Protokoll der Sitzung vom 09.07.2008

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 10

1. Lesung des Entwurfs Gesetz über die Sächsische Kinder- und Jugendrechtsbeauftragte oder den Sächsischen Kinder- und Jugendrechtsbeauftragten und die Änderung des Landesjugendhilfegesetzes (Sächsisches Kinder- und Jugendrechtsbeauftragtengesetz – SächsKJRB)

Drucksache 4/12711, Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die einreichende Fraktion der GRÜNEN hat das Wort für die Einbringung. Frau Herrmann, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute legt Ihnen die Fraktion der GRÜNEN einen Entwurf für ein Sächsisches Kinder- und Jugendrechtsbeauftragtengesetz vor. Weil Sie sich wahrscheinlich fragen, warum wir einen Kinder- und Jugendrechtsbeauftragten brauchen – ich höre die Frage schon –, werde ich Ihnen das in der Folge erklären.

Die Antwort ist zunächst einmal einfach. In der Debatte im letzten Plenum um den Antrag der GRÜNEN, im Bundesrat die Initiative für die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz zu ergreifen, hat sich gezeigt, dass in Sachsen ein halbes Jahrhundert weltweiter Diskussion um Kinderrechte verschlafen wurde bzw. die CDU-Fraktion dies gar nicht mitbekommen hat. Die SPD verleugnet sich an dieser Stelle aktiv, um den Koalitionspartner nicht zu brüskieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Warum wollen wir also einen Kinder- und Jugendrechtsbeauftragten? In der Folge werde ich nur noch Kinderrechtsbeauftragter dazu sagen, weil in der UN-Kinderrechtskonvention alle Kinder und Jugendlichen bis zu ihrem 18. Lebensjahr einbezogen sind. Wir reden hier von dieser Altersgruppe.

Erstens. Er oder sie, also der oder die Kinderrechtsbeauftragte, soll den Inhalt der UN-Kinderrechtskonvention und den Stand der internationalen Entwicklung sowie den der Umsetzung in Sachsen bekannt machen.

Die UN-Kinderrechtskonvention zielt eben nicht allein auf den fürsorglichen Schutz vor Vernachlässigung und Misshandlung, der in den Debatten auch hier im Hohen Haus oft im Vordergrund steht. – Kollege Schiemann, der dabei meist wortführend ist, ist jetzt nicht anwesend. – Auch wir sagen, dass dieser Schutz wichtig und notwendig ist. Darin sind wir uns, glaube ich, alle einig. Aber das ist der Diskussionsstand von 1924, als der besondere Schutz von Kindern und Jugendlichen erstmals in der Genfer Erklärung seinen Niederschlag gefunden hat. Etwa 30 Jahre später, 1959, verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Erklärung über den Schutz und die Stärkung von Kinderrechten. Weitere 30 Jahre später, nämlich 1989, verabschiedeten die Vereinten Nationen das Übereinkommen über die Rechte des Kindes. Dieses Übereinkommen ist von Deutschland

bis auf einen Vorbehalt rechtsverbindlich ratifiziert worden. Dieser Vorbehalt betrifft Kinder, die keinen deutschen Pass haben.

Die UN-Kinderrechtskonvention hat, wenn ich Sie daran erinnern darf, drei wesentliche Säulen: erstens Rechte auf Schutz, zweitens Rechte auf Förderung und drittens Rechte auf Beteiligung.

Deshalb soll der Kinderrechtsbeauftragte – zweitens – alle Träger der öffentlichen Belange für diese drei Rechte der Kinder und Jugendlichen sensibilisieren. Die Debatten um den Sinn der Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz, die wir auch hier im Hohen Haus geführt haben, zeugen von einer Abwehr bei den Gegnern einer solchen Verfassungsänderung, die sich hauptsächlich an formaljuristischen Argumenten orientiert.

Kinder haben auch in Deutschland einen grundgesetzlichen Schutz, aber sie haben bisher kein ausreichendes Recht auf Förderung und schon gar kein Recht auf Beteiligung. Dies widerspricht nach unserer Auffassung den Erkenntnissen der Sozialwissenschaft, der Entwicklungspsychologie, der Hirnforschung, der Bindungsforschung und natürlich auch unseren praktischen Erfahrungen.

Der beste Schutz für Kinder ist nicht die strafrechtliche Verfolgung der Eltern. Der beste Schutz ist, dass sie lernen, „ich“ und „nein“ zu sagen. Dass sie diese Worte aussprechen können, ist auch die Voraussetzung dafür, dass Kinder „du“, „unser“ und „ja“ sagen können, das heißt, dass Kinder Verantwortung übernehmen können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Schutz, Förderung und Beteiligung stehen nicht ohne Bezug nebeneinander. Sie gehören zusammen.

Drittens. Der oder die Kinderrechtsbeauftragte soll natürlich auch allen Trägern öffentlicher Belange beratend zur Verfügung stehen.

Viertens. Er oder sie soll für die Kinder ein wahrnehmbares Gesicht sein. Sie sollen ein Gesicht mit der Person, dem Namen verbinden, ein Gesicht, das sie kennen, einen Menschen, an den sie sich wenden, wenn sie Beschwerden haben, wenn sie irgendetwas zum Beispiel in der Landespolitik nicht verstehen, wenn sie Probleme mit den Auswirkungen der Gesetze haben, die wir hier beschließen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erinnern Sie sich, wie die Homepage des Landtages aufgebaut ist? Haben Sie irgendeinen Punkt auf dieser Homepage gefunden, der für

Kinder einladend gewesen wäre, sich an uns zu wenden? Wir haben lange überlegt, wie eine gute Kommunikation zwischen dem Landtag und den Kindern und Jugendlichen aussehen könnte. Wir haben die Anhörung der Sachverständigen zu den Anträgen der FDP und den Linken in dieser Legislatur sowie die Anhörung der Kinderkommission im Deutschen Bundestag und die Tagungen der National Coalition zur Umsetzung der UNKinderrechtskonvention gründlich ausgewertet. Wir sind im Ergebnis zu einer Überzeugung gekommen: Wir brauchen auf der Landesebene eine Stelle für das Beschwerdemanagement. Die von der FDP vorgeschlagene Kinderkommission als Unterausschuss des Sozialausschusses hatte diese Aufgabe nicht. Sie sollte allein alle Initiativen des Landes auf die Folgen für Kinder überprüfen. Das ist sicher eine wichtige Aufgabe, aber sie orientiert sich eben in erster Linie an Schutz und Fürsorge.

Die National Coalition sah zwischenzeitlich einen Sonderpetitionsausschuss für Kinder vor. Dieser Vorschlag hat sich nicht durchgesetzt. Er hatte auch einen wesentlichen Nachteil: Dieser Petitionsausschuss hätte nicht selbst initiativ werden können.

Ein Kinderbeauftragter bei der Landesregierung hätte vermutlich, so denken wir, ein ähnliches Schicksal wie die Gleichstellungsbeauftragten. Er oder sie wäre vermutlich bald beim Landesjugendamt oder beim Sozialministerium als für Kinder zuständige Behörde angegliedert und schwer erreichbar für Kinder oder auch für uns als Landtag. Ein Kinderbeauftragter würde vermutlich bald in den selbst gewählten Aufgaben ertrinken, ohne Kompetenzen und immer mit dem Vorwurf der Doppelstrukturen konfrontiert.

Deshalb haben wir uns an dieser Stelle für einen oder eine Kinderrechtsbeauftragte entschieden. Seine oder ihre Stellung ist vergleichbar mit der des Datenschutzbeauftragten oder der Ausländerbeauftragten. Er oder sie ist Beauftragter des Landtages und nicht weisungsgebunden.

Er oder sie können selbstverständlich selbst initiativ werden. Die Aufgabe ist klar umrissen auf die Perspektive der Umsetzung der Kinderrechte ausgerichtet. Er oder sie ist damit auch auf Landesebene der zuständige Partner für das von der UN geforderte Monitoring – oder anders ausgedrückt: für die Evaluation der Umsetzung der UNKinderrechtskonvention. Deutschland wird im kommenden Jahr über die Umsetzung der Kinderrechtskonvention berichten müssen. Bisher sind die Kommunen in Sachsen ganz auf sich gestellt, diesen Bericht ohne jede Unterstützung seitens des Landes vorzulegen.

Damit ist auch klar, dass die Person, die diese Aufgabe erfüllen soll, dafür qualifiziert sein und möglichst überparteilich und unabhängig agieren können muss. Deshalb haben wir dem Landesjugendhilfeausschuss das Vorschlagsrecht eingeräumt. Gewählt wird diese Person vom Landtag. Die von uns vorgeschlagenen Änderungen im Landesjugendhilfegesetz sind folgerichtig. Der oder die Kinderrechtsbeauftragte hat einen ständig beratenden Sitz im Landesjugendhilfeausschuss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich auf die Diskussion in den Ausschüssen und bitte um die Überweisung an die entsprechenden Ausschüsse.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. – Das Präsidium schlägt Ihnen den Ausschuss für Soziales, Gesundheit, Familie, Frauen und Jugend als federführend sowie die Überweisung an den Haushalt- und Finanzausschuss vor. Wer dem zustimmt, den bitte ich um sein Handzeichen. – Die Gegenprobe! – Die Enthaltungen? – Vollständig sind die Überweisungen ausgesprochen und dieser Tagesordnungspunkt ist abgeschlossen.

Wir kommen zu einer weiteren 1. Lesung eines Gesetzentwurfes in

Tagesordnungspunkt 11

1. Lesung des Entwurfs Gesetz über die Hochschulen im Freistaat Sachsen (Sächsisches Hochschulgesetz – SächsHSG)

Drucksache 4/12712, Gesetzentwurf der Staatsregierung

Frau Staatsministerin, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich freue mich, dass es nach einem sehr umfassenden und komplexen Abstimmungsprozess gelungen ist, Ihnen heute den Entwurf zum neuen Sächsischen Hochschulgesetz zur weiteren Beratung und Beschlussfassung vorlegen zu können. Gestatten Sie mir, dass ich Ihnen in diesem Zusammenhang einige Kernpunkte der damit verbunde

nen Reform unseres Hochschulwesens in Sachsen vorstelle.

Das neue Hochschulgesetz soll im Kern die Zukunftsfähigkeit der sächsischen Hochschulen sichern. Es kommt darauf an, sie für den europäischen, aber auch für den internationalen und innerdeutschen Wettbewerb angemessen aufzustellen. Hierfür hat der Staat im Wesentlichen immer zwei zentrale Instrumente zur Verfügung. Erstens: Er muss den Hochschulen die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen – das haben wir durch unsere Hochschulvereinbarung für einige Jahre abgesichert. Zweitens: Man muss die rechtlichen Rahmenbedingungen

schaffen, die die Hochschulen benötigen, um Lehre und Forschung autark und so zu gestalten, dass die sächsische Hochschullandschaft ihren Platz in Europa und in Deutschland, aber auch international behält bzw. weiterentwickeln kann.

Welche Gesichtspunkte machen diesen Anpassungsprozess erforderlich? Zum einen ist es der viel zitierte Bologna-Prozess, der die Hochschullandschaft in Europa und in Deutschland grundsätzlich verändert. Die Verbesserung der Qualität in der Lehre ist sein zentrales Anliegen. Die jüngsten Empfehlungen des Wissenschaftsrates zu diesem Kernpunkt der Hochschulen haben das nochmals sehr deutlich gemacht. Zum anderen ist es das Thema der Forschungsleistungen, die die Hochschulen im Vergleich sowohl deutschlandweit als auch international zu erbringen haben.

Es sind also beide Standbeine, die derzeit in Veränderung sind. Das bedeutet, dass die diesbezüglichen Leistungen unserer Hochschulen auch kritischen Betrachtungen oder – wie man so schön sagt – internationalen Evaluierungen standhalten können müssen.

Außerdem hat der Wettbewerb unter den Hochschulen in den letzten Jahren enorm an Schärfe zugenommen und schon lange die föderalen Grenzen überschritten. Ich möchte diese Situation mit einigen Stichpunkten verdeutlichen. Die Exzellenzinitiative des Bundes, die in diesen Tagen auch wieder die Öffentlichkeit beschäftigte, zielt auf eine leistungsadäquate Förderung der Hochschulen ab. Andere Bundesländer haben Studiengebühren eingeführt, um der viel geschmähten Unterfinanzierung der Hochschulen zu begegnen – ein Weg, den aus gutem Grund kein ostdeutsches Land geht – so auch Sachsen – und der in Hessen gerade umgekehrt worden ist.

Das Hochschulrahmengesetz als ein zweiter Punkt wird voraussichtlich in nächster Zukunft im Zuge der Föderalismusreform vollständig aufgehoben werden. Seine Wirkung entfaltet es schon ab dem 01.08.2008 nicht mehr. Damit erhalten die Länder die Möglichkeit, studienstrukturelle Fragen der Hochschulzulassung, die uns auch noch beschäftigen werden, und arbeitsrechtliche Regelungen für das wissenschaftliche Personal der Hochschulen eigenverantwortlicher auszugestalten. Von großer Bedeutung für die Zukunft unserer Hochschulen wird sein, wie es uns letztlich gelingt, der stark unterschiedlichen Entwicklung der Studienanfängerzahlen in unserem Bundesland und in den alten Bundesländern entgegenzutreten. Ich erinnere an die Diskussion um den Hochschulpakt 2020.

Zu dem Reformvorhaben in einigen wenigen Punkten: Im Kern geht es darum, das Selbstverwaltungsrecht und die Autonomie der Hochschulen zu stärken und landesrechtliche Vorgaben abzubauen. Mit dem neuen Gesetz sollen die Hochschulen im Wesentlichen über eine landesweit gültige Hochschulvereinbarung und gezielte bilaterale Zielvereinbarungen gesteuert werden. Auch ihr Rechtsstatus wird sich ändern. Sie werden rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts und verlieren den Status

einer staatlichen Einrichtung. Ihre innere Struktur regelt die Hochschule durch eine Grundordnung, die vom Staat nur aus Rechtsgründen beanstandet werden kann und im Wesentlichen die innere Verfassung der Hochschule darstellt. Das heißt, der Staat verliert auch das Recht, jenseits der Festsetzung des Gesetzes für die innere Struktur der Hochschule eigene Zweckmäßigkeitserwägungen anzustellen. Das ist auch notwendig, wenn wir die Autonomie der Hochschule in dem von mir eingangs genannten Änderungsprozess bestärken wollen. Dazu gehört, dass die Hochschulen berechtigt und ermächtigt werden, Berufungen von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern weitestgehend selbstständig durchzuführen.

Ich will hier nicht alle Punkte nennen, sondern nur diese Kernpunkte, die vor allen Dingen in Richtung Autonomie der Hochschule zielen. Damit verbunden ist eine grundsätzliche Veränderung der Gremienstruktur, die sich in ihrer bisherigen Form nicht uneingeschränkt als praktikabel erwiesen hat, diesen neuen Voraussetzungen Rechnung zu tragen. Es wird grundsätzliche Veränderungen durch die Abschaffung des Konzils und die Umwandlung und Veränderung des Kuratoriums in einen Hochschulrat geben. Die innerhochschulische Demokratie im Rahmen der Selbstverwaltung der Hochschulen wird erhalten bleiben und unangetastet sein, wenn wir von der Verkleinerung der Gremien und der Abschaffung des Konzils absehen.

Allerdings – und hierauf möchte ich hinweisen; ich glaube, ich habe das schon an anderer Stelle getan – ist ein Konzil mit einer Größe von über 400 Mitgliedern nicht in der Lage, tatsächlich im grundsätzlichen Geschäft der Hochschule lenkend oder auch strukturierend begleitend zu wirken.

Alle Mitgliedergruppen, das heißt, auch die Gruppen neben den Hochschullehrern, die wissenschaftlichen Mitarbeiter, die Gruppe der Studierenden und die Gruppe der sonstigen Mitarbeiter in der Hochschule – also die Mitglieder der Hochschule –, wählen zukünftig in direkten Wahlen aus ihrer Mitte heraus den Senat, also nicht mehr über Umwege; so möchte ich es einmal verkürzt darstellen. Auf diese Weise ist auch eine angemessene Repräsentanz der Gruppeninteressen sicherzustellen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einige Besonderheiten des neuen Hochschulgesetzes hervorheben. Gerade angesichts der demografischen Entwicklung kommt es jetzt darauf an, das Bildungspotenzial des Freistaates bestmöglich zu fördern. Wir haben mehrfach über das Thema Kindertagesstätten diskutiert. Ich will es vom anderen Ende her sehen: Das sind die Hochschulen. Wir sind deshalb der festen Überzeugung, dass die Einführung von Studiengebühren, wie das teilweise in anderen Ländern geschieht, dieses Ziel erheblich erschweren würde, und haben deshalb die Studiengebührenfreiheit bis zum Masterabschluss in unserem Hochschulgesetz verankert.