Protokoll der Sitzung vom 24.06.2009

Die Sachsen forschen leidenschaftlich gern und daher erleben wir regelmäßig technologische Neuerungen „Made in Saxony“. Sachsen ist seit Jahrhunderten spitze – mal in der Welt, mal in Europa, mal in Ostdeutschland. Insofern können wir uns nicht Ihrer Selbstgenügsamkeit anschließen, wenn Sie mit stolz geschwellter Brust darauf hinweisen, dass Sachsen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR an der Spitze steht. So weit waren wir auch schon unter Erich Honecker. Aber das kann doch wohl kein Maßstab für die Beurteilung der heutigen Politik sein, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Mir ist auch nicht bange um die Bildung in Sachsen als Schlüsselrohstoff für den Wohlstand der Zukunft. Sächsische Elternhäuser sind überdurchschnittlich bildungsinteressiert und -orientiert. Das kommt der Lernmotivation der Kinder zugute. Diese sächsischen Eltern haben – gemeinsam mit den Lehrerinnen und Lehrern, die trotz doppelter Ausbeutung durch überdurchschnittlich viele Pflichtstunden und unterdurchschnittliche Bezahlung mit vollem Engagement dabei sind – das Verdienst am PISAErfolg der Schülerinnen und Schüler.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Wer auf die Idee kommt, mit dem PISA-Erfolg habe eine Staatsregierung etwas zu tun, die über tausend Schulen geschlossen hat und sich über Jahre die bundesweit niedrigsten Pro-Kopf-Ausgaben pro Schüler leistete, der hat Probleme beim Erfassen der Wirklichkeit und würde wohl selbst beim PISA-Test durchfallen.

Auch zum Bildungsbereich, Herr Tillich, haben Sie in Ihrer Rede vorhin wesentliche Dinge einfach weggelassen: angefangen von den Zugangsbeschränkungen für Kindertagesstätten bis hin zu den Tausenden Schülern, die Jahr für Jahr die sächsischen Schulen ohne jeden Abschluss verlassen. Die Erzieherinnen, die heute draußen vor dem Landtag streiken, demonstrieren im Übrigen auch gegen Ihre Politik, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Mir ist dennoch nicht bange um Sachsen, weil hier seit 150 Jahren der Fortschrittsmotor der Industriegesellschaft steht – in wirtschaftlicher und technologischer, aber zunehmend auch in sozialer Hinsicht. Die Arbeiterbewegung, die Mieterbewegung, auch die Schreberbewegung – alles sächsische Erfindungen.

Was im 19. Jahrhundert in Sachsen fortschrittlich war, ist auch heute nicht überholt. Im Gegenteil, selten war die soziale Frage so aktuell wie jetzt, in der Zeit des Scheiterns des Turbokapitalismus. Aber wir müssen als Landespolitik den Rahmen dafür setzen, dass der sächsische Geist des Fortschritts die zum 21. Jahrhundert passenden Formen annehmen kann und dass das Soziale nicht verloren geht.

Da reicht es eben nicht, wie es die sächsische CDU mit ihrem Wahlprogramm tut, einfach zu behaupten, dass die Kirchen auch im 21. Jahrhundert Träger unserer Kultur seien. Die Kirchen gehören zu unserer Kultur, und ich bin nicht zuletzt durch die Anteilnahme am Engagement meiner Frau mit dem christlichen Gemeindeleben in Sachsen durchaus verbunden. Sachsen ist auch ein christliches Land, und das ist gut so. Zugleich aber gebietet es der Respekt vor den drei Vierteln der Bevölkerung, die sich als religiös ungebunden verstehen, auch die Trennung von Staat und Kirche endlich ernst zu nehmen. Die Leute wollen nicht statt der lästigen „Rotlichtbestrahlung“ früherer Zeiten ständig – mal unterschwellig, mal offensiv – missioniert werden. Ich denke nur an den Streit um den Bildungsplan für die sächsischen Kitas. Die sächsische Leitkultur ist seit dem 19. Jahrhundert eine weltliche, säkularisierte, stark geprägt vom naturwissenschaftlichen Denken. Eine sächsische Spezialität ist die regionale Vielfalt, verbunden mit weltanschaulicher Toleranz. Ich meine, das soll und das muss so bleiben.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Sachsen braucht als Lebenselixier den Geist der Moderne. Was die Biedenkopf-CDU dazu beigetragen hat, konnte die Milbradt-CDU nicht mehr weiterentwickeln, und die

Tillich-CDU setzt es mit ihrem Provinzialismus aufs Spiel.

Herr Ministerpräsident, es reicht nicht, gut tanzen zu können und bei der Auswahl der Anzüge auf der Höhe der Zeit zu sein. Man muss auch Ideen haben für dieses Land. Man muss Vorstellungen davon haben, wie es weitergeht, und man muss Programme haben, in denen mehr Zukunft als Vergangenheit drin ist. Dann wird es auch wirtschaftlich wieder aufwärts gehen – sozial sowieso.

Sachsen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist in der Tat ein stolzes Land. Sorgen wir dafür, dass es auch wieder ein starkes Land wird! Nehmen wir den Ballast der abgewirtschafteten sächsischen CDU von seinen Schultern und erheben wir uns gemeinsam zu neuer Freiheit und mehr Gerechtigkeit!

Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der Linksfraktion)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort; Herr Flath bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Wir sind in der Aussprache zur Regierungserklärung.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Ach nee? – Klaus Tischendorf, Linksfraktion: Jetzt weiß ich, wo ich bin!)

Ich spreche für die CDU-Fraktion. Wir hatten in dieser Legislaturperiode zwei Ministerpräsidenten, die für die Regierung die Verantwortung getragen haben: Georg Milbradt und Stanislaw Tillich. Die CDU-Fraktion dankt beiden für ihren enormen Einsatz für Sachsen.

(Beifall der CDU und der Staatsregierung)

Nicht vergessen sollten wir, auch beiden Ehepartnern zu danken, dass sie diese Arbeit ermöglicht haben. Sie wurden gelegentlich in die politische Auseinandersetzung hineingezogen, was ich unanständig finde in unserer Demokratie. Dass sie diese Last dennoch getragen haben, dafür ein herzliches Dankeschön.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Die CDU-Fraktion – das wird Sie von der linken Seite nicht wundern – teilt den Rückblick auf die vergangenen fünf Jahre. Die CDU-Fraktion teilt die Ziele und Visionen für die nächste Legislatur, aber auch insgesamt für den Zeitraum bis 2020.

Wo wir in Sachsen am Ende der 4. Legislaturperiode stehen, ist mir am vergangenen Wochenende so richtig deutlich geworden, als ich in Potsdam auf der Konferenz der Vorsitzenden der CDU-Fraktionen aller Landesparlamente war. Am ersten Tag ging es genau um das Thema, das Sie angesprochen haben, Herr Hahn: Wie setzen die Länder die vereinbarte Schuldenbremse, also das Neuverschuldungsverbot, um? – Was meinen Sie denn, welches Land in dieser Runde als Beispiel galt? Sachsen! Wir

mussten uns selbst gar nicht loben. Wir haben reihum viel Respekt für unsere Finanzpolitik erfahren. Obwohl mit der Landesbank etwas danebengegangen ist – das habe ich immer ganz offen gesagt –, ist es uns gelungen, eine Finanzpolitik zu verhindern, mit der wir auf Kosten der nachfolgenden Generationen leben würden.

(Beifall bei der CDU)

Ich habe ein gewisses Verständnis für das Genörgel vom Oppositionsführer Hahn. Wenn man die ganze Zeit in Sachsen ist, debattiert man hier in den Ausschüssen und in den Arbeitskreisen natürlich auch über Dinge, von denen wir sagen, dass sie noch besser sein könnten. Nur will ich auch ganz offen sagen: Von Zeit zu Zeit ist es gut, einen Schritt aus Sachsen herauszutreten, um zu schauen, wie es in anderen Bundesländern aussieht. Da fällt der Vergleich sehr, sehr erfreulich aus.

(Beifall bei der CDU)

Was meinen Sie denn, worüber am zweiten Tag diskutiert worden ist? Am zweiten Tag haben die CDUFraktionsvorsitzenden der Parlamente der Bundesländer darüber diskutiert, wie wir Bildung in Deutschland ernster nehmen können, wie wir ihr mehr Priorität geben können, wie wir das Bildungssystem weiterentwickeln können. Was meinen Sie, was in dieser Diskussion passiert ist? Aus Bremen wurde berichtet, dass man sich dort überparteilich zusammengesetzt und sich darauf verständigt hat – Bremen hatte als PISA-Schlusslicht auch allen Grund dazu –, dem sächsischen Beispiel eines zweigliedrigen Schulsystems zu folgen.

(Beifall des Abg. Heinz Lehmann, CDU, und des Staatsministers Frank Kupfer)

Man nennt das Ganze „Bremer Bildungskonsens“.

Dann saßen wir wieder in einer Runde zusammen. Mit viel Hochachtung wurde von Sachsen gesprochen. Wir wurden gefragt, wie es uns gelungen ist, einen konstanten Rahmen für unser Bildungssystem zu erhalten und dennoch eine Weiterentwicklung zu ermöglichen. Mittlerweile wird selbst in Bayern und Baden-Württemberg mit viel Hochachtung über die Leistungen der Schülerinnen und Schüler, der Lehrerinnen und Lehrer und der Eltern in Sachsen gesprochen. Dass Sachsen in der Bildung an der Spitze von Deutschland steht, ist doch ein gutes Ergebnis.

(Beifall bei der CDU und Staatsregierung)

Auch das Thema Gemeinschaftsschule ist rauf und runter diskutiert wurden. Das Allheilmittel ist sie nicht. Herr Jurk, Sie haben mich heute in eine bestimmte Rolle gedrängt mit der Gemeinschaftsschule.

(Staatsminister Thomas Jurk: Eine gute Sache!)

Es gab schon Anfang der Neunzigerjahre Modelle.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Das ist wohl wahr!)

Es ist auch überhaupt nichts dagegen einzuwenden, dort, wo Träger dies wünschen, so etwas zu ermöglichen. Aber

dass Sachsen insgesamt deshalb bei PISA vorn steht, weil die SPD uns in der Schulpolitik gedrängt und ich das umgesetzt hätte, ist nun doch ein bisschen ein Witz.

(Rita Henke, CDU: Genau!)

Warum hat dann Bremen nicht diesen Weg gewählt? Bremen hat sich für ein zweigliedriges Schulsystem entschieden.

Meine Damen und Herren, Stanislaw Tillich hat dies als Ziel verkündet. Daran ist in der nächsten Legislaturperiode hart zu arbeiten. 2020 muss Sachsen auf eigenen Füßen stehen. Wir teilen dieses Ziel. Das wird zu Auseinandersetzungen führen. Auf dem Weg dahin, meine Damen und Herren, ist unsere Ausgangsposition besser als in anderen Ländern. Dennoch wird es schwieriger werden.

Die Vision für Sachsen teilen wir. Wir möchten – wir können es nicht verordnen –, dass junge Menschen, die jetzt in die Schule kommen, die die Schule besuchen oder vielleicht in Sachsen studieren, ihre Zukunft wieder in Sachsen planen.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Wieso kam es dann anders? – Wie Sie wissen, habe ich meine Jugend in der DDR verbracht. (Volker Bandmann, CDU: Zwangsweise?)

Ich bin auf gar keine andere Idee gekommen, als die Zukunft in meinem Dorf zu planen. Ich durfte noch nicht einmal ohne Erlaubnis mein Dorf verlassen. Nun käme man wieder zu dem Punkt: Hat der Rat des Kreises die Erlaubnis gegeben oder waren das Erfindungen der SED?

(Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Herr Brangs, Sie sollten sich mit dieser Zeit vielleicht wieder einmal beschäftigen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Wir beschäftigen uns damit!)

1979 brauchte ich, um meinem Heimatdorf den Rücken zu kehren und in die Kreisstadt ziehen zu können, eine Zuzugsgenehmigung. Diese Zuzugsgenehmigung erteilte mir eine Verwaltung, die zum Rat des Kreises gehörte.