Protokoll der Sitzung vom 15.10.2008

Deswegen, meine Damen und Herren, bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zur Überweisung des Gesetzentwurfes in den Innenausschuss – federführend – sowie mitberatend in den Ausschuss für Umwelt und Landwirtschaft und freue mich auf unsere spannende Diskussion.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Meine Damen und Herren! Die Ausschüsse, in die überwiesen werden soll, sind vorgelesen worden. Ich frage Sie, ob Sie mit der Überweisung einverstanden sind. Wenn ja, dann bitte ich jetzt um Ihr Handzeichen. – Gibt es Stimmen dagegen? – Eine Gegenstimme. Stimmenthaltungen? – Damit ist die Überweisung beschlossen und der Tagesordnungspunkt beendet.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 6

1. Lesung des Entwurfs Sächsisches Gesetz zur Erleichterung kommunaler Bürgerinformations- und Bürgerempfehlungsverfahren – Bürgerbeteiligungsgesetz (SächsBürgerbeteiligungsG)

Drucksache 4/13487, Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Auch hier ist keine allgemeine Aussprache vorgesehen. Ich bitte jetzt Herrn Lichdi um Einbringung.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Aus demoskopischen Umfragen wissen wir, dass die Bürgerinnen und Bürger mit dem Funktionieren der Demokratie unzufrieden sind. Liest man die Umfragen genau und betrachtet sie über eine längere Zeit hinweg, dann zeigt sich, dass die Staatsform Demokratie im Osten zwar geringer unterstützt wird als im Westen, aber gleichwohl eine überwältigende Mehrheit zur Demokratie steht.

Die Stärke der menschenrechtsgeprägten Verfassungsordnung des Grundgesetzes ist gerade, dass sie die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger nicht erzwingt, wie es totalitäre Systeme tun, sondern dass sie auf die freiwillige Zustimmung zu ihr vertraut. Was also infrage steht, ist

nicht parlamentarische Demokratie als solche, sondern ihr Funktionieren, und es ist nach Auffassung unserer GRÜNEN-Fraktion durchaus so, dass die parlamentarische Demokratie durch mehr direkte Demokratie und mehr Bürgerbeteiligung ergänzt werden muss.

Wir müssen endlich neben dem Wahlrecht der Bürgerinnen und Bürger und dem Recht auf unmittelbare Sachentscheidung durch Bürgerentscheid eine dritte Säule der politischen Rechte der Bürgerinnen und Bürger hinzufügen, nämlich das Recht auf politisch einflussreiche Bürgerbeteiligung.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Wenn wir das Grundgesetz ernst nehmen – und das tun wir als GRÜNE –, dann lesen wir, dass die Parteien „an der Willensbildung des Volkes mitwirken“. Dies bedeutet nicht mehr, aber auch nicht weniger, als dass das Volk

selbst die Willensbildung vollzieht und sich die Parteien daran lediglich beteiligen. Die Willensbildung des Volkes ist das Primäre, die Beteiligung der Parteien das Sekundäre. Diese Reihenfolge, meine Damen und Herren, müssen wir wieder lernen ernst zu nehmen.

Nun stimmen wir als GRÜNE gerade nicht in den populistischen Chor der Parteienschelte ein. Parteien sind für uns nichts vom Volk Abgehobenes, autoritär Draufgesetztes, wie es die Einheitspartei SED mit ihren Blockparteien war. Parteien sind selbst institutionelle Formen, die sich das Volk schafft, um einen gebildeten Willen wählbar zu machen und so über die Parlamente und die Gesetzgebung in die Wirklichkeit umzusetzen.

Dennoch verbleibt ein eigentlich politischer und im Kern auch parteifreier Raum der Willensbildung des Volkes, den die Sächsische Verfassung und Gemeindeordnung auch anerkennen und vorsehen. Beide kennen die unmittelbare Sachentscheidung außerhalb der gewählten Organe Landtag und Gemeinderat: Das ist der Volksentscheid und der Bürgerentscheid.

Aber auch die dritte Säule der Demokratie, die Bürgerbeteiligung, ist bereits in der Gemeindeordnung angelegt und vorgesehen. Sie mündet nicht in eine eigene Sachentscheidung, sondern dient der Information und der Abgabe einer Empfehlung an den Gemeinderat. Bürgerbeteiligungsverfahren bewegen sich damit noch im Vorfeld der eigentlichen Entscheidungsverfahren.

Es handelt sich, meine Damen und Herren, um die Einwohnerversammlung und den Einwohnerantrag nach den §§ 22 und 23 der Gemeindeordnung. Doch leider handelt es sich dabei um totes Recht, um Recht also, das zwar in einem Gesetz steht, aber in der Wirklichkeit nicht stattfindet.

Die Staatsregierung antwortete mir auf eine Kleine Anfrage, dass seit 2003 in ganz Sachsen nur 48 Einwohnerversammlungen im Sinne des § 22 und nur vier Einwohneranträge nach § 23 stattgefunden haben. Auf Kreisebene gab es weder eine Einwohnerversammlung noch einen einzigen Einwohnerantrag. Ich glaube nicht, meine Damen und Herren, dass dieses Ergebnis an der allgemeinen Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit ihren Bürgermeistern und Landräten liegt. Tatsächlich handelt es sich um ein niederschmetterndes Ergebnis, über das sich nur diejenigen freuen können, die sich beim Regieren nicht vom Volk stören lassen wollen.

(Leichte Unruhe)

Wir müssen daher feststellen, dass die dritte Säule der politischen Rechte des Volkes, nämlich das Recht auf politisch einflussreiche Bürgerbeteiligung, in Sachsen höchst wurmfortsatzartig ausgebildet ist. Die Ursache ist leicht erkennbar: Ein Quorum von 10 % der Einwohner, um eine Bürgerversammlung oder einen Bürgerantrag im Gemeinderat durchzusetzen, ist viel zu hoch. Für einen Bürgerentscheid genügen in manchen Gemeinden bereits 5 % der Stimmen. Warum sollte ich mir als Initiator eines Beteiligungsverfahrens die Mühe machen, 10 % der

Einwohner für einen Bürgerantrag zu gewinnen, wenn ich für die Hälfte der Stimmen bereits einen Bürgerentscheid durchsetzen kann?

Die Konsequenz kann natürlich nicht sein, die Quoren für einen Bürgerentscheid anzuheben, sondern Bürgerversammlung oder Bürgeranträge zu erleichtern. Und genau dies tun wir.

Der Gesetzentwurf der GRÜNEN-Fraktion zur Erleichterung kommunaler Bürgerinformations- und Bürgerempfehlungsverfahren denkt dabei die Ansätze der Gemeindeordnung konsequent weiter und baut sie zu einem effektiven Instrumentenkasten in der Hand der Bürgerinnen und Bürger und unabhängig von den Parteien aus. Wir erhoffen uns davon eine Belebung des politischen Prozesses, bessere sachliche Entscheidungen und eine höhere Akzeptanz politischer Entscheidungen.

Die Eckpunkte unseres Gesetzentwurfes für mehr Bürgerbeteiligung sind: Erstens – und jetzt, Frau Roth, weil Sie die ganze Zeit so lachen, Sie glauben, Sie haben das alles schon selbst eingebracht, kommen die Unterschiede zu Ihren Gesetzentwürfen. Passen Sie auf!

(Zuruf der Abg. Andrea Roth, Linksfraktion)

Wir zwingen den Gemeinden unsere Vorstellungen einer gerechten und wirksamen Bürgerbeteiligung nicht auf, sondern ermächtigen sie lediglich, dazu bestimmte Verfahren einzuführen.

(Andrea Roth, Linksfraktion: Wir zwingen auch niemandem unsere Meinung auf!)

Der Gesetzentwurf stellt ein auf konkrete Ausfüllung durch die Gemeinden auszufüllendes Rahmenrecht bereit und sichert für diesen Fall die Verfahrensrechte der Bürgerinnen und Bürger.

Zweitens – hören Sie doch weiter zu! Bürgerbeteiligung in ihren Formen der Information der Bürger und der Abgabe von Empfehlungen der Bürger muss politisch etwas bewegen können, sonst stehen Aufwand und Nutzen in keinem Verhältnis. Daher führen wir nach Einleitung eines Bürgerbeteiligungsverfahrens eine viermonatige Entscheidungssperre ein. Solange das Bürgerbeteiligungsverfahren nicht abgeschlossen ist, kann der Gemeinderat oder der Bürgermeister keine Entscheidung in der Sache treffen. Allerdings: In unaufschiebbaren Fällen kann der Gemeinderat, aber dann nur mit der Mehrheit seiner Mitglieder, entscheiden. Eine Bürgerempfehlung ist zwingend im Gemeinderat zu entscheiden; ihre Vertreter haben im Gemeinderat Rederecht. Die Bürger haben auch einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf Beachtung dieser ihrer Verfahrensrechte.

Drittens. Ein förmliches Bürgerbeteiligungsverfahren mit Entscheidungssperre setzt den Nachweis eines echten bürgerschaftlichen Interesses voraus. Dieses Interesse ist wie beim Bürgerentscheid durch Unterschriften nachzuweisen. Beteiligungsverfahren sollen auch in Ortsteilen zulässig sein. Die Anzahl der erforderlichen Unterschriften ist nach den Kriterien der realistischen Sammelbarkeit

und dem Aufwand für die Gemeinde gestaffelt. Unser Gesetzentwurf macht hierzu detaillierte Vorschläge.

Damit, Frau Roth, unterscheiden wir uns bewusst von den Vorschlägen der Linksfraktion, die stets feste Formen der Bürgerbeteiligung für bestimmte, definierte Angelegenheiten vorschlägt. Dieses Modell ist nach unserer Ansicht zu bürokratisch und zu unflexibel, weil es nie alle Angelegenheiten erfassen kann, bei denen im konkreten Einzelfall eine Bürgerbeteiligung wünschenswert erscheint.

(Zuruf der Abg. Andrea Roth, Linksfraktion)

Andererseits müssen nach diesem Modell auch Verfahren mit hohem Aufwand durchgeführt werden, für die eigentlich kein echtes Interesse in der Bürgerschaft besteht. Bürgerbeteiligung kann so als bürokratisches Monster denunziert werden, aber gerade das wollen wir nicht.

Viertens. Bürgerinformationsverfahren sind auf die zuverlässige und Laien verständliche Information über bestimmte konkrete Sachverhalte gerichtet, die in irgendeiner Form in der Entscheidungskompetenz der Gemeinde stehen. Fachplanungen sind für Laien nicht verständlich, Einsichtsrechte sind spärlich und führen aufgrund des Fachchinesisch nicht zur Befriedigung des Informationsbedürfnisses der Bürger. Wir wollen, dass die Bürger ihre Informationen in allgemein verständlicher Form durchsetzen können.

Fünftens. Bürgerempfehlungsverfahren sind auf die Abgabe einer Bürgerempfehlung an das zuständige Entscheidungsorgan – entweder den Gemeinderat oder den Bürgermeister – gerichtet. Das Ganze gilt natürlich auch für die Kreisebene. Bürgerempfehlungen können entweder in Bürgerversammlungen oder Bürgerwerkstätten oder Planungszellen abgegeben werden. Auch die Empfehlungen eines Mediators nach einem Mediati

onsprozess gehören hierher. Schließlich können Bürgerempfehlungen in Haushaltsfragen auch nach einem Bürgerhaushaltsverfahren abgegeben werden. Auch diese Empfehlungen sind zwingend im Gemeinderat zu behandeln.

Sechstens. Nicht nur die Bürgerinnen und Bürger sind durch Unterschriftensammlung zur Einleitung eines Bürgerbeteiligungsverfahrens berechtigt, sondern auch die gewählten Organe Bürgermeister und Gemeinderat. Ich kann mir schon vorstellen, dass es für einen Bürgermeister oder Gemeinderat von Interesse sein kann, die Meinung und die Stimmung der Bürger zu einem bestimmten Projekt in einem geordneten und zeitlich überschaubaren Verfahren mit Bündelungsfunktion zu erkunden.

Meine Damen und Herren! Ich bitte um eine offene und nicht von den üblichen Scheuklappen gekennzeichnete und getrübte Debatte in den Ausschüssen. Außerdem bitte ich um die Überweisung an den Innenausschuss und an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Meine Damen und Herren! Es ist soeben angekündigt worden: eine Überweisung an den Innenausschuss – ich möchte noch hinzufügen federführend – und an den Verfassungs-, Rechts- und Europausschuss. Wer die Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen oder Stimmenthaltungen? – Damit ist die Überweisung beschlossen.

Wir schließen den Tagesordnungspunkt. Es folgt

Tagesordnungspunkt 7

Leipzig im Fadenkreuz ausländischer Bandenkriminalität

Drucksache 4/12275, Große Anfrage der Fraktion der NPD, und die Antwort der Staatsregierung

Es spricht zuerst die einreichende Fraktion, die NPD. Danach folgen CDU, Linksfraktion, SPD, FDP, GRÜNE, die Sächsische Ausländerbeauftragte und die Staatsregierung, wenn sie das Wort wünscht.

Ich erteile jetzt der NPD-Fraktion das Wort; Herr Abg. Apfel, bitte.