Protokoll der Sitzung vom 12.03.2009

Ich spreche nicht vom Vergessen oder Verdrängen als Mittel der Geschichtsbewältigung, sondern von der verkrampften Heldenpose, die hier von einigen Blockflöten eingenommen wird. Aber von Ihnen erwartet sowieso keiner mehr, dass Sie die Probleme von heute lösen, wenn sie mit der eigenen Vergangenheit Probleme haben.

In diesem Sinne wünschen wir der Arbeit des Landesbeauftragten den Mut zum historischen, aktuellen Vergleich und viel Erfolg bei seiner wichtigen Aufgabe.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Die FDP-Fraktion; Herr Dr. Martens, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Jahresbericht und die Tätigkeit des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR sind jedes Jahr wieder Anlass für umfangreiche Diskussionen über die Vergangenheitsbewältigung und den Umgang mit der Geschichte der DDR an und für sich und der Rolle des MfS.

Wir haben gerade wieder erlebt, wie umfangreich die Diskussion ist, wie diejenigen, die die DDR erlebt haben, um die Bewertung des Erlebten ringen. Gleichzeitig müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es Jahrgänge gibt, inzwischen viele, die keine bewusste eigene Erinnerung an die DDR haben. Das ist inzwischen fast ein Viertel der Bevölkerung in diesem Freistaat, meine Damen und Herren. Hier wie im anderen Fall stellen wir wieder fest, dass die Aufklärung über das, was die DDR und was das MfS in der DDR waren, weiter bitter notwendig ist. In diesem Zusammenhang vorweg auch für die FDP im Sächsischen Landtag unser herzlicher Dank für die Arbeit des Sächsischen Landesbeauftragten für die Unterlagen des MfS.

(Beifall bei der FDP)

Aufklärung, meine Damen und Herren, ist leider bitter notwendig. In einer Studie „DDR-Geschichte im Unterricht“ von Ulrich Arnswald wurden 2005 5 600 Schüler aus ganz Deutschland zu ihren Kenntnissen über die DDR befragt. 8,4 % der Schüler waren der Meinung, Walter Ulbricht war der zweite Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und mit ihm sei das Wirtschaftswunder verbunden. 5 % der Befragten hielten Ludwig Erhard dagegen für den langjährigen Generalsekretär des ZK der SED. Wieder ein erheblicher Anteil von Schülern war der Auffassung, dass die Westalliierten in Berlin 1945 die Mauer gebaut hätten und dass die DDR keine Diktatur war. Solche Antworten erhielten übrigens Forscher der Freien Universität Berlin bei einer Studie 2007. Das ist erschütternd.

Meine Damen und Herren! Das zeigt, wie bitter notwendig es ist, die Jugend über die DDR und die Wirkungen und Folgen der SED-Diktatur zu informieren

(Beifall bei der FDP, der CDU und der SPD)

und auch über die Rolle der Staatssicherheit in dieser Diktatur, eine tragende Rolle, und vor allem auch aufzuklären über die bis heute andauernden Folgen dieser Tätigkeit sowohl in der Gesellschaft insgesamt wie auch

für einzelne Biografien. Es ist immer wieder erschütternd, wenn man hört, wie das bis heute noch nachwirkt.

Die Aufklärung ist notwendig; denn im Schatten von Unwissenheit ist es leicht wieder möglich, über Land zu ziehen und zu verharmlosen oder gar zu leugnen, um Menschen anschließend zu verführen und ihnen zu erklären, dass das alles gar nicht so schlimm war.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Am Ende steht dann vielleicht die Formulierung, es gebe Wichtigeres als Freiheit oder ein gewisses Maß an Unsicherheit. Nein, es ist notwendig, dass weiterhin daran gearbeitet wird, das Bewusstsein für die Wirkungsorganismen der Diktatur und für das in der DDR begangene Unrecht wachzuhalten. Das gelingt vor allem zunehmend über die Fortbildung von Lehrern, denn diese Lehrer transportieren das Wissen weiter auf die nächsten Generationen. Es ist gesagt worden, auf die subjektive Erinnerungskultur in den Familien ist nur begrenzt Verlass.

Da wundert es einen schon, wenn man aus dem Tätigkeitsbericht des Beauftragten zur Kenntnis nimmt, dass Lehrerfortbildungen nur schwach in Anspruch genommen wurden, dass es zum Beispiel Lehrer an Schulen gab, die nicht zur Fortbildung konnten, weil sie die Schule früher hätten verlassen müssen, wofür es aber keine Genehmigung vom Direktor gab. Das ist meines Erachtens nicht hinnehmbar.

Wichtig sind auch Zeitzeugengespräche. Auch hier nehme ich erstaunt zur Kenntnis, dass entsprechende Angebote vonseiten der Schulen nur zögerlich in Anspruch genommen wurden. Meine Damen und Herren von der Koalition, auch hier werden wir uns sicherlich schnell einig. Es reicht nicht allein, die Bildungsarbeit des Landesbeauftragten verstärkt zu unterstützen, sondern es ist auch dafür zu sorgen, dass diese Bildungsarbeit tatsächlich wahrgenommen und aufgenommen wird.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der SPD)

Was die Unterstützung der Tätigkeit des Landesbeauftragten angeht, muss man sich auch dazu bekennen, dass diese Tätigkeit einem Wandel unterliegt, einem fortlaufenden Wandel. Ich habe gesagt, dass ein Viertel der Bevölkerung keinerlei eigene Erkenntnisse aus dem Leben in der DDR hat. Während am Anfang der Tätigkeit die Sichtung des Materials sowie die Auswertung der Unterlagen des MfS standen, kam zunächst die Phase einer Analyse und einer Bewertung der Arbeit des MfS und dann eine Analyse der systemischen Stellung des MfS und seiner Einbindung in das DDR-System und seine Wirkung in diesem System als tragende Stütze der SEDDiktatur. Zugleich bestand die Aufgabe darin, politische Entscheidungen vorzubereiten, wie die Hilfe und Unterstützung der Opfer. Inzwischen hat sich das geändert. Jetzt kommen Aufklärung und Wissensvermittlung in den Vordergrund. Das bedeutet Kampf gegen die Verharmlosung, gegen die Trivialisierung, gegen die Banalisierung des Bösen. Das muss man so sagen.

(Beifall bei der FDP)

Im 20. Jahr des Mauerfalls müssen wir uns auch damit beschäftigen, wie künftig die Arbeit des Landesbeauftragten aussehen und in welchen Organisationsstrukturen sie stattfinden soll. Das heißt, neben der Informationsaufgabe und der weiteren Forschung müssen wir uns – das ist eine Aufgabe für die kommende Legislatur – damit beschäftigen, wie die Arbeit des Landesbeauftragten in ein Netz von Institutionen eingebunden werden kann, sei es der Bundesbeauftragte, das Bundesarchiv, die Staatsarchive, die Arbeit von Opferverbänden oder die Landeszentrale für politische Bildung, das Verhältnis zu Ministerien, zu Stiftungen und anderes. Das ist diffizil; das ist wiederum ein neuer Schritt, der in den nächsten Jahren gegangen werden muss. Auch hier setzen wir darauf, dass dies weiter vom Freistaat unterstützt wird.

In Zukunft tritt zunehmend neben die Aufarbeitung der Vergangenheit in der SED-Diktatur die Auseinandersetzung mit den Bedrohungen der Bürgerrechte durch totalitäre Vorstellungen überhaupt. Das Erste schulden wir den Opfern der Diktatur der SED und des MfS. Das Zweite brauchen wir für unser Gemeinwesen jetzt und für das Wissen unserer Kinder um den Wert von Freiheit und Demokratie.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Die Fraktion GRÜNE; Herr Abg. Weichert, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für die Unterlagen des DDRStaatssicherheitsdienstes ist ein eindrucksvoller Beleg für die Leistungen der sächsischen Stasi-Unterlagen-Behörde. Um es gleich vorwegzusagen: Wir alle sind dem Landesbeauftragten und seinen Mitarbeitern zu großem Dank verpflichtet. Herr Beleites, nehmen Sie das bitte auch an Ihre Mitarbeiter mit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Der Bericht ist aber auch ein Beleg für die Notwendigkeit dieser Arbeit. Die Anzahl der geleisteten Beratungsgespräche mit Bürgern dokumentiert das Bedürfnis vieler Betroffener, sich auch heute noch, 20 Jahre nach der friedlichen Revolution, mit den sie betreffenden Akten der Stasi auseinanderzusetzen.

Meine Damen und Herren! 20 Jahre nach der friedlichen Revolution droht andererseits bei vielen Menschen die Erinnerung an das Repressionssystem der DDR zu verblassen. Der Landesbeauftragte benennt Trivialisierung und Verharmlosung der DDR-Vergangenheit als Problem. Insbesondere fehlt das Wissen um die Unterdrückungsmaschinerie der SED gerade den Generationen, die die DDR nicht mehr bewusst miterlebt haben. Der Bericht verweist ausdrücklich auf Defizite in der schulischen

Bildung, nicht zuletzt in den Schulbüchern. Dies ist ein Befund, der uns in diesem Hause, in dem so oft leidenschaftlich über Schule und Bildung gestritten wird, durchaus zu denken geben sollte, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Die Aussage des Berichtes, dass das Problem nicht Desinteresse, sondern die Vermittlung der DDRGeschichte ist, muss hier noch einmal betont werden.

Meine Damen und Herren! Der Landesbeauftragte bemüht sich im schulischen Bereich um neue, erfolgversprechende Ansätze. Mich beeindruckt die Projektarbeit mit Schülern, durch die es offenbar wieder gelingt, Interesse und Verständnis für die Geschichte der DDR und ihre Repressionsmechanismen zu erreichen. Dazu sollten wir uns, die wir die Zeit miterlebt haben, auch immer und jederzeit als Zeitzeugen zur Verfügung stellen. Bei dieser Arbeit erfordert und ermöglicht vielleicht gerade die zeitliche Distanz neue Ansätze. Um das Verständnis für Unrecht und Unterdrückung in der DDR zu wecken, muss der Blick auf die Normalität – das Alltägliche – in der DDR zugelassen werden.

Meine Damen und Herren! Der Landesbeauftragte stellt sehr klug fest, dass Geschichtsaufarbeitung an die Erinnerung der Mehrheit anknüpfen muss. Die Fokussierung auf die Stasi führt dazu, dass die Stasi gerade von jüngeren Menschen als ein groteskes historisches Detail angesehen wird und das Verständnis dafür fehlt, dass die Unterdrückung der Opposition und die Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien zum Wesen der DDR gehörten.

Meine Damen und Herren, bei dem zeitlichen Abstand, mit dem wir heute auf die DDR blicken – das heißt bei den meisten von uns, auf unser Leben in der DDR –, könnte man meinen, dass das schwierige Verhältnis von Opfern der Bespitzelung und der Repression und denen, die für Bespitzelung und Repression mitverantwortlich waren, allmählich eine gewisse Normalisierung erfahren hat. Ich denke, das muss man bezweifeln. Meines Erachtens ist die plötzlich hochgekochte Debatte um die Vergangenheit der CDU-Blockpartei ein Indiz dafür, wie schwer wir uns immer noch mit Differenzierungen tun. Wenn heute allen Ernstes über Begriffe wie Kollektivschuld diskutiert wird, dann frage ich mich, ob es in 20 Jahren wirklich gelungen ist, eine Geschichtsaufarbeitung ohne Klischees zu ermöglichen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren! Es ist vor diesem Hintergrund eine schmerzhafte Wahrheit, dass es vielen Menschen auch nach 20 Jahren noch schwer fällt, sich mit ihrer persönlichen Geschichte in der DDR auseinanderzusetzen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die im Bericht erwähnte Ausstellung „Christliches Handeln in der DDR“ verweisen, die Aufmerksamkeit erregte, weil ein IM Schubert gegen sie juristisch vorging. In einer damit verbundenen Podiumsdiskussion unter dem Titel „Den Opfern eine Stimme geben“, die am 7. Mai 2008

stattfand, berichteten Teilnehmer, die von IM Schubert bespitzelt worden waren, über ihre Geschichten. Einer sagte im Anschluss: Diese Diskussion hatte für mich etwas Befreiendes.

Meine Damen und Herren, die Debatte machte vor Ort die Schwierigkeiten der Opfer deutlich, zum Gespräch mit denjenigen zu finden, die sie im Auftrag der Stasi bespitzelt haben. Volkmar Zschocke, einer derjenigen, die in Reichenbach auf dem Podium sprachen, wurde in der „Freien Presse“ anschließend zitiert: „Versöhnung oder Entschuldigung ist hier zu hoch gegriffen. Es geht eigentlich nur darum, zu verstehen.“

Diese Stichworte machen deutlich, worum es knapp 20 Jahre nach der friedlichen Revolution immer noch gehen muss: Verstehen und den Opfern eine Stimme geben. Es geht nicht um Beschuldigungen; es geht darum, dass Menschen, die in der DDR Vertrauensbruch und tiefe Verletzungen erfahren mussten, die Möglichkeit gegeben wird, ihre eigene Geschichte aufzuarbeiten. Damit diese Menschen nicht allein gelassen sind, ist es eben notwendig, auch in Zukunft einer breiten Öffentlichkeit das Verständnis der Unterdrückungsstruktur in der DDR zu vermitteln.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und der SPD)

Dieser menschliche Aspekt der Bewältigung von Geschichte unterstreicht die hohe Bedeutung, die die Arbeit des Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen hat. Denn die Hoffnung, dass die unbewältigte Geschichte uns in Ruhe ließe, wenn man auf Aufarbeitung verzichtet, ist eine ganz gefährliche Illusion.

Deshalb Dank für die Arbeit, Dank für den Bericht. Machen Sie weiter so! Auch deshalb stimmen wir dem Antrag zu.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Gibt es vonseiten der Fraktionen noch Redebedarf? – Das ist nicht der Fall. Ich frage die Staatsregierung. Herr Minister Prof. Unland, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich vertrete heute den Justizminister, er ist erkrankt. Wir sollten ihm von dieser Stelle aus herzliche Genesungswünsche übermitteln.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Die Selbstbefreiung der Menschen in der DDR und die deutsche Einheit 1989/90 sind nach 20 Jahren ein wichtiger Anlass, sich die Ursachen dieser historischen Ereignisse zu vergegenwärtigen.

Die Sächsische Staatsregierung begrüßt und unterstützt die Förderung der Aufklärungsarbeit des Landesbeauftragten. Die DDR-Diktatur scheiterte an der Unterdrü

ckung der eigenen Bürger, an Glasnost und Perestroika, aber auch am wirtschaftlichen Verfall und an beträchtlichen Umweltschäden. Der ganz alltägliche, über Jahrzehnte betriebene Terror der Stasi droht jedoch, wie eine Studie des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin ergab – es wurde bereits vorhin daraus zitiert –, in Vergessenheit zu geraten. Dieser Studie zufolge weiß die gesamtdeutsche Bevölkerung heute nur noch wenig über die Entwicklung der DDR. Lediglich Großereignisse, wie beispielsweise der Mauerbau, sind allgemein bekannt. Durch die Aufklärungsarbeit des Landesbeauftragten kann den nachwachsenden Generationen für diesen Teil der deutschen Geschichte ein solider Grundstein historischer Bildung vermittelt werden.