Protokoll der Sitzung vom 17.04.2008

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Bitte.

Herr Krauß, das Problem besteht doch gerade dort, wo man diese Eltern nicht erreicht. Sie können aufrufen, Sie können Kurse anbieten. Da kommen engagierte junge Mütter aus dem Bildungsbürgertum, die noch etwas dazulernen wollen. Wie wollen Sie die Eltern erreichen, die hier die eigentliche Zielgruppe sind?

Sie haben es richtig festgestellt, dass das ein Problem ist. Keine Frage. Nehmen wir einmal die Evangelische Erwachsenenbildung. Wer zu diesen Kursen geht, ist mit Sicherheit nicht der, den wir jetzt unbedingt direkt erreichen wollen.

Aber wir haben zum Beispiel mit unserem Landesmodellprojekt Familienbildung in Kooperation mit Kindertagesstätten sehr gute Erfahrungen gemacht, weil wir gerade im Kindergarten so gut wie alle Eltern erreichen. Wenn wir diese dort ansprechen, können wir die Familienbil

dungsangebote auf der unteren Ebene sehr gut weiterbringen.

Oder wir haben die Angebote des Deutschen Kinderschutzbundes „Starke Eltern – starke Kinder“ und andere, die schon versuchen, diese Zielgruppe zu erreichen und – die Ministerin sagt es – Jugendhilfe dort angesprochen wird und sehr freundlich, aber sehr direkt nahegelegt wird, einen solchen Kurs zu besuchen. § 16, Familienbildung, ist ein freiwilliges Angebot, das ist klar. Aber ein etwas freundlicher Druck, den einige Jugendämter machen, ist nicht schlecht.

Danke schön.

Alexander, Krauß, CDU: Zum nächsten Punkt in Ihrem Antrag, der Wiedereinführung einmaliger anlassbezogener Leistungen. Aus meiner Sicht war es ein großes Verdienst von Hartz IV, dass man die Leistungen gebündelt und damit die Bürokratie deutlich vermindert hat. Wenn ich wegen jeder Hose, wegen jeder Kleinigkeit aufs Amt gehen muss, dort eine halbe Stunde einen Antrag ausfüllen muss, einen Beamten oder Angestellten brauche, der diesen Antrag bearbeitet, und das dann ausgezahlt wird, dann ist das mit einer übermäßigen Bürokratie verbunden, sodass man nur froh sein kann, dass diese abgeschafft worden ist und die Betroffenen mehr Entscheidungsspielräume über ihr eigenes Geld haben.

(Beifall bei der CDU)

Jetzt wollen Sie diese Bürokratie wieder einführen, um für 10 Euro eine halbe Stunde einen Antrag auszufüllen und Personalkosten bei der Verwaltung von 20 Euro zu haben. Das macht für mich überhaupt keinen Sinn.

Herr Neubert, bevor Sie Ihre Frage stellen, will ich doch noch einmal etwas zu den Klassenfahrten sagen, die Sie angesprochen haben. Natürlich kann jedes Kind an einer Klassenfahrt teilnehmen; die ARGE bezahlt diesen Betrag. Selbst dort ist eine Koppelung noch nicht einmal in der Höhe gebunden. Wenn Sie jetzt sagen, Kinder können nicht an einer Klassenfahrt teilnehmen, weil sie Hartz-IV-Empfänger sind, dann ist das die Unwahrheit.

(Beifall bei der CDU)

Bitte, Herr Neubert.

Herr Krauß, stimmen Sie mir zu, dass ich vorhin bei der Nachbeteiligung durch die Abschaffung von Einmalleistungen explizit auf Kinder eingegangen bin, weil nämlich gerade Kinder in erhöhtem Maße auf Einmalleistungen angewiesen waren und es bei der Pauschalierung zu einer Benachteiligung gekommen ist?

Ich sehe es nicht so, dass es zu einer Benachteiligung durch die Abschaffung von Einmalzahlungen kommt. Das, was man an Kinderbedarf hat, kann man genauso gut in den normalen Regelsatz hineinnehmen – was wir zu Beginn angesprochen hatten –, dass

man fragt: Müssen das 60 % oder kann das höher sein, oder muss man es stärker nach dem Alter abstufen? Bei der Einmalzahlung geht es um eine Systematik, und diese ist aus meiner Sicht schlecht, weil sie mit deutlich mehr Bürokratie verbunden ist.

Kommen wir, meine sehr geehrten Damen und Herren, zum nächsten Punkt, zu dem weiteren Vorschlag, der auch gut gemeint, aber leider nicht sehr sinnvoll ist. Dabei geht es um die Absenkung der Mehrwertsteuer für Kinderprodukte. Wir hatten ja auch in unserer Partei einmal diesen Vorschlag geprüft – insofern standen wir dem sehr offen gegenüber –, sind dort aber eines Besseren belehrt worden. Erstens: Europarechtlich leider nicht möglich. Zweitens hat man festgestellt, dass in den Ländern, die Ermäßigungen des Mehrwertsteuersatzes für Kinderprodukte haben, die Kinderprodukte nicht preiswerter sind, sondern genauso teuer wie bei uns. Da muss man sich fragen, was passieren würde, wenn man das machen würde. Es geht ja leider nicht, weil die anderen Länder diese Steuervorteile abschaffen werden. Dann ist eines klar: Die Kinderprodukte würden leider nicht billiger werden, sondern irgendjemand anderes würde das, was dort eingespart würde, für sich behalten.

Sie können das sehr schön an einem anderen Beispiel sehen: Wenn Sie tanken fahren, gibt es Diesel, und es gibt Benzin. Der Steuerunterschied bei beiden beträgt ungefähr 20 Cent; also müsste der Dieselpreis immer 20 Cent preiswerter sein als der Benzinpreis. Ist er aber nicht – es sind 7 Cent, und es ist auch schon vorgekommen, dass sie gleich teuer waren. – Kollege Colditz bestätigt es; er ist wahrscheinlich so wie ich Dieselfahrer. Das macht es deutlich: Es bringt leider nichts. Ein guter Vorschlag, aber er bringt in der Realität nichts.

Ein weiterer Vorschlag, den ich für interessant halte, ist die Lernmittelfreiheit, die wir auch in unserer CDUFraktion diskutieren. Lehrbücher sind kostenfrei – das ist übrigens nicht unbedingt in allen Bundesländern der Fall; wir wissen, dass Bayern das jetzt auch wieder einführen will. Insofern ist das, was wir da haben, ein großer Verdienst. Es ist ein richtiger und wichtiger Punkt, zu schauen, ob man andere Dinge wie Übungshefte, Grammatiken, Atlanten usw. nicht auch kostenlos zur Verfügung stellt; denn das gehört für mich zur Bildung dazu, und mir persönlich wäre es lieb, wenn wir hier eine etwas ausgeweitete Lernmittelfreiheit hätten. Wir werden deswegen auch in unserer Fraktion über diese Dinge beraten. Vielleicht kann man auch etwas mehr Geld an die Kommunen geben, damit sie diese Aufgabe übernehmen. Jede Investition, die wir in Bildung geben, ist dort wirklich am besten aufgehoben.

(Beifall der Abg. Rita Henke, CDU)

Zusammenfassend, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wir können Ihrem Antrag leider nur wenig Brauchbares abgewinnen. Es gibt viel Gutgemeintes, das ich zum Schluss aufgegriffen habe, was aber leider unrealistisch ist. Ihr Antrag hat gewisse Schwächen; es wird zu wenig auf die Bildungsarmut eingegangen.

Aus diesen Gründen werden wir Ihren Antrag ablehnen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Herr Abg. Dulig, bitte; SPD-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine vordringliche Aufgabe der Politik ist es, sich um die Zukunft der Kinder zu kümmern, die aus unterschiedlichsten Gründen schlechtere Chancen als andere haben. Ich kenne niemanden, der Kinderarmut akzeptiert.

Die PDS gefällt sich – wie so oft – darin, Forderungen aufzustellen, ohne sich um deren Umsetzbarkeit Gedanken zu machen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Völliger Unsinn!)

Wir haben schon gehandelt und die ersten Initiativen gegen Kinderarmut umgesetzt.

Die wachsende Kinderarmut ist das Spiegelbild einer wachsenden Spaltung in unserer Gesellschaft in Gewinner und Verlierer. Kinder aus armen Verhältnissen haben schlechtere Bildungschancen, einen schlechteren Gesundheitszustand und leiden unter gesellschaftlicher Ausgrenzung. Von diesen Armutslagen sind auch in Sachsen immer mehr Kinder betroffen.

Der erste Sächsische Sozialbericht hat die objektive Bestätigung für das, was wir bereits vermutet haben, geliefert. Dass dieser Bericht überhaupt vorgelegt werden konnte, ist einer Initiative der SPD-Fraktion zu verdanken. Dadurch haben wir eine gute Datenbasis, die fortgeschrieben werden soll. Dabei kann und wird auf die speziellen Lagen verschiedener Personengruppen eingegangen werden.

Ein unmittelbar einleuchtender Ansatzpunkt zur Bekämpfung der Kinderarmut ist, die materielle Situation von Familien mit Kindern nachhaltig zu verbessern. Die derzeitige positive Entwicklung am Arbeitsmarkt ist auch Folge der Reformpolitik der rot-grünen Bundesregierung. Die sinkende Arbeitslosigkeit und ein zum Teil bestehender Fachkräftemangel sind die Voraussetzungen dafür, dass zehn Jahre Lohnzurückhaltung beendet werden und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer endlich am Aufschwung partizipieren.

Flankierend brauchen wir jedoch das Instrument des Mindestlohnes, damit nicht die Löhne ins Bodenlose sinken können und der Gesellschaft die sozialen Folgekosten aufgebürdet werden. Das beste Mittel, die materielle Situation von Familien mit Kindern nachhaltig zu verbessern, ist ein existenzsicherndes Einkommen.

(Beifall der Abg. Dr. Gisela Schwarz, SPD)

Unabhängig davon darf die materielle Einkommenssituation der Eltern nicht ausschlaggebend für den Bildungs- und Entwicklungsprozess der Kinder sein. Bildung ist an dieser Stelle ein zentraler Schlüssel für Teilhabe in unserer Gesellschaft und muss für jeden zugänglich sein –

allerdings abhängig von seinen Fähigkeiten und nicht davon, wie dick die Brieftasche ist. Damit kann nicht früh genug begonnen werden. Dies haben wir von der SPD schon lange erkannt. In Sachsen gibt es deshalb seit Jahren die Initiativen zur Verbesserung der frühkindlichen Bildung.

Mit dem Referentenentwurf zum Kinderfördergesetz, der dieser Tage auf Bundesebene vorgelegt worden ist, haben wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner gezeigt, dass es uns ernst ist mit einer frühen Förderung aller Kinder.

Ihnen von der PDS scheint es mit der frühkindlichen Bildung unabhängig von der materiellen Situation der Eltern jedoch nur halb ernst zu sein, denn Ihre Fraktion startet ein Scheingefecht über die Frage der Trägerschaft der Kindertagesstätten. Unser sächsisches Kindertagesstättengesetz sieht seit Jahren die Möglichkeit einer privaten Trägerschaft vor; bislang haben davon 30 private Träger Gebrauch gemacht. Aber wenn die PDS ein Haar in der Suppe entdeckt, übersieht sie oft, dass es das Suppengrün ist, das sie gefunden hat.

Eine wichtige Diskussion der nächsten Monate wird in diesem Zusammenhang die Bedarfsfestschreibung für Kinder im Rahmen des Arbeitslosengeldes II sein. Ich finde, hier gibt es durchaus Korrekturbedarf. In der erst kürzlich durchgeführten Anhörung des Schulausschusses zum Regelsatz für Kinder sprach sich ein Sachverständiger ganz konkret dafür aus, dass es bei der Diskussion nicht allein um die Frage einer Erhöhung gehen sollte, sondern dass ein eigenständiger, transparenter und sachgerechter Regelsatz für Kinder entwickelt werden müsse. Bisher werden Kinder nur vom Regelsatz des Haushaltsvorstandes abgeleitet und es wird kein Bezug zum tatsächlichen Bedarf eines Kindes hergestellt.

Dieser Meinung schließe ich mich ausdrücklich an, weil wir nur so zu einer sachgerechten Diskussion über Regelsatz und Sachleistungen für Kinder und Jugendliche gelangen. Diese Diskussion muss jedoch auf Bundesebene geführt werden, und wir als sächsische Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden uns aktiv einbringen.

Daneben gibt es gerade auch für die Länder unabhängig von Bundesvorgaben weitere konkrete Möglichkeiten, die Situation der von Armut betroffenen Kinder zu verbessern. Ich denke dabei an bestimmte Sachleistungen wie die Mittagsversorgung in den Einrichtungen und Schulen, aber auch an eine tatsächliche Lernmittelfreiheit, von der wir leider noch weit entfernt sind.

Zu den Sachleistungen. Es gilt, der oftmals mangelhaften Ernährung von Kindern in Qualität und Quantität als Folge von Armut entgegenzuwirken. Rheinland-Pfalz praktiziert derzeit das Modell eines sogenannten 1-EuroEssens. Bedürftige Kinder erhalten für 1 Euro ein warmes Mittagessen. Auch dies könnte als erster Schritt in Sachsen angewendet werden. Wir werden in den kommenden Monaten konkrete Vorschläge für die Finanzierung eines solchen Modells vorlegen.

Das gilt auch für die Forderung nach tatsächlicher Lernmittelfreiheit. Vor allem für die Empfänger von Arbeitslosengeld II sind die Kosten eine schwere Zusatzbelastung, was dem Anspruch auf Bildung für jeden entsprechend seinen Fähigkeiten widerspricht. Damit können wir uns nicht abfinden, weil es in der Folge zu unnötigen Mehrkosten für die Gesellschaft führt.

In diesem Zusammenhang möchte ich zudem darauf hinweisen, dass diese dann notwendigen sozialpolitischen Reparaturmaßnahmen in der Regel von den kleinen und mittleren Einkommen erbracht werden, was den Druck auf die Mitte unserer Gesellschaft erhöht. Das ist auch eine Ursache für die eingangs bereits erwähnte wachsende Spaltung unserer Gesellschaft. Deshalb ist es eine gute Politik, sich neben der Chancengleichheit auch für eine Stärkung derer einzusetzen, die unser Sozialsystem tragen und damit die Grundlagen für bessere Sozialleistungen erbringen.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Das ist richtig!)

Von der Intention her teilen wir die im Antrag vorgetragene Auffassung. Wir können Ihrem Antrag dennoch nicht zustimmen, weil Sie wieder alles fordern, ohne auch nur einen Weg aufzuzeigen, wie diese – sicherlich sinnvollen – Maßnahmen zu finanzieren wären. Kinderarmut lässt sich wohl kaum verhindern, indem der künftigen Generation noch größere Zukunftslasten in die Wiege gelegt werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Für die NPDFraktion Frau Abg. Schüßler, bitte.