Protokoll der Sitzung vom 24.06.2009

Frau Kollegin Weihnert, weil Sie soeben die Qualität der Gesetzgebung der Koalition so gefeiert haben: Geben Sie mir darin recht, dass das sehr fragwürdig ist, wenn wir dagegenhalten dürfen, dass in 13 Fällen auf entsprechende Normenkontrollklagen, Organklagen unserer Fraktion das Verfassungsgericht Ihre Gesetze aufgehoben hat?

(Beifall bei der Linksfraktion – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Hört, hört!)

Also, Herr Kollege, ich kann mich jetzt nicht an 13 Fälle Koalitionsgesetze erinnern.

Bleiben wir doch einmal bei der Wahrheit, Herr Bartl,

(Beifall des Abg. Marko Schiemann, CDU)

dann sind wir doch schon wieder auf der sauberen Seite. Sie wissen, Wahrheit und Klarheit, Herr Bartl, würden auch Ihrer Fraktion mal wirklich gut zu Gesicht stehen.

(Beifall des Abg. Volker Bandmann, CDU)

Diesem Gesetzentwurf kann man nicht zustimmen. Wir lassen es nicht zu, mal links und ganz nebenbei die Verfassung zu ändern. Wir sind zu jeder Diskussion bereit, aber nicht so und nicht auf diesem Weg.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Die NPDFraktion; Frau Abg. Schüßler, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hält diesen Antrag der Linken auch für Wahlkampfpopulismus, um das zu unterstreichen, was Frau Weihnert gesagt hat.

Wir werden uns daran nicht beteiligen und deshalb gebe ich meinen Redebeitrag zu Protokoll.

Die FDP, bitte; Frau Abg. Schütz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin zwar etwas eingeschränkt, aber das hindert mich natürlich nicht daran, hier zu sprechen.

(Kristin Schütz, FDP, hat sich mit Gehhilfen zum Mikrofon begeben.)

Das Sozialstaatsprinzip gehört neben dem Demokratie- und dem Rechtsstaatsprinzip zu den tragenden Säulen des Grundgesetzes und unserer Sächsischen Verfassung. Das Sozialstaatsprinzip ist Grundlage des sozialen Friedens. Ziel des Sozialstaates ist der Abbau erheblicher sozialer Unterschiede und die Sicherung eines angemessenen Lebensstandards für alle Teile der Bevölkerung.

Ausgefüllt wird das Sozialstaatsprinzip nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes durch die Fürsorge für Hilfsbedürftige, die Schaffung sozialer Sicherungssysteme, die Herstellung von Chancengleichheit und einer gerechten, für Ausgleich der sozialen Gegensätze sorgenden Sozialordnung.

Richtig ist, dass das Sozialstaatsprinzip weder im Grundgesetz noch in der Sächsischen Verfassung explizit erwähnt wird, doch in seiner Ausgestaltung recht umfassend ist mit dem Sozialgesetzbuch. Es gibt zwölf Bücher allein auf Bundesebene neben den Landesgesetzen, die sich alle in diesem Bereich bewegen.

Die Kollegen von der Linksfraktion wollen uns nun in diesem Haus weismachen, dass die Gefahr besteht – und da zitiere ich aus der Begründung des Gesetzentwurfes –, „dass der Sozialstaat seine umfassende verfassungsrechtliche Wirkungsmacht verliert und in Krisenzeiten, wie wir sie gegenwärtig zu verzeichnen haben, das Sozialstaatsprinzip als überholt und die öffentliche Hand über Gebühr in Anspruch nehmend aufgefasst wird“. Daher soll durch den Gesetzentwurf – und ich zitiere noch einmal – „die notwendige Klarheit und Erkennbarkeit“ in die Verfassung gebracht werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist in keiner Weise so. Ganz das Gegenteil ist der Fall. Dort, wo er kann und soll, wird der Staat seinen Bürgern helfen, und er hilft. Das ist auch in Krisenzeiten so. Nur weil in Deutschland und in Sachsen nicht alles für jeden gleich kostenlos ist, heißt das noch lange nicht, dass der Sozialstaat in Gefahr ist.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Margit Weihnert, SPD)

Wenn wir hier von Krisenzeiten reden, dann erinnere ich nur an Leistungen des Staates, wie zum Beispiel Kurzarbeitergeld oder jetzt auch die Erhöhung der Regelsätze. Der Gesetzentwurf der Linksfraktion ist in diesem Fall schlichtweg überflüssig.

(Beifall bei der FDP)

Die Sächsische Verfassung bietet ausreichend Rechtsgrundlagen, um daraus Sozialstaatlichkeit abzuleiten.

(Beifall des Abg. Marko Schiemann, CDU)

Mir ist schleierhaft, wie der Gesetzentwurf helfen soll – ich zitiere noch einmal –, „die notwendige Klarheit und Erkennbarkeit“ in den Verfassungstext zu bringen, ohne diesen zu überladen, wie weiter in der Begründung so ausgeführt wird.

Immerhin – und das ist vorhin von Frau Kollegin Weihnert schon gesagt worden – wird in nicht weniger als acht Artikeln unserer Sächsischen Verfassung eine Änderung gewollt.

Ich erinnere noch einmal: Die Verfassung soll Grundprinzipien vorgeben, welche der Gesetzgeber dann durch Einfach-Gesetze weiter ausformt. Sie dient nicht dazu, dass in ihr selbst alles haarklein vorgegeben wird. Denn damit engt man den Gesetzgeber, der sich an die Vorgaben der Verfassung gebunden fühlt, unnötig ein.

Es besteht aus Sicht der FDP-Fraktion keinerlei Anlass dafür, die Sozialstaatlichkeit in der Verfassung weiter zu konkretisieren. Der momentane Verfassungstext und seine Ausformung durch die obergerichtliche Rechtsprechung garantieren soziale Grundentscheidungen in angemessener Art und Weise.

(Beifall bei der FDP)

Ein Tätigwerden des Gesetzgebers in dieser Form halten wir für nicht notwendig.

An Sie, Herr Bartl, gerichtet: Ich glaube, Sie können froh sein, dass im Augenblick nicht Herr Martens hier an dieser Stelle steht. Er würde Ihnen diesen handwerklich schlecht gemachten Gesetzentwurf

(Klaus Bartl, Linksfraktion: Da bin ich gespannt!)

noch deutlicher um die Ohren hauen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Die Fraktion GRÜNE, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Linken erhebt den Anspruch, das Sozialstaatsprinzip näher auszuformen und damit in der Gesellschaft mehr Prägekraft zu verleihen. Dies ist sicher ein legitimes politisches Ziel. Wir glauben aber nicht, dass dieses Ziel

durch die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen erreicht werden könnte.

Es ist schon bemerkenswert, dass ausgewiesene Sozialstaaten wie Norwegen, die Schweiz oder Österreich überhaupt keine Sozialstaatsklausel in ihrer Verfassung haben. Das Ausmaß des Ausbaus des Sozialstaates hängt offenbar nicht von seiner verfassungsmäßigen Verrechtlichung ab.

Natürlich ist es verlockend, alles Wünschenswerte in die Verfassung zu schreiben und zu hoffen, damit sei das Problem gelöst. Dem ist natürlich nicht so. Das Sozialstaatsprinzip ist – wie die Juristen sagen – ein verfassungsrechtliches Optimierungsgebot mit dem Ziel, die Freiheitsgrundrechte des Grundgesetzes im Sinne realer Freiheit zu gewährleisten; so viel allerdings schon.

Dies verkennt aber der Gesetzentwurf. Das Sozialstaatsprinzip beschreibt eben keine fest umrissenen Zielzustände. Vielmehr enthält das Sozialstaatsprinzip den Auftrag an den Gesetzgeber, für sozialen Ausgleich in einer Weise zu sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger effektiv und tatsächlich ihre Freiheitsrechte ausüben können.

Es ist ein staatliches Ziel, Freiheitsgrundrechte wie Leben, Bildung und Ausbildung, Beruf, Wohnung oder effektiven individuellen Rechtsschutz tatsächlich zu gewährleisten. Der Gesetzgeber hat aber bei der Ausfüllung des Sozialstaatsprinzips einen weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum. Was sozial gerecht ist, ist eben nicht allgemein festlegbar, sondern unterliegt dem politischen Streit und letztendlich der Entscheidung der Wählerinnen und Wähler. Eine verfassungsrechtliche Festlegung von Leistungsansprüchen bedeutet daher nichts weniger als eine Einschränkung der Freiheit der Wählerinnen und Wähler und des von ihnen gewählten Parlaments.

DIE LINKE versucht mit ihrem Gesetzentwurf den Gesetzgeber in stärkerer Weise auf eine Politik festzulegen, die sie für sozial hält.

(Klaus Bartl, Linksfraktion: Ja!)

Sie spricht von einer Bindung des Staates hinsichtlich seiner Aufgaben und Ziele. DIE LINKE behauptet, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes umzusetzen. Tatsächlich geht sie aber in wesentlichen Punkten darüber hinaus, Herr Kollege Bartl. Das haben Sie vorhin nicht ausgeführt.

(Zuruf von der CDU: Genau!)

Nach einem neuen Artikel 1 Abs. 2 soll der Gesetzgeber auf die Herstellung – Zitat – „einer gerechten Sozialordnung, insbesondere zum Ausgleich der sozialen Gegensätze und zur Gewährleistung sozialer Sicherheit“ verpflichtet werden.

In der Tat enthält die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes diese Zielverpflichtung. DIE LINKE möchte aber ausweislich ihrer Begründung ausdrücklich mehr als bloße „Notvermeidung“, wie sie schreibt.

Dann kommt ein Satz, der einen wirklich schwer im Magen liegt und der doch hier, bitte, in dem Hohen Hause erklärt werden soll. Ich zitiere aus der Begründung des Gesetzentwurfes: „Der Sozialstaat kann nicht auf einem Status quo verharren. Er muss sich – seiner inneren Logik folgend – sowohl quantitativ als auch qualitativ ausdehnen, um den Entwicklungsstand der Gesellschaft entsprechende Entfaltungsmöglichkeiten und ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen.“