Protokoll der Sitzung vom 20.05.2005

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und der PDS)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Herr Seidel, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren in diesem Hohen Hause! Was wir soeben gehört haben, ist doch ein Musterbeispiel für die Verwirrung in einigen Köpfen. Es ist ein Musterbeispiel deshalb, weil nicht die Bedrohung der freiheitlichen Demokratie durch gewaltbereite Extremisten, sondern angebliche Übergriffe der Polizei thematisiert werden. Wir als CDU-Fraktion werden das nicht hinnehmen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! In Leipzig wohnen zirka 500 000 Bürger, mindestens 499 000 davon lehnen jede Gewalt ab. Wir Leipziger haben es satt, dass unsere Stadt als Aufmarschplatz für Rechtsextremisten missbraucht wird und Linksextremisten den Aufmarsch als Vorwand nutzen, um ihren Hass auf unseren Staat und auf diejenigen, die diesen Staat zu schützen haben, auszutoben.

(Beifall bei der CDU)

Aber auch in Leipzig gibt es einen Kern von linksradikalen Gewalttätern, die jeden Anlass nutzen, um auf menschenverachtende Weise ihre Gesinnung nach außen zu demonstrieren.

Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, gibt es jenen Herrn Worch, wohnhaft in Hamburg, der am 17. Juli 2003 eine Demonstration für den 1. Mai 2005 angemeldet hatte. Das Ordnungsamt der Stadt Leipzig hatte diese mit 20 Auflagen belegt, weil es die Leipziger nicht dulden wollen, dass nationalsozialistische Symbole, Parolen und Gesänge die Stadt schänden. Insbesondere wollte Leipzig mit seinen Auflagen die Demonstrationsroute so ändern, dass eine Konfrontation mit friedlichen Demonstranten zum 1. Mai auf dem Augustusplatz nicht zustande kommt. Dem wurde vom Oberverwaltungsgericht Bautzen nicht Rechnung getragen mit Hinweis auf das verfassungsmäßig gesicherte Demonstrationsrecht.

Doch, so konstatierte die Polizei, dem Aufruf der Connewitzer Szene im Internet, nach Leipzig zu kommen, sind mehr als 2 000 gewaltbereite Kumpane aus ganz Deutschland gefolgt. Denen war an Randalen gelegen, egal auf welcher Marschroute.

(Beifall bei der CDU – Uwe Leichsenring, NPD: Hört, hört!)

Auch die Rechtsradikalen haben im Internet zu ihrem Aufmarsch aufgerufen. Insgesamt 826 Worch-Anhänger sind dem Aufruf gefolgt und wurden auf der Ostseite des Leipziger Hauptbahnhofes von vier Einsatzhundertschaften der Polizei aus Sachsen, Sachsen-Anhalt, Hessen, Berlin und Nordrhein-Westfalen in Empfang genommen und strikt auf die Einhaltung der Auflagen der Stadt Leipzig untersucht.

Insgesamt waren 3 200 im Einsatz, meine Damen und Herren. Nachdem Worch – Herr Lichdi hatte es angedeutet – einen Aufruf zum gewaltsamen Durchbrechen der Polizeiabsperrung abgesondert hatte und dies durch den Einsatz der Polizei verhindert wurde, kam es zu einem massiven Angriff der Linksradikalen mit Steinen, Flaschen, Feuerwerkskörpern und Reizgas auf die Polizei.

(Zuruf der Abg. Kerstin Köditz, PDS: Auf Worch!)

Und wenn Schutzkleidung und Einsatztaktik nicht angemessen gewesen wären, dann hätte es aufgrund dieser schweren Angriffe wahrscheinlich auch tote Polizisten gegeben, meine Damen und Herren. Das können wir nicht dulden!

(Beifall bei der CDU)

Genau diese Taktik ging weiter am Augustusplatz und am Roßplatz. Diesen Gewaltausbruch der Störer zu verharmlosen und stattdessen den Polizeieinsatz als Desaster für die Demokratie zu verunglimpfen, das schaffen nur Sie von der PDS.

(Beifall bei der CDU)

Ich frage Sie: Von wem ging die Gewalt aus?

(Klaus Bartl, PDS, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein! – Bei den Einsätzen dieser Größe und Qualität, bei denen Leben und Gesundheit unserer Beamten bewusst gefährdet werden, muss nötigenfalls auch entsprechende Härte gezeigt werden. Das ist kein Desaster für die Demokratie, sondern bei der Durchsetzung von Recht und Gesetz unvermeidlich. Wir sollten auch hier bei dieser Debatte nicht Wirkung und Ursache vertauschen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU – Johannes Lichdi, Grüne, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein. Meine Damen und Herren! 66 verletzte Polizeibeamte, 2 500 Personenkontrollen, 1 786 Platzverweise, über 1 000 Personendurchsuchungen, 101 Sicherstellungen von Gegenständen wie Messern und pyrotechnischen Erzeugnissen, 104 freiheitsentziehende Maßnahmen – davon nachweislich 82 aus dem linken Spektrum und neun aus dem rechten Spektrum – sind Fakten, die für sich sprechen. Von dem eingetretenen Sachschaden in Höhe von etwa 100 000 Euro, den größtenteils der Steuerzahler – also wir alle – bezahlen muss, möchte ich gar nicht sprechen.

Nach dem, was uns der Innenminister im Innenausschuss ausführlich berichtet hat, sehen wir keinen Grund, die Einsatztaktik der Polizei zu kritisieren. Wir stellen uns vor unsere Polizei!

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Kerstin Köditz, PDS)

Sie hat am 1. Mai unter schwierigen Umständen die freiheitlich-demokratische Grundordnung, wozu auch das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gehört, tapfer verteidigt. Sie ist nicht vor dem gewaltbereiten Mob zurückgewichen, sondern hat das polizeitaktisch Gebotene getan. Wir danken unserer Polizei für ihren besonnenen und energischen Einsatz zum Schutz von Recht und Gesetz,

(Beifall des Abg. Volker Bandmann, CDU)

und wir drücken den 66 verletzten Polizeibeamten des Bundes, der anderen Länder und unserer eigenen Polizei unser Mitgefühl aus und auch den unbeteiligten Demonstranten, die von den Steine werfenden Gewaltchaoten verletzt wurden.

(Kerstin Köditz, PDS: Von den Wasserwerfern!)

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile der Fraktion der PDS das Wort; Herr Dr. Külow, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach diesem Auftritt aus dem schwarzen Paralleluniversum von

Herrn Seidel fällt es mir nicht leicht, ruhig zu bleiben; ich probiere es trotzdem. Die denkwürdigen Ereignisse am 1. Mai 2005 in Leipzig vollzogen sich bekanntlich nicht im luftleeren Raum. Der 13. Aufmarsch eines mehrfach vorbestraften Neonaziführers und seiner braunen Horden fand exakt eine Woche vor dem 60. Jahrestag der Befreiung statt, dem Tag, an dem europaweit der Opfer des von Nazideutschland begonnenen und am 8. Mai 1945 auf unserem Kontinent beendeten Zweiten Weltkrieges gedacht wurde.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Lichdi.

Bitte.

Kollege Külow, haben Sie im Gegensatz zu Herrn Kollegen Seidel, der soeben gesprochen hat, mitbekommen, dass ich in meinem Redebeitrag lediglich davon gesprochen habe, dass die Demonstration am Augustusplatz friedlich war, und dass ich nicht von den Auseinandersetzungen am Roßplatz gesprochen habe?

Ich habe das nicht nur mitbekommen, sondern ich kann es als Augenzeuge bestätigen. Ich bin die ganze Zeit vor Ort gewesen.

(Zurufe von der NPD: Aha! – Zuruf des Abg. Uwe Leichsenring, NPD)

Darum sage ich ja, dass Herr Seidel eine Wahrnehmung hat, die aus dem Paralleluniversum kommt. – Auf Sie komme ich noch zu sprechen, Herr Leichsenring; Sie können sich schon mal ganz warm anziehen!

(Lachen bei der NPD)

Trotz dieses sensiblen zeitgeschichtlichen Hintergrundes ermöglichte das Zusammenwirken aller drei Gewalten – von Legislative, Exekutive und Judikative – die rechtsextremistische Worch-Demonstration, und das exakt in dem Land, auf dessen Boden einst das barbarischste System der Weltgeschichte herrschte und in dem seit fünf Jahren der viel beschworene Aufstand der Anständigen gegen das Wiedererstarken von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus stattfindet. Mehrere tausend friedliche Demonstranten nahmen dieses Kredo ernst und verhinderten zum wiederholten Male den Durchmarsch von Worch & Co.

(Beifall bei der PDS)

Die teilweise skandalösen Rahmenbedingungen für diese demokratische Protestbewegung – nicht zuletzt von aufrechten Männern der Kirche, wie den Pfarrern Wolff und Führer –; in der Öffentlichkeit auf das Heftigste kritisiert – Sie sollten vielleicht mal in einen Gottesdienst in der Nikolai- oder Thomaskirche gehen, Herr Seidel

(Zurufe und Heiterkeit bei der CDU)

, sind heute allerdings völlig zu Recht Gegenstand der parlamentarischen Debatte. Nach zwei Anhörungen, an denen Dutzende Augenzeugen – darunter neben verletzten und inhaftierten Demonstranten auch Richter, höhere Polizeibeamte sowie verantwortliche Kommunalpolitiker – teilnahmen, verfügt die PDS bereits über ein recht differenziertes Bild vom Geschehen.

Gerade weil wir die noch ausstehende lückenlose Aufklärung der Ereignisse einfordern, gerade weil wir angesichts der angemeldeten 19 Worch-Demos bis 2014 um die politische Dimension der ganzen Angelegenheit wissen, gerade weil uns das gemeinsame Agieren aller demokratischen Kräfte gegenüber den Nazis am Herzen liegt, geht es uns heute nicht vordergründig um Polizeioder Richterschelte. Für uns ist, wie Herr Lichdi es schon richtig formuliert hat, die entscheidende Frage: Wieso war im rot-rot regierten Berlin am 8. Mai ein auf Deeskalation ausgerichtetes Polizeikonzept der ausgestreckten Hand gegenüber den Demonstranten möglich, während im schwarz-roten Sachsen im Namen der so genannten wehrhaften Demokratie mit einer Null-Toleranz-Strategie völlig unverhältnismäßig gegen die friedliche Protestbewegung vorgegangen wurde?

(Beifall bei der PDS und den GRÜNEN)