Protokoll der Sitzung vom 13.03.2009

nicht mehr mitgetragen wird“, frage ich mich auch aus sächsischer Sicht, ob sie überhaupt an irgendeiner Stelle zu ehrlichem Mitleid fähig ist und deshalb Versöhnung bewirken kann.

Abschließend noch eine Bemerkung zu den von der NPD, aber leider nicht nur von ihr, behaupteten „polnischen Einmischungsversuchen“: Es war die deutsche Bundesregierung, die das Projekt des Vertriebenenzentrums nicht isoliert durchführen, sondern die Nachbarstaaten, insbesondere Polen, über einen wohlwollenden Dialog – auch über Personalien – einbinden und zumindest zu einer neutralen Haltung veranlassen wollte. Im Rahmen dieses Dialogs hat bisher Polen bereits mehrfach auf Bitten der deutschen Seite eigene Personalentscheidungen in verschiedenen Gremien der deutsch-polnischen Zusammenarbeit korrigiert, und dies auch zu Zeiten der KaczynskiRegierung. Alles hierzulande zu vernehmende Gerede über „polnische Einmischungsversuche“ ist daher eine nicht hinnehmbare Anmaßung.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Für die FDP-Fraktion Herr Zastrow, bitte.

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Ich komme in dieser Debatte natürlich nicht umhin, zunächst einmal festzustellen, dass Sie von der NPD und Ihre Gesinnungsgenossen in der Vergangenheit und in der Gegenwart der Grund allen Übels sind. Es waren Nationalisten und Revanchisten wie Sie, die für die erste Katastrophe der deutschen Geschichte, die für Tod, Leid und Vertreibung nach dem Ersten Weltkrieg verantwortlich waren, und es waren Ihre geistigen Vorfahren, an deren Bildern Sie sich wahrscheinlich heute noch in Ihren Schlafzimmern und Toiletten kräftig ergötzen,

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

die für die größten Verbrechen auf unserem Kontinent im vergangenen Jahrhundert sorgten und mit dem Zweiten Weltkrieg, dem Holocaust, dem Naziterror und Massenmord dafür verantwortlich waren, dass Hitlers Krieg und Hitlers Verbrechen sich am Ende gegen Deutschland selbst richteten.

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Niemand anderes als die Nazis sind schuld an Flucht, Vertreibung und dem Leid, das mehr als zehn Millionen Deutsche nach dem Krieg durch den Verlust ihrer Heimat getroffen hat, und niemand anderes als die Nazis sind schuld daran, dass Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg großartige Kulturlandschaften und Städte, einen maßgeblichen Teil seines Territoriums, gewaltige Werte und Ansehen verloren hat. Deshalb spreche ich Ihnen von der NPD das moralische Recht ab, hier und heute über das Thema Flucht und Vertreibung zu sprechen und zu urteilen. Alle können das, aber niemals Sie!

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion, der SPD, den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Ich weiß, dass die allermeisten Menschen in unserem Land es ekelhaft finden, dass Sie das Leid von Millionen Vertriebenen politisch umdeuten wollen und dass Sie dieses Leid für Ihre niederen politischen Zwecke ausnutzen möchten.

Wir als FDP, ich, der ich selbst aus einer Familie stamme, die 1945 aus Hinterpommern vertrieben worden ist, ich glaube die Vertriebenen insgesamt und ich denke auch Erika Steinbach werden dieses rechte Parasitentum, das Sie hier präsentieren, nicht dulden.

(Beifall bei der FDP, der SPD und der Abg. Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE)

Die Vertreibung von Millionen Deutschen aus Pommern, aus West- und Ostpreußen, aus Schlesien, Böhmen und anderswo schmerzt natürlich immer noch sehr viele in unserem Land, und die Gründe dafür liegen auch in einem doch insgesamt recht verkrampften und oftmals auch ideologisch verbrämten Umgang mit diesem traurigen Kapitel europäischer Geschichte in Deutschland selbst, aber ganz gewiss auch in den Staaten Osteuropas.

Ich erinnere nur daran, dass es zum Beispiel in der DDRZeit kaum Schlesier oder Ostpreußen gegeben hat, sondern dass die Vertriebenen abfällig und auch technokratisch hier oft als „Neubürger“ oder „Umsiedler“ bezeichnet wurden. Deshalb – das ist ganz klar – haben wir etwas nachzuholen, übrigens auch in Sachsen. Ich erinnere gern daran, dass Sachsen selbst nach 1945 Heimat für rund eine Million Flüchtlinge geworden ist, ein Fakt, den die wenigsten Sachsen heute noch kennen.

Wir müssen Flucht und Vertreibung als Teil unserer Geschichte akzeptieren. Beiseiteschieben ist ganz gewiss der falsche Weg. Ich glaube zudem, dass wir keine Angst davor zu haben brauchen, dass uns der eine oder andere – es ist nur eine kleine Minderheit, wie zum Beispiel die Zwillinge Kaczynski – dafür kritisiert. Wir wissen doch nur zu genau, dass auch sie nur ihre egoistischen politischen Geschäftchen damit machen wollen.

Deswegen freue ich mich persönlich sehr, dass es dieses Versöhnungszentrum – so möchte ich es nennen – demnächst in Berlin geben wird. Ich bin mir sicher, dass auch Sachsen Wege finden wird, an diesen Teil der Geschichte in würdiger Weise zu erinnern.

(Beifall bei der FDP)

Überall stelle ich fest, dass junge Leute aus Deutschland auf Spurensuche gehen und schauen, wie ihre Verwandten, ihre Eltern und Großeltern, wie beispielsweise auch mein Vater und meine Großeltern, gelebt haben. Sie gehen auf Spurensuche in Polen und in Tschechien. Sie werden dort zunehmend von jungen Leuten empfangen, die ganz entspannt mit der deutschen Zeit ihrer Heimat umgehen und die deutschen Traditionen und auch die deutsche Kultur immer öfter hervorholen, sie betonen und pflegen. Das ist es, was der Heimat von Immanuel Kant und der

Heimat von Gerhart Hauptmann oder auch der Heimat meiner eigenen Vorfahren gerecht wird, und nicht der Revanchismus, den Sie als NPD in diesem Parlament heute predigen.

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion, der SPD, den GRÜNEN und des Abg. Volker Bandmann, CDU)

Mein Europa ist offen, sehr geehrte Damen und Herren, mein Europa ist tolerant, mein Europa ist gastfreundlich,

(Lachen bei der NPD)

und es ist am Nachbarn interessiert. Mein Europa kennt auch schon seit einer ganzen Weile keine Grenzen mehr. Meine Heimat ist Sachsen, aber zu Hause fühle ich mich inzwischen ganz genauso

(Jürgen Gansel, NPD:... in der ganzen Welt?!)

im heute polnischen Teil von Pommern, den ich sehr gern und häufig besuche. Das ist natürlich nicht – das verstehe ich, da können Sie auch weiter dämlich grinsen – das Europa, in dem Sie leben.

Herr Zastrow, bitte kommen Sie zum Schluss.

Das ist für Sie eine fremde Welt, aber ich will ganz klar sagen: Die Welt der NPD ist vor 64 Jahren untergegangen, und sie wird nie wieder auferstehen, weil alle demokratischen Fraktionen in diesem Parlament genau darauf aufpassen werden, meine Damen und Herren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Für die Fraktion GRÜNE spricht Herr Dr. Gerstenberg; bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist völlig offensichtlich, dass die NPD mit der heutigen Debatte versucht, einen Keil zwischen die demokratischen Fraktionen zu treiben. Das ist ein ganz billiges Manöver, und deshalb sage ich gleich, dass ich nicht glaube, dass Frau Erika Steinbach Wert auf die Solidaritätserklärung dieser Truppe legt.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der Linksfraktion, der SPD und der FDP)

Der NPD geht es ja auch nicht um Solidarität mit Frau Steinbach, sondern darum, einen deutsch-polnischen Gegensatz zu konstruieren, der an der Person von Frau Steinbach symbolisiert wird. Die Hasstiraden des Herrn Apfel haben daran keinerlei Zweifel gelassen. Schon das Wort von der polnischen Einmischung ist bezeichnend. Worin besteht denn diese Einmischung? Es gab in Polen äußerst kritische Meinungsäußerungen zum Vorschlag des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach

in den Stiftungsrat der Stiftung „Flucht – Vertreibung – Versöhnung“ zu entsenden. Das war angesichts der jahrelangen Debatten um das Thema Zentrum der Vertreibung vorhersehbar.

Offenbar will die NPD jetzt unseren polnischen Nachbarn den Mund verbieten, sonst würde sie solche Meinungsäußerungen nicht gleich als Einmischung titulieren. Damit wird auf fatale Weise ein Sprachgebrauch der DDR aufgegriffen, die Kritik von außen auch als Einmischung in die inneren Angelegenheiten bezeichnete. Zum Glück hat die Bundesrepublik Deutschland so etwas nicht nötig, sondern nur diejenigen, die sich gegen den Austausch mit unseren Nachbarländern geistig abschotten wollen.

Wie der Name schon sagt und wie es auch in der Stiftungssatzung festgelegt ist, ist eine der Aufgaben der Stiftung „Flucht – Vertreibung – Versöhnung“ die Erinnerungsarbeit im Geiste der Versöhnung. Dieses Ziel dürfte durchaus nicht den Intentionen der NPD entsprechen. Die NPD spricht nicht im Sinne der Stiftung und ihrer Ziele, sondern sie hofft mit ihrer angeblichen Solidaritätserklärung dem Ziel der Versöhnung entgegenzuwirken.

Die Debatte um Frau Steinbach entzündete sich an der Frage, ob sie die geeignete Person sei, das Anliegen der Versöhnung zu befördern. Wir müssen diese Diskussion hier nicht führen, aber es sollte nachvollziehbar sein, dass viele Menschen in Polen angesichts der Tatsache skeptisch sind, dass Frau Steinbach 1991 im Bundestag gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze gestimmt hat. Das war ein schwerer politischer Fehler, und Frau Steinbach war ja schon damals in ihrer eigenen Partei deutlich in der Minderheit.

Die NPD bezieht sich offenbar nur auf dieses Feld der Biografie Erika Steinbachs; denn sie selbst propagiert die Wiedereroberung der ehemals deutschen Gebiete und verschweigt alle Bemühungen des Bundes der Vertriebenen, sich von revanchistischen Bestrebungen zu distanzieren. Diese selektive Wahrnehmung entspricht dem gestörten Blick der NPD auf die Geschichte, der den Kontext der Vertreibung der Deutschen ausblendet und die Deutschen als Opfer und die Völker, die im Zweiten Weltkrieg von Deutschland überfallen wurden, als Täter wahrnehmen will.

Dieses Geschichtsbild äußert sich auch in den argumentativen Verrenkungen der NPD, mit denen alle Schuld den alliierten Gegnern des Dritten Reiches zugeschoben werden soll. Das Spektakel, an dem sich die NPD alljährlich anlässlich des Jahrestages der Luftangriffe auf Dresden beteiligt, entspricht demselben kranken Geschichtsbild.

(René Despang, NPD: Das ist kein Spektakel!)

Es ist doch bezeichnend, dass die NPD diesen alljährlichen Naziaufmarsch mitbetreibt und dabei eng mit der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland zusammenarbeitet, einer Organisation, die sich umbenennen musste, weil die Landsmannschaft Ostpreußen gerichtlich gegen sie vorgegangen war.

(Jürgen Gansel, NPD: Sie kennen die Interna doch gar nicht!)

Wenn sie auf den Nationalsozialismus und seine Verbrechen angesprochen wird, dann erklärt die NPD dies zum Schnee von gestern, mit dem man als zukunftsorientierte Partei angeblich nichts zu tun habe. Nachdem man aber den Nationalsozialismus zur historischen Petitesse erklärt hat, werden die Vertreibungen und Bombardierungen, von denen Deutsche betroffen waren, zu den einzigen und eigentlichen Menschheitsverbrechen aufgebläht. Diese Position wird dann mit dem Hinweis verbunden, dass angeblich dieselben Kräfte heute noch ihre finsteren Machenschaften gegen Deutschland betreiben. Das ist nichts Neues, sondern das ist uraltes rechtsextremes Denken. Das Märchen von der feindlichen Umzingelung und der Bedrohung des deutschen Volkes ist ein klassischer Bestandteil des rechtsextremen Weltbildes, und dies war es übrigens schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg. Die letzte Konsequenz solchen gestörten Denkens, das aus Nachbarn Feinde macht, ist Krieg.

Meine Damen und Herren! Die NPD fordert im Titel dieser Aktuellen Debatte ein Vertreibungsdenkmal in Görlitz. Ich werte das als krampfhaften Versuch, einen Besuch zur Landespolitik herzustellen, der laut unserer Geschäftsordnung bei einer Aktuellen Debatte ja gegeben sein muss. Deshalb ist diese Debatte nicht der Anlass, über die Möglichkeiten, einen Gedenkort in Görlitz zu schaffen, zu diskutieren. Diese Idee hat Befürworter in den demokratischen Parteien. Es gibt gute Argumente dafür, gerade weil Vertreibung hier im Kontext darstellbar wäre und weil damit an beide Seiten der Vertreibung – die von Deutschen und von Polen – erinnert werden kann, gerade da in vielen Familien in Görlitz und in Zgorzelec die Erfahrung der Vertreibung zur jeweils eigenen Geschichte gehört. Ein Gedenkort in Görlitz ist denkbar. Damit hat aber das Vertreibungsdenkmal der NPD, das eine reine Provokation wäre, nichts zu tun. Diese Provokation in Stein wird es nicht geben.

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Es wird bei der verbalen Provokation hier in diesem Hause bleiben, und die ist schon abstoßend genug.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion, der SPD und des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)

Die NPD-Fraktion hat noch einmal das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Debatte wirft einmal mehr ein Schlaglicht auf die einseitige Erinnerungsbereitschaft der herrschenden Klasse und ihre bis zur Selbstverleugnung gehende nationale Verklemmtheit.

(Empörung der Abg. Dr. André Hahn und Caren Lay, Linksfraktion)