Protokoll der Sitzung vom 10.09.2008

Die Politiker fordern mehr Flexibilität der Verwaltung. Immer wieder ist das zu hören. Doch BMW beispielsweise hat in Leipzig überhaupt keinen Grund zu klagen, weder bei den Arbeitszeitverhandlungen mit den Gewerkschaften noch bei der Genehmigung durch die Stadt Leipzig. Schon heute wird im Osten fast alles möglich gemacht.

Unmöglich dagegen machen sich viele Politiker. Wieso hat jede Stadt, jeder Landkreis und jede Region ihren eigenen Wirtschaftsförderer? Solche Art von Konkurrenz treibt letztlich nur die eingeforderten Subventionen in die Höhe.

Ich frage weiter: Wieso fahren drei ostdeutsche Ministerpräsidenten innerhalb von fünf Monaten in die USA, um dort fast die gleichen Leute und die gleichen Unternehmen zu besuchen? Ihnen geht es vor allem um den Bericht in den Zeitungen ihres Landes und um die Bilder in ihrem Heimatsender. Jeder Strohhalm wird ergriffen, um medienträchtig Kompetenz zu demonstrieren.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Während aber für Unternehmen das Geld fließt, wird den Leuchttürmen des Wissens – den Universitäten also – der Strom abgedreht, werden Stellen und Mittel gestrichen. Haushaltssperren torpedieren jede Planung sowie eine kontinuierliche Entwicklung. Auch der aktuelle Etatentwurf setzt hier keine wesentlich neuen Signale.

Natürlich sind Haushalts- und Förderpolitik auch immer Machtpolitik. Bei dieser Machtpolitik will sich die CDUgeführte Staatsregierung möglichst wenig kontrollieren lassen. Förderpolitik dient dazu, sich selbst im guten Licht darzustellen, sich mit fremden Federn zu schmücken. Hauptsache, man ist bei der Übergabe von Förderbescheiden und Übergaben unter sich: CDU-Minister, CDU-Landrat, CDU-Bürgermeister, CDU-Landtagsabgeordneter,

(Volker Bandmann, CDU: In freier Wahl gewählt!)

und wenn es sich gar nicht vermeiden lässt, hin und wieder auch ein Sozialdemokrat. So sah es bisher bei fast jeder Straßeneröffnung aus. Diejenigen, die die Straßen planten, projektierten, bauten und bezahlten, sind auf den Bildern äußerst selten zu sehen.

Aber es ist natürlich ein Irrglaube, dass die Staatsregierung, die Bundesregierung oder die EU das alles bezahlt haben. Bezahlt haben es die Steuerzahler, auch hier bei uns in Sachsen. Die zuständigen Politiker haben nur die Entscheidung getroffen, das Geld dafür zu bewilligen, und selbst das geschah oft nach nicht nachvollziehbaren Kriterien.

Wirtschaftspolitik heißt für uns nicht nur, Förderprogramme für Unternehmen aufzulegen. Im laufenden Haushalt sind mit 600 Millionen Euro für die Wirtschaftsförderung fast ebenso viele Mittel eingestellt wie für die Hochschulen, Universitäten, Fachhochschulen, Berufsakademien und außeruniversitären Forschungseinrichtungen zusammen. In anderen Ländern hat man längst umgedacht. Dort werden Wissenschaft und Forschung deutlich stärker gefördert. Das geschieht an ausgewählten Standorten, um die herum sich dann neue Unternehmen ansiedeln. Ich betrachte es durchaus als ein positives Zeichen, dass im neuen Haushaltsentwurf Umschichtungen zugunsten der Hochschulen vorgenommen werden.

Bislang hat die sächsische Regierung allerdings immer wieder Negativsignale gesetzt. Mehr als 1 000 Schulen wurden geschlossen. Die Mittel für Volkshochschulen wurden reduziert. Einer Stellenstreichung an den Hochschulen folgte die nächste. Die Mittel für Technologie

zentren sowie für die Forschungs-GmbHs wurden gekürzt, obwohl die ursprünglich angestrebten Effekte meist nicht erreicht wurden. Zwei Drittel der Technologieförderung gingen zudem nach Dresden. Andere Regionen wurden abgehängt.

Was wir brauchen – davon sind wir überzeugt –, das ist eine neue Haushalts- und insbesondere eine neue Förderpolitik für Sachsen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich möchte Ihnen, meine Damen und Herren, gern fünf Punkte nennen, wie wir uns das vorstellen.

Das Erste, was wir brauchen, ist eine grundsätzliche Veränderung dahin gehend, dass wir über den Sinn von Zukunftsinvestitionen neu nachdenken. Nicht alle im betriebs- oder volkswirtschaftlichen Sinne so bezeichneten „investiven Ausgaben“ sind tatsächlich Zukunftsinvestitionen.

Die zweite grundsätzliche Veränderung ist das Setzen von strategischen Schwerpunkten – wiederum nach dem Maßstab der Bedeutung für die Zukunftsentwicklung des Landes. Haushaltsstrategisch müssen wir von der kleinteiligen Sicht auf Hunderte und Tausende Einzelposten – separiert durch die Haushaltshoheit der einzelnen Ministerien – wegkommen und uns fragen, wo die wirklichen Schwerpunkte für die Entwicklung des Landes liegen.

Drittens bedarf auch die Förderpolitik des Landes einer tief greifenden Umstrukturierung in Richtung einer Bündelung von Förderinstrumenten auf zukunftsfähige Schwerpunkte, darunter umfassender als bisher auf die Verknüpfung von Wissenschaft und innovativen Technologien. Sie muss durch eine systematische Evaluierung der Förderprogramme flankiert werden, deren wichtigster Maßstab die erreichten Ergebnisse und Wirkungen der Förderung sind. Es darf nicht so bleiben, dass ein Förderziel schon dann als erreicht angesehen wird, wenn die Fördermittel abgeflossen sind.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)

Den vierten Punkt sehen wir darin, das verfassungsmäßige Budgetrecht des Landtages, also der Legislative, auszubauen und neu auszufüllen. Unsere alternative Vorstellung ist nicht die einer kleinlichen Bevormundung der Exekutive, sondern der Aufbau eines Systems von Zielvereinbarungen, in denen die Schwerpunkte und die erwarteten Ergebnisse des Einsatzes öffentlicher Mittel enthalten sind. Dies muss mit dem Aufbau eines wirkungsvollen Controllings des Haushaltsvollzugs verbunden werden.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Fünftens streben wir an, die eigene Verantwortung und die Entscheidungsspielräume der regionalen und kommunalen Ebene über den Einsatz ihrer Mittel – auch und gerade in Erwartung grundlegender Strukturreformen der öffentlichen Hand – schrittweise bedeutend zu erweitern.

Meine Damen und Herren! Immer wieder wird betont – und das hat auch der Finanzminister vorhin angedeutet –, dass Bildung, Wissenschaft und Forschung wichtig für die Gesellschaft und insbesondere für den Erfolg der sächsischen Wirtschaft sind.

Alle reden von der Wissensgesellschaft oder der Informationsgesellschaft. Doch es reicht nicht, Wissensgesellschaft nur zu postulieren. Dafür müssen dann auch die notwendigen Grundlagen gelegt werden.

Es stimmt: Jährlich setzt der Freistaat viel Geld im Bildungsbereich ein: für Kitas, Schulen, Berufsausbildung und Hochschulen zusammen eine Summe von über 3 Milliarden Euro. Das sind mehr als 20 % des Landeshaushaltes. Doch die Ergebnisse dieses Mitteleinsatzes halten einer kritischen Betrachtung nicht einmal ansatzweise stand. Nach wie vor erlangen circa 9 % eines Jahrganges – das sind mehr als 4 000 Jugendliche jährlich – nicht einmal einen Hauptschulabschluss. Das bedeutet – und das muss man sich vor Augen halten –: In 17 Jahren CDU-geführter Regierung haben über 80 000 Schülerinnen und Schüler in Sachsen die Schule ohne Abschluss verlassen.

Das, meine Damen und Herren, ist mit Sicherheit kein Ruhmesblatt Ihrer Bildungspolitik.

(Beifall bei der Linksfraktion und der Abg. Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE)

Viele Schüler mit Hauptschulabschluss werden zudem nach der Schule mangels Lehrstelle im Berufsbildungsgrundjahr bzw. im berufsvorbereitenden Jahr geparkt, was die Steuerzahler Millionen gekostet hat.

Obwohl die finanziellen Rahmenbedingungen des Freistaates in den nächsten Jahren eher enger als weiter werden – auch dazu hat der Finanzminister gesprochen –, gilt: Ausbildung und Qualifikation sind ohne Zweifel die Schlüsselressourcen des 21. Jahrhunderts. Investitionen in Wissenschaft und Forschung sind daher Investitionen in die Zukunftsfähigkeit des Freistaates Sachsen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Das aus unserer Sicht notwendige lebenslange Lernen bedarf, um erfolgreich zu sein, einer Gesamtstrategie, und das heißt aus unserer Sicht: einer Vernetzung von Reformen im Vorschul- und Schulbereich mit der Hochschulentwicklung.

Der Ministerpräsident – ich kann ihn im Moment gerade nicht sehen – hat kürzlich eine neue Devise ausgegeben. Die Devise von Herrn Tillich lautet „Aufstieg durch Bildung“. Er tut damit so, als ob es lediglich von jedem Einzelnen abhinge, ob er zu den Aufsteigern dieser Gesellschaft gehört oder eben nicht. Wer sich richtig anstrenge, der schaffe es schon, in dieser Gesellschaft irgendwie nach oben zu kommen.

Da möchte man doch vom MP gern wissen, was er den vielen hoch qualifizierten Frauen antwortet, die nicht in diverse Spitzenämter gelangen, weil diese traditionell eine Männerdomäne sind;

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

und was er dazu sagt, dass viele Frauen trotz gleicher Qualifikation für dieselbe Arbeit immer noch schlechter entlohnt werden als ihre männlichen Kollegen. Und schließlich: Es sind doch nicht alle, die ohne Erwerbsarbeit auskommen müssen oder in Armut leben, ungebildet oder schlecht ausgebildet.

(Volker Bandmann, CDU: Eine Fraktions- vorsitzende wird bei Ihnen ausgebremst!)

Herr Bandmann, den Aufstieg durch Bildung werden Sie natürlich nicht schaffen, unabhängig von Ihrer Stellung hier.

Was die Rede vom „Aufstieg durch Bildung“ so problematisch macht – und deshalb musste ich dazu etwas sagen –, ist die Ignoranz des Ministerpräsidenten gegenüber gesellschaftlichen Zusammenhängen bzw. Strukturen, die das Gegenteil von dem bewirken, was vollmundig verkündet wird. Denn sie behindern den Aufstieg durch Bildung oder verhindern ihn gar. Das gegliederte Schulwesen gehört dazu.

(Beifall der Abg. Dr. Monika Runge, Linksfraktion)

Das Plädoyer des Ministerpräsidenten für die sogenannten Spätzünder in allen Ehren, doch er ignoriert das Kernproblem: Die Aufteilung der Schülerinnen und Schüler nach der 4. Klasse erfolgt eindeutig zu früh. Sie legt die Heranwachsenden schon in jungen Jahren auf einen bestimmten Bildungsweg fest, der ebenso maßgeblich das weitere Leben prägt. Das belegt die mangelnde Durchlässigkeit des sächsischen Schulwesens, die eher eine nach unten als eine nach oben ist. Statt daran herumzuexperimentieren, wäre es nur konsequent, endlich das längere gemeinsame Lernen auch in Sachsen einzuführen.

(Beifall bei der Linksfraktion und des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Der neue Kultusminister hat auf seiner Pressekonferenz zum Schuljahresbeginn behauptet, dass die Unterrichtsversorgung in allen Schularten grundsätzlich gewährleistet sei. Daran hegen wir starke Zweifel. Ich nenne nur ein Beispiel: Seit Jahren kann der Unterricht an den Berufsschulen nicht vollständig abgesichert werden. Mindestens 250 zusätzliche Stellen werden benötigt. DIE LINKE fordert vom Kultusminister, den Mangel an Lehrerinnen und Lehrern an den sächsischen Schulen umgehend abzustellen. Wir brauchen zur Absicherung des Unterrichts, der Schuleingangsphase und der Ganztagsangebote deutlich mehr Stellen für Pädagogen.

Mit dem vorliegenden Entwurf des Doppelhaushaltes – da widerspreche ich Ihnen, Herr Dr. Unland – lässt sich die Vollzeitbeschäftigung der Lehrerinnen und Lehrer, wie sie Bezirkstarifvertrag und Grundschulvereinbarung vorsehen, definitiv nicht realisieren. Der Haushalt widerspricht auch den Ankündigungen des Kultusministers, gut ausgebildete Lehramtsanwärter im Freistaat Sachsen halten zu

Wer erwartet hatte, dass die neue Regierung mit dem Haushaltsentwurf endlich den großspurig angekündigten und in der Tat dringend notwendigen familien- und sozialpolitischen Aufbruch einleiten würde, muss tief enttäuscht sein. Auch hier zeigt sich, dass der Austausch von Regierungspersonal noch lange keinen Politikwechsel bedeutet. Wir als Linke haben nach wie vor erhebliche Zweifel, ob der Ministerpräsident überhaupt bereit ist, zur Kenntnis zu nehmen, dass in den letzten Jahren die Zahl derer, die unterhalb der offiziellen Armutsgrenze leben müssen, erheblich gestiegen ist. Verantwortlich dafür ist auch die Staatsregierung, die sämtlichen Hartz-Gesetzen nicht nur zugestimmt hat, sondern diese teilweise gar noch verschärfen wollte. Wo bleibt der Protest des Ministerpräsidenten oder auch der neuen Sozialministerin gegen eine kürzlich von der TU Chemnitz vorgelegte Skandalstudie, nach der der Regelsatz für Bezieher von Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld eigentlich auf 132 Euro gesenkt werden könnte?

wollen. Denn dieser sieht einen extremen Abbau gerade im Bereich der Referendare vor. 452 Stellen sollen hier gestrichen werden. Betroffen sind davon alle Schularten. DIE LINKE fordert keine Absenkung, sondern eine Erhöhung der Stellen für Referendare, um den künftigen Bedarf an Lehrkräften im Freistaat Sachsen abzusichern. Im Übrigen ist das auch erforderlich, um endlich die längst überfällige Verjüngung der Lehrerschaft einzuleiten.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Im Widerspruch zur Devise „Aufstieg durch Bildung“ steht auch die Weiterbildung. Bei einer Pro-KopfFörderung im Bereich der Volkshochschulen steht Sachsen bundesweit an vorletzter Stelle. Für DIE LINKE steht deshalb fest: Wir brauchen endlich eine Erhöhung der Mittel für die Volkshochschulen.

Im Juli brachte die Staatsregierung nach langem Hin und Her in der Koalition und unter den hochschulpolitischen Akteuren in 1. Lesung den Entwurf eines neuen Hochschulgesetzes ins Parlament ein. In einer Situation struktureller Unterfinanzierung der Hochschulen wollen CDU und SPD die demokratische Mitbestimmung einschränken und Entscheidungsstrukturen zentralisieren. Wir halten das, meine Damen und Herren, eindeutig für den falschen Weg.

(Einzelbeifall bei der Linksfraktion)

Mit wissenschaftlicher Analyse hat all das nichts zu tun. Vielmehr ist dieses Papier eine blanke Verhöhnung von mehr als einer halben Million betroffenen Menschen hier in Sachsen. Dazu schweigt Herr Tillich bis zum heutigen Tag. Wir bleiben bei unserer Forderung: Hartz IV muss revidiert werden. Bis dahin ist es aber zumindest erforderlich, dass der Eckregelsatz umgehend auf 435 Euro angehoben wird, selbst wenn auch das immer noch unterhalb der Armutsgrenze liegt.

Ein großes Manko ist zudem das Festhalten am Hochschulkonsens ohne ausdrückliche Rücknahme der darin enthaltenen Stellenkürzungen. Wir als Linke wollen wenigstens den Erhalt der vorhandenen Stellen im Lehrbetrieb. (Beifall bei der Linksfraktion)