Protokoll der Sitzung vom 10.09.2008

Herr Ministerpräsident, mit Ihrem Amtsantritt haben viele Menschen in Sachsen Hoffnungen verbunden. Sie, Herr Tillich, haben zudem mit Ihren ersten Erklärungen Erwartungen auf eine andere, eine bessere Politik für unser Land geweckt. Heute nun sind Sie gut 100 Tage im Amt und ich komme nicht umhin festzustellen: Sie haben Ihre Chance bisher nicht genutzt; Sie haben Hoffnungen enttäuscht und geweckte Erwartungen nicht erfüllt.

Ich will gern einräumen, dass Sie bislang noch keine gravierenden Fehler gemacht haben; aber Fehler unterlaufen bekanntlich nur jemandem, der überhaupt etwas macht. Und wenn man die Leute im Freistaat befragen würde, was denn der neue Regierungschef bislang praktisch zuwege gebracht hat, dann würde wohl kaum jemandem etwas einfallen. Sie, Herr Tillich, sind ein Ministerpräsident der Ankündigungen, nicht aber der konkreten Taten. Doch genau daran werden Sie im kommenden Jahr gemessen werden. Ich werde noch im Einzelnen darauf zurückkommen.

Lassen Sie mich eingangs nur auf einige wenige Punkte verweisen: Herr Tillich hat kurz nach seinem Amtsantritt beispielsweise einen verbesserten Betreuungsschlüssel für die Kindertagesstätten angekündigt. Die Absenkung von 1 : 13 auf 1 : 12 ist natürlich nicht falsch, aber damit wird nur zu einem Standard zurückgekehrt, den wir in früheren Jahren schon einmal hatten.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Hört, hört!)

Besonders abstrus wird das Ganze dadurch, dass die Regierung beabsichtigt, den Hauptteil der Kosten für diese durchaus vernünftige Maßnahme auf die Kommunen abzuwälzen, die ihrerseits vielfach nicht umhinkommen werden, die Elternbeiträge entsprechend zu erhöhen. Das aber wäre mit Sicherheit das völlig falsche Signal.

(Beifall bei der Linksfraktion sowie der Abg. Kristin Schütz und Sven Morlok, FDP)

Ich bin in diesem Zusammenhang der neuen Sozialministerin, Frau Kollegin Clauß, dankbar dafür, dass sie sich kürzlich in einem „SZ“-Interview gegen höhere Elternbeiträge ausgesprochen hat. Aber wenn sie es damit ernst meint, dann darf sie dem vorliegenden Haushaltsentwurf logischerweise nicht zustimmen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Der neue Ministerpräsident hatte auch versprochen, als Erstes und möglichst bald unsere Nachbarn in Polen und Tschechien zu besuchen. Geschehen ist diesbezüglich – bisher jedenfalls – nichts. Für den Papst in Rom aber hat Herr Tillich offenbar Zeit gefunden.

(Zurufe von der CDU)

Der neue Ministerpräsident hatte in seiner ersten Erklärung nach der Nominierung auch einen anderen Umgang mit der Opposition angekündigt. Ich habe heute noch einmal die Post in meinem Büro durchsehen lassen. Ein förmliches Gesprächsangebot ist bis dato noch nicht eingegangen.

(Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD)

Und schließlich hat es Herr Tillich auch nicht geschafft, Ordnung in seiner Chaoskoalition zu schaffen. CDU und SPD konnten sich über Monate hinweg nicht einmal auf einen Termin für die Landtagswahlen einigen. Was soll da erst in den bevorstehenden Haushaltsberatungen werden! Für den Rest der Wahlperiode, meine Damen und Herren, lässt all das nichts Gutes erwarten.

(Beifall bei der Linksfraktion – Zurufe von der CDU)

Herr Ministerpräsident, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung im Juni drei Prämissen genannt – auch der Finanzminister hat sie eben wiederholt –, nämlich Arbeit, Bildung und Solidarität. Sie müssen es sich gefallen lassen, dass wir Ihren Haushaltsentwurf genau daran messen.

Nehmen wir also zunächst das Thema Arbeit. Wir alle freuen uns natürlich, wenn die offiziellen Arbeitslosen

zahlen zurückgehen, aber Fakt ist: Die allermeisten neuen Arbeitsplätze sind nicht auf Dauer gesichert, sind geringfügige Beschäftigungsverhältnisse oder Ein-Euro-Jobs. Was wir stattdessen brauchen, sind gute Arbeit und auskömmliche Löhne. Doch dazu ist vom Ministerpräsidenten nichts zu hören.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Bereits in der Erwiderung auf die Regierungserklärung habe ich darauf hingewiesen, dass der CDU/SPDKoalition abgesehen vom umstrittenen Kommunalkombi bislang keine neuen arbeitsmarktpolitischen Instrumente eingefallen sind. Der vorliegende Haushaltsentwurf hat diese Bewertung leider bestätigt.

Schon vor über fünf Jahren – daran sollte man hin und wieder erinnern – wurde im Landesentwicklungsplan ein Leitbild für den Freistaat Sachsen formuliert, in dem es heißt – ich zitiere –: „Der Freistaat Sachsen ist als attraktiver Lebens-, Kultur- und Wirtschaftsraum in einem zusammenwachsenden Europa modern und zukunftsfähig weiter zu entwickeln.“

Seit der Formulierung dieses Leitbildes hat sich nicht viel getan. Eher halten die negativen Trends unvermindert an. Das betrifft vor allem das Ausmaß der Abwanderung, aber auch die Bedeutung Sachsens als attraktiver Lebensraum für alle Bürgerinnen und Bürger. Insbesondere die Empfängerinnen und Empfänger von Hartz IV werden die Attraktivität des sächsischen Lebensraumes zunehmend infrage stellen. Über Jahre wurde versäumt, Gegenstrategien für die gravierendsten Probleme der Landesentwicklung anzupacken. Ich nenne hier nur das Ausbluten ganzer Regionen, den immer stärker werdenden Fachkräftemangel, die Potenzierung des Geburtendefizits und die Gefährdung unserer sozialen Sicherungssysteme. Diese Probleme lassen sich nicht dadurch lösen, einen neuen Ministerpräsidenten zu wählen und eine Regierungsmannschaft umzuformieren.

Meine Damen und Herren von CDU und SPD, Herr Tillich und auch Herr Jurk! Es ist zu befürchten, dass Sie das, was Sie in den letzten vier Jahren nicht geleistet haben, auch in der verbleibenden Zeit nicht mehr schaffen werden. Der Haushaltsentwurf gibt jedenfalls auf die drängenden Fragen die falschen oder oft auch gar keine Antworten.

Wir als Linke haben Ihnen aus der Opposition heraus in den letzten zehn Jahren immer wieder konkrete Vorschläge unterbreitet und Konzepte vorgelegt, wie der absehbare Negativtrend in Sachsen umkehrbar wäre. Sie haben all das ignoriert. Ich erinnere Sie an die Vorlage von vier alternativen Haushaltsansätzen, des Alternativen Landesentwicklungskonzepts „Aleksa“, unseres modernen Förderprofils sowie diverser Gesetzentwürfe zu unterschiedlichen Themen,

(Volker Bandmann, CDU: Das ist doch dummes Zeug!)

die sich immer wieder speziell auch der Fragen annahmen, die die Menschen im Land bewegen.

(Volker Bandmann, CDU: Ungedeckte Wechsel waren das!)

Wir wollten, Herr Kollege Bandmann, und wir wollen immer noch bei der Wirtschaftsförderung umsteuern,

(Volker Bandmann, CDU: Das Land ruinieren wollen Sie!)

hin zu einer Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen und der strukturschwachen Räume.

Wir haben Ihnen schon vor längerer Zeit eine Kommission zur Ermittlung des Fachkräftebedarfs vorgeschlagen. Wir haben Initiativen zur Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West unterbreitet. Sie wissen, dass uns das als Linke ganz besonders am Herzen liegt. Wir fordern deutliche Änderungen in der Ausbildungspolitik. Diese ist seit Jahren in Sachsen eine Katastrophe. Nicht genug damit, dass nach wie vor ein erheblicher Überhang von Altbewerbern besteht und die Fördergelder kontinuierlich heruntergefahren werden; sondern viele junge Menschen werden zudem mit staatlichen Geldern direkt für die Arbeitslosigkeit ausgebildet, weil die entsprechenden Ausbildungsgänge im außerbetrieblichen Bereich für Sie die billigsten waren.

Zugleich hat die Regierung – das ist durchaus unterstützenswert – Unternehmen im Bereich der Zukunftstechnologien gefördert, die heute händeringend Fachkräfte suchen. Entweder Sie kaufen sich diese Fachkräfte nun teuer ein oder die Firmen wandern aus Sachsen ab. All das nur deshalb, weil die Förderpolitik für Unternehmen nicht mit der für die Ausbildung abgeglichen wurde. Investitionen in die Ausbildung für zukunftsweisende Berufe – das ist unsere Position –, gepaart mit einer verbesserten Berufsorientierung auch für junge Frauen, wären eine wirklich sinnvolle Maßnahme gegen die Abwanderung gewesen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Eine IHK-Studie hat vor Kurzem ans Licht gebracht, dass die kleinen und mittelständischen Unternehmen in Sachsen nach wie vor beachtenswerte Anstrengungen an den Tag legen, um auszubilden. Wir haben das auch gestern in diesem Saal gehört. Gerade die kleinen Unternehmen in strukturschwachen Gebieten haben bewiesen, dass sie sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst sind. Wenn man sich vor Augen hält, dass die Betriebe in allen Lausitzer Alt-Landkreisen weitaus mehr bereit sind auszubilden als die Großkonzerne im Raum Dresden, dann wirft das Fragen nach der Wirtschaftspolitik des Freistaates auf. War und ist es nicht so, dass sich die Förderpolitik auf die Entwicklung beispielsweise des Mikroelektronikstandortes Dresden konzentriert hat? Millionen, ja Milliarden an Steuergeldern sind dafür investiert worden. Nun, nach gerade einmal 15 Jahren, ist die Zukunft von Saxony Valley ungewiss.

Meine Damen und Herren! Verträge über Fördermittel mit den Großkonzernen dürfen nicht nur „rote Teppiche“ enthalten, sondern sie brauchen auch konkrete Vereinbarungen über die Schaffung von Ausbildungsplätzen. Doch genau das ist offensichtlich versäumt worden. Deshalb fordern wir hier ein Umsteuern.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben es mit tief greifenden, die Gesellschaft umwälzenden Problemen zu tun. Nicht die eine oder andere Einzelmaßnahme kann dabei Abhilfe schaffen, sondern nur ein bewusstes Handeln auf allen Gebieten, die politische Entscheidungen erforderlich machen. Wir müssen begreifen – Regierung wie Opposition –, dass wir mit jedwedem Handeln, ob bei der Verkehrspolitik oder im Zusammenhang mit der sozialen Infrastruktur wie auch bei der Bildungspolitik, Pflöcke für oder gegen die Abwanderung, Pflöcke für oder gegen die Zuwanderung einschlagen können.

Gelegentlich wurde in diesem Hohen Haus ein Abwanderungsgipfel vorgeschlagen, um gegensteuern zu können. Bis heute ist dieser nicht durchgeführt worden. Herr Tillich, warum bereiten Sie jetzt, da die EnqueteKommission des Landtages zum demografischen Wandel kurz vor ihrem Abschluss steht, nicht gemeinsam mit uns einen Zuwanderungsgipfel für Sachsen vor?

(Beifall bei der Linksfraktion)

Zuwanderung, meine Damen und Herren, ist langfristig gesehen der einzige Ansatz, um mit den genannten Problemstellungen fertig zu werden.

(Volker Bandmann, CDU: Kurt Biedenkopf!)

Manchmal hat auch Kurt Biedenkopf recht, Herr Bandmann! – Wenn man das ernst meint, dann muss man sich über jede junge Frau und jeden jungen Mann freuen, der nach Sachsen zu kommen bereit ist. Doch dafür sind attraktive Arbeitsplätze, ein soziales und kulturelles Umfeld sowie echte Zukunftschancen nötig.

Gerade aus diesem Grund ist eine Politik gefragt, die zum einen versucht, die Menschen im Land, in den Regionen zu halten, zum anderen zugleich bestrebt ist, zusätzlich Menschen in das Land zu holen und ihnen hier eine Lebensperspektive zu bieten. Wir brauchen eine Politik, die auf regionale Steuerung, auf regionale Verantwortung und auf regionale Akteure setzt. Nicht zuletzt deshalb, weil es mit einem solchen Ansatz möglich ist, mit adäquaten Angeboten auf soziale Probleme vor Ort so zu reagieren, dass die Folgekosten sinken und nicht steigen.

Im Prozess des demografischen Wandels verstehen wir Linken uns als Anwalt der dauerhaft in den strukturschwachen Regionen lebenden Menschen. Die Fundamentierung des gegenwärtigen Zustandes, der zwischen prosperierenden und abgehängten Regionen unterscheidet, darf aus unserer Sicht nicht zugelassen werden.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Die Herausforderung für diejenigen, die sich mit den vergessenen Regionen nicht abfinden wollen, besteht darin, eine realistische Perspektive für die von den Metropolen entfernten Gebiete mit niedrigem Bevölkerungsniveau zu entwickeln. Dies werden Konzepte sein müssen, die der Realität des für diese Region typischen Bevölkerungsrückgangs, insbesondere der Überalterung und des rückläufigen Qualifikationsniveaus, Rechnung tragen.

Die Sicherung der öffentlichen Daseinsfürsorge ist dabei der wesentlichste Aspekt, der neue Lösungen, zum Beispiel flexibler und regional angepasster Infrastrukturen, erfordert. Bildung, medizinische Versorgung, der ÖPNV und die Versorgung mit Energie und Wasser sowie die Entsorgung von Abwasser und Abfall müssen für die Menschen in den Regionen dauerhaft gewährleistet werden. Wie dies unter den Bedingungen minder ausgelasteter Infrastrukturen geschehen kann, ist eine elementare Frage der innerstaatlichen Solidarbereitschaft. Dafür bedarf es sowohl in den Zentren als auch in den zurückbleibenden Regionen gegenseitigen Verständnisses. Dass der Status quo nicht einfach fortgeschrieben werden kann, steht dabei außer Zweifel.

Sachsen hat über Jahre hinweg und viel zu lange auf die sogenannten Leuchttürme gesetzt. Ich nenne nur ein Beispiel: AMD und Infineon haben mit circa 3 Milliarden Euro Fördermitteln über 6 000 direkte Arbeitsplätze geschaffen, weitere circa 15 000 Arbeitsplätze bei Dienstleistern und Zulieferern.

(Beifall des Staatsministers Thomas Jurk)

Ich begrüße das auch, Herr Wirtschaftsminister. – Eine einfache Rechnung zeigt aber, dass wir mindestens 50 weitere dieser Leuchttürme brauchten, um der Arbeitslosigkeit im Land Herr zu werden. Allerdings wird man in Sachsen mit den von der Wirtschaft und der CDU gleichzeitig geforderten Niedriglöhnen keine auf dem Weltmarkt konkurrenzfähigen Technologien und Produkte mehr entwickeln können.

(Beifall bei der Linksfraktion – Volker Bandmann, CDU: Die Löhne hat doch immer nur DIE LINKE im Mund! Das ist doch dummes Zeug, was Sie hier erzählen!)

Die Politiker fordern mehr Flexibilität der Verwaltung. Immer wieder ist das zu hören. Doch BMW beispielsweise hat in Leipzig überhaupt keinen Grund zu klagen, weder bei den Arbeitszeitverhandlungen mit den Gewerkschaften noch bei der Genehmigung durch die Stadt Leipzig. Schon heute wird im Osten fast alles möglich gemacht.