Protokoll der Sitzung vom 17.04.2008

Ich würde gern ausholen und das Thema mit Ihnen diskutieren, da ich es für wichtig halte. Aber es hat mit dem Thema meines Redebeitrages leider relativ wenig zu tun. Deshalb schlage ich Ihnen vor, dass wir uns gern zehn Minuten am Rande unterhalten können.

Ich hätte es gern öffentlich beantwortet.

Wenn Sie wollen, kann ich gern ein wenig ausholen. Ich wünsche mir – das hat zwar mit dem Thema nichts zu tun –,

dass der Anteil der Förderschüler deutlich sinkt. Da müssen wir schauen, wie das zustande kommt, wer entscheidet, wer auf eine Förderschule geht und wer nicht. Im Kindergarten haben wir eine sehr gute Integration von Kindern, die einen Förderbedarf haben.

Gar keine Integration!

Alexander, Krauß, CDU: Da wäre es schön, wenn wir schauen könnten, wie wir das im Schulbereich fortführen können. Ich denke, dafür gibt es einige gute Projekte, wo das gut läuft.

(Beifall bei der CDU)

Ich würde jetzt gern fortfahren. Auf den Punkt, den Herr Neubert ansprechen will, komme ich noch in meiner Rede. Beim Thema Kita können wir das gern noch mal ansprechen.

Wenn wir über Bildungsarmut sprechen, dann bin ich der Ansicht, dass wir einfach über Familienbildung sprechen müssen. Es gibt eine Studie des Meinungsforschungsinstitutes TNS Infratest Sozialforschung. Diese Studie besagt, dass arbeitslose Eltern mit ihren Kindern weniger Zeit verbringen als Eltern, die Vollzeit arbeiten. Es stellt sich die Frage, warum das so ist. Wenn 28 % der Kinder von arbeitslosen Eltern sagen, sie haben das Gefühl, ihre Eltern wenden ihnen zu wenig Aufmerksamkeit zu, und das bei vollerwerbsfähigen Eltern – wenn beide vollerwerbstätig sind, sind es nur 17 % –, dann stellt sich natürlich die Frage: Wie kommt das, dass sie diesen Eindruck haben? Liegt das daran, dass vielleicht manche Eltern zu viel vor dem Fernseher sitzen und ihre Kinder auch dorthin setzen? Das hat überhaupt nichts mit Geld zu tun. Das ist eine Frage der Zeit, die man dem Kind zuwendet. Diese Zeit ist für Kinder enorm wichtig.

Mir geht es darum, dass wir darüber nachdenken, wie wir es schaffen, dass die Eltern fit gemacht werden, ihrer Erziehungsverantwortung nachzukommen und sich um ihre Kinder zu kümmern. Da geht es zum Beispiel um etwas, was überhaupt nichts kostet: Zeit. Ich sage auch in aller Deutlichkeit, dass sich die meisten arbeitslosen

Eltern sehr wohl und sehr gut um ihre Kinder kümmern und nur eine Minderheit dies nicht tut.

Wenn wir an diesen geringen, problematischen Teil der Eltern denken, dann stellt sich für mich die Frage: Was passiert, wenn wir denen mehr Geld geben, auf welche Art auch immer? Führt das dazu, dass dieses Geld in Bildung investiert wird? Finanziert man damit seinem Kind den Musikunterricht im Kindergarten oder nicht? Oder investiert man dieses Geld, das es zusätzlich gibt, in einen neuen Flachbildschirm oder in Bier? Diese Frage muss man sich stellen. Wenn wir uns die Statistiken anschauen, dann wissen wir, dass es leider nicht im Musikunterricht oder im Kauf eines Buches landet.

(Cornelia Falken, Linksfraktion: Bei sehr vielen Eltern schon!)

Bei sehr vielen Eltern schon, da haben Sie recht. Bei den Eltern, die das nicht machen, wünsche ich mir, dass wir dort hinkommen, und das schaffen wir über die Familienbildung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will noch auf einzelne Punkte eingehen, die in dem Antrag enthalten sind. Das Thema Sozialbericht ist schon angesprochen worden. Herr Neubert hat ausführlich auf den Sozialbericht und die Anhörung hingewiesen. Man sieht, dass sich die Staatsregierung sehr ausführlich mit dem Thema Armut beschäftigt hat und dass wir uns auch hier im Landtag mit diesem Thema beschäftigt haben.

Nun zu den Einzelforderungen, die die Linksfraktion erhebt.

Kindergartenbesuch. Kinder dürfen Einrichtungen besuchen. Wir haben in Sachsen genügend Plätze, sodass jedes Kind frühkindliche Bildungsangebote wahrnehmen kann.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Nur stundenweise!)

Wir hatten eine Anhörung, Herr Dr. Hahn, in der zum Beispiel Prof. Fthenakis gesprochen und deutlich gesagt hat, dass sechs Stunden für den frühkindlichen Bereich vollkommen ausreichend sind. Ich wünsche mir schon, dass Eltern, die viel Zeit haben, auch etwas Zeit mit ihren Kindern verbringen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Es ist die geübte Praxis der Opposition, finanzielle Forderungen aufzustellen, aber nicht zu sagen, woher das Geld kommen soll.

(Andrea Roth, Linksfraktion: Es ist immer das Gleiche!)

Leider ist das Klischee richtig, weil das hier ständig passiert. Sie stellen ständig Forderungen auf, die ungedeckt sind, und Sie sagen nicht, woher das Geld kommen soll.

Da sind wir nun bei den finanziellen Forderungen, die Sie erheben, beim kostenlosen Mittagessen. Ich habe nichts dagegen, wenn Kommunen das finanzieren. Wir hatten ja

bei der Anhörung den Bürgermeister von Boxberg bei uns. Nur hat dieser den Vorteil, dass seine Gewerbesteuereinnahmen 15-mal über dem liegen, was eine normale Kommune hat. Er könnte sich auch goldene Türklinken machen lassen, weil er dort ein großes Kraftwerk hat. Dies nur am Rande. Ich finde es gut, wenn Sie das Mittagessen finanzieren wollen. Dafür bekommen Sie auch Beifall. Aber ich kann es nicht zu einer allgemeinen Forderung erheben, denn auf das Land, wenn es dies finanzieren soll, kämen dann Forderungen von 80 bis 100 Millionen Euro zu. Da fragt man sich, ob man mit dem Geld vielleicht etwas anderes machen kann. Wir könnten zum Beispiel unser Landeserziehungsgeld vervierfachen oder aber in familienpolitische Maßnahmen anderer Art investieren, zum Beispiel in Bildungsmaßnahmen, und hätten damit aus meiner Sicht eine höhere Rendite.

Wir wissen, dass jeder Euro, den wir in frühkindliche Bildung investieren, eine Rendite von 4 Euro bringt. Wir hatten erst im März eine Veranstaltung der BertelsmannStiftung in Leipzig, in der darauf eingegangen worden ist, dass gerade die Investitionen in frühkindliche Bildung die höchste Rendite bringen. Sie bringen eben eine höhere Rendite, wenn wir das Geld dort anlegen, als wenn wir es in konsumtive Ausgaben stecken, wie zum Beispiel in Essen. Wir müssen abwägen, wofür wir das Geld ausgeben – für ein kostenloses Vorschuljahr, für ein kostenloses Mittagessen, für ein weit höheres Landeserziehungsgeld, für mehr frühkindliche Bildung, für ein besseres Verhältnis zwischen Erzieherinnen und Kindern? Das müssen wir entscheiden.

Dann müssten wir entscheiden, woher wir das Geld nehmen, wo wir es wegnehmen, weil wir nicht mehr Geld haben. Wollen wir weniger Polizisten einstellen, weniger beim Umweltschutz tun? Diese Fragen müssten wir klären.

Zum Thema Essen. Bei uns gibt es nicht das Problem, dass Kinder von Arbeitslosen hungern müssen. Das zeigen uns jeden Tag Tausende arbeitslose Eltern. Das Problem ist, dass wir fehlernährte Kinder haben. Diese sind aber nicht zu dünn, sondern zu dick, weil sie in ihrer Brotbüchse keinen Apfel haben, sondern einen Schokoriegel. Sie können sich einmal fragen, was teurer ist – der Apfel oder der Schokoriegel?

Damit sind wir wieder bei Elternbildung, weil das eine Frage ist: Was kommt in die Brotbüchse hinein? Man fragt dann, ob man nicht auch zu Hause am Abend kochen kann oder immer nur Fertiggerichte essen muss. Als ich in der Schule war, hatte ich immer eine Brotbüchse dabei, und ich hatte dadurch mein Mittagessen. Abends wurde gekocht. Diese Möglichkeit gibt es ja auch.

(Zuruf von der Linksfraktion: Das ist auch nicht optimal!)

Ja, deswegen bin ich auch so fehlernährt, aber man kommt trotzdem durchs Leben.

Es gibt viele Dinge, über die man nachdenken kann.

Wir haben in Sachsen leider keine Untersuchungen dazu, wie viele Kinder die Mittagsversorgung im Kindergarten in Anspruch nehmen. Was ich so mitbekomme, ist, dass eigentlich alle Kinder im Kindergarten, egal aus welcher sozialen Schicht sie kommen, das Mittagessen in Anspruch nehmen.

Wir haben Untersuchungen in Thüringen und konkret geschaut, wer dort an der Essenversorgung teilnimmt. 80 000 Kindergartenkinder – jetzt können wir die Teilzeitkinder einmal herausnehmen. Es wurde festgestellt, dass von diesen 80 000 Kindern gerade einmal 47 Kinder nicht an der Essenversorgung teilnehmen. Für die 47 Kinder gab es religiöse Gründe – Schweinefleisch usw. – und Lebensmittelunverträglichkeiten. Kein einziges Kind hat aus finanziellen Gründen dort nicht teilgenommen. Das ist eine interessante Untersuchung. Sie sollten darüber nachdenken, ob das Geld dort an der richtigen Stelle investiert ist.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Frau Herrmann, bitte.

Herr Krauß, ich möchte gern wissen, wann die Untersuchung in Thüringen war.

Sie ist relativ aktuell, weil die Thüringer das auch untersucht haben. Wir müssen einmal die Studie besorgen. Es dürfte sicher kein Problem sein, sie Ihnen zur Verfügung zu stellen.

Ich frage deshalb, weil ich nicht weiß, ob Ihnen bewusst ist, dass es in Thüringen seit einiger Zeit die Möglichkeit gibt, Geld zu bekommen und dann die Kinder nicht in die Kita zu schicken bzw. die Kinder in die Kita zu schicken und dann das Geld nicht zu bekommen. Es könnte durchaus sein, dass das einen Einfluss auf diese Studie hatte, weil nämlich die Eltern, die Essen dann auch nicht bezahlen können, ihre Kinder zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr hingeschickt haben.

Punkt 1. Die Thüringer haben ja die Zahlen schon, wozu diese Neuregelung geführt hat. Das heißt, dass es in vielen Städten durch diese Neuregelung überhaupt keinen Rückgang gegeben hat. Gerade in den Großstädten hat es keine Abmeldungen gegeben, sondern die Betreuungszahlen sind gestiegen. Punkt 2 dürfte die Studie davor sein, weil die Neuregelung, was die Betreuungszeiten in Thüringen betrifft, relativ neu ist.

Wenn ein Kind in der Schule kein Essen bekommt, zum Beispiel von seinen Eltern, dann müssen wir uns fragen, ob dort nicht ein Fall von Kindeswohlvernachlässigung vorliegt. Dann ist der Staat in der Pflicht einzuschreiten. Aber dem Staat die Verantwortung zuzuschreiben, dass er alles zu machen hat, geht schon etwas zu weit. Wenn es

diese Einzelfälle gibt, möge derjenige, der sie kennt, das Jugendamt einschalten.

(Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Ganz kurz bitte, aber möglichst nicht so viele schulpolitische Fragen.

Bitte, Frau Günther-Schmidt.

Herr Krauß, sind Sie nicht auch der Meinung, dass gerade dort, wo die Problemlagen am größten sind, nämlich im Fall der Kindeswohlvernachlässigung, gerade dann staatliche Verantwortung gefragt ist und dass die Appelle, die Eltern mögen sich doch kümmern, denn sie haben ja schließlich Zeit, ins Leere gehen?

Nein, wir müssen die Eltern fit machen. Wir müssen schauen, dass die Eltern ihrer Erziehungsverantwortung nachkommen. Wir können nicht sagen, wenn sie kein Mittagessen bekommen, dass wir das servieren, und wenn sie am Wochenende auch kein Mittagessen bekommen, dann machen wir Essen auf Rädern und bringen es nach Hause, und wenn sie kein Frühstück bekommen, dann müssen wir für das Frühstück sorgen. Das wird nicht funktionieren, weil die Eltern immer unselbstständiger werden. Wir müssen es schaffen – das sehe ich als Herausforderung –, zum Beispiel über Elternbildungskurse, dass die Eltern in der Lage sind, ihrem Kind früh eine Schnitte zu schmieren.

(Beifall bei der CDU)

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?