Protokoll der Sitzung vom 13.05.2009

Denn unabhängig von unserem Gesetzgebungsverfahren existiert ein für alle Mitgliedsstaaten verbindlicher Umsetzungsplan, der für 2010 bereits die Bereitstellung erster Geodaten vorsieht. Die bis dahin zur Verfügung stehende Zeit ist in Anbetracht der anstehenden Aufgaben sehr kurz. Bis 2010 müssen die Verantwortlichkeiten im Freistaat Sachsen geklärt sowie die erforderlichen technischen und technologischen Strukturen aufgebaut sein.

Ich bitte Sie daher sehr, im Interesse Sachsens den Gesetzgebungsprozess mit der gebotenen größtmöglichen Beschleunigung voranzutreiben und abzuschließen. Bitte bedenken Sie: Eine funktionierende Geodateninfrastruktur Sachsen erfüllt nicht nur die Verpflichtung zur Umsetzung einer europäischen Richtlinie.

Der vorliegende Gesetzentwurf leistet auch einen wesentlichen Beitrag zur Modernisierung des Verwaltungshandelns und zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Sachsen. Geodaten sind vor allem auch ein bedeutendes Wirtschaftsgut. Das Vorhandensein sowie der unkomplizierte Zugang zu den Geodaten und deren einfache Nutzung werden in Zukunft ein wesentlicher wirtschaftspolitischer Faktor im europäischen Ringen um Investitionsstandorte sein.

Im bundesweiten Vergleich beim Aufbau einer Geodatenbankinfrastruktur steht der Freistaat Sachsen bisher ausgezeichnet da und befindet sich im vorderen Bereich. Mit einem schnellen Inkrafttreten des vorliegenden Gesetzes und der Schaffung verbindlicher Rechtsgrundlagen können wir diese Position ausbauen. Bitte unterstützen Sie unser Land auf diesem Weg.

Meine Damen und Herren! Der

Tagesordnungspunkt 24

1. Lesung des Entwurfs Gesetz zur Ausformung und Stärkung des Sozialstaatsprinzips in der Sächsischen Verfassung

Drucksache 4/15466, Gesetzentwurf der Linksfraktion

ist aufgerufen. Es liegt wiederum keine Empfehlung des Präsidiums zu einer allgemeinen Aussprache vor. Es spricht daher nur die Linksfraktion als einreichende Fraktion. Herr Abg. Bartl, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Fraktionsvorsitzender hat mir zugerufen, ich wäre halb zwölf dran gewesen und hätte jetzt noch drei Stunden. Ich werde sie nicht ausnutzen; damit meine ich die drei Stunden.

(Oh-Rufe von der SPD)

Mithin zu erträglich später Stunde liegt Ihnen heute, sehr geehrte Damen und Herren Kollegen, ein Gesetzentwurf vor, der nach unserer Überzeugung eine höchst prinzipielle Regelungsmaterie in der Reichweite von Verfassung und Staatsgrundsätzen beinhaltet. Artikel 1 der Sächsischen Verfassung charakterisiert den Freistaat Sachsen als ein Land der Bundesrepublik Deutschland, als einen demokratischen, dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Kultur verpflichteten sozialen Rechtsstaat.

(Martin Dulig, SPD: Richtig!)

Das Sozialstaatspostulat gehört mithin zu den sogenannten Staatsstrukturprinzipien, zu den normativen Grundentscheidungen unserer Verfassung und ist als solches – wie etwa auch das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip – jeder Verfassungsänderung entzogen.

Allerdings hat der Sozialstaat, anders als die anderen Staatsstrukturprinzipien in der Verfassung des Freistaates Sachsen, wie im Übrigen auch im Grundgesetz, kaum eine entsprechende Ausformung und Konkretisierung erfahren. Die Sächsische Verfassung unternimmt allerdings in den Artikeln 7 bis 13 – das ist ein durchaus wohltuender Unterschied zum Grundgesetz – zumindest den Versuch, als Ausfluss der Verfassungsdiskussion um die Verankerung einklagbarer sozialer, kultureller und ökologischer Rechte in die Verfassung das Sozialstaats- und Kulturstaatsprinzip sowie das Postulat des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen in den Staatszielbestimmungen aufzufangen, auf die hinzuwirken das Land nach Artikel 13 verpflichtet ist. Der Lebensgehalt des Sozialstaatsprinzips in der Sächsischen Verfassung bleibt damit deutlich hinter dem zurück, was das Bundesverfas

sungsgericht in seiner über 50-jährigen Rechtsprechung dieses Staatskulturprinzips herausgearbeitet hat.

Bereits am 17. August 1956 formulierten die Richter des Bundesverfassungsgerichtes eine erste durchaus großzügige Interpretation des schmalen sozialen Verfassungsprinzips, das das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland enthält.

„Die vereinte Demokratie ist von der Auffassung durchdrungen, dass es gelingen könne, Freiheit und Gleichheit der Bürger trotz der nicht zu übersehenden Spannungen zwischen diesen beiden Werten allmählich zu immer größerer Wirksamkeit zu entfalten und bis zum überhaupt erreichbaren Optimum zu steigern.“

Das ist ein Satz, der ohne Weiteres aus dem Bundestagswahlprogramm der Linken für 2009 stammen könnte, der durchaus auch dort eingeführt werden könnte. Damit hätten wir überhaupt keine Probleme.

Das ist aber auch ein Satz, dessen Hintergrund noch bemerkenswerter ist als sein Inhalt. Der Satz stammt nämlich nicht, wie man annehmen könnte, aus einer der vielen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes zum Umfang der bundesdeutschen Sozialstaatlichkeit. Diese Passage entstammt vielmehr der Begründung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes, mit dem es die Kommunistische Partei Deutschlands verboten hat. Mit diesem Postulat bedeutet das höchste Gericht der Bundesrepublik Deutschland der Gesellschaft, dass es unnötig sei, für das Ziel sozialer Gleichstellung den demokratischen Staat zu stürzen. In einem reichen Land sei das Optimum zwischen Gleichheit und Freiheit schließlich viel mehr als ein Almosen und der Reichtum sei auch immer Allgemeingut, so das Bundesverfassungsgericht zur Begründung des KPD-Verbots.

Es war dies ein Leitgedanke, der lange Zeit in der Bundesrepublik Deutschland Früchte trug, der dazu führte, dass die Renten auf ein ordentliches Maß stiegen, sich die Krankenversorgung stets verbesserte. Er bewirkte, dass sich Unterstützungsleistungen für Arbeitslose und Berufsunfähige in Jahrzehnten im Westen der Bundesrepublik Deutschland günstig gestalteten und der Gegensatz zwischen Arm und Reich in den ersten 40 bis 50 Jahren der Bundesrepublik Deutschland bei Weitem nicht so deutlich auseinanderklaffte, wie dies jetzt bereits in der Tendenz vor allem der letzten zehn Jahre der Fall ist.

Der Umstand, dass spätestens mit dem Agenda-2010Prozess die Axt an die Standards des sozialen Ausgleichs gelegt wurde, verdeutlicht aber auch, dass es zu den Lebenslügen der westdeutschen Gesellschaft gehört, dass es eine irrige Vorstellung war, dass man sich diese soziale Entwicklung nur selbst zu verdanken hatte. In Wahrheit war das Ringen um mehr Gleichheit in der Freiheit auch der Systemauseinandersetzung, also der Auseinandersetzung mit dem damaligen System der sozialistischen Länder und mit der DDR im Besonderen, geschuldet. So ist, seitdem die damalige DDR der Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist und die ersten Jahre der Euphorie verklungen waren, deutlich zu verspüren, dass diese neue, geeinte Bundesrepublik mitnichten strukturell auf einer Wechselwirkung aus Wirtschafts- und Sozialpolitik beruht, sondern dass diese Einheit energisch bewahrt bzw. von der nicht besitzenden Mehrheit der Gesellschaft immer wieder angemahnt und errungen werden muss.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Es ist deshalb gerade kein Anachronismus, wenn wir den Gesetzentwurf zur Ausformung und Stärkung des Sozialstaatsprinzips in der Sächsischen Verfassung zu einem Zeitpunkt einbringen, da allenthalben davon die Rede ist, dass sich das Land in einer Krise befindet, die global angelegt ist.

(Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Kollege Brangs, wenn Sie Fragen haben, stehe ich Ihnen gern zur Verfügung.

(Stefan Brangs, SPD: Ich freue mich auf die Debatte!)

Jedenfalls ist der Höhepunkt der Krise bzw. ihrer Auswirkungen noch nicht erreicht. Darin sind wir uns einig. Ich darf nur auf die aktuelle Verlautbarung über die jüngsten Steuerschätzungen, die bevorstehen, verweisen und auf die vielfach gefallenen Sätze, dass angesichts der absehbaren Ausgleichssumme der Gürtel allenthalben enger geschnallt werden muss.

Wir haben die dringende Sorge, dass als vermeintlicher Ausweg aus der Krise jenseits von Wahlen und Wahlversprechen in neuer Dimension Hand an substanzielle Besitzstände des Sozialstaates gelegt werden könnte. Die Wortführer der Neoliberalen werden uns dann in neuen Farben ausmalen wollen, dass sich die Bundesrepublik Deutschland den Sozialstaat, wie es so schön heißt, zumindest so nicht mehr leisten kann. Indiziert ist dies jetzt schon durch die Tatsache, dass eben aufgrund der Krise Hunderte von Milliarden Euro Banken, Not leidenden Autoproduzenten und anderen Konzernen zugeschoben werden, nicht aber als Schutzschirm vor der Finanzkrise den einfachen Leuten, also jenen, die von einem Arbeitslohn nicht leben können. Zu denken ist an Leiharbeiter, Ein-Euro-Jobber, Kinder armer Leute und an Millionen Menschen, die heute schon keine Arbeit mehr haben und deren Zahl sich nach allen Voraussagen in den nächsten zwei Jahren noch deutlich erhöhen könnte.

Deshalb wollen wir jetzt eine Ausformung und Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips in die Verfassung einbringen. Wir wollen mit unserer Gesetzesvorlage die unzureichende Benennung der komplexen Belange des Sozialstaatsprinzips in der Verfassung überwinden und dadurch eine Barriere gegen die Tendenz setzen, dass sich die Gesetzgebung, die Rechtsprechung und das Verwaltungshandeln zunehmend von wesentlichen Aufgaben des Sozialstaates entfernen, mit der Konsequenz, dass soziale Gerechtigkeit und sozialer Frieden beeinträchtigt und gefährdet werden.

Diesen Zielen dient die Ergänzung des 1. Artikels unserer Verfassung durch einen Abs. 2, der fernerhin feststellen soll: „Als Sozialstaat ist er“, gemeint ist der Freistaat Sachsen, „zur Herstellung und Entfaltung einer gerechten Sozialordnung, insbesondere zum Ausgleich der sozialen Gegensätze und zur Gewährleistung der sozialen Sicherheit, verpflichtet.“

(Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Dass mir ehemalige Gewerkschaftsfunktionäre so zujubeln, hätte ich nicht anders erwartet, Herr Brangs.

(Unruhe)

Ganz wunderbar! Ich werde es überall zu rühmen wissen, dass genau die Gewerkschaften dieser Auffassung sind.

Herr Brangs, im Zusammenhang mit Recht und Gesetz sollten wir uns nicht streiten, was da Schwachsinn ist. Zur Agenda 2010 passt es nicht, da gebe ich Ihnen recht.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Im gleichen Sinne wollen wir die einschlägigen Staatszielbestimmungen im Artikel 7 ergänzen. Wir wollen weitere ergänzende Inhalte im Abs. 3 des Artikels 31 aufnehmen, der Eigentum und Erbschaft regelt, in dem wir festschreiben wollen, dass das Eigentum des Freistaates Sachsen nur mit Zustimmung des Landtages durch Gesetz und kommunales Eigentum nur durch Beschluss der kommunalen Vertretungskörperschaft privatisiert werden dürfen, wenn erweislich das Wohl der Allgemeinheit im Einzelfall dem nicht entgegensteht. Das wollen wir, Herr Brangs.

Dass ich hierfür nun den allergrößten Gegner in der Sozialdemokratie finde, habe ich nicht vermutet.

Erwähnen will ich schließlich noch im Rahmen dieser 1. Lesung, dass sich der Bogen einer sozialstaatsrechtlichen Verfassungsausformung bis hin zur Rechtsgewährleistung bis zum Artikel 38 spannt, nämlich durch die vorgesehene Regelung, dass jedermann durch einen sozial gerechten Zugang zu den Gerichten effektiven Rechtsschutz erlangen kann.

(Zuruf von der CDU: Nun ist’s gut!)

Nun ist es noch nicht gut, aber ich will Ihnen nicht alles verraten. Den Rest machen wir dann im Verfassungs- und Rechtsausschuss und danach in 2. und 3. Lesung.

(Stefan Brangs, SPD: Da komme ich gern hin!)

Herr Brangs, ich freue mich überall, wo ich Sie treffen kann.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Meine Damen und Herren! Das Präsidium schlägt Ihnen vor, den Entwurf Gesetz zur Ausformung und Stärkung des Sozialstaatsprinzips in der Sächsischen Verfassung an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss zu überweisen.

(Unruhe)

Herr Brangs, es freut mich, dass Sie so lebhaft an der Debatte teilnehmen. Ich würde aber gern die Überweisung beschließen lassen.

Wer dieser Überweisung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Die Gegenstimmen? –

Stimmenthaltungen? – Die Überweisung ist bei Gegenstimmen und Stimmenthaltungen dennoch mehrheitlich beschlossen. Wir beenden den Tagesordnungspunkt.

Meine Damen und Herren! Wir haben die Tagesordnung der 135. Sitzung des 4. Sächsischen Landtages abgearbeitet. Das Präsidium hat den Termin für die 136. Sitzung für Donnerstag, den 14. Mai 2009, 10:00 Uhr, festgelegt. Einladung und Tagesordnung liegen Ihnen vor.