Meine Damen und Herren! Es haben noch einige Fraktionen Restredezeit, und da die Regierung um einiges überzogen hat, besteht die Möglichkeit, von der Geschäftsordnung Gebrauch zu machen. Die NPD-Fraktion hat es bereits beantragt, die Fraktion der GRÜNEN und die PDS auch. Als Nächstes hat die PDS-Fraktion die Möglichkeit, Herr Dr. Martens auch für die FDP.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staatsminister! Das war genau das, was ich meinte. Da das hier eine Aktuelle Stunde ist, ist diese für die Aufarbeitung einer solchen Sache und für die Verständigung nach vorn denkbar ungeeignet. Ich unterstelle nicht, dass Sie hier bewusst unwahre Sachverhalte darlegen. Sie missbrauchen jedenfalls die Möglichkeit, dass hier unwiderlegt von Augen-, Ohren- und die ganze Sache sonst wie begleitenden Zeugen Rechtfertigungsmuster vorgetragen werden, die der weiteren Überprüfung – das sage ich jetzt in aller Ruhe – entweder in Behandlung dieses Berichtsantrages unserer Fraktion oder einer Fortsetzungsfeststellungsklage nicht standhalten werden.
Sie werden – so wie in der Sache mit dem Sondereinsatzkommando – vor der Frage stehen, dass Ihnen ins Stammbuch geschrieben wird, dass dieses und jenes rechtswidrig war und dass Sie demzufolge zu diesem und jenem im Landtag falsche Fakten vorgetragen haben. Sie müssen mindestens wissen, dass Tschense am vergangenen Mittwoch die Behauptung, die Sie jetzt vorgetragen haben, dass die LVB gefordert habe, die KarlLiebknecht-Straße zu räumen, damit dort wieder gefahren werden könne – Sie haben gesagt: „damit die Straße genutzt werden kann“ –, dementiert hat. – Das war im Prinzip die Rechtfertigung der Polizei: Man muss die Straße räumen vor diesem Volkhaus, weil angeblich die LVB die Straße wieder für Verkehrswege nutzen wollte. Tschense musste dies, nachdem die LVB gesagt hat: „Aber nicht mit uns!“, am Mittwoch im Stadtrat von Leipzig dementieren. Und jetzt bringen Sie dieselbe Legende mit anderen Worten wieder. Sie haben ohne jeden Grund die am Volkshaus sitzenden Gewerkschafter weggeräumt.
Zweitens – die Sache mit der Meldung des Abg. Külow schauen wir uns näher an. Er war an diesem Tag lange Zeit unter „Beobachtung“ der Frau Weihnert. Demzufolge müsste sie ihre Wahrnehmung gemacht haben über das Verhalten des Herrn Dr. Külow. Mag es sein, wie es will. Ich möchte wissen, ob es – in welcher Form auch immer – Informationskanäle hinein zur Polizei gibt, wie sich Abgeordnete bei Demonstrationen verhalten. Wenn
wir das feststellen, Herr Staatsminister, dann behandeln wir das auch nicht nur politisch, sondern rechtlich.
Drittens: Noch einmal in aller Ruhe: Ist es richtig, dass die Polizei letztendlich auf eine Konstellation gestoßen ist, die sie nicht selbst verursacht hat? Der Ausgangspunkt ist zweifellos die Tatsache, dass ein Mensch wie Worch, mein Kollege sagte es bereits, mehrfach vorbestraft, ein ausgewiesener Nazi, ein ausgewiesener Rechtsextremist ist – entgegen §§ 5 und 15, wonach zum Beispiel die Eignung der Person für die Anmeldung auch zu berücksichtigen ist. Und dann gab es ja wohl 199 Ermittlungsverfahren nach einem der Worch-Aufzüge wegen des Skandierens: „Ruhm und Ehre der Waffen-SS!“
Wieso er ohne jedes Problem weiterhin Demos bis 2014 anmelden kann, fragen 95 % der Bürger in diesem Lande. Es ist undenkbar!
Jetzt meine ich den Staatsminister der Justiz, wir können hier keine Richterschelte betreiben. Ich will es auch nicht tun.
Aber es ist letzten Endes eine undenkbare Situation, wenn ich tatsächlich feststellen muss, dass ein Verwaltungsgericht eine Entscheidung, dass Worch marschieren darf, damit begründet, dass auf derselben Marschstrecke auch der IG-Metall-Marsch genehmigt worden sei. Wenn sich dann die Versammlungsbehörde meldet und sagt: „April, April – das war die Anmeldung von der IG-Metall. Diese haben wir gerade nicht genehmigt. Ihr habt unter ganz falschen Voraussetzungen der Beschwerde stattgegeben!“ –, ist das doch schlimm.
Es ist genauso schlimm mit diesem OVG – ich sage es direkt. Es ist keine Richterschelte, aber auch über einem Richter ist nicht nur der Himmel. Auch dort darf ich einmal etwas sagen. Es ist genauso schlimm, wenn ein 32-jähriger Richter von der Hohen Burg in Bautzen, ohne zu wissen, wie die räumlichen Verhältnisse sind, über ein Rechtsmittel entscheidet, was die ganze Sache nach Einschätzung der Versammlungsbehörde noch einmal „verschlimmbessert“, weil es nämlich die beiden näher zusammenbringt – wohlgemerkt, dass es die Gelegenheit gibt, an solchen exponierten Gebäuden vorbeizuziehen wie dem Verfassungsgericht, dem Landgericht, dem OVG und dergleichen mehr. Alles ist nachzulesen in den Beschlüssen selbst, in den entsprechenden Stellungnahmen der Versammlungsbehörde. Das sind Dinge, über die ich gern im Ausschuss sprechen möchte.
Viertens: Herr Staatsminister, wenn Sie am 30. Mai 1992 oder 1991 vor diesen Landtag hingetreten wären und berichtet hätten, dass zum 1. Mai in Leipzig – mit aller Symbolik – von vornherein im Polizeikonzept Reiterstaffeln waren, verspreche ich Ihnen: Die fünf Fraktionen, die damals hier saßen, hätten Ihnen die Ohren vom Stamm gehauen. Das ist mein Problem. Wenn wir so weit sind, können wir ganz selbstverständlich den 1. Mai mit Reiterstaffeln vorbereiten. Das Drohpotenzial von Pferden ist hier kalkuliert.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werter Herr Lichdi! Der Schuss ging ja ein bisschen nach hinten los. Sie wollten hier eine Aktuelle Debatte haben über die Unverhältnismäßigkeit der Polizei, des Polizeieinsatzes in Leipzig, und mussten aus dem Munde des Ministers erfahren, dass der ganze Trubel nur deswegen losging, weil Linksextremisten am Werke waren.
Lassen wir mal alle Vorsilben weg, lassen wir mal linksextrem, rechtsextrem weg, lassen wir Namen weg. Es gibt einen Anmelder, es gibt eine Bestätigung des Gerichtes, dass dieser Anmelder mit seiner Gruppe marschieren darf.
Ich weiß es nicht, ich war nicht dort. Ich hatte Ihnen vorhin gesagt, dass ich es noch nicht erlebt habe, dass marschiert wurde, wenn ich dabei war. Er ging also dort entlang und Herr Mertens und er wurden rechtswidrig gestoppt. Ich hatte Ihnen vorhin gesagt, ich bin kein Freund von dem Mann, mir geht es ums Prinzip. Ich hätte gern vom Herrn Innenminister ein klares Wort gehört, ob diejenigen, die die Straße blockieren, egal wer und warum er marschiert – einfach nur prinzipiell –, wer sich auf eine Straße setzt oder in anderer Weise eine angemeldete Demonstration verhindert, Gesetzesbrecher sind oder nicht. Darf ein Abgeordneter dieses Hauses oder eine Abgeordnete dieses Hauses das gut finden, darf sie sogar zu Gesetzesbruch aufrufen? Ja oder nein? Ich hätte mir gewünscht, das aus Ihrem Munde zu vernehmen, denn das Versammlungsgesetz ist doch eigentlich recht eindeutig gehalten. Wir haben so viele Anwälte hier im Raum, die sich auch heute zu Wort gemeldet haben. Von denen habe ich kein klares Wort gehört.
Ich denke, die Tatsache, dass Abgeordnete dazu aufrufen, dass Gesetze gebrochen werden, nämlich angemeldete Demonstrationen zu verhindern, ist der Skandal, nichts anderes. Egal, wer marschiert und demonstriert, warum sie marschieren und demonstrieren – das ist vollkommen außen vor. Allein die Tatsache, eine angemeldete, gerichtlich bestätigte Demonstration verhindern zu wollen, ist Gesetzesbruch und für mich skandalös, dass es auch in diesem Hause hier genannt werden darf.
Wie ich Sie verstanden habe, haben Sie, Herr Leichsenring, danach gefragt, ob es rechtens ist, eine solche Sitzblockade gegen eine genehmigte Demonstration zu machen. Ist Ihnen der Wortlaut des Artikels 20 Abs. 4 bekannt? In Artikel 20 steht:
„Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“
(Höhnisches Lachen bei der NPD – Dr. Johannes Müller, NPD: Jeder blamiert sich, so gut er kann, Herr Bartl.)
Ich denke, wir alle kennen Artikel 20 Abs. 4. Wir alle kennen aber auch das Versammlungsgesetz, §§ 21, 23. Der Wortlaut des Gesetzes ist eindeutig. Ich hätte Sie erleben wollen, wenn das einmal umgedreht kommt, wenn sich irgendjemand auf die Straße setzt, wenn Sie demonstrieren. Das hat es so noch nicht gegeben. Wir halten uns schon an Recht und Gesetz.
Ich habe noch eine Frage an den Innenminister. Wie soll denn die ganze Sache weitergehen? Ich möchte vom Minister wissen, ob die Polizei in Zukunft in der Lage sein wird, eine gesetzlich, auch richterlich genehmigte Demonstration zu gewährleisten, oder werden Sie weiter vor linksextremen Störern kapitulieren? Denn dieser polizeiliche Notstand ist ja nichts anderes als eine Kapitulation vor den Gewalttätern. Da hätte mich schon interessiert, ob Sie in Zukunft in der Lage sein werden, Recht und Ordnung zu schaffen und durchzusetzen oder ob es hier wieder einen Polizeinotstand geben wird, was für mich auch einen Notstand der Demokratie bedeutet.
Die Fraktion der FDP hat noch die Möglichkeit zu sprechen. – Im Moment nicht. Bitte, Herr Lichdi von den GRÜNEN.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Leichsenring, Sie sind doch hoffentlich der deutschen Sprache mächtig und können lesen. Dann hätten Sie nämlich lesen können, dass der Titel der Aktuellen Debatte nicht „Unverhältnismäßigkeit“, sondern „Verhältnismäßigkeit“ des Einsatzes am 1. Mai lautet. Das heißt, wir haben die Frage keineswegs in Ihrem Sinne beantwortet, sondern wir haben sie offen gestellt. Herr Staatsminister, Ihr Redebeitrag war zwar im Ton wohltuender als der Redebeitrag des Kollegen Seidel. Aber trotzdem möchte ich mich ausdrücklich und mit einer gewissen Schärfe dagegen verwahren, dass Sie meinen Redebeitrag so verstehen wollten, als ob ich oder meine Fraktion jetzt in irgendeiner Form die Polizei einseitig beschuldigen oder auch nur die Gewaltbereitschaft
der linksextremistischen Gewalttäter und der anderen irgendwie rechtfertigen wollten. Ich finde das nicht gut. Wenn ich da manche Zwischenrufe aus Ihrer Fraktion höre, sagt es ja genau das. Wir werden die ganze Zeit als GRÜNE in eine Ecke gestellt, von der wir uns immer klar distanziert haben, mit der wir nichts zu tun haben.
Ich möchte Sie bitten, Herr Staatsminister, da vielleicht genauer zuzuhören. Vielleicht haben Sie durchaus gemerkt, dass ich in meinen Redebeiträgen bemüht bin, sehr zu differenzieren. Ich wünsche mir, dass Sie das auch wahrnehmen. Nur sind Sie genau am Kern unserer Kritik wieder vorbeigegangen. Sie haben wieder gesagt, die Polizei hat rechtmäßig gehandelt; Sie haben die einzelnen Situationen dargestellt. Damit ist die Sache für Sie erledigt. Sie haben das Wort von den 2 000 gewaltbereiten Linksextremisten wiederholt und nicht klar differenziert zwischen denen, die friedlich demonstriert haben, und denen, die gewaltbereit sind. Sie haben wieder insinuiert – das kennen wir ja auch schon aus der Loschwitzer Geschichte: Wenn sich die gewaltbereiten Demonstranten in die friedlichen hineinbegeben, dann ist es mehr oder weniger gerechtfertigt, wenn dann auch ein Wasserwerfereinsatz kommt.
Das politische Problem, Herr Staatsminister, haben Sie überhaupt noch nicht berührt. Das bedauere ich. Das politische Problem ist doch tatsächlich, dass es darum geht, wie wir die Bereitschaft der Leipziger Bevölkerung, die zu begrüßen ist, aufrechterhalten und ermutigen können. Sie braucht jetzt ein neues und ermutigendes Signal, weil sie andere Erfahrungen gemacht hat, dass sie auch bei der nächsten Gelegenheit wieder guten Gewissens auf die Straße gegen die Nazis gehen kann.
Wenn Sie hier die Gemeinsamkeit der Demokraten zu Recht anmahnen, dann gebe ich diese Mahnung auch an Sie zurück, weil es auch zu Ihrem Aufgabenbereich gehört, hier einzuwirken und mitzuwirken. Da nützt es nichts, wenn Sie allein darauf beharren, dass alles rechtmäßig war: Die Polizei hat richtig gehandelt, wir danken der Polizei. Das können Sie auch tun, aber damit ist Ihre Aufgabe nicht erschöpft. Ich bitte Sie, darüber mehr nachzudenken und in Zukunft vielleicht mehr unter dieser Devise zu handeln.
Herr Abg. Bartl, damit sich da kein Missverständnis vertieft: Ich habe nicht behauptet, die Verkehrsbetriebe hätten das beantragt oder Ähnliches, sondern es war klar und beabsichtigt, dass möglichst früh Normalität in der Stadt Leipzig hergestellt wird und möglichst früh die Straßenbahnen rollen. Deswegen hat die Polizei entschie