Protokoll der Sitzung vom 24.06.2009

Dann kommt ein Satz, der einen wirklich schwer im Magen liegt und der doch hier, bitte, in dem Hohen Hause erklärt werden soll. Ich zitiere aus der Begründung des Gesetzentwurfes: „Der Sozialstaat kann nicht auf einem Status quo verharren. Er muss sich – seiner inneren Logik folgend – sowohl quantitativ als auch qualitativ ausdehnen, um den Entwicklungsstand der Gesellschaft entsprechende Entfaltungsmöglichkeiten und ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen.“

Meine Damen und Herren! Ich kann es Ihnen nicht ersparen. Ich werde schon sehr misstrauisch, wenn die Nachfolgepartei der SED von einer „inneren Logik“ und einem „Entwicklungsstand der Gesellschaft“ spricht. Will die Fraktion DIE LINKE uns sagen, dass die Entwicklung von Gesellschaften objektiv durch den Weltgeist oder etwa nach der materialistischen Weltanschauung vorherbestimmt und vorhersehbar ist?

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Hört, hört! – Zuruf der Abg. Caren Lay, Linksfraktion)

Dann könnte die Aufgabe des Gesetzgebers nur darin bestehen, diese Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und ihnen entgegenzuarbeiten. Meine Damen und Herren, Sie brauchen sich gar nicht aufzuregen, sondern möchten vielleicht einmal zuhören. Wenn aber der Lauf der Geschichte feststeht – und ich frage Sie, ob Sie das meinen –, dann sind die Entscheidungsbedürftigkeit und die Entscheidungsfreiheit der Menschen als Kern demokratischen Selbstverständnisses infrage gestellt; und ich meine schon, dass ein solches ideologisches und, wie ich denke, im Kern undemokratisches Verständnis bei Ihnen offenbar immer noch virulent ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der FDP – Caren Lay, Linksfraktion: So ein dummer Unsinn!)

Sie möchten zwar keine neuen Leistungsansprüche festlegen, wie Sie sagen, aber Sie möchten wohl das Sozialstaatsprinzip in dem Sinne uminterpretieren, dass der Staat die Aufgabe habe, eine materielle Einkommens- und Vermögensgleichheit anzustreben, und, meine Damen und Herren, dies überdehnt das Sozialstaatsprinzip ganz wesentlich. Nach Ihrem neuen Artikel 7 Abs. 2 möchten Sie den Staat verpflichten – Zitat –, „... die tatsächliche Durchsetzung sozialer Chancengleichheit und sozialer Gleichberechtigung zu fördern“. – So weit, so gut.

Dies sind zwar Handlungsaufträge aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, ich habe aber den Verdacht, dass DIE LINKE mehr will;

(Caren Lay, Linksfraktion: Das wäre doch auch nicht so schlimm!)

denn in der Begründung lesen wir – Zitat –: „Das Sozialstaatsprinzip legt – –“

(Klaus Bartl, Linksfraktion, steht am Mikrofon.)

Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen? – Dann tun Sie das bitte.

Herr Bartl, bitte.

Kollege Lichdi, wo ist denn festgelegt, dass DIE LINKE nicht mehr fordern darf als das, was momentan Status quo ist? Meinen Sie nicht, dass es der Linken zukommt, auf sozialem Gebiet mehr zu fordern, als es Status quo ist? Damit haben die GRÜNEN mal angefangen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Herr Kollege Bartl, es besteht überhaupt keine Veranlassung, dass Sie sich aufregen.

(Klaus Bartl, Linksfraktion: Das habe ich doch gar nicht, ich amüsiere mich ja bloß! – Caren Lay, Linksfraktion: Sie haben sich doch aufgeregt!)

Wenn Sie mir zugehört hätten, dann hätten Sie vernommen, dass ich zu Beginn meiner Rede genau davon gesprochen habe, dass es ein politisch legitimes Ziel sein mag, und ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn Sie dieses Ziel hier verfolgen. Nur wende ich mich dagegen, dass Sie dem Hohen Hause weiszumachen versuchen, dass Ihr Gesetzentwurf nichts anderes bedeuten würde als die Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes bezüglich des Sozialstaatsprinzips. Das ist schlicht und ergreifend die Unwahrheit, und darauf möchte ich hinweisen. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass zwar nicht der Gesetzgebungstext – dazu komme ich gleich noch –, aber insbesondere die Begründung in meinen Augen Zungenschläge enthalten, die hier wirklich nicht am Platze sind und über die ich um Aufklärung bitte; und diese will ich hier darlegen.

(Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Ich mache es mir nämlich nicht so einfach wie die Frau Kollegin Weihnert, die sich hier hinstellt und sagt, sie hatte keine Zeit, sich damit zu befassen, sondern ich möchte Ihnen auch eine inhaltliche Antwort geben, warum wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.

(Heiterkeit bei der Linksfraktion – Klaus Bartl, Linksfraktion: Gut, das nimmt mir jedes Argument!)

Also, ich war dabei, aus der Begründung des Entwurfes der Linksfraktion zu zitieren. Darin ist zu lesen: „Das Sozialstaatsprinzip erlegt dem Staat die Verantwortung auf, sein Handeln auf eine“ – jetzt kommt es! – „materielle Gleichheit der Menschen anstelle einer nur formalen Gleichbehandlung auszurichten.“ In der Begründung schreiben Sie, dass das nicht Ihre politische Meinung ist, sondern dass das Sozialstaatsprinzip dies erfordern würde, und damit treffen Sie nun mal auf meinen Widerspruch als Jurist. Offenbar versteht die PDS die Ziele sozialer Chancengleichheit und sozialer Gleichberechtigung als materielle Einkommens- und Vermögensgleichheit der Bürgerinnen und Bürger; und das entspricht eben nicht der Rechtsprechung – auch, Herr Kollege Bartl und Frau

Kollegin Lay, wenn es sich um ein legitimes politisches Ziel handeln mag.

Was aber gar nicht geht, ist Ihr Vorschlag eines Diskriminierungsverbotes wegen der „sozialen Stellung“ in Ihrem Artikel 18 Abs. 3. Der Begriff der sozialen Stellung ist derart unbestimmt, dass er nicht als Anknüpfung für ein Diskriminierungsverbot taugt. Ich weiß, ehrlich gesagt, auch gar nicht, was damit gemeint sein soll. Geht es um die Zugangsgerechtigkeit unabhängig vom Geldbeutel? Aber dann stellt sich die Frage, in welchen Bereichen und in welchem Ausmaß es diese Zugangsgerechtigkeit geben soll. Es kann im Sinne der Freiheitsgewährleistung nur um die Gewährleistung eines Grundstandards gehen; und wo dieser Grundstandard liegen soll, ist eine Frage des politischen Streites und der einfachen gesetzgeberischen Entscheidung – und eben nicht der verfassungsmäßigen Entscheidung.

Auch sonst weist Ihr Gesetzentwurf wenig Durchdachtes auf. Sie wollen Veräußerungen von staatlichem oder kommunalem Eigentum nur durch Beschluss des Landtages, des Kreistages oder des Gemeinderates zulassen. Diese Privatisierungsbremse soll insbesondere Einrichtungen der Daseinsvorsorge schützen. Sie haben aber gar nicht bemerkt, dass Sie jegliche Eigentumsveräußerungen dieser einfach unterwerfen wollen, also etwa auch, wenn der Freistaat nicht mehr benötigte Möbel oder andere sächliche Verwaltungsmittel verkaufen will. Eine Zustimmung des Landtages bei der Veräußerung eines Bleistiftes kann aber doch nicht wirklich Ihr Ernst sein!

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, Linksfraktion)

Meine Damen und Herren! Die Vorschrift ist total ungeeignet und würde die Tätigkeit des Landtages lahmlegen.

Herr Kollege Bartl, Sie sind weiterhin befugt, Zwischenfragen zu stellen. – Nicht? – Gut.

Ihre Tatbestandsvoraussetzung – ich zitiere –: „wenn das Wohl der Allgemeinheit dem Einzelfall nicht entgegensteht“, ist total inhaltsleer. Prof. Denninger würde von einer „jämmerlichen Scheintatbestandlichkeit“ sprechen. Diese pseudorechtsstaatliche Gummiformel ohne erkennbaren Gehalt könnte stets angenommen werden und so eine Veräußerung der Entscheidung des Landtages entzogen werden.

Nein, meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf ist untauglich. Er leistet nicht das, was er zu leisten vorgibt. Es handelt sich im besten Fall um einen Akt symbolischer Verfassungsgebung, und symbolische Verfassungs- und Gesetzgebung ist eigentlich schädlich, wenn ich Ihnen auch konzedieren mag, dass er in dem einen oder anderen Fall vielleicht in Erwägung gezogen werden könnte und, ich gebe zu – als versöhnlicher Schluss –, dass ich für die Regelung des Artikels 38 Abs. 2, den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz durch Prozesskosten- und Beratungshilfe, durchaus Sympathien habe. Aber Sie können nicht allen Ernstes erwarten, dass wir innerhalb von vier Wochen eine dermaßen umfangreiche und – ich kann es Ihnen nicht ersparen – auch schlecht gemachte Verfas

sungsänderung einfach durchnicken. Deswegen werden wir diesen Gesetzentwurf ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall der Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg und Michael Weichert, GRÜNE)

Wird von den Fraktionen weiterhin das Wort gewünscht? – Herr Bartl, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Lichdi, zunächst einmal ist das Niveau erbaulich, wie man einen solchen Gesetzentwurf als „kontrovers“ debattieren kann. Darauf würde ich gern im Detail eingehen, dafür wird mir jedoch die Zeit fehlen, sonst bekomme ich mit meiner Fraktion und den nachfolgenden Rednern Ärger.

Frau Weihnert, zu Ihrem Beitrag – ich lasse einmal den Satz, den Kollege Lichdi bereits sagte, weg –: Was reden Sie denn von „im Schweinsgalopp Verfassung ändern“? Sie haben doch gemeinsam mit der CDU soeben auf Bundesebene im Schweinsgalopp die Schuldenbremse ins Grundgesetz gebastelt,

(Beifall bei der Linksfraktion – Caren Lay, Linksfraktion: Genau!)

die definitiv den Ländern jedwede Gestaltungsmöglichkeit nimmt, wenn es um die höchste Verschuldung geht, die uns bisher ins Haus steht, die wir seit dem Zweiten Weltkrieg überhaupt haben, auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiet etwas zu tun. Diese Staatsregierung – natürlich mit der Beteiligung der SPD – hat im Bundesrat diesem Gesetzentwurf zugestimmt. Erzählen Sie uns doch bitte schön nicht, dass wir acht Wochen Anlauf nehmen und Ihnen ein halbes Jahr Bedenkzeit geben müssen, wenn wir irgendwelche verfassungsgebenden Änderungen vorschlagen!

(Zuruf der Abg. Margit Weihnert, SPD)

Die Schuldenbremse ist eine elementare Entmachtung und Entrechtung der Länder, und wir werden Ihnen mit Gewissheit dafür eine Organstreitklage an den Hals hetzen, das verspreche ich Ihnen,

(Beifall bei der Linksfraktion – Caren Lay, Linksfraktion: So ist es!)

Aber kommen Sie mir nicht auf leisen Sohlen daher und werfen uns vor, dass wir handstreichartig etwas in die Verfassung bringen wollen! – Punkt 1.

Punkt 2 – weil Sie sagten, wir hätten es vor einem Jahr einbringen sollen: Ich habe die ganze Zeit erklärt, für uns ist dieser Gesetzentwurf eine Reaktion auf die Krise. Wir haben definitiv gesagt, wir halten jetzt, in der Krisensituation, die Ausformung – Kollege Lichdi, ich habe ja mit dem Titel nicht gesagt: die Umformung der Urteile des Bundesverfassungsgerichtes, sondern die Ausformung – des Sozialstaatsgebotes für geboten, um klarzuziehen,

dass der Ausweg aus der Krise mit Gewissheit nicht der Abbau sozialer Leistungen sein darf.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Und wenn Sie mir sagen, dass Sie vor einem Jahr schon wussten, dass die Krise diese Ausmaße hat, dann frage ich einfach: Warum haben Sie ein Dreivierteljahr so unehrlich mit Ihren Wählerinnen und Wählern gearbeitet? Das ist doch unvorstellbar. Das hätten Sie doch vor einem Jahr mal sagen können, dann hätten wir uns alle darauf einrichten können, zum Beispiel beim Doppelhaushalt vor einem halben Jahr. Das ist doch ungeheuerlich! – Nächster Satz:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Lichdi?

Jede Zwischenfrage. Bitte schön, Kollege Lichdi.

Vielen Dank, Herr Kollege Bartl. – Ich meine, wir behandeln ja gerade einen Gesetzentwurf und eine juristische Fachmaterie. Vielleicht können wir einmal die Diskussion darauf hinlenken. Herr Kollege Bartl, würden Sie mir nicht zustimmen, dass das Sozialstaatsprinzip in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes eben ein Staatsziel und ein Optimierungsgebot ist und dass Sie die ganze Zeit durch Ihre Redebeiträge suggerieren, als ob, wenn Sie die Verfassung im entsprechenden Sinne ändern würden, die Menschen tatsächlich einen solchen Schutzschirm erhalten würden? Das ist doch schlicht und ergreifend nicht wahr.

Herr Kollege Lichdi, ich bleibe dabei: Wir nehmen uns das Recht, mit unseren Ansätzen auf dem Gebiet des sozialen Ausgleichs weiterzugehen als das Bundesverfassungsgericht. Ich bin nicht daran gebunden. Es steht nirgendwo. Ich kann in der Ausformung der Verfassung durchaus ein Mehr an sozialen Leistungen und sozialen Sicherheiten gewähren, als das momentan durch den Rechtsprechungsstandard untersetzt sein mag.

Ich habe es eingangs schon gesagt: Die alte Bundesrepublik hatte ein soziales Netz, einen sozialen Standard, der – das gebe ich gern zu – in der Welt seinesgleichen suchte. Das hatte zur Konsequenz, dass Streitigkeiten zu diesem Punkt in aller Regel nicht notwendig waren. Das wurde gewährleistet, und zwar unter den verschiedenen Regierungen aus gutem Grund und mit staatsmännischer Weitsicht. Das habe ich schon immer gesagt.

Jetzt haben wir eine Konstellation – das wissen wir spätestens seit der Agenda 2010 –, dass das Thema auf die schiefe Ebene geraten ist. Diesbezüglich werden Sie mir nicht widersprechen. Ich sage, der Gesetzgeber kann in seinem Land sehr wohl gegensteuern. Wir wollen gegensteuern, indem wir sagen, wir wollen in der Verfassung ein Mehr an sozialstaatsgebotlichen Ausregelungen, weil jeder Richter in diesem Land auf die Verfassung ver