unserem Land.

Meine Damen und Herren! Sächsische Industrietradition bedeutet nicht nur ein Stück Identität; dieses Erbe ist auch ein Aushängeschild und ein Standortargument für den Freistaat Sachsen.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Dr. Simone Raatz, SPD)

Denn hier in Sachsen herrschen seit Jahrhunderten Erfindergeist und Technikbegeisterung. Schon allein deshalb ist es unsere Pflicht, dieses Erbe zu erhalten und zu pflegen.

Was aber, meine Damen und Herren, macht die Staatsregierung? – Sie hat offenbar die Bedeutung dieses industriekulturellen Erbes noch nicht vollumfänglich erkannt. Deutlich wird dies am Beispiel des Sächsischen Industriemuseums, einem Verbund von heute vier, ursprünglich fünf Einrichtungen der sächsischen Industrie- und Technikgeschichte. Dazu gehören bekanntermaßen das Industriemuseum Chemnitz, das Textilmuseum in Crimmitschau, die Energiefabrik in Knappenrode und die Zinngrube in Ehrenfriedersdorf. Der fünfte Partner im Verbund, das Kalkwerk Lengefeld, hat sich leider Ende des vergangenen Jahres zurückgezogen.

Ursprünglich sollte mit diesem Verbund die Industriekultur in Sachsen gestärkt werden. Doch was vor zehn Jahren in der Biedenkopf-Ära in guter Absicht gegründet wurde, wird seit Antritt der neuen Koalition regelrecht stiefmütterlich behandelt. Bereits im Koalitionsvertrag hatten CDU und SPD festgelegt, die Zuschüsse des Freistaates Sachsen für den Museumsverbund um jährlich 7 % zu kürzen. Wo die Gründerväter noch einen Zuschussbedarf des Freistaates Sachsen in Höhe von 1,35 Millionen Euro ausmachten, hält die derzeitige Koalition einen Zuschuss von aktuell nur noch 820 000 Euro für ausreichend. Das sind gerade einmal 60 % der Ursprungssumme. Aktuell beziffert der Zweckverband seinen Zuschussbedarf auf 1,2 Millionen Euro. Doch selbst bei diesem Bedarf müsste der Freistaat noch einmal ein Drittel der aktuellen Summe drauflegen.

Mit der Festlegung im Koalitionsvertrag, die Zuschüsse jährlich abzuschmelzen, stellen CDU und SPD die Existenz des Sächsischen Industriemuseums grundsätzlich infrage.

(Beifall bei der FDP)

Offenbar sollen nach Ansicht der Koalitionsparteien die Kommunen ihre Einrichtung künftig allein stemmen.

Meine Damen und Herren von der Koalition, mit dieser Haltung besiegeln Sie mittelfristig zwangsläufig das Ende dieser Einrichtung, denn – seien wir an dieser Stelle einmal ehrlich – es ist doch von einer kleinen Kommune wie beispielsweise Crimmitschau nicht zu leisten, das ortsansässige Textilmuseum in angemessener Weise langfristig allein zu schultern.

(Alexander Krauß, CDU: Ist Chemnitz auch eine kleine Kommune?)

Somit ist es nicht verwunderlich, dass die kommunalen Mitglieder des Museumsverbundes verunsichert sind und sich vorerst mit Investitionen zurückhalten.

Um bei dem Crimmitschauer Beispiel zu bleiben: Dieses Juwel der Textilgeschichte befindet sich seit Jahren im Aufbau. Was fehlt, sind nicht nur die Investitionen für ein schlüssiges museales Gesamtkonzept, sondern vor allem ein Signal vom Freistaat Sachsen, die Stadt auch künftig nicht auf den laufenden Kosten des Museumskomplexes allein sitzen zu lassen.

(Beifall bei der FDP)

Während sich die Staatsregierung also außerordentlich knauserig zeigt, wenn es um den Erhalt und die Vermittlung des industriellen Erbes Sachsens geht, haut sie an anderer Stelle Millionen hinaus. Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion hält dies für eine grundlegend falsche Prioritätensetzung.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Caren Lay, Linksfraktion)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Herr Hermsdorfer, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Schmalfuß, bei der Ankündigung Ihrer Aktuellen Debatte habe ich mich gefragt: Was will er denn eigentlich erreichen?

(Beifall und Heiterkeit bei der NPD)

Dass wir Industriekultur in Sachsen bewahren, darauf gehe ich gleich ein. Dass wir Potenziale ausschöpfen, sehen wir an unserer Wissenschafts- und Universitätslandschaft, und dass Technikbegeisterung wieder um sich greift, sehen wir an vielen gut funktionierenden Unternehmen, die sich seit der Wende etabliert haben.

(Dr. Andreas Schmalfuß, FDP, steht am Mikrofon.)

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