Protokoll der Sitzung vom 16.04.2008

wir mittlerweile gelandet sind, meine Damen und Herren! Heutzutage werden Hundertschaften nach Leipzig abgezogen und anderswo fehlen sie. Herr Staatsminister, wir reden mittlerweile über abgesagte Sportveranstaltungen, wie den Sachsenpokal CFC gegen Dynamo am 15. März dieses Jahres, der wegen Personalmangels bei der Polizei ausfiel. Man muss sich einmal vorstellen, wo wir gelandet sind! Das hat den Veranstalter übrigens 30 000 Euro gekostet. Okay, das scheint niemanden zu stören.

(Widerspruch des Abg. Peter Wilhelm Patt, CDU)

Mit Müh und Not werden zahlreiche Veranstaltungen, die am 30.04 und 01.05. zusammentreffen, polizeilich abgesichert. Wissen Sie, wie man einen solchen Zustand nennt? Schlicht und ergreifend Polizeinotstand – diesen haben wir in diesem Lande zu verzeichnen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Sie, Herr Staatsminister Buttolo, und die Koalition sind verantwortlich dafür, wenn Ihnen nur ein Jota daran liegt, diese Verhältnisse zu ändern und Normalität herzustellen. Es geht um nichts weiter als Normalität in diesem Lande. Dann müssen Sie heute Farbe bekennen, und zwar nicht durch das Wort, sondern durch die Tat. Wir verlangen eine sofortige Beendigung des unsinnigen Personalabbaus bei der Polizei, und zwar jetzt.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Wir verlangen eine Beendigung der Politik von Noteinstellungen, der Abschaffung des begrenzten und kurzsichtigen Einstellungskorridors, wie er jetzt ausgestaltet ist, und zwar jetzt. Was die Koalition seit 2004 im Bereich der Polizei veranstaltet, kann man als eine einzige allgemeine Verunsicherung bezeichnen, und zwar nicht nur für die Beamten, sondern für die Bürgerinnen und Bürger. Auch das hat etwas mit Sicherheit zu tun, denn am Ende fehlt es an dieser Art von Sicherheit der Bevölkerung. Ich denke, das blenden Sie aus.

Ich will Ihnen ein paar ganz knallharte Fakten nennen, meine sehr geehrten Damen und Herren, die beweisen, dass ich nicht irgendetwas erzähle.

Erstens. Die Staatsregierung unternimmt nichts, ich meine überhaupt nichts, um auf die zwingend notwendige Erneuerung und Verjüngung der Polizei hinzuwirken. Bereits ohne Personalstellenkürzungen zeigen sich in der Personalstruktur der Landespolizei ernst zu nehmende Defizite, auf die kurz- und mittelfristig reagiert werden

muss. Ich will hierzu eine Zahl nennen: 26 % aller Beamten der Landespolizei sind über 50 Jahre alt, 14 % unter 30. Ich meine, das ist mal ein Thema, über das wir hier reden könnten, das möglicherweise für diesen Bereich auch wichtig sein könnte. Die Leitung der Reviere in der Polizeidirektion Chemnitz-Erzgebirge erfolgt von Beamten, die über 47 Jahre alt sind; das gilt auch für die Kripo. Nicht anders sieht es in anderen Polizeidirektionen aus.

(Zuruf von der CDU)

Es fehlt an Spezialfachkräften – das wissen wir schon seit Jahren –, die über wichtige Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, wie bei der OK. Es fehlt mittlerweile gewissermaßen eine ganze Generation von jungen Polizistinnen und Polizisten, die notwendig sind, um den Bestand zu sichern. Von mehr will ich gar nicht reden. Das ist politisch unverantwortlich, sachlich nicht begründbar und gefährdet letztlich die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger, sehr geehrte Damen und Herren.

(Beifall bei der Linksfraktion – Volker Bandmann, CDU: Und wie ist der Altersdurchschnitt in der PDS?)

Zweitens: Auch ohne den Personalabbaubeschluss des Kabinetts ist die Aufstellung der Polizei zum gegenwärtigen Zeitpunkt doch beklagenswert. Nehmen wir die Polizeireviere in Sachsen. Ich beziehe mich auf Kleine Anfragen, die beantwortet sind, von Ihnen, Herr Staatsminister, und bei denen ich davon ausgehen kann, dass die Zahlen stimmen. Bei einer Sollzahl von 5 691 Beamten gibt es nur 4 587 besetzte Stellen. Das muss ich feststellen. Denn die fehlenden sind entweder überhaupt nicht besetzt oder durch Abordnung, Fortbildung, Elternzeit oder Dienstunfähigkeit nicht besetzt. Das sind 20 % – 20 % aller im Soll notwendig erfassten Stellen. 20 % der Beamten fehlen uns. Man kann es so ganz einfach sagen, das ist doch Fakt.

Wenn jetzt noch ganz normale Zeiten hinzukommen, beispielsweise Urlaubszeiten, dann muss man noch 15 % hinzurechnen. Das heißt, in bestimmten Zeitabschnitten fehlen 35 % der Beamten, die für Sachsen notwendig wären, und das ohne Kürzungen im Personalstellenbereich.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Da braucht sich keiner zu wundern, dass Mehrarbeitsstunden geleistet werden. Fakt ist, sehr viele Polizistinnen und Polizisten arbeiten praktisch am Limit. Da ist es katastrophal, wenn der Minister hier nicht unverzüglich handelt und nur Versprechungen macht.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)

Herr Staatsminister! Reden Sie mit den Beamten vor Ort. Schicken Sie bitte nicht Ihre Beamten dorthin, gehen Sie selbst dorthin. Tun Sie mir den Gefallen. Reden Sie mit ihnen. Dann werden Sie feststellen, dass sehr viele auf den Schlauch treten.

(Volker Bandmann, CDU: Auf was treten?)

Vor allem sinkt auch die Motivation bei einer solchen Situation: die Motivation, ihren Job durchzuführen. Das trifft für viele zu.

(Heinz Lehmann, CDU: Das ist wahr!)

Drittens. Jetzt kommen wir zum Stellenabbau selbst, der seit dem Haushalt 2007/2008 ja nun gegen jede Vernunft abgeschlossen wurde und in den Folgejahren, in den nächsten Jahren 2 441 Stellen kosten soll. Dem steht ein Einstellungskorridor gegenüber, den Sie 2007 auf 175 festgelegt haben. Für 2008 sind es 125 und in den Folgejahren nur noch 100 Stellen für Neueinstellungen. Auch Ihre Verkündung, mit dem nächsten Haushalt möglicherweise von der Stringenz des Personalabbaus abzusehen, beruhigt uns überhaupt nicht, denn es ist schon Schaden eingetreten. Die Zahlen liegen auf der Hand. Allein 2007 gab es 305 Altersabgänge bei nur 125 Einstellungen. 2008 werden 320 Beamte gehen und 175 Einstellungen kommen. Rechnet man alles zusammen, ist hier schon ein Minus von 325 Stellen – neben denen, die ohnehin schon fehlen – zusätzlich eingetreten. Betrachtet man den Zeitraum von 2007 bis 2010, so gibt es 1 371 Altersabgänge, denen nach Ihrer Planung nur ganze 500 Neueinstellungen gegenüberstehen. Das macht ein Minus an normalen einfachen Stellen von 871.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schaut man weiter bis 2020, werden jährlich 500 Beamtinnen und Beamte durch Altersabgang gehen, sodass die Schere zwischen Altersabgang und Neueinstellung immer größer und bedenklicher wird. Was wir wirklich brauchen, ist eine deutliche Erweiterung des Einstellungskorridors um insgesamt 1 000 Stellen in den kommenden drei Jahren. Es geht gar nicht anders, um erst einmal den Schaden, der eingetreten ist, gewissermaßen aufholen und beseitigen zu können.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Meine Damen und Herren! Alle von mir genannten Zahlen stehen seit Langem fest. Spätestens seit 2005 weiß die Staatsregierung, was sie bedeuten. 2005, als erstmalig die wirre Idee aufkam, auf Teufel komm raus bei der Polizei ohne Aufgabenkritik jede fünfte Stelle zu streichen, gab es massive Kritik aus den Reihen der Polizei – nicht einmal von uns, von der Opposition, sondern aus den Reihen der Polizei. Es gab diese Kritik, denke ich, in einer sehr anschaulichen Weise. Ich erinnere Sie an das Ampelpapier. Da stand einfach alles drin. Seit 2005 wissen Sie, dass Kürzungen bis zu 700 Stellen natürlich die Prävention früher oder später ad absurdum führen. Sie wissen seit 2005, dass eine Kürzung von 1 400 Stellen dazu führt, dass ein großer Teil der Polizeireviere und -posten abgeschafft würde. Sogar beim LKA müsste man 50 Stellen einsparen. Das erklären Sie mal den Leuten da draußen. Die Aufklärung im Personenschutz müsste wegfallen und vieles andere mehr. Jede weitere Kürzung würde den Kernbereich der Polizei betreffen.

Damit sind wir bei der Verfassung. So gut ich weiß, gibt es auch einen Verfassungsauftrag dieser Polizei. Der

könnte nicht mehr gehalten werden. Das wissen Sie alles schon sehr lange, schon seit 2005. Mich ärgert, dass wir jahrelang diese Problematik hinschieben und heute in einer solchen Situation sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kein Argument zählte für Sie, Herr Staatsminister. Im Gegenteil, Sie haben den Sachverstand Ihrer eigenen Bediensteten ignoriert. Ich sage, das ist wirklich arrogant, wie im Stile eines Politbüros. Ich weiß nicht, ob man sich das in diesem Land wirklich leisten kann.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Lassen Sie mich zuletzt etwas zur Bereitschaftspolizei sagen. Die am 8. Mai beginnende Neuordnung der Bereitschaftspolizei führt zu spürbaren Einschnitten, das wissen wir doch alle. Fehlende Stellen und die Freilenkung weiterer 100 Stellen haben doch zur Folge, dass Bereitschaftspolizei aus anderen Ländern gekauft werden muss – das kostet nebenbei bemerkt auch wieder Geld –, denn Sportveranstaltungen sollen dennoch stattfinden und andere Dinge auch.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deshalb sage ich Ihnen, wenn es Kritik an einer solchen Aufstellung der Bereitschaftspolizei gibt, und zwar aus den Reihen der Bereitschaftspolizei selbst, dann sollten Sie, Herr Staatsminister, diese Kritik ernst nehmen und nicht zulassen, dass solche Bedienstete als Querulanten abgestempelt werden. Polizisten stehen zwar in einem besonderen Dienstverhältnis zum Staat, aber das bedeutet doch noch lange nicht, dass man ihnen das Denken verbieten darf.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Herr Staatsminister Buttolo, die Bilanz Ihrer Politik im Bereich der Polizei hat schon seit Längerem Kopfschütteln bei Fachleuten, bei der Polizei und bei den Bürgern hervorgerufen. Wenn Sie jetzt erst über ein Abrücken im Sinne des Kabinettsbeschlusses nachdenken, der ja erst da ist, so muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen, dass ich mich frage, welches Wort Ihnen fehlt. Was ist Ihnen wichtiger – die Sachlage in Ihrem Bereich der Polizei oder die Fragen Ihrer Partei? Die Polizei, Herr Staatsminister, gehört bekanntermaßen nicht unbedingt zur allerersten Klientel meiner Partei. Es gibt auch so manche Differenz, das wissen wir. Wir haben gewisse Differenzen zu bestimmten Auffassungen der Polizei, zu polizeilichen Maßnahmen – ich denke da an Videoüberwachungen, Vorratsdatenspeicherung und vieles andere mehr. Meine Partei erhebt zu Recht ihr Lamento bei so manchem Polizeieinsatz. Das ist auch richtig und gut so. Dennoch ist auch uns vollkommen klar, dass der Rechtsstaat ohne eine einsatzfähige demokratische Polizei überhaupt nicht denkbar ist.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Uns geht es nicht um einen diffusen Ruf nach mehr Polizei, sondern um die Gewissheit, dass die Polizei auch wirklich in die Lage versetzt wird, ihren verfassungsmäßigen Auftrag zur Gefahrenabwehr und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zu erfüllen. Darum geht es, um

nicht mehr und nicht weniger. Deshalb stehe ich auch hier und will über diese Fragen sprechen. Polizei ist kein Ersatz für Politikentscheidungen und auch kein Politikersatz. Weil das so ist, genau, weil das so ist, müssen die Entscheidungen in diesem Bereich im höchsten Maße sachbezogen, transparent und für die Bürger nachvollziehbar sein.

Noch etwas: Auch Polizeibeamte brauchen Klarheit für ihren Job. Sie sind keine Verschiebemasse, Herr Staatsminister Buttolo. Heute ist Gelegenheit, Ihre Politik in diesem Feld zu ändern. Sie sind der Dienstherr der Polizei. Tun Sie etwas! Ich denke, dass die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten darauf warten.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Der zweite Antrag, von der FDP-Fraktion, wird erläutert von Herrn Dr. Martens.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den wiederholten und ständig bekräftigten Beteuerungen sowohl der Koalition als auch der Staatsregierung ist Sachsen im Bereich der inneren Sicherheit Spitze. Alles ist bestens, die innere Sicherheit wird in Sachsen besser gewährleistet als in den meisten anderen Bundesländern. Diese Staatsregierung, so erklärt sie, hat einen Kernbereich, den sie sich nicht nehmen lassen will, in dem sie sich profiliert – das ist der der inneren Sicherheit.

Wir als Liberale stellen die Frage: Stimmt denn das? Ist das wirklich so oder ist das nur politischer Anspruch?

Am Wochenende des 15. und 16. März 2008 mussten in Sachsen zwei Fußballspiele, die Drittligapartie Chemnitzer FC gegen Dynamo Dresden und das Viertligaspiel Sachsen Leipzig gegen Borea Dresden, abgesagt werden, und zwar aus Sicherheitsgründen. Hintergrund war die polizeiliche Großlage und daraus resultierend ein Mangel an Einsatzkräften. In Leipzig war zu diesem Zeitpunkt ein rechtsextremistischer Aufmarsch geplant. Dieser wurde zwar verboten, aber zur Durchsetzung des Verbotes und zur Absicherung der Gegendemonstration war ein massives Polizeiaufgebot erforderlich. Zudem wurde zum Landesligaspiel zwischen dem 1. FC Lok Leipzig und der 2. Mannschaft von Sachsen Leipzig eine erhebliche Anzahl gewaltbereiter Hooligans – nicht Fußballfans, sondern Hooligans – erwartet. Hier waren wiederum viele Polizeieinsatzkräfte erforderlich, um die Anhänger der Mannschaften zu trennen.

Schließlich hielt die aufgeheizte Situation in der Auseinandersetzung zwischen Türstehern und rivalisierenden Banden in Leipzig weiter an. In der Innenstadt mussten starke Polizeikräfte bereitgehalten werden. Es handelt sich hierbei gewiss um besondere Lagen; allerdings – auch das sei gesagt – häufen sich diese besonderen Lagen in Sachsen.

Ferner stellen wir fest, dass die Situation an den sächsischen Außengrenzen weiterhin eine erhöhte Polizeipräsenz erfordert. Das wird sich langfristig auch nicht wesentlich ändern. Ich denke hierbei an den möglichen Rückzug und die Reduzierung von Kräften der Bundespolizei, aber auch an den Rückzug des Zolls. Meine Damen und Herren, wenn wir all das vor uns ausbreiten, dann stellen wir fest: Die sächsische Polizei ist an ihrem Limit angekommen.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Klaus Bartl, Linksfraktion)

Bereits im Zuge der Fußballweltmeisterschaft war in Dresden ein Public Viewing auf den Elbwiesen nicht möglich. Dort konnte nach Aussage des Sächsischen Staatsministers des Innern die Sicherheit der Zuschauer nicht gewährleistet werden. In der Dresdner Neustadt kommt es immer wieder zu schweren Ausschreitungen, die mit den vorhandenen Polizeikräften nicht verhindert und nur schwer unter Kontrolle gebracht werden können. Zugleich plant die Staatsregierung weiterhin den Abbau von 2 441 Stellen bei der sächsischen Polizei. Meine Damen und Herren, das halten wir für nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der Linksfraktion)

Grund für diese Pläne ist weniger die Sicherheitslage, als vielmehr – auch das wird nicht offiziell, aber hinter vorgehaltener Hand eingeräumt – die Finanzlage des Freistaates, die im Gesamtkonzept des Stellenabbaus diese Zahl von Stellenstreichungen bei der Polizei erforderlich machen soll, was – so stellen wir heute fest – mit gefährlichen Folgen für die Sicherheitslage im Freistaat verbunden ist.

Angesichts der gegenwärtigen Lage im Freistaat halten wir es für dringend erforderlich, diesen Stellenabbau zumindest bis Ende des Jahres 2009 auszusetzen und keine weiteren Planstellen zu streichen. Die FDP-Fraktion hält es für erforderlich, weitere Konzepte zu erarbeiten, um die eben angesprochenen besonderen polizeilichen Lagen künftig nach Möglichkeit auch mit sächsischen Polizeikräften beherrschen zu können.

Im Innenausschuss wurde die mangelnde Polizeipräsenz im Raum Mittweida angesprochen und nachgefragt, warum angesichts der massiven Probleme mit gewaltbereiten Rechtsextremisten die Polizei nicht stärker vor Ort präsent ist. Sie war eine Zeit lang unter erheblichen Anstrengungen vor Ort, um dort weitere Gewalttaten zu unterbinden. Ich erkenne an, dass das ein gutes Stück weit gelungen ist. Gleichzeitig müssen wir aber auch feststellen, dass sich die möglichen Täter andere Städte aussuchen, in denen sie versuchen, die Menschen zu terrorisieren und ihr Geschäft zu betreiben.