Protokoll der Sitzung vom 14.07.2005

Wenn Sie die Nachfrage als Motiv für wirtschaftliche Aktivitäten nennen – das ist mein letzter Satz –, dann ist das ein fantastischer Sinneswandel, wo Sie doch sonst immer eine staatliche Angebotssteuerung betrieben haben und beabsichtigen. Exportnachfrage scheinen Sie nicht zu kennen.

Herr Patt, bitte zum Schluss kommen!

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile der Fraktion der PDS das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Pecher, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, wegen 2 % Mehrwertsteuererhöhung sei in Deutschland noch niemand verhungert oder erfroren, dann ist das einfach nur zynisch und menschenverachtend.

(Beifall bei der PDS)

Sie als Sozialdemokrat sollten nachdenken, bevor Sie hier so reden. Das ist überhaupt nichts Schlechtes: Erst den Kopf einschalten, dann den Mund aufmachen!

Sie meinen, Herr Ministerpräsident Milbradt täte für Sachsen etwas Gutes, wenn er sagt, wir könnten auf den Länderanteil verzichten, wenn die Erhöhung komme. Ich kann verstehen, wenn Herr Milbradt meint, er müsse Frau Merkel im Kampf mit den Männern des AndenPaktes stärken. Das sei ihm gegönnt. Er ist solidarisch mit einer Frau. Vielleicht wird das mit einem Ministerposten belohnt. Das wissen wir nicht. Er ist aber als

Ministerpräsident für die sächsische Bevölkerung gewählt. Für sie soll er sich stark machen.

(Volker Bandmann, CDU: Das macht er doch! – Heinz Eggert, CDU: Erst den Kopf einschalten!)

Ich schalte meinen Kopf zuerst ein. Das können Sie wissen.

In Sachsen mussten zum 31.12. vergangenen Jahres 139 944 Personen von Sozialhilfe leben. 37,4 % davon waren Jugendliche unter 18 Jahren. In der gesamten Diskussion um die Mehrwertsteuererhöhung habe ich noch nicht gehört, dass der Ministerpräsident aufgestanden wäre und gesagt hätte: Natürlich werden wir in Sachsen zum Ausgleich die Ansprüche auf Sozialgeld erhöhen! Natürlich werden wir für Rentnerinnen und Rentner einen Ausgleich schaffen! – Mir ist davon nichts bekannt; vielleicht Ihnen.

Frau Hermenau, ich finde es gut, wenn Sie in nachfolgender Selbstkritik sagen, die Ökosteuer sei „Gemurkse“ gewesen. Natürlich war sie das! Jegliche Mehrwertsteuererhöhung ist eine Erhöhung der indirekten Besteuerung und hat nichts mit der Leistungsfähigkeit der Menschen zu tun. Sie bezieht sich auf den Verbrauch pro Kopf der Bevölkerung.

(Beifall bei der PDS)

Wird die Mehrwertsteuer in dieser Weise erhöht, kann ich als Einzelne, insbesondere dann, wenn ich nur ein sehr geringes Einkommen habe, nicht ausweichen. Zudem fließen die daraus erzielten Einnahmen natürlich in den Bundeshaushalt und die Länderhaushalte.

Der behauptete Zusammenhang, wir bräuchten das Geld, um die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken, ist nur hypothetisch. Es ist nicht so, dass der aus der Mehrwertsteuererhöhung gewonnene Euro zur Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge verwendet würde. Das ist Blödsinn. Es handelt sich um einen politischen Begründungszusammenhang, und dieser muss aufgeknackt werden.

Wenn Sie wirklich etwas tun wollen, dann müssen Sie anderswo anpacken. Da haben wir leider – wir haben es auch heute wieder gehört – eine schwarz-rot-grün-gelbe neoliberale Einheitsfront, die immer weiter an der Mär „Senkung der Lohnnebenkosten“ strickt. Blödsinn! Vielleicht sollte sich der Herr Kollege von der CDU einmal bemühen und das Konzept der PDS erst einmal lesen. Wir haben uns in unserem Steuerkonzept schon sehr detailliert geäußert. Dort finden Sie sogar etwas zur Mehrwertsteuer. Wir schlagen Ihnen nämlich eine Senkung der Mehrwertsteuer vor:

(Lachen bei der CDU – Zuruf von der CDU: Bravo!)

genau! – für arbeitsintensive Dienstleistungen, für die Tourismusbranche und für apothekenpflichtige Medikamente. Damit würde die Wirtschaft wirklich angekurbelt.

(Beifall bei der PDS)

Wenn Sie rechnen würden, würden Sie das feststellen. Ich nehme das Beispiel einer Handwerkerstunde, die

mich 43 Euro kosten würde. Der darin enthaltene Mehrwertsteueranteil – bei 16 % Mehrwertsteuer – beträgt 5,93 Euro. Die gesetzlichen Sozialaufwendungen betragen ganze 4,70 Euro. Eine Senkung um fünf Prozentpunkte würde eine Ersparnis von 60 Cent bringen. Toll! Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte verteuert die Handwerkerstunde noch einmal um fast einen Euro. Wenn Sie die Mehrwertsteuer tatsächlich um zwei Prozentpunkte erhöhen, dann ist das ein großes Programm zur Vernichtung vieler kleiner Existenzen.

(Beifall bei der PDS)

Das Problem ist: Wer bestellt sich denn heute einen Maler nach Hause?

(Zurufe von der CDU: Ich!)

Nur sehr wenige Menschen. Warum? Weil sie es sich einfach nicht leisten können. Was glauben Sie, wie toll der Prozess ins Rollen kommt, wenn Sie die Handwerkerstunde weiter verteuern?! Ich halte die Diskussion für sehr verfehlt.

Wir erwarten ein richtiges Konzept. Wir erwarten, dass Sie sich den Herausforderungen stellen und eine wirkliche Reform der sozialen Sicherungssysteme angehen. Wenn Sie sagen, Sie bräuchten sowohl im Land als auch im Bund Geld, dann erwarten wir von Ihnen, dass Sie dort anpacken, wo man Geld holen kann. Greifen Sie nicht auf so eine kleine, billige Reichensteuer zurück, die fast nichts bringt! Erheben Sie endlich wieder die Vermögensteuer! Reformieren Sie die Erbschaft- und Schenkungsteuer! Gestalten Sie die Einkommensteuer so aus, dass sie wirklich unten entlastet und oben belastet! Starke Schultern können auch mehr tragen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS)

Wird von der SPD-Fraktion das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Die NPD hat noch Sekunden. – Sie wünscht nicht das Wort. Die FDP? – Auch nicht. Dann frage ich die Fraktion GRÜNE.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Doch, das gönne ich mir!)

Frau Hermenau, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Höll, Sie haben es doch eigentlich nicht nötig, kleine Tricks anzuwenden und die Propagandamaschine loszuschicken. Sie haben sehr genau verstanden, dass ich gesagt habe, dass CDU und FDP die Ökosteuer immer als „Gemurkse“ bezeichnet haben. Sie haben diese Aussage soeben für Ihre Zwecke uminterpretiert, Frau Höll. Aber so ist halt die Propaganda bei der PDS. Worauf kommt es an? Das, was Sie von der CDU immer als „Gemurkse“ bezeichnet haben, brauchen Sie jetzt. Darauf können Sie gar nicht verzichten. Sie sind dabei, das, was Sie als „Gemurkse“ bezeichnet haben, mit der Mehrwertsteuer zu wiederholen. Ich finde das weder vernünftig noch stringent. Niemand im Lande versteht, warum

die CDU auf einmal der große Streiter für die Ökosteuer ist, auf die er nicht mehr verzichten kann. So einfach kommt man aus der Debatte nicht heraus. Die Ökosteuer war innerhalb der Verbrauchsbesteuerung das klügere Instrument. Das weiß jeder, der sich mit der Sache auskennt. Ursache ist, dass die Vermeidungsstrategien bei der Ökosteuer deutlich individueller sind als bei der Mehrwertsteuer. Das können wir gern ein anderes Mal ausdiskutieren. Was Sie, Herr Platt – Entschuldigung: Herr Patt –, hier geboten haben, war sehr interessant. Wer hat denn im Bund bis 1998 regiert? Wer regiert denn in Baden-Württemberg, in Thüringen und in Hessen, wo die Verfassungswidrigkeit der Haushalte festgestellt worden ist bzw. wo die Grenze zur Verfassungswidrigkeit fast erreicht ist? Herr Rüttgers ist zugegebenermaßen eine Ausnahme; er hat gestern auch eine schwache Rede gehalten. Versuchen wir es anders! Heike Göbel, seit Jahren anerkannte Journalistin im Bereich Finanzen und Wirtschaft der „Frankfurter Allgemeinen“, das heißt eines Blattes, das auch Sie mitunter zur Hand nehmen, kann ich gern zitieren: „Man kann es drehen und wenden, wie man will. Die Mehrwertsteuererhöhung der Union ist ein Fehler. Sie perpetuiert die alte Politik des Weiterwurstelns, die ursächlich ist für die von der Union selbst beklagte Zerrüttung der Finanzen in den Sozialversicherungen. Zu einer Politik, die sich die Verbesserung der Wachstumschancen auf die Fahne geschrieben hat, passt sie jedenfalls nicht.“ Ich stelle es für Sachsen plastisch dar: 300 000 Sachsen arbeiten im Handwerk. Die Handwerkskammer Dresden hat im Frühjahr dieses Jahres, also erst vor kurzem, die allgemeine Geschäftslage durch eine Umfrage beleuchtet. Über die Hälfte aller Handwerksbetriebe beklagt die schlechte Geschäftslage. Sie sprechen von Umsatzeinbußen, sinkenden Auftragseingängen, rückläufiger Betriebsauslastung und steigenden Einkaufspreisen.

Seit zwei bis drei Jahren kann man zudem beobachten, dass die Zahl der Ausbildungsplätze stark rückläufig und die Zahl der Entlassungen stark ansteigend ist. Ich rede nicht vom Baugewerbe, das verzerrt ist. Das alles geschieht bereits ohne Mehrwertsteuererhöhung. Das sollte Ihnen zu denken geben, Herr Patt. Das, was Sie hier seriös vorzutragen versucht haben, hat nichts mit neuen Arbeitsplätzen zu tun. Ein Inhalt war nicht zu erkennen, nur die Verpackung hat gestimmt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der FDP)

Man kann sich nicht hinter der Lohnnebenkostendebatte verstecken, die wir in diesem Lande seit Jahren mühsam führen, und so tun, als würde man in diesem Bereich etwas anpacken, es dann aber nicht wirklich tun.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Aber sicher!

Bitte, Herr Dr. Hähle.

Frau Hermenau, ich möchte Sie fragen, warum Sie den Eindruck erwecken, als würde die CDU in Berlin schon regieren.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Sie setzen sich mit einem Wahlprogramm der Union auseinander, das wir den Menschen ehrlicherweise schon vorher bekannt gegeben haben. Es ist nicht so, dass die Regierungszeit der Union – –

(Holger Zastrow, FDP: Und die Frage?)

Die Frage habe ich schon verstanden. Es geht auch so. – Ich würde gern antworten, Herr Hähle.

Ja, bitte.

Zum einen regieren Sie in diesem Land schon mit dem Bundesrat lange mit und deswegen sind auch viele Reformen stecken geblieben, sprich: beim Subventionsabbau.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zum Zweiten: Eine der beiden großen Parteien wird definitiv regieren, wenn wir Pech haben, sogar beide zusammen. Wahrscheinlich sind Sie insofern nicht verfehlt angesprochen.

(Beifall bei den GRÜNEN)