Es haben sich Leistungen für Patienten geändert – die Leistungen sind verbessert worden –, das habe ich eben darzustellen versucht, und diese Desease-Managementprogramme bilden wirklich einen qualitativ neuen Ansatz. Hier wird ein System umgebaut, ein System modernisiert und damit nicht nur auf gesellschaftliche Entwicklungen reagiert, sondern es werden auch Weichen für die Zukunft gestellt. Da kann man doch nicht erwarten, wenn nach anderthalb Jahren eine Bilanz gezogen werden soll, dass dann alles schon geregelt und an dem Punkt ist, wo wir es einmal hinhaben wollen.
Hier bin ich der gleichen Meinung wie Frau Strempel: Nach anderthalb Jahren ist es dafür viel zu früh; es handelt sich wirklich um einen Prozess. Wir sind in diesem Prozess die ersten Schritte gegangen und weitere müssen folgen.
Frau Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss noch einmal für alle, die es noch nicht mitbekommen haben, klarstellen: Die Fraktion der demokratischen Sozialistinnen und Sozialisten ist hier die größte Oppositionspartei und es ist unser Recht und unsere Pflicht, dass wir bei allen politischen Prozessen, die laufen, sehr kritisch schauen und analysieren und natürlich eine Große Anfrage stellen, und das eben nach anderthalb Jahren des Wirksamwerdens der Gesundheitsreform. Was erwarten Sie denn? Ihre Lobreden machen Sie sich schon selber!
Eine solche Reform muss sich doch immer zwei Fragestellungen aussetzen – unabhängig davon, dass das Gesundheitswesen in Deutschland seit zwanzig Jahren ständig reformiert wird, ohne dass die grundlegenden Probleme gelöst sind:
Frau Abg. Höll, Sie haben gerade auf die Kritik, die an uns geübt wurde, verwiesen, weil wir nach rund anderthalb Jahren mal eine Zwischenbilanz zur Gesundheitsreform verlangen. Wie schätzen Sie denn diese Kritik ein angesichts der Tatsache, dass im nächsten Tagesordnungspunkt die Begründung für eine Analyse des Standes der Polizeistrukturreform – was CDU- und SPDFraktion eingereicht haben – steht: „Die Staatsregierung möge dem Landtag nach nunmehr fast einem halben Jahr darlegen, ob die mit der Strukturreform verbundenen Erwartungen sich erfüllt haben“? – Nach fast einem halben Jahr!
Herr Kollege Porsch, ich kann nur feststellen, dass ich glaube, manchmal ticken bei einigen Menschen die Uhren sehr verschieden; das wird die Ursache sein.
1. Genügt sie ihren eigenen Ansprüchen? – Dazu ist ja schon klipp und klar gesagt worden: natürlich nicht. Sie haben nicht einmal Ihre eigenen Zielstellungen umgesetzt und das lässt sich nach anderthalb Jahren schon klar absehen: Die Senkung der Beiträge erfolgte nicht, und es ist auch keine wirkliche Umstrukturierung im Gesundheitswesen erfolgt.
2. – Das ist eigentlich die wichtigere Fragestellung: Genügt Ihre Reform den Anforderungen, die die Gesellschaft an sie stellt? Und da muss ich leider klipp und klar nein sagen, denn die Reform geht nun einmal in die grundlegend verkehrte Richtung. Sie ist ein schwerer Schlag gegen das solidarische Gesundheitswesen; sie ist letztendlich der Schritt in die Auflösung des solidarischen Prinzips.
Ich finde es schon sehr bedenklich, wenn dann hier immer nur die Eigenverantwortung bemüht wird. Bei Ihnen wird doch Gesundheit immer mehr von einem Gut zu einer Ware.
Machen wir es doch einmal konkret: Ich soll also eigenverantwortlich für meine Gesundheit handeln. Nun treibe ich Sport, dafür bekomme ich vielleicht von meiner Krankenkasse einen Bonus. Nun kann es ja zum Beispiel sein, dass ich gerne Fußball spiele, und Fußball ist eine sehr risikobehaftete Sportart. Zieht mir meine Krankenkasse das dann wieder ab, weil es doch gar nicht so gut für meine Gesundheit ist?
Wie ist das denn nun mit Raucherinnen und Rauchern? Werden die demnächst die Behandlung ihrer Leiden, die vielleicht auch infolge des Konsums von Tabak entstehen, nicht mehr erstattet bekommen, oder wie? Wohin
Frau Herrmann, ich finde es sehr bedenklich, wenn Sie hier im Plenum den Ärztinnen und Ärzten mangelndes Qualitätsbewusstsein vorwerfen. Letztlich untergraben Sie ihre Autorität und stellen das Engagement der Ärztinnen und Ärzte infrage.
Ich möchte Ihnen noch einen Vorschlag unterbreiten, wie Sie den Krankenstand weiter senken können. Mein Sohn hat vor kurzem das Abitur gemacht. Als er im Februar krank war, musste er einen Krankenschein abgeben. Das ist sehr teuer erkauft; das könnten Sie doch sein lassen. Er geht zum Arzt, muss zehn Euro Praxisgebühr bezahlen und zahlt alle Medikamente selbst. Letztlich bezahlt er sich die Krankschreibung, die er abgeben muss, wenn er länger als drei Tage von der Schule fernbleibt, selbst. Die Medikamente hätten wir uns nach einer ordentlichen Beratung durch den Apotheker vielleicht auch selbst zusammengestellt. Der Arztbesuch in dem Sinne war überflüssig. Streichen Sie die Regelung zur Krankschreibung; dann haben Sie die Kosten noch einmal gesenkt!
Sie beschwören die Prophylaxe. Dazu gibt es im Gesundheitsreformgesetz durchaus positive Ansätze. Aber wie ist es zum Beispiel beim Glaukom? Die Vorsorgeuntersuchung wird heute selbst bei stark kurzsichtigen Menschen und bei Diabetikern im Regelfall nicht mehr bezahlt. Ich bekomme von der Ärztin die Auskunft: Das tragen wir nicht mehr, auch nicht in Ihrem Fall!
Wie ist es mit den Sehhilfen? Ich halte es für sehr kurzsichtig, wenn gesagt wird, es werde schon eine Angleichung erfolgen. Die Gesundheitsstrukturreform betrifft insbesondere – und verstärkt über die Kinder – Frauen.
Man hat halt Pech gehabt, wenn man es sich geleistet hat, zwei, drei oder vier Kinder zu haben, die vielleicht irgendwann eine Brille brauchen. Häufig wird im Zusammenhang mit den Gestellen von „Mode“ gesprochen. Dabei machen die Brillengestelle oftmals nur noch einen Bruchteil dessen aus, was die Gläser kosten. Mit den Gläsern muss ich aber sehen. Hier sind Schritte eingeleitet worden, die völlig verkehrt sind.
Frau Höll, die Aufmerksamkeit hat nichts mit mir zu tun, sondern mit dem kleinen Piepmatz, der hier umherfliegt.
Das war aber nicht meine Frage an Sie. – Sie haben sinngemäß gesagt, die Medikamente für Ihren Sohn, die er bezahlen musste, hätten Sie sich durch eine gute Beratung auch gleich beim Apotheker holen können. Widerspricht dieses Beispiel nicht der Darstellung Ihrer Partei, es sei viel besser, wenn man zum Arzt gehe, weil er bessere diagnostische Möglichkeiten habe und den Krankheitsverlauf besser beeinflussen könne als ein Apotheker? Wenn es nur etwas Leichtes ist, kann Ihnen der Apotheker eine Aspirin oder was auch immer geben. Aber woher wissen Sie das? Ist das Beispiel, das Sie gerade gebracht haben, nicht ein Widerspruch zu dem, was Sie vorher immer gesagt haben?
Herr Gerlach, den Disput können wir jetzt sicher nicht in aller Ausführlichkeit führen. Der Grundwiderspruch liegt darin, dass Menschen heute überlegen müssen, ob sie überhaupt zum Arzt gehen oder ob es nicht besser ist zu versuchen, sich selbst zu kurieren oder die Krankheit weiterzuschleppen. Die Menschen können nicht mehr in dem Bewusstsein leben: Ich fühle mich nicht gut, weiß nicht, woran es liegt, und gehe zum Arzt. – Viele Menschen verkneifen sich das aus besagten Gründen, nämlich Praxisgebühr und Zuzahlung. Wenn der Hausarzt in dringenden Fällen empfiehlt, durch einen Facharzt etwas abklären zu lassen, dann gibt es bei diesem meist lange Wartelisten. Die Situation ist wirklich sehr verfahren. Ich sehe keinen Widerspruch in dem, was ich gesagt habe.
Frau Dr. Höll, geben Sie mir Recht, dass Kinder, wenn sie das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und bei den Eltern mitversichert sind, keine Praxisgebühr zu zahlen haben, wenn die Eltern Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse sind?
Frau Strempel, da gebe ich Ihnen Recht. Aber geben Sie mir Recht, dass es eine ganze Reihe von Kindern gibt, die bereits das 18. Lebensjahr vollendet haben, über keinerlei Einkünfte verfügen, weil sie zum Beispiel Schüler einer Abiturklasse sind, und trotzdem Praxisgebühr bezahlen müssen? Die Ausgaben für Sehhilfen und anderes kommen hinzu. Geben Sie mir ferner Recht, dass der Kinderarzt, wenn es sich um Menschen unter 18 Jahren handelt, bereits heute zu den Eltern sagt: Dieses oder jenes Medikament wäre für Ihr Kind sehr günstig. Aber ich kann Ihnen
darüber nur ein grünes Rezept ausstellen; denn die Kosten übernimmt die Krankenkasse nicht mehr. – Es kann doch wohl nicht sein, dass die Kosten für medizinisch indizierte Leistungen bzw. Medikamente auch bei Kindern unter 18 Jahren selbst getragen werden müssen. Das ist die Situation, in der wir uns befinden.