Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor ich auf den vorliegenden Antrag eingehe, lassen Sie mich bitte aus dem Protokoll der Landtagssitzung vom 6. Juli 2007 zitieren. Die Abgeordnete der Linksfraktion Frau Julia Bonk sagte zu der gerade behandelten Drucksache 4/9231 – das war ein Antrag meiner Fraktion zur wirksamen Bekämpfung der Kinder- und Jugendarmut –: „Nahezu nichts … ist auf dem Mist der NPD gewachsen. Sie haben alles nur geklaut, das meiste schamlos bei uns …“
Unser Antrag forderte damals unter anderem in den Punkten 1.1 bis 1.3 die konkrete Durchsetzung der Lehr- und Lernmittelfreiheit sowie in den Punkten 3.1 bis 3.4 die Einführung eines vollwertigen, gesunden und vor allem kostenfreien Mittagessens – genau das, was Sie erst heute einreichen! Nun frage ich Sie: Wer hat was von wem geklaut?
Alle damals anwesenden Abgeordneten von CDU, Linksfraktion, FDP, SPD und GRÜNEN lehnten in der namentlichen Abstimmung unseren Antrag ab, auch Herr Neubert – nein, Herr Neubert war nicht anwesend. Entschuldigung!
Nun zu Ihrem Antrag! Da ist alles drin, vom Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ohne Zugangsbeschränkungen über kostenloses Mittagessen und Lernmittelfreiheit bis hin zur Absenkung der Mehrwertsteuer auf 7 % für Kinderartikel des täglichen Bedarfs – ein Sammelsurium, wie es Dr. Pellmann, DIE LINKE, einmal mit Blick auf einen unserer Anträge genannt hat.
Greifen wir aus Ihrem Sammelsurium einmal das kostenlose Mittagessen heraus. Wir hatten damals mit unserem Antrag einen tragfähigen Kompromiss, nämlich die Änderung des SGB, vorgeschlagen. Entweder wollen oder können Sie nicht verstehen, dass bei Ihrem Ansatz ausgerechnet der hilfsbedürftigen Zielgruppe, den Kindern von ALG-II-Empfängern, die kostenfreie Mittagsversorgung gegengerechnet wird.
In der öffentlichen Anhörung am 24. April letzten Jahres führte Frau Cornelia Schnerrer vom Sächsischen Städte- und Gemeindetag aus – ich zitiere –: „Soweit Erziehungsberechtigte Leistungsempfänger nach SGB II bzw. SGB XII sind, sind die Aufwendungen für die Versorgung der Kinder bereits mit dem Regelsatz abgegolten. Die Ersparnisse, die den Eltern durch ein kostenloses Mittagessen, das durch Dritte finanziert wird, entstehen, werden von den Leistungsträgern wieder in Abzug gebracht.“
Nein, ich möchte weitermachen. – Wider besseres Wissen liefern Sie also heute der Koalition die Munition dafür, Ihren Antrag abzulehnen. Will man den Hilfebedürftigen helfen, dann muss das SGB verändert werden, was Sie allerdings durch die Reihen hinweg gemeinsam mit der Koalition abgelehnt haben. Es ist unverantwortlich, wie Sie auf dem Rücken der Kinder und Jugendlichen wieder einmal billigsten Populismus betreiben.
Auch die Stellungnahme der Sozialministerin Orosz liest sich ein klein wenig zynisch. Einerseits soll das Ganztagsschulangebot ausgebaut und somit auch eine Mittagsverpflegung bereitgestellt werden. Andererseits wird unumwunden zugegeben – ich zitiere wiederum –: „Die Kosten für die Schulspeisung haben die Eltern selbst zu tragen.“
Das ist aus unserer Sicht zu einfach, Frau Staatsministerin. Auch Ihre Einlassung, dass die Kommunen über die Gewährung von Unterstützung zu entscheiden haben, wird durch die Staatsregierung selbst relativiert. Es sind doch gerade die Kommunen, die durch den miserablen vertikalen Finanzausgleich in Finanznot gebracht wurden und werden.
Jetzt noch ein Wort zur angeblichen Lehr- und Lernmittelfreiheit, die laut Schulgesetz und auch laut Frau Staatsmi
nisterin Orosz besteht. Die paritätischen Verbände sind bei ihren Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, dass allein für Arbeitsmaterialien wie Folien und Arbeitshefte, die unabdingbar sind, die Eltern je nach Schulform und Klasse monatlich zwischen 20 und 35 Euro ausgeben müssen. Der geforderte wissenschaftliche Taschenrechner für über 100 Euro ist noch nicht einmal eingerechnet; aber diese Anschaffung hat ja auch den Charakter der Einmaligkeit. Wir hatten auch hierzu einen Antrag eingebracht, der ebenfalls von Ihnen abgelehnt wurde.
Meine Damen und Herren! Wir finden es sehr schade, welches Spiel in diesem Hohen Hause – auch von den Linken toleriert und durchgeführt – abläuft. Aber entgegen Ihren Gewohnheiten und den demokratischen Absprachen geht es uns um die Sache, um die Rückbesinnung auf einen Sozialstaat, der diesen Namen auch verdient. Deshalb – und nur deshalb – werden wir Ihrem Antrag zustimmen, obwohl wir uns bewusst sind, dass die Linksfraktion wieder einmal einen Fehler nach dem anderen gemacht und genügend Gründe für eine Ablehnung geliefert hat.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mehr Geld für arme Kinder, kostenlose Angebote für sozial Schwache, Erhöhung der Regelsätze – die Beseitigung der Kinderarmut scheint nach der Vorstellung der Linken ganz einfach zu sein. Die Zustimmung vieler Wähler ist garantiert. Schließlich wird das Geld für eine gute Sache, nämlich die Kinder, verteilt.
Doch was die Linken mal eben als bunten Blumenstrauß beantragen, dürfte nicht nur den Haushalt in Sachsen, sondern auch den im Bund sprengen. Schuldenmachen wäre die logische und schlussendliche Folge. Damit würden wir allen Kindern in Deutschland einen Bärendienst erweisen. DIE LINKE löst das Problem der Kinderarmut nicht. Im Gegenteil, sie belastet kommende Generationen mit einer Schuldenlast und verbaut damit allen unseren Kindern die Zukunft.
An dieser Stelle sei kurz ein Thema der Bundesebene eingeworfen: Die Linken fordern unter anderem die Rückkehr zur alten Rentenformel, welche den demografischen Wandel nicht berücksichtigt – ein Vorschlag, der unsere, meine Generation und zukünftige Generationen enorm belasten würde. So kann Gerechtigkeit in Zukunft nicht aussehen.
Sehr geehrte Damen und Herren der Linken, ich weiß nicht, ob Sie Gelddruckmaschinen haben oder geheime abbaubare Bodenschätze in Größenordnungen in Sachsen kennen, um dies alles zu finanzieren. Ich weiß aber, dass Sie mit Geldgeschenken hier und Versprechungen dort den Wähler täuschen. Sie werden dies alles so nicht umsetzen können und sollten dazu auch nicht die Gelegenheit bekommen.
Bereits im Dezember habe ich in der Antwort auf einen Antrag der GRÜNEN gesagt, dass Sie am sozialpolitischen Ebay teilnehmen: Wer am meisten bietet, gewinnt die Wahl. – Mit ihrem Antrag haben die Linken das Angebot noch einmal erhöht.
Sehr geehrte Damen und Herren von der Linkspartei, hören Sie auf, allen alles zu versprechen! Denn dies lässt Ihr Engagement in keinem guten Licht erscheinen. Mich macht es sogar ernsthaft wütend, wenn überzogene Forderungen dazu führen, dass gar nichts umgesetzt wird. Damit schaden Sie dem Anliegen der Kinder mehr, als Sie ihm nützen.
Sicherlich ist der eine oder andere Vorschlag in dem Antrag richtig, aber in der vorgebrachten Anzahl bzw. Masse schlicht nicht beschließbar, zumal Sie sich widersprechen, wenn Sie zum einen mehr Leistungen in den Regelsatz aufnehmen wollen und zum anderen für dieselben Empfänger zusätzliche Sonderleistungen, beispielsweise für Schulsachen, wünschen. Ich habe den Eindruck, man hat wahllos alles gefordert und nicht darauf geachtet, ob es vom System her überhaupt in den Antrag passt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir wollen und dürfen kein Geld auf Kosten unserer Kinder wahllos verteilen. Wir wollen und müssen in die Zukunft unserer Kinder ehrlich und nachhaltig investieren.
Wir als FDP wollen vor allem in Bildung investieren, um armen Kindern bessere Chancen für ihr kommendes Leben zu geben. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir stärker direkt in die Teilhabe der Kinder investieren müssen. Gerade Kinder aus sozial schwachen Familien haben besondere Risiken und Nachteile. Dort müssen wir zuerst anpacken, wenn es denen nützen soll.
Dazu gehören zum Beispiel der Ausbau der frühkindlichen Bildung in Kitas und der Wegfall der Zugangskriterien. Damit können nicht nur Alleinerziehende wieder in Vollzeit arbeiten, sondern Kinder von Arbeitslosen werden nicht länger aussortiert. Wir wollen außerdem einen Ausbau von Ganztagsschulen und Ganztagsangeboten, kombiniert mit individueller Förderung der Schüler. Wir wollen gerade für arme Kinder eine bessere Teilhabe an Bildung möglich machen. Auch eine echte Lernmittelfreiheit ist eine unserer wichtigsten Forderungen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie uns gemeinsam für die Zukunft aller Kinder in Sachsen eintreten. Wenn ich von allen Kindern spreche, dann denke ich vor allem, dass wir auch an diejenigen denken müssen, die das erwirtschaften. Erwirtschaftet wird es von den Berufstätigen aus Steuern, damit dieses Geld dann verteilt werden soll. Wenn wir die Berufstätigen noch stärker belasten, hieße das, eine Spirale nach unten zu eröffnen.
Wenn wir von mehr Leistung für unsere Kinder sprechen, dann müssen alle Kinder davon profitieren, auch die Kinder von Berufstätigen.
Unter dieser Prämisse empfehle ich den Linken: Nehmen Sie sich aus Ihrem bunten Blumenstrauß eine Blume und konzentrieren Sie sich darauf. Es wird Sie daher nicht überraschen, dass wir außer den Punkt I Ihren Antrag in den weiteren Punkten ablehnen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Schütz, Sie lassen mich einigermaßen ratlos zurück, weil ich einen ganzen Teil der Forderungen, die die Linken in ihrem Antrag aufgemacht haben, schon aus FDP-Mund gehört habe. Ich weiß jetzt nicht so recht, nehmen Sie Ihre eigenen Anträge zurück oder haben Sie ein Problem damit, weil es diesmal nicht von Ihnen kam?
Der Titel „Kinderarmut nicht länger akzeptieren“ hat mich allerdings genauso ratlos gemacht, weil ich mir nicht klar war, an wen sich die Aufforderung richtet. Fast keiner der Abgeordneten in diesem Hohen Haus akzeptiert Kinderarmut.
Die Frage ist eher: Was verstehen wir unter Kinderarmut? In diesem Sinne kann ich verstehen, dass die Aufforderung an die Staatsregierung gerichtet ist, denn diese hat in der Vergangenheit mehrmals die Meinung vertreten, dass Kinderarmut nur dann auftreten kann, wenn Eltern die ihnen mögliche Unterstützung, zum Beispiel nach Hartz IV, nicht in Anspruch nehmen. Die Staatsregierung hat auf eine Große Anfrage der Linksfraktion geantwortet, nur dann kann sie sich vorstellen, dass Kinderarmut überhaupt auftritt, ansonsten wäre der soziokulturelle Mindestbedarf abgedeckt.
Ich sehe schon, dass das Thema, das Sie heute nochmals aufgerufen haben, ein Thema ist, bei dem so viel Unklarheit herrscht, dass man sich immer wieder damit auseinander setzen müsste. Das haben Sie heute mit Ihrem Antrag erreicht. Das ist gut.
Die Diskussion ist nötig. Wir haben das Thema in der Vergangenheit immer ernst genommen. Wir hatten im Dezember dazu einen eigenen Antrag gestellt, der auch die Zustimmung des Hohen Hauses gefunden hat. Zu diesem Antrag liegt mittlerweile auch der Bericht der Staatsregierung vor. Dieser Bericht ist vom 21. Januar 2008. Die Antwort auf den Antrag der Linksfraktion ist vom 8. Januar 2008. Ich finde in beiden eine ziemliche Diskrepanz, weil die Staatsregierung im Bericht sagt, die Staatsregierung beabsichtigt, sich im Bundesrat einer Initiative zur Erhöhung der Regelsätze und der Überlegung der Sachleistungen anzuschließen; zum anderen sagt sie am 8. Januar 2008, dass es auf Bundesebene diese Initiative schon gibt, und verweist auf Gesetzesanträge zu einmaligen Leistungen für die Beschaffung von besonderen Lernmitteln und einmaligen Beihilfen. Wenn Sie sich beide Schriftstücke ansehen, ist dort eine Diskrepanz zu entdecken. Ich kann mir das nicht so richtig erklären oder nur so, dass die Staatsregierung das Thema nicht so ernst nimmt, wie es genommen werden sollte.
Unser Antrag hatte damals zum Ziel, die Regelsätze zu verändern, also kindgerechte Regelsätze zu finden und nicht einen festen Prozentsatz vom Erwachsenenregelsatz zur Verfügung zu stellen. Es ging auch um Sachleistungen für Lernmaterial und um den Zugang zur Mittagsverpflegung. Das findet sich in den Punkten II.1 und II.3 des Antrages der Linksfraktion wieder. Dem können wir natürlich heute erneut zustimmen.
Auch die anderen Punkte, die im Antrag enthalten sind, wie zum Beispiel der Zugang zur Kita, also keine Zugangsbeschränkungen als Grundlage für Chancengleichheit und Teilhabemöglichkeit, haben wir hier schon immer vertreten. Wir erinnern uns im Gegensatz zur FDP daran und stehen auch heute zu diesem Punkt. Wir können auch hier zustimmen.