Wir schlagen daher einen Entscheidungsaufschub von vier Monaten vor. Genau deswegen, weil wir diesen Entscheidungsaufschub vorschlagen – Kollege Friedrich hat zu Recht dargestellt, worum es hier geht –, brauchen wir den Nachweis durch ein Verfahren wie etwa beim Bürgerbegehren zur Sammlung von Unterschriften.
Dem wird natürlich polemisch – wie üblich – die drohende Lähmung der Gemeindetätigkeit entgegengehalten. Der Innenminister ließ es sich gerade nicht nehmen, diese
Geflissentlich wird dabei übersehen, Herr Staatsminister, dass unser Gesetzentwurf dafür eine Regelung bereithält, die eine Lähmung verhindert. Ich habe darauf in der Einbringung hingewiesen. Ich habe darauf auch im Ausschuss mehrfach hingewiesen. Leider haben die CDU und die Staatsregierung dazu eine Auseinandersetzung verweigert. Aber wir wollen Transparenz, wenn eine unaufschiebbare Entscheidung vom Gemeinderat in dringenden Fällen zu treffen ist.
Wir wollen den Gemeinden die Möglichkeit eröffnen, Bürgerempfehlungsverfahren einzuführen mit dem Ziel, eine Behandlung im Gemeinderat zu erreichen. Wohl gemerkt, Herr Staatsminister, wir wollen nicht die Entscheidungszuständigkeit des Bürgermeisters oder des Gemeinderates aushebeln; denn dies wäre mit der Gemeindeordnung nicht vereinbar. Das habe ich immer betont; das habe ich immer begründet. So steht es in unserem Gesetzentwurf. Es wäre aus meiner Sicht ein Gebot der Fairness, wenn Sie nicht laufend in der Öffentlichkeit etwas anderes behaupten würden.
Nun wird so getan, als ob wir bewährte Verfahren der Bürgerbeteiligung wie die Einwohnerversammlung oder Einwohneranträge, wie sie jetzt in der Gemeindeordnung/ Landkreisordnung stehen, aushebeln würden. Dem ist natürlich wieder nicht so. Leider wollen unsere Kritiker nicht zur Kenntnis nehmen, dass das bisherige Recht, das hier immer für ausreichend erklärt wird, sogenanntes totes Recht ist, wie der Jurist sagt, also nur in der Gemeindeordnung steht, aber in der Wirklichkeit nicht stattfindet. Ich empfehle Ihnen, die Antworten auf meine Kleinen Anfragen diesbezüglich zu lesen. Diese Sachen Einwohnerantrag, Einwohnerversammlung finden in Sachsen nicht statt!
Noch zu zwei weiteren vorgeblichen Gegenargumenten. Herr Bandmann ließ es sich im Ausschuss nicht nehmen, auf einen angeblich fehlenden Mehrbelastungsausgleich hinzuweisen; das übliche Totschlagargument. Nun besteht aber gar nicht die Notwendigkeit eines Mehrbelastungsausgleichs, weil die Kommunen keineswegs – wie immer
wieder fälschlicherweise behauptet wird – mit neuen Aufgaben beauftragt werden. Es steht nämlich allein in der Entscheidungshoheit des Landkreises oder der Gemeinde, ob sie die Bürgerbeteiligungsverfahren einführen will oder nicht. Von daher ist es keineswegs so, dass wir den Gemeinden neue Aufgaben, die kostenträchtig sind, übertragen.
Die Staatsregierung beklagt laut Ausschussprotokoll eine Vermischung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Demokratie. Das fand ich nun sehr spannend.
Denn das lässt natürlich sehr tief blicken. Es ist nicht nachvollziehbar, zeigt aber, wie fremd der Staatsregierung der Gedanke und die Formen der partizipativen Demokratie sind. Und, meine Damen und Herren, so verhält sie sich auch. Entsprechend war der Redebeitrag des Staatsministers soeben. Ich ahne mal, so wird er gleich wieder sein.
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, werden heute diesen Gesetzentwurf ablehnen. Ich bedaure dies sehr. Ich bin mir aber sicher, dass sich die Gedanken dieses Gesetzentwurfs durchsetzen werden. Denn wir brauchen für die Bewältigung der Demokratiekrise nicht weniger, sondern mehr Demokratie. Ich erinnere mich daran: Vor 30 oder 40 Jahren war das auch mal die Meinung eines berühmten Sozialdemokraten.
Die CDU hat keinen Redner, deshalb habe ich die Koalition aufgerufen. Aber Herr Bräunig ist der Meinung, dass er nach der Linksfraktion sprechen möchte. Dann bitte. – Kommen Sie nur nach vorn, dann sind Sie jetzt an der Reihe.
Endzeitstimmung für die Koalition. Sie können sich nicht auf einen Redner einigen, okay. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es liegt ein weiterer interessanter, aber dieses Mal nicht ganz so ausgegorener Gesetzentwurf der GRÜNEN vor mit einem etwas sperrigen Titel.
Gemeindebürgerinnen und -bürger sollen ermuntert werden, die verschiedenen Instrumentarien der sogenannten partizipativen oder auch kooperativen Demokratie verstärkt zu nutzen; also etwa Bürgerempfehlungsverfahren, Bürgerwerkstätten bis hin zur Krönung eben mit Bürgerhaushaltsverfahren. Sie sollen das besser nutzen
Genau diesem politischen Ziel kann sich DIE LINKE auch anschließen. Um es konkret zu machen: Sieht man etwa in die Stadt Chemnitz, haben wir sehr aktiv die dortigen Bemühungen zur Aufstellung eines Bürgerhaushaltes unterstützt; in Chemnitz selbst, aber auch in anderen Gemeinden.
Die kommunalen Spitzenverbände, allen voran der Sächsische Städte- und Gemeindetag, argumentieren nun etwas unlogisch. Eine solche Verbesserung der Gesetzeslage sei ganz und gar unnötig, weil bisher niemand diese Verfahren vermisst habe. Sie würden völlig unnötigerweise die kommunalen Entscheidungen verzögern – was wir ja bei jeder Gesetzesinitiative hören, auch wenn wir eine einbringen. Im Übrigen bestünde die Gefahr, dass nun Minderheiten die Mehrheit dominieren oder gar blockieren könnten.
Ich denke, eine solche Argumentationslinie geht schon aus Gründen der schlichten Logik fehl. Wer so argumentiert, möchte doch im Grunde nur, dass die Einwohner nicht die Kreise der Verwaltung stören, weil ja die Verwaltung per se immer und jederzeit alles richtig macht. Dass dem nicht so ist, werden wir im nächsten Tagesordnungspunkt hören.
Wer so argumentiert, vergisst, dass die Verwaltung für die Einwohner da ist und nicht umgekehrt. Wir sehen sehr wohl – und das haben auch verschiedene Sachverständige in der Anhörung sehr deutlich gesagt; Dr. Herrmann und andere –, dass breite Bevölkerungskreise ganz enorme Probleme mit der Akzeptanz wichtiger kommunalpolitischer Entscheidungen haben, und nicht nur mit der Akzeptanz, sondern auch mit der Qualität dieser Entscheidungen.
Die von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorgeschlagenen Verfahren können dazu beitragen, sowohl die Akzeptanz von kommunalpolitischen Entscheidungen als auch deren Qualität zu verbessern. Entscheiden muss natürlich der Rat.
Wir unterstützen, kurz gesagt, alles, um die bestehenden Hürden, solche Verfahren einzuführen, abzubauen. Ich darf bei dieser Gelegenheit – das gehört sich einfach – auch auf unseren zugehörigen Gesetzentwurf verweisen, den wir im Jahr 2006 eingebracht haben. Das war die Drucksache 4/7177, ein Gesetzentwurf zur Förderung der unmittelbaren bürgerschaftlichen Selbstverwaltung in den sächsischen Kommunen. Auch dazu hat es eine sehr interessante Anhörung gegeben.
Zur Praktikabilität des Gesetzentwurfs der GRÜNEN muss man allerdings ein paar kritische Worte sagen, wenn man die Sachverständigen in der Anhörung ernst nimmt. Ich will hier nicht kleinlich kritisieren, aber, Kollege Lichdi, ich hätte eigentlich erwartet, dass Sie schon zwei, drei Änderungsanträge schreiben, wenn so massive Kritik kommt. Denn die Sachverständigen haben ja nicht aus purer Bosheit gegen Ihren Gesetzentwurf gesprochen,
Erstens. Die GRÜNEN sprechen fortwährend von Bürgerinnen und Bürgern sowie von den wahlberechtigten EUBürgern; so weit, so unzureichend. Warum vergessen Sie einfach 16- und 17-jährige Gemeindebürgerinnen und -bürger?
Kurz und gut: Sie sind für das Wahlrecht mit 16, wir auch. Ich denke, es steht nichts dagegen, dass die 16- und 17-Jährigen an einem Bürgerbeteiligungsverfahren, -empfehlungsverfahren usw. teilnehmen.
Zweitens. Wahrscheinlich ungewollt haben Sie den bisherigen § 22 zur Einwohnerversammlung zumindest verschlechtert. Es soll nämlich nicht mehr Einwohnerversammlungen geben, sondern nur noch Bürgerversammlungen. Ehe es die geben kann, bedarf es einer Satzung. Das ist aus meiner Sicht hochgradig problematisch, unpraktisch. Wenn Sie einen beteiligungsunwilligen Rat haben – so etwas soll es ja auch geben –, dann wird eben schlicht weder eine Einwohnerversammlung noch eine Bürgerversammlung stattfinden. Das gehört gestrichen.
Drittens. Ausdrücklich für jede Beteiligungsangelegenheit – ich erwähnte es bereits – muss der Gemeinderat eigens eine Satzung beschließen. Das ist in der Logik Ihres Gesetzentwurfes natürlich richtig, aber unpraktisch, und ich kann nur noch einmal betonen: Wenn Sie einen hartleibigen bzw. hartnäckigen Rat haben, der Beteiligung nicht will – aus welchen Gründen auch immer –, dann wird gar nichts stattfinden, während jetzt wenigstens – zum Beispiel über § 23 – ein Einwohnerantrag möglich ist. Aber diesen haben Sie unverständlicherweise auch herausgestrichen, vielleicht, ohne es wirklich zu wollen.
Kurz und gut: Das sind zu viele Kritikpunkte, um zustimmen zu können. Das Anliegen ist gut, aber technisch schlecht gemacht. Wir werden uns deshalb nur enthalten können.
Ich hatte die Geschäftsordnung im Blick, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bürgerbeteiligung ist ein wichtiger Bestandteil direkter Demokratie, und Bürger sollen und müssen auch die Möglichkeit haben, an den sie betreffenden politischen Entscheidungsprozessen teilzuhaben; denn das Vertrauen und das Bekenntnis zur demokratischen Grundordnung werden entscheidend von der Frage beeinflusst, wie Bürger am Prinzip Demokratie teilhaben können und ob sie sich hierbei ernst genommen fühlen.
Nun schreibt sich der vorliegende Gesetzentwurf auf die Fahnen, ebendiese wichtige Bürgerbeteiligung zu fördern. Sie soll gestärkt und die Qualität kommunaler Entschei
dungen verbessert werden. Nun haben meine Vorredner bereits zu Recht darauf hingewiesen, dass sich bei näherer Betrachtung des Gesetzentwurfes die begründete Frage stellt, ob er dafür überhaupt geeignet ist; und unsere Bedenken – es waren nicht nur unsere Bedenken – wurden durch die im Innenausschuss durchgeführte Anhörung eher bestärkt als ausgeräumt. Auf einige Punkte ist bereits eingegangen worden. Nach der geltenden Rechtslage gibt es eine Pflicht zur Einberufung einer Einwohnerversammlung. Diese soll durch eine Kannbestimmung ersetzt werden, die letztlich in der Praxis wahrscheinlich zum Papiertiger verkommt. Hier besteht ein offensichtlicher Widerspruch zwischen Rechtsanspruch und Entscheidungshoheit der Gemeinde, und dies ist ein wesentlicher Schwachpunkt dieses Entwurfes.
Was gegen eine wirkliche Stärkung der Beteiligungsrechte spricht, ist die Tatsache, dass der Gesetzentwurf die vorgesehenen Beteiligungsverfahren ausschließlich auf Bürger im Sinne der Gemeindeordnung beschränkt; denn jeder weiß: Bürger ist eben nur derjenige, der Deutscher im Sinne des Grundgesetzes ist und seit mindestens drei Monaten seinen Hauptwohnsitz in der Gemeinde hat, während Einwohner nach § 10 der Gemeindeordnung jeder ist, der in der Gemeinde wohnt.
Ebenfalls nicht nachvollziehbar – das ist ein weiterer Widerspruch – ist, warum der Gesetzentwurf bei der Festlegung der notwendigen Quoren von der bisher bewährten Prozentangabe abweicht und konkrete Zahlen festlegt. Wir alle wissen: Die prozentuale Regelung hat den Vorteil, dass sie sich eben an den tatsächlichen Gegebenheiten der jeweiligen Gemeinde vor Ort orientiert und so Ausschläge nach oben wie nach unten verhindert. Der Gefahr, dass durch immer wieder angestrengte Bürgerbeteiligungsverfahren eine dauerhafte Blockade kommunaler Entscheidungen ermöglicht würde, wird im Gesetzentwurf nicht ausreichend begegnet.
In der Gesamtschau kann man sagen: Der Gesetzentwurf wird nicht zu einer stärkeren Beteiligung der Bürger führen. Es ist eher zu befürchten, dass weitere Hindernisse bei der Beteiligung geschaffen und kommunale Entscheidungsprozesse dauerhaft gelähmt werden. Deshalb werden die Koalitionsfraktionen diesem Gesetzentwurf ihre Zustimmung nicht geben. Wir werden ihn ablehnen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch hierzu kann ich es wieder kurz machen. Der Gesetzentwurf soll also die direkte Bürgerbeteiligung, die direkte Demokratie stärken. Wir unterstützen dies und werden dementsprechend zustimmen.