Jetzt haben wir eine Konstellation – das wissen wir spätestens seit der Agenda 2010 –, dass das Thema auf die schiefe Ebene geraten ist. Diesbezüglich werden Sie mir nicht widersprechen. Ich sage, der Gesetzgeber kann in seinem Land sehr wohl gegensteuern. Wir wollen gegensteuern, indem wir sagen, wir wollen in der Verfassung ein Mehr an sozialstaatsgebotlichen Ausregelungen, weil jeder Richter in diesem Land auf die Verfassung ver
Herr Kollege Bartl, ich will mir jetzt wirklich nicht Ihre sozialstaatlichen Bekenntnisse, die ich teile, anhören, sondern ich möchte mit Ihnen eine juristische Debatte führen. Deshalb frage ich Sie noch einmal: Beabsichtigt das Ihr Gesetzentwurf oder nehmen Sie das nur zum Anlass? Ich dachte, wir führen hier eine Gesetzgebungsdebatte. Oder anders: Sind Ihre Änderungen staatliche Optimierungsgebote oder wollen Sie unmittelbare Leistungsansprüche begründen? Antworten Sie darauf mit Ja oder mit Nein.
Kollege Lichdi, erstens hat Frau Weihnert der Wahrheit zuwider erklärt, dass in der ersten Sitzung des Verfassungs- und Rechtsausschusses unmittelbar nach der Einbringung des Gesetzentwurfes sofort darüber debattiert worden sei. Ich habe den Gesetzentwurf eingebracht, und es gab von keiner Seite auch nur eine Frage – auch nicht von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –, kein Satz, kein Widerwort; es gab nichts.
Im Ausschuss hätten wir die Debatte hervorragend führen können. Jedes juristische Privatissime führe ich mit Ihnen in diesem Saal natürlich nicht. Das ist Punkt eins.
Zweitens. Es geht uns um das Optimierungsgebot und – um es konkret zu sagen – um die Ausprägung dieser Orientierungen in der Verfassung.
Drittens. Frau Weihnert, Sie hätten doch ohne Not eine Anhörung beantragen können, wenn Sie den Gesetzentwurf nicht verstanden haben.
Dann hätten wir es Ihnen in aller Ruhe von Experten erläutern lassen. Dann wären Sie heute schlauer und müssten nicht – –
(Margit Weihnert, SPD: Nehmen Sie doch einfach mal zur Kenntnis, dass ich über den Zeitrahmen gesprochen habe!)
Frau Weihnert, ich gebe Ihnen wie dem Kollegen Lichdi die Möglichkeit, sich – – Sie konnten ohne Not beantragen, dass zu dem Gesetzentwurf eine Anhörung stattfindet. Wir wären gern zu einer Sondersitzung Mitte August zusammengekommen und hätten kurz vor der Wahl den Leuten erklärt, wo was steht. Kein Problem.
Sie haben logischerweise ein echtes Problem, weil Sie wissen, dass der Regelungsbedarf handgreiflich ist
und Sie sich darum drücken wollen und müssen, klipp und klar zu sagen: Ich kann aus den und den Erwägungen nicht zustimmen. Deshalb gehen Sie jetzt an die Formalitäten.
Ich bleibe dabei, dass wir mit dem Gesetzentwurf eine Materie ansprechen, die eigentlich ein verantwortungsbewusster Gesetzgeber von sich aus – qua Entwurf Staatsregierung oder von wem auch immer – hätte regeln müssen. Wir tun es, weil es als Linke unsere Pflicht ist. Insofern ist es durchaus ein Dienst an der Rechtsgemeinschaft.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Redezeit unserer Fraktion nicht über Gebühr in Anspruch nehmen, aber ein paar Äußerungen des Kollegen Bartl zwingen mich doch dazu, wenn er hier kühn behauptet, dass dieser Gesetzentwurf handwerklich gut gemacht sei.
Herr Kollege Bartl, mitnichten. Wenn Sie sich hier hinstellen und das Verfassungsrecht verändern wollen, dann fällt auf, dass das kurz vor der Wahl ist. Wenn man sich das genau anschaut, kommt man schnell zu dem Schluss: Das ist nackter Wahlkampf, noch dazu schlecht gemacht. Er wird auch Ihrer Klientel kein Stück weit helfen.
Meine Damen und Herren! Das Sozialstaatsgebot aus Artikel 20 des Grundgesetzes ist nicht, wie Sie in der Begründung schreiben, ein Instrument zur Überwindung der Trennung der Gesellschaft zwischen Schwachen und Starken. Einen Moment, ich muss suchen, denn ich muss es zitieren.
Ich finde es noch. – Diesen Gesetzentwurf wollen Sie zum Instrument einer Klassenauseinandersetzung machen, die es so gar nicht mehr gibt. Gleichzeitig wollen Sie Leistungsansprüche verankern, die, wie Kollege Lichdi zu Recht sagt, den Gesetzgeber in seiner Entscheidungsfreiheit über die gesetzliche Ausformung des Sozialstaatsprinzips hinaus binden.
Im Übrigen machen Sie noch Doppelungen, die völlig unverständlich sind. Sie wollen in Artikel 14 Abs. 1 Satz 3 der Verfassung eingefügt haben: „Die Sozial- und Wirtschaftsordnung beruht auf der Anerkennung der Würde und der Persönlichkeitsrechte der Menschen.“ – Das alles ist längst gesagt, viel schöner und viel prägnanter in Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Das bindet die gesamte staatliche Gewalt. Das müssen Sie nicht neu erfinden und hier hineinschreiben, und schon gar nicht in dieser verquasten Weise mit acht Artikeln. Das hilft der Sache nicht.
Gibt es weiteren Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Das ist nicht der Fall. Dann bitte Herr Staatsminister Buttolo.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf will die Linksfraktion die Bedeutung des Sozialstaatsprinzips und seine grundrechtsstärkende Funktion für das Gemeinwesen hervorheben. So viele gute Argumente es für den Schutz und die Stärkung des Sozialstaatsprinzips gibt, so wenig Argumente gibt es für den vorliegenden Gesetzentwurf. Vielmehr zeugt er bei näherer Betrachtung von einem zweifelhaften Verfassungsverständnis.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich das Ihnen in Vertretung meines Kollegen Mackenroth darlegen.
Die beabsichtigten Änderungen der Artikel 1, 14, 18, 38 und 94 der Sächsischen Verfassung überfrachten unsere Verfassung. Es würden Regelungen wiederholt, die längst geltendes Verfassungsrecht sind.
Das Sozialstaatsprinzip ist bereits in Artikel 1 Satz 2 der Sächsischen Verfassung verankert. Kern des Sozialstaatsprinzips ist, dass der Staat die Pflicht hat, für menschenwürdige Lebensbedingungen seiner Bürgerinnen und
Bürger zu sorgen und insoweit bestehende Unterschiede zu beseitigen bzw. nicht zum Ansatz diskriminierender Regelungen zu machen. Ein Mehrgewinn durch die beabsichtigten Regelungen ist beim besten Willen nicht zu erkennen.
Wenn mit Artikel 7 Abs. 2 der Sächsischen Verfassung eine Pflicht des Staates begründet werden soll, allgemeine Lebensrisiken für Einzelne oder Gruppen der Gesellschaft durch Vor- oder Fürsorge abzusichern, genügt dies nicht dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot. Es wird in keiner Weise deutlich, wer Einzelner oder Gruppe der Gesellschaft in diesem Sinne sein kann oder soll. Darüber hinaus lässt die vorgeschlagene Regelung eine Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes vermissen; denn das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass das Sozialstaatsprinzip lediglich die Pflicht des Staates zur Fürsorge für Einzelne und Gruppen beinhaltet, die aufgrund ihrer persönlichen Lebensumstände oder gesellschaftlichen Benachteiligungen an ihrer persönlichen oder sozialen Entfaltung gehindert sind. Nach dem Änderungsantrag soll jedoch der Staat pauschal zur Für- oder Vorsorge verpflichtet werden, ohne auf die jeweiligen besonderen Umstände abzustellen. Darüber hinaus wird – das vermag das Sozialstaatsprinzip in keinem Fall zu leisten – der Eindruck erweckt, es solle ein verfassungsrechtlicher Anspruch des Einzelnen auf staatliche Für- oder Vorsorge geschaffen werden.