Protokoll der Sitzung vom 19.05.2005

Meine Damen und Herren! Aus der Antwort auf die Große Anfrage ist bei aller unterschiedlicher Wertung der Feststellungen der Staatsregierung sichtbar geworden, dass sich manches in den letzten Jahren entwickelt hat – vieles davon leider zu langsam –, und vor allem, dass enormer Handlungsbedarf besteht. Ein in sich geschlossenes Projekt der Beziehungen zu Polen ist deshalb unerlässlich.

(Beifall bei der PDS)

Ich erteile der Fraktion der NPD das Wort. Herr Leichsenring, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eine Binsenweisheit, dass infolge der EU-Osterweiterung in vielen Bereichen Grenzen weggefallen sind und Sachsen dadurch ganz von selbst wieder in eine alte, historische Schlüsselstellung gegenüber den früheren ostdeutschen Regionen aufgerückt ist. Meine Fraktion will eine gewisse Genugtuung darüber nicht verhehlen, dass sich offenbar sogar die Staatsregierung nicht länger in ein historisches Niemandsland zurückziehen kann und in ihrer Antwort auf die Anfrage von CDU und SPD ausdrücklich den – Zitat – „maßgeblichen Anteil deutscher Kultur an der Entwicklung Schlesiens“ unterstreicht. Darauf beschränkt sich allerdings schon die Zustimmung unserer Fraktion; denn was die Antwort der Staatsregierung darüber hinaus an halb utopischen Aktivitäten erkennen lässt, das hinterlässt auch ein arg ungutes Gefühl. Deshalb ist es gut, dass wir heute über die Antwort der Staatsregierung zu diesem Thema sprechen können.

Es mag Geschmackssache sein, ob es unbedingt gemeinsame deutsch-polnische Kindertagesstätten oder eine tiefe und enge Zusammenarbeit zwischen deutschen und polnischen Gewerkschaften geben muss. Keine Geschmackssache, sondern eine Frage der handfesten politischen Souveränität, und zwar Deutschlands wie Polens, sind in unseren Augen aber die verschiedenen Euregiound EU-Regionalförderprojekte, die wir in vielen Fällen für einen Irrweg halten.

Nun, darüber brauchen wir mit Ihnen mit all den Erfahrungen, die wir im letzten halben Jahr gemacht haben, nicht zu diskutieren. Sie sind ja Vertreter jener Parteien, die alles tun, um die Bundesrepublik als souveränes und föderales Staatswesen so bald wie möglich gen Brüssel zu entsorgen. Aber die Bürger im Freistaat haben ein Recht darauf zu wissen, was Sie von den etablierten Parteien mit ihnen vorhaben. Insofern ist es gut, wenn hier die grenzüberschreitenden Beziehungen zu Polen auf der Tagesordnung stehen, weil niemand die Menschen in Sachsen überhaupt gefragt hat, ob sie eine Politik der grenzenlosen Integration, der Grenzen ohne Personenkontrollen und der schleichenden Entmachtung des Bun

des überhaupt wollen, oder ob es im Interesse der Sicherheit der Arbeitsmärkte und der Sozialsysteme nicht vielleicht sinnvoller wäre, sich mit dem Zusammenwachsen etwas mehr Zeit zu lassen. Wir wollen in diesem Punkt auch keine Missverständnisse aufkommen lassen. Sachsen pflegte über Jahrhunderte hinweg enge und engste Verbindungen in die östlichen Nachbarregionen, und gerade in Dresden wollen wir nicht vergessen, dass es ein sächsischer Kurfürst einmal bis zum König von Polen brachte.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Drei!)

Das war unter August dem Starken, es ist lange her. Heute wird Sachsen bekanntlich von Georg dem Schwachen regiert.

(Zuruf von der CDU: Na, na, na!)

Schauen Sie sich bitte unseren Ministerpräsidenten an. Er ist ein Ritter von der traurigen Gestalt.

(Beifall bei der NPD)

Also!

Ich stelle mir als einen Führer von Sachsen, als eine führende Persönlichkeit schon jemanden vor, der Elan,

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, PDS)

Aufbruchstimmung und Enthusiasmus verbreiten kann. Herr Milbradt, tut mir Leid,

(Zuruf der Abg. Caren Lay, PDS)

ich kann bei Ihnen keinen Arsch in der Hose entdecken.

(Heiterkeit bei der NPD)

Ich bitte Sie, sich jetzt in Ihrer Ausdrucksweise zu mäßigen!

Sie werden als Nächstes vielleicht Ihren Finanzminister opfern,

(Zuruf von der CDU: Ordnungsruf!)

um die eigene Haut zu retten. Aber das ist nur Feigheit, das ist widerlich. Das ist aber jetzt nicht das Thema.

Das Parlament lehnt diese Vulgärsprache ab. Das muss ich Ihnen sagen.

(Beifall bei der CDU, der PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Dann werde ich mich demnächst um Synonyme bemühen. Aber ich denke, dem Sinn nach liege ich nicht so falsch. Wir Nationaldemokraten bestehen darauf, dass die Menschen endlich mitreden dürfen über die Art und Weise, über die Geschwindigkeit und die Intensität der europäischen Integration. Das betrifft letztendlich auch die Beziehungen zu Polen. Wenn diese Mitwirkung des

demokratischen Souveräns auch weiterhin von den Altparteien einfach ausgeblendet wird, dann wird sich das über kurz oder lang als ein Bärendienst für Europa erweisen.

Wir lehnen diese halbtotalitäre EU-Einbahnstraße ohne Mitwirkung der Menschen ab. Wir wollen den Menschen klar machen, dass es nicht nur Ihre Politik der offenen Grenzen und der grenzenlosen Liberalisierung gibt, meine Damen und Herren, sondern auch ein sozialverträgliches, lebenswertes Europa, das Europa der Völker, der Kulturen und der ethnischen Vielfalt. Dafür stehen wir Nationaldemokraten ein.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Ich erteile der Fraktion der FDP das Wort. Frau Schütz, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Dass die EU keine Einbahnstraße ist, möchte ich Ihnen als Görlitzerin sagen. Das, worüber hier die ganze Zeit geredet wurde, erlebe ich, erleben wir Görlitzer praktisch, hautnah jeden Tag. Vorab sei es mir erlaubt zu sagen, dass es mich schon verwundert, wie die Große Anfrage auf die Tagesordnung kommt. Aber das werden wir auch noch lernen.

Ich möchte aus der Sicht der Praxis berichten.

Die Eröffnung des Deutsch-Polnischen Jahres am 3. Mai in Görlitz hätte natürlich auch noch etwas größer gefasst werden können, denn sie fand leider nur für die geladenen Gäste statt. Was der Generalkonsul dort gesagt hat, wäre für die breite Öffentlichkeit sicher sehr interessant und bedenkenswert gewesen, damit wir die Bürger vor Ort tatsächlich so motivieren können, wie das in den Ansprachen beschrieben wurde.

Ich selbst habe am 9. Mai am Soldatenfriedhof in Zgorzelec den Toten meine Ehre erwiesen. Ich kann jetzt hier keine lange Geschichtsstunde halten. Wir arbeiten lieber praktisch vor Ort. Das ist das, was wir in verantwortlicher Position tun können.

Das, was wir vor Ort erleben und was hier in der Großen Anfrage dargestellt wurde, kann ich an zwei Beispielen sehr konkret untermauern. Trotzdem dürfen wir dabei nicht stehen bleiben, sondern müssen weitergehen. Gerade die Sanierung und Erweiterung der deutsch-polnischen Kindertageseinrichtung, in der die Vorkehrungen getroffen wurden, auch polnische Hortkinder aufnehmen zu können, damit diese die Grundschule in Görlitz besuchen können, zeigt, dass das noch nicht bis zu Ende umgesetzt wurde. Hierfür sind die staatsrechtlichen Verträge nach wie vor noch nicht unterzeichnet worden. Hier bitten wir die Staatsregierung, sich verstärkt dafür einzusetzen, dass das, was wir vor Ort vorbereiten, tatsächlich umgesetzt werden kann.

Am Rande bemerkt sei noch, dass auch die staatlichen Institutionen entsprechend vorbereitet werden müssen. Wenn jemand wie ich Polnisch lernt und das in der Steuererklärung als berufliche Weiterbildung angibt und das dann nicht bzw. nur auf nochmaliges Nachfragen anerkannt wird, dann ist dies sicherlich auch ein Zeichen

dafür, wo wir zurzeit stehen und was noch getan werden muss.

In der Großen Anfrage wurde auch auf die Ansiedlung von polnischen Unternehmen in Deutschland eingegangen. Hier gibt es eine Interessenskollision. Wenn die IHK in Görlitz die Konzepte für die Ansiedlung prüft, dann ist die IHK aber selbst eine Interessenvertretung der deutschen Unternehmen, die natürlich eigene wirtschaftliche Interessen hat. Deshalb ist es für sie schwierig, die Konzepte der Ansiedlung positiv zu bewerten und den Ermessensspielraum so auszunutzen, wie es notwendig wäre, um eine verbesserte wirtschaftliche Zusammenarbeit zu erreichen. Hier gibt es immer noch ein Konkurrenzdenken und ein Streben nach Abschottung. Daran müssen auch wir im Parlament denken. Ich kann an dieser Stelle nur dazu aufrufen, dass wir uns als Abgeordnete zusammen mit der Staatsregierung verstärkt für diese Zusammenarbeit einsetzen und unsere Vorstellungen unter die Menschen bringen, damit wir tatsächlich den Weg, den wir eingeschlagen haben, weitergehen können, um die Beziehungen mit den polnischen und natürlich auch den tschechischen Mitbürgern weiter auszubauen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Ich erteile der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Frau Hermenau, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn auch diese Große Anfrage der Koalition heute wahrscheinlich eher zufällig auf der Tagesordnung steht, so geht das doch einher mit einem sehr wichtigen Ereignis, das heute auch stattfindet, allerdings nicht in Sachsen, sondern in Nancy. In Nancy in Frankreich treffen sich heute Monsieur Chirac, Herr Schröder und Herr Kwasniewski. Sie treffen sich, um gemeinsam in der französischen Bevölkerung für die Annahme der Europäischen Verfassung bei der Volksabstimmung zu werben. Ich halte es für bemerkenswert, dass ein polnischer Präsident und ein deutscher Bundeskanzler einen französischen Präsidenten dabei unterstützen, in der eigenen Bevölkerung dafür zu werben, der Verfassung der Europäischen Union zuzustimmen. Ich glaube, dass es ein wichtiges Zeichen für die europäische Integrationskraft ist, dass so etwas nicht einmal einhundert Jahre nach der deutsch-russischen Grenze und sechzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, den die Deutschen in Europa vom Zaum gebrochen haben, möglich ist. Es beeindruckt mich, dass wir Europäer, egal ob polnischer, deutscher oder französischer Abstammung, in der Lage sind, wirklich zusammenzuarbeiten. Auch wenn es immer wieder Probleme gibt, wie zum Beispiel das Misstrauen auf polnischer Seite gegenüber Landkäufen – was man durchaus nachvollziehen kann –, so sind wir trotzdem inzwischen so weit, dass wir im Rahmen der Europäischen Union Wege gefunden haben, gutnachbarschaftliche Beziehungen herzustellen. Das halte ich für einen großen Fortschritt, auch wenn ich mit Bedauern feststellen muss – und die Große Anfrage widerspiegelt das deutlich –, dass die emotionale Bezie

hung, die zum Beispiel die Franzosen und die Polen miteinander haben, zwischen den Deutschen und den Polen so nicht vorhanden ist.

(Volker Bandmann, CDU: Das stimmt doch nicht!)

Uns fehlt der Bevölkerungsteil, der mit dem Herzen wirklich dabei ist, die deutsch-polnische Nachbarschaft auch wirklich zu leben. Es wird zum Beispiel durch das Wirtschaftsforum versucht – was mitunter etwas verkrampft wirkt –, die ökonomischen Gemeinsamkeiten zu thematisieren. Wir sprechen darüber, dass wir nicht gemeinsam in der globalisierten Welt untergehen wollen. Das ist ein Wert, aber kein Wert allein. Ich wünschte mir mehr Gemeinschaft.

Dabei gibt es auf sächsischem Boden durchaus eine Bevölkerungsgruppe, die wirklich mit dem Herzen dabei wäre, wenn es darum geht, die gutnachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Sachsen und Polen herzustellen und zu bewahren. Das sind die Sorben. Sie kommen allerdings in der Großen Anfrage weder in der Frage noch in der Antwort vor.

Wenn in den Redebeiträgen hier verkürzt auf Görlitz hingewiesen wird – ich zitiere Herrn Schowtka: „Zwei Kulturen – zwei Sprachen“–, dann ist das zu kurz gesprungen. Wer sich in der Oberlausitz auskennt, der weiß, dass wir mindestens von drei, wenn nicht gar vier Sprachen sprechen müssen. Wir wissen, wie sich die Sorben bemühen, diese deutsch-polnische Nachbarschaft mit Leben zu erfüllen. Wenn sie zum Beispiel im Witaj-Projekt zugewanderte, in Sachsen heimisch gewordene deutsche Eltern ermutigen, ihre deutschsprachigen Kinder in Kindergärten zu geben, in denen sie spielerisch Sorbisch lernen, was ihnen sehr hilft, mit der polnischen Sprache umzugehen, man dann aber dieses Witaj-Projekt an den sorbischen Schulen nicht weiterführen kann, weil diese Schulen zum Beispiel durch die Schulnetzplanung gefährdet sind, dann ist das entmutigend und zeigt, dass wir mit dem Herzen nicht dabei sind. Das halte ich für ein Problem.

(Beifall bei den GRÜNEN und der PDS)

Die Sorben haben Anfang des Jahres ein Treffen der vier Kulturen selbst organisiert: der tschechischen Kultur, der polnischen Kultur, der sorbischen Kultur und der deutschen Kultur. Es wurde auch in vier Sprachen geredet, aber gesponsert haben größtenteils Sorben und Polen. Was sagt uns das? Ich finde, es reicht nicht, dass man mit zwölf Polnischlehrern versucht, in Sachsen deutlich zu machen, dass wir uns dieser nachbarschaftlichen Beziehung annehmen. Wenn es so große Schwierigkeiten auch in Westsachsen gibt, diese gutnachbarschaftlichen Beziehungen zu Polen mit dem Herzen und auch mit der Sprache zu pflegen, warum stärken wir dann nicht zum Beispiel die Witaj-Projekte, in denen die Sorben versuchen, das mit Leben zu erfüllen, wovon wir hier träumen und sprechen.

Ich bin dafür, dass man das genau überlegt. Die Industrie- und Handelskammer hat im Frühjahr ihre Umfrage gemacht, ein Jahr nach dem Beitritt von Polen, Tschechien und anderen Ländern zur Europäischen Union. Die Wirtschaft, aber nicht nur sie, auch die Kultur for