Protokoll der Sitzung vom 14.07.2005

am 30.06.1990 noch 40,3 %, beträgt er heute 87,9 %. Damit waren die Rentner überproportional am Anpassungsprozess Ost-West beteiligt. Überproportional deshalb, weil die Bruttodurchschnittslöhne und -gehälter der abhängig Beschäftigten in den neuen Ländern nur rund 77 % der Westgehälter betragen. Keine Rentnerin und kein Rentner wird von seinen Kindern und Enkeln in Sachsen verlangen, geringere Gehälter und Löhne zu erhalten, damit ihre Renten steigen. Denn nichts anderes wäre es, wenn nach Forderung der PDS – ich zitiere –: „die Anpassung nur über eine entsprechende Erhöhung des staatlichen Zuschusses an die gesetzliche Rentenversicherung erfolgen kann“.

Erhöhung des staatlichen Zuschusses – nach Einschätzung der Staatsregierung rund fünf bis sechs Milliarden Euro – hieße: höhere Steuern und höhere Abgaben. Schon heute machen die staatlichen Zuschüsse bereits einen Großteil der gesetzlichen Rentenversicherung aus – um genau zu sein: im Jahr 2003 von 26,4 %. Nur 73,1 % der Einnahmen waren tatsächlich Beiträge.

Im laufenden Bundeshaushalt 2005 sind hierfür sogar zirka 78 Milliarden Euro vorgesehen, das sind rund 31 % der Gesamtausgaben des Bundes. Das sind die Tatsachen, und aus diesen Tatsachen heraus will die FDPFraktion diesen Antrag ablehnen.

Zum Schluss: Nach der Systematik des Sozialgesetzbuchs VI erfolgt eine Angleichung der Rentenwerte erst dann, wenn einheitliche Einkommensverhältnisse in Deutschland hergestellt sind. Lassen Sie uns also alles dafür tun, Arbeitsplätze in diesem Land zu sichern und neue zu schaffen, Arbeit steuerlich zu entlasten und Konsum nicht zusätzlich zu besteuern.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Die Fraktion der GRÜNEN, bitte. Frau Abg. Herrmann.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es herrscht Konsens darüber, dass es langfristig zu einer Angleichung der aktuellen Rentenwerte in Ost und West kommen muss. Nur der Weg dahin ist strittig.

Prinzipiell gäbe es zwei Möglichkeiten: Die Renten werden jetzt angeglichen, in diesem Jahrzehnt, oder die Renten werden allmählich angeglichen. Während die PDS den ersten Weg für richtig hält, halten wir den zweiten für den gerechteren. – Warum?

Die Erhöhung der Rentenwerte ist an die Einkommensentwicklung gekoppelt. Bekanntermaßen liegen die Einkommen im Osten noch immer unter denen im Westen. Wenn jedoch die Einkommen im Osten stärker steigen als im Westen, dann steigt auch der Rentenwert im Osten stärker, und das ist im Moment noch der Fall. Wenn sich die Einkommen angleichen, werden sich auch die Rentenwerte angleichen. Der Hebel, um die aktuellen Rentenwerte zu erhöhen, sind die aktuellen Einkommen. Das dauert vielen Rentnern – und mit ihnen der PDS – zu lange, und das ist verständlich. Es erweckt das Ge

fühl, die Politik würde nur abwarten, wie sich die Löhne entwickeln.

Die Angleichung der Renten beschränkt sich aber nicht nur auf die Angleichung der Rentenwerte, sondern umfasst auch die Gleichbehandlung bei der Festlegung der Entgeltpunkte. Das ist kompliziert, deshalb wird es im Allgemeinen weniger wahrgenommen. Es ist aber entscheidend. Die Entgeltpunkte, also die Punkte, die man während seiner Erwerbstätigkeit sammelt, sind nämlich in ihrem Wert bereits angeglichen. Auch sie sind an die Einkommen gekoppelt. Wer mehr verdient, erwirbt proportional mehr Entgeltpunkte für die künftige Rente; wer weniger verdient, entsprechend weniger. Hinzu kommt natürlich: Wer länger in die Rentenkassen einzahlt, erwirbt mit den Beitragsjahren auch mehr Entgeltpunkte.

Damit sich die niedrigeren Einkommen der Ostdeutschen während ihres gesamten Erwerbslebens nicht auf Dauer in den Renten niederschlagen, wurde der Wert der Entgeltpunkte für Osteinkommen erhöht. Dazu wird ostdeutsches Erwerbseinkommen um einen Faktor erhöht, der dem Verhältnis Westdurchschnittslohn zu Ostdurchschnittslohn entspricht. Das heißt, allmählich gleichen sich die Rentenansprüche aus den angeglichenen Entgeltpunkten an – trotz niedrigerer Einkommen im Osten.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: 16 Jahre deutsche Einheit!)

Würde man dagegen sofort ein einheitliches Rentensystem einführen – und das ist ja die Zielforderung Ihres Antrags –, würde dies bedeuten, dass die Rentenwerte deutlich vor den Einkommen angeglichen werden. Außerdem könnten die Entgeltpunkte dann nicht mehr in der beschriebenen Weise aufgewertet werden. Der eine Weg schließt den anderen aus. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dann müssten die heutigen Arbeitnehmer im Osten doppelt zahlen. Ihnen bliebe erstens wegen höherer Rentenbeiträge weniger Netto vom gegenwärtigen Einkommen und zweitens würden sie weniger Entgeltpunkte bekommen und damit niedrigere Rentenansprüche erwerben,

(Beifall bei der CDU)

und das wäre unserer Meinung nach der deutlich ungerechtere Weg.

Außerdem meinen wir: Ungerecht wäre die Angleichung der Renten zum jetzigen Zeitpunkt auch aus anderer Sicht. Sie verlangen eine steuerfinanzierte Angleichung, und das würde doch heißen: Die Mittel für ein Umsteuern, für die Integration der Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt, für Investitionen in Bildung und für eine Politik, die die Probleme der alternden Gesellschaft und des demografischen Wandels in Angriff nehmen will, würden schon vorher aufgefressen von den Kosten der Angleichung der heutigen Renten.

Es herrscht zwischen Ost und West mehr Rentengerechtigkeit, als viele glauben. Wir werden uns dafür einsetzen, dass dies auch zukünftig so bleibt und dass dabei die Interessen der heutigen Arbeitnehmer auch als künftige Rentner nicht unter die Räder kommen.

Deshalb werden wir diesen Antrag ablehnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wird von den Fraktionen weiterhin das Wort gewünscht? – Bitte, Herr Dr. Pellmann.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war zu erwarten, dass dieses Thema sehr unterschiedliche Aussagen der verschiedenen Fraktionen hervorrufen würde. Herr Gerlach, Sie hatten schon andere Sternstunden in diesem Hause. Sie haben über Rente an sich gesprochen – sehr wenig zum Thema. Wenn ich heute über Rente an sich und die verschiedenen Probleme reden würde, die damit im Zusammenhang stehen, würde es in der Zwischenzeit dunkel werden. Das will ich Ihnen nicht zumuten, sondern ich möchte beim Thema bleiben. Man kann die Sache drehen und wenden, wie man will. Wenn dieser Antrag abgelehnt wird, womit nach den Stellungnahmen zu rechnen ist, und wenn es nicht in Zukunft zu weiteren entsprechenden Initiativen kommt, dann haben wir Folgendes festzustellen und klarzustellen: Dann wird es in Deutschland auf absehbare Zeit Rentner erster und zweiter Klasse geben. Darüber können Sie diskutieren, wie Sie wollen. Das ist eine Tatsache.

(Beifall bei der PDS)

Das hat dann etwas damit zu tun: Es geht nicht darum, wie Sie es hier durcheinander bringen, Frau Herrmann. Sie haben es wirklich schon besser gemacht. Sie stellen hier dar, Sie müssten so und so viel höhere monatliche Rentenbeiträge zahlen. Das steht doch gar nicht drin. Wir wollen den politischen Willen zur Angleichung der Rentenwerte.

(Beifall bei der PDS)

Politischer Wille heißt selbstverständlich, dass diese Angleichung steuerfinanziert sein muss. Im Übrigen, wenn Sie mit den 31 % kommen, die Sie hier immer darstellen, sage ich Ihnen Folgendes: Die 31 % sind deshalb nötig, weil aus den Rentenkassen über Jahre, über Jahrzehnte artfremde Leistungen bezahlt werden.

(Johannes Gerlach, SPD, steht am Mikrofon.)

Hier haben Sie Äpfel mit Birnen verglichen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Gerlach?

Da er auch meine Zwischenfragen zulässt, selbstverständlich.

Herr Dr. Pellmann, soeben haben Sie einen hauchfeinen Unterschied gemacht, nachdem Sie mir unterstellt haben, nicht so richtig zum Thema gesprochen zu haben. Sie wollen ja nicht nur den Rentenwert Ost an den Rentenwert West angleichen, sondern – es steht genau drin – noch im laufenden Jahr

zehnt. Ich denke, dazu habe ich gesprochen, dazu habe ich Zahlen genannt. Diese mögen ja nicht mit Ihren eigenen Zahlen übereinstimmen oder mit Ihrer eigenen Idee. Der Knackpunkt ist: Den politischen Willen der Rentenangleichung finden Sie überall. Wenn Sie das „noch in diesem Jahrzehnt“ weggelassen hätten, hätten Sie vielleicht sogar eine Jastimme mehr bekommen.

Ist das Ihre Frage, Herr Gerlach?

Bitte noch einmal die Fragestellung.

Haben Sie mitbekommen, dass Sie es noch im laufenden Jahrzehnt wollen und dass dies genau der Unterschied ist?

Im Wahlkampf muss man ein bisschen aufpassen, wenn man der SPD dankt. Aber ich danke Ihnen herzlich für die Frage. Sie ermöglicht es mir, Folgendes zu sagen: Ja, noch in diesem Jahrzehnt. Das haben wir bewusst hineingeschrieben. Wie lange wollen wir denn noch warten?!

(Beifall bei der PDS)

Es ist schon ein schlimmes Eingeständnis der Staatsregierung in der Stellungnahme, wenn festgestellt wird: Bis es zur Rentenangleichung kommt, davon haben die gegenwärtigen Bestandsrentner nichts, weil sie nämlich dann gestorben sind. Genau deswegen, Herr Gerlach, müssen wir es in diesem Jahrzehnt erledigen. Wenn Sie nach der Finanzierung fragen – es wird ja nicht wahrer, wenn Sie uns ständig unterstellen, wir würden es nicht finanzieren –: Wir haben erst am Montag auf einer Pressekonferenz ein Steuerkonzept vorgestellt. Nicht nur Herr Merz hat dies getan – unseres geht zwar nicht um Bierdeckel, ist dafür intelligenter. Danach sind 66 Milliarden Euro im Jahr einzusparen.

(Beifall bei der PDS)

Meinen Sie nicht, dass davon ein Zehntel wenigstens für die Angleichung der Rentenwerte möglich sein sollte? Sie meinen immer wieder: Ja, es geht um Solidartransfers von West nach Ost. Ja, meine Damen und Herren, damit wir uns hier nicht falsch verstehen: Ich bin dankbar für das, was nach 16 Jahren in einem einheitlichen Deutschland aus dem Westen in den Osten an solidarischer Hilfe geflossen ist.

(Beifall bei der PDS)

Dafür bin ich dankbar und das erkenne ich an. Aber ich sage auch eines: Es kann ja wohl, bitte schön, erlaubt sein zu formulieren und festzustellen, dass Hunderttausende unserer Kinder und Enkel inzwischen in den alten Bundesländern wohnen und in die gesamtdeutsche Rentenkasse einzahlen. Wollen Sie etwa, dass die Oma im Osten, nur weil ihr Kind im Westen in die Rentenkasse einzahlt, auch noch dankbar ist? Das können Sie mir nicht erzählen.

(Beifall bei der PDS)

Das Letzte – weil Sie darauf immer wieder herumhacken –, das Problem der Rentenwerte, lässt sich nicht einfach mit den Reallohnentwicklungen vergleichen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Leichsenring?

Ich bin beim letzten Satz. Ich gehe heute auch nicht auf die Nazis ein aus dem einfachen Grunde: Es war so billig, wieder mit der Leier von den Asylbewerbern, die unser Land kaputtmachen, zu kommen. Ich will nur sagen, Rentenwerte und deren Angleichung sind etwas anderes als die Angleichung der Reallöhne, für die ich selbstverständlich auch bin. Denn das ist ja die Crux: Es gibt auch unterschiedliches Lohnniveau in München oder in Kiel.

(Gelächter bei der FDP und den GRÜNEN)

Selbstverständlich – Sie können ja als gelernter Wessi sagen, der Ossi versteht nicht, wie es in Kiel aussieht. Das will ich Ihnen gerne glauben. Das macht mir nichts aus. Eines können Sie nicht bestreiten: Es gibt unterschiedliche Löhne. Aber, gibt es unterschiedliches Niveau in den Rentenwerten in Kiel und in München? – Nein! Also.

(Beifall bei der PDS)

Bringen Sie nicht ständig Äpfel mit Birnen durcheinander. Das bringt Sie nicht weiter. Deswegen plädiere ich nachdrücklich für unseren Antrag, damit wir endlich einen Schritt weiterkommen. Ich verspreche Ihnen, wenn Sie ihn ablehnen: Ich bleibe Ihnen erhalten, da ich nicht für den Bundestag kandidiere. Sie hacken immer auf unserer Spitzenkandidatin herum, Herr Gerlach. Vielleicht liegt es auch daran, dass Sie neidisch sind, keine Spitzenkandidatin zu haben, das weiß ich nicht. Deswegen kann ich Ihnen versprechen: Wir werden so lange diesen Antrag stellen, bis Sie es begriffen haben und bis wir es gelöst haben.