Auch auf die Erfassung aufgerufener Internetseiten wurde auf Intervention der Bundesregierung letztendlich verzichtet. Bei Mobilfunkgesprächen wird im Ergebnis der Verhandlungen der Standort nur bei Beginn des Telefonats gespeichert und nicht während des Telefonats, sodass auch keine Bewegungsprofile erstellt werden können,
Sicherlich ist diese Aufzählung, welche Grundrechtseingriffe aus der Sicht anderer Länder vorstellbar gewesen wären, keine Rechtfertigung für die gesetzlichen Regelungen; aber die Entstehung der Richtlinie zeigt wohl, dass sich die Bundesregierung durchsetzen konnte, wirklich nur die notwendigsten Daten zu erheben.
Noch einmal: Im Ergebnis ist die Richtlinie eins zu eins umgesetzt worden. Das Gesetz beinhaltet das Minimum, das europarechtlich vorgegeben ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss nicht die Erhebung und Speicherung dieser Daten gestoppt, sondern lediglich deren Auswertung auf schwere und schwerste Straftaten begrenzt. Das ist sicherlich der richtige Ansatz. Ich finde es schade, dass der Gesetzgeber nicht selbst von vornherein diese Einschränkung vorgenommen hat und es erneut einer Entscheidung aus Karlsruhe bedurfte, um zu verdeutlichen, dass Grundrechtseingriffe immer eine Ultima Ratio sind.
Wie in der Hauptsache entschieden wird, bleibt derzeit noch abzuwarten. Ich glaube, es gehört zu einer seriösen Diskussion, dass nicht unerwähnt bleibt, dass die meisten Daten schon vor dem Beschluss zur Vorratsdatenspeicherung von den Telekommunikationsunternehmen gespeichert wurden, nämlich zu Abrechnungszwecken. Auch das ist weiterhin zulässig.
Viele staatsanwaltschaftliche Auskunftsersuchen sind in jüngster Zeit deswegen ins Leere gelaufen, weil immer weniger Daten zur Rechnungslegung benötigt werden – Flatrate und Prepaid machen es möglich. Da kommt es rechnungstechnisch nicht mehr auf das Einzelgespräch an. Deshalb wurden diese Daten nicht mehr in dem Maße
Auch was die Speicherdauer angeht, war es bisher schon so, dass die jeweiligen Unternehmen Daten unterschiedlich lange gespeichert haben. Wenn es keine Probleme mit der Rechnung gab, dann erfolgte die Löschung in der Regel nach drei Monaten oder nachdem der Kunde bezahlt hatte.
Ich denke, angesichts der Schwere bestimmter Straftaten, beispielsweise im Zusammenhang mit Terrorismus oder auch Kinderpornografie, ist eine Speicherung von sechs Monaten alles andere als unverhältnismäßig.
Meine Damen und Herren! Ich habe Verständnis für die Kritik an der Vorratsdatenspeicherung. Was die jüngsten Sicherheitsgesetze anlangt, ist der Bogen in letzter Zeit mehrfach überspannt worden. Das belegen nicht zuletzt die Entscheidungen aus Karlsruhe. Im Falle der Vorratsdatenspeicherung vermag ich aber ein unverzichtbares rechtspolitisches Bedürfnis zu erkennen. Insofern bin ich gespannt, wie das Bundesverfassungsgericht in der Hauptsache entscheiden wird. Dann können wir gern die Debatte fortführen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren hier über eine staatliche Überwachungsmaßnahme, von der wir zwar wissen, dass sie höchstwahrscheinlich verfassungswidrig ist und unter den Bürgern große Verunsicherung verursacht – einschließlich erheblicher Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit der BRD –, über deren vermeintlichen Nutzen wir aber kaum etwas Näheres wissen. Etwaige konkrete Fahndungserfolge aus den Bereichen Terrorismus oder Organisierte Kriminalität sind nach über vier Monaten Vorratsdatenspeicherung auf jeden Fall nicht bekannt geworden.
In Kenntnis beispielsweise der realen Rolle von V-Leuten, die prinzipiell bei der Ausübung ihres von staatlichen Exekutivorganen erteilten Auftrags auch zur Einhaltung der Gesetzesordnung verpflichtet werden, bleibt zu erwarten, dass man auch das Mittel der Vorratsdatenspeicherung nicht nur für den eng umgrenzten Bereich der Terrorismus- und OK-Bekämpfung verwendet. Es bleibt zu vermuten, dass eben meist nicht nach der Regel „Gemacht wird, was zulässig ist“ gearbeitet wird, sondern nach dem Motto „Gemacht wird, was möglich ist“. Oder, um es präzise auszudrücken: Ich vermute, dass derartige grundrechtseinschränkende Überwachungsmaßnahmen einerseits Zugeständnisse der Bundesregierung bzw. der EU an das kriegstreibende und kriegsschürende Washing
toner Regime sind, andererseits von den politischen Machthabern in diesem Land durchaus auch selbst willkommen geheißen werden, und zwar als Instrumente zur verschärften Überwachung der eigenen Bürger.
Gleichzeitig halte ich es für pure Heuchelei, wenn Politiker der sogenannten etablierten Parteien solche Überwachungsmethoden hier anprangern, obwohl sie, wenn sie selbst in der Regierung sind, keinerlei Hemmungen haben, diese Methoden auch selbst einzusetzen.
Zurück zur Vorratsdatenspeicherung! Diese ist grundsätzlich als eklatanter Rechtsbruch zu rügen. Zu begrüßen sind deshalb die Initiativen von Bürgerrechtsgruppen, wie die vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung und von Einzelpersonen wie Prof. Christoph Gusy aus Bielefeld, die sich aus reinem Engagement für die Freiheitsrechte gegen die Vorratsdatenspeicherung einsetzen. Prof. Gusy hat beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde und einen Antrag auf einstweilige Anordnung gegen das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2006/24/EG gestellt. Ein Teilerfolg ist der Klage bereits insofern beschieden, als das Bundesverfassungsgericht Schranken für die Nutzung der durch Überwachung gewonnenen und gespeicherten Daten festgelegt hat. Die Entscheidung in der Hauptsache steht noch aus. Es bleibt zu hoffen, dass das BVG vor dieser EU-Richtlinie nicht einknickt.
Dass beim Abbau von Freiheitsrechten EU-Vorgaben mit im Spiel sind, ist inzwischen geradezu eine Selbstverständlichkeit. Die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung verpflichtet die Mitgliedsstaaten, nationale Gesetze zu erlassen, nach denen bestimmte Telekommunikationsdaten von den Diensteanbietern auf Vorrat gespeichert werden müssen. Zwar handelt es sich vorerst „nur“ um Verkehrs- und Standortdaten, also zumindest offiziell nicht um Inhaltsdaten; wann aber letztere ebenfalls dazukommen, ist aus meiner Sicht nur eine Frage der Zeit. Dazu bedarf es ein paar – möglicherweise fingierter – Terroraufrufe, eines erneut gescheiterten Attentatsversuchs oder ähnlich plumper – möglicherweise auch geheimdienstlicher – Aktionen, und schon wird medial wieder tüchtig an der Terrorhysterieschraube gedreht und die Öffentlichkeit in Angst und Schrecken versetzt. Ein erbärmliches Spiel, vor allem deswegen, weil eine manipulierte Öffentlichkeit immer wieder darauf hereinfällt und dabei nicht merkt, dass sie sich selbst ihrer Freiheitsrechte beraubt.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn hier in der Debatte zur Vorratsdatenspeicherung behauptet wird, das alles habe mit Sachsen nichts zu tun, dann wird bereits im Ansatz verkannt, dass die Erosion von Bürger- bzw. Freiheitsrechten in diesem Land nicht nur punktuell vor sich geht, sondern inzwischen flächenhaft eingesetzt hat und natürlich auch in Sachsen fröhlich weitergeht. Ich denke nur an den Gesetzentwurf über das KennzeichenScanning, der im Verfahren ist.
Nein, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wird mit der Vorratsdatenspeicherung wieder ein Stück weiter ausgehöhlt; Kollege Bartl hat es dargelegt. Die Zahl der erhobenen Daten ist völlig außerhalb eines Verhältnisses zu dem „Nutzen“, den diese Erfassung bringen soll. Dem hat sich die FDP übrigens stets entgegengestellt. Kollege Bräunig, auch Ihre Rede soeben hat gezeigt, dass bei den Großkoalitionären offensichtlich jegliche Sensibilität im Umgang mit den Grundrechten fehlt, insbesondere wenn es um das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung geht.
Auch der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ist keine Selbstverständlichkeit, Herr Kollege Piwarz. Sie können einmal nachsehen, in wie vielen Fällen das Bundesverfassungsgericht von der Möglichkeit einer einstweiligen Anordnung gegen Gesetze Gebrauch gemacht hat. In der 60-jährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland werden sie keine fünf Fälle finden.
Es muss also schon ganz heftig sein, wenn das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber in den Arm fällt und sagt: Stopp! Das findet zunächst einmal nicht statt!
Wenn Sie dann sagen, hier sei eine EG-Richtlinie umgesetzt worden, dann ist das, mit Verlaub, reichlich neben der Sache; denn sonst hätte sich das Bundesverfassungsgericht gar nicht dazu geäußert, sondern unter Verweis auf die Solange-I- und Solange-II-Rechtsprechung gesagt: „Das interessiert uns nicht weiter“. Aber offenkundig hält das Bundesverfassungsgericht bereits die Richtlinie für verfassungswidrig.
Lassen Sie mich anfügen: Diese Richtlinie basiert auf Artikel 95 des EG-Vertrages. In diesem Artikel wird aber der Binnenmarkt geregelt. Das hat mit Strafverfolgung überhaupt nichts zu tun. Dort fehlt der EG nämlich die Kompetenz. Auch insofern wird das Ganze verkannt.
Warum ist diese Vorratsdatenspeicherung so riskant? Nicht wegen der konkreten Eingriffe; diese sind schwer genug. Nein, flächenhaft geht es darum, dass die Bürger unter Umständen ihr Kommunikationsverhalten darauf einstellen, dass überwacht wird und Daten gesammelt werden. Möglicherweise kommunizieren die Bürger nicht
mehr unbefangen miteinander. Das ist der Schaden, den Sie nicht sehen wollen oder den Sie absichtlich in Kauf nehmen.
Lassen Sie mich noch etwas anderes anführen: Der Justizminister will in diesem Zusammenhang eine Pflicht des Gesetzgebers entdeckt haben, die Möglichkeiten dessen auszuloten, was die Verfassung an Eingriffen alles zulässt.
Herr Dr. Martens, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie gerade gesagt haben – vielleicht auch in den Sätzen davor –, das Bundesverfassungsgericht habe dem Gesetzgeber den Vollzug dieses Gesetzes untersagt?
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 19.03.2008 angeordnet, dass bis zur Hauptsacheentscheidung der Vollzug und der Abruf der Daten nach §§ 113a und b TKG auf die Katalogdaten des § 100a Abs. 2 StPO beschränkt sei. Das heißt, dem Gesetzgeber ist es untersagt worden, das, was er vorhat, zu vollziehen. Denn § 113a TKG sieht keine schrankenbewehrte, sondern eine völlig schrankenlose Speicherung und einen schrankenlosen Abruf der Daten vor, Hauptsache, es dient dem Zweck der Strafverfolgung. Von schweren, besonderen oder erheblichen Straftaten ist dort überhaupt nicht die Rede. Es konnte einfach abgerufen werden.