Protokoll der Sitzung vom 22.09.2005

Bitte sehr, Herr Günther.

Können Sie sich vorstellen, dass der Umsatzeinbruch in den Einzelhandelsgeschäften mit der

katastrophalen rot-grünen Wirtschaftspolitik, die in Berlin gemacht wurde, zu tun hat?

(Heiterkeit bei der FDP)

Herr Günther, ich dachte eigentlich, der Wahlkampf sei vorbei und Sie würden sich wieder den Fakten nähern.

Aber die Steuerpolitik von Rot-Grün in den letzten Jahren hat gerade zur Entlastung von Spitzenverdienern und Unternehmen geführt. Insofern glaube ich, dass wir genug getan haben, um diese Klientel zu bedienen.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Aber ich will gern noch ein Beispiel aus dem Bäckerhandwerk bringen, denn wir haben auch unter uns Kolleginnen und Kollegen, die gemäß ihrer Biografie aus diesem Bereich kommen:

280 000 Beschäftigte im Bäckerhandwerk haben nach einer Umfrage des deutschen Verbandes darunter zu leiden – ich zitiere wieder –, „dass gerade die Zunahme von Discountern einen unheimlichen wirtschaftlichen Druck“ auf diesen Bereich zur Folge hatte und dass dieser Druck durch das Nachvollziehen – Zitat – „von verlängerten Öffnungszeiten dazu führen würde, dass bei gleich bleibendem Umsatz und höheren Kosten für Werbung und Personal dies wirtschaftlich nicht zu vertreten ist“.

Insofern glaube ich, dass wir uns dem Thema Ladenöffnungszeiten gewidmet haben. Neben dem Wunsch nach regional und traditionell verwurzelten und nachvollziehbaren Ausnahmeregelungen, den ich natürlich respektiere, müssen wir uns aber auch anschauen, warum man mit den bestehenden bundesweiten Regelungen nicht den gleichen Erfolg erzielen kann. Das sage ich auch deshalb, weil genau das gleiche Ladenschlussgesetz auf Bundesebene in Bayern und in Schleswig-Holstein dazu geführt hat, dass wir regional praktizierte Ausnahmeregelungen haben, die genau in ihrem gewünschten Ergebnis zum Erfolg gekommen sind.

Insofern glaube ich, dass die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten nicht das eigentliche Problem ist, auch volkswirtschaftlich nicht, sondern die Tatsache – damit kommen wir auch zurück zu der Frage von Herrn Günther –, dass die Menschen den Euro nur einmal ausgeben können, und vor allem auch, dass die zurückhaltende Lohnpolitik in den vergangenen Jahren, mit der Inflation gekoppelt, zu einem Einbruch der Binnenkaufkraft geführt hat.

Sie können natürlich versuchen, immer wieder eine Debatte darüber anzustrengen, dass das Problem nicht die Arbeitslosigkeit sei, sondern die Tatsache, dass die Menschen zu wenig ausgeben und zu wenig konsumieren, nicht die Gelegenheit haben zu konsumieren, weil wir solch eine restriktive Landes- bzw. Bundesgesetzregelung haben, aber im Kern treffen Sie damit nicht das Problem.

Insofern meine ich, dass es sinnvoll ist, Ihren Antrag, eine Bundesratsinitiative zu starten, abzulehnen, auch weil Sie

wiederum nur eine Vorschrift herausgreifen, sich eines besonderen Teils annehmen wollen. Ich denke auch, dass es sinnvoll ist, in der Sache dem Antrag der Koalition gemeinsam die Zustimmung zu geben, denn das ist die einzige Chance, den hier Anwesenden – auch den unter den Gästen anwesenden Einzelhändlern – ein klares Signal zu geben, dass wir bezüglich der Situation des Erzgebirges handeln und helfen wollen.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Die Linksfraktion.PDS.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heute zur Entscheidung stehenden Anträge der FDP und der Koalitionsfraktionen stellen ein Problem dar, das sich seit gut einem halben Jahr im Erzgebirge entwickelt hat und die Gemüter erregt. Meine Vorredner haben zur Sachlage schon eine Menge gesagt, das brauche ich nicht in dieser Ausführlichkeit zu wiederholen. Festzustellen ist, dass bis Ende 2003 die Öffnung des innerstädtischen Einzelhandels an den Adventssonntagen möglich war und von den kommunalen Behörden auch genehmigt wurde.

Dass sich diese Praxis im letzten Jahr änderte und dazu führte, dass die Einzelhändler, beispielsweise von Annaberg, für das Öffnen ihrer Geschäfte an Adventssonntagen einen Bußgeldbescheid erhielten, ist wohl vor allem auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 09.06.2004 zurückzuführen. Auch die Antwort des Wirtschaftsministers zum Antrag der Koalition weist in diese Richtung.

(Heinz Eggert, CDU: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß!)

In diesem Verfahren ging es um das gesetzliche Verbot der Öffnung von Verkaufsstellen an Samstagen über die gesetzliche Regelung hinaus sowie um die Öffnung an Sonntagen. Es klagte – das ist vielleicht einmal interessant – damals der Kaufhof gegen das Verbot, dass sein Warenhaus am Alexanderplatz am Samstag, dem 31. Juli 1999, nach 16:00 Uhr – hier galten also noch die alten Ladenöffnungszeiten – und am darauf folgenden Sonntag für den Verkauf geöffnet hatte. Es wurde damals das gesamte Warensortiment angeboten, und quasi zur Tarnung dieser Aktion wurde jeder Artikel mit einem Aufkleber mit der Bezeichnung „Berlin-Souvenir“ versehen. Dieses Verfahren hatte zur Konsequenz, dass das Bundesverfassungsgericht zu drei Schwerpunktthemen eine Entscheidung herbeiführte:

Erstens. Das Thema betrifft tatsächlich die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers. – Dies wurde angefochten.

Zweitens. Die Regelung zum Ladenschluss am Samstag und an den anderen Werktagen ist mit dem Grundgesetz vereinbar. – Dies wurde festgestellt.

Die dritte Entscheidung war der eigentliche Auslöser für den Annaberger Streit im vorigen Jahr. Das höchste Gericht machte eine grundsätzliche Aussage zum Verbot der Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen. Es stellte fest, dass die Regelung im § 14 Abs. 3 des Ladenschlussgesetzes mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Dieser bestimmt, dass sonn- und feiertags keine Geschäfte öffnen dürfen. Die einzige Ausnahme bleibe unter bestimmten Voraussetzungen Geschäften in Kur- und Erholungsorten vorbehalten.

Es fällt Ihnen bestimmt – wie mir – sehr schnell ein wesentlicher Unterschied zwischen einer werbewirksamen Sonntagsöffnung eines Kaufhauses im Berliner Zentrum und einer jahrhundertealten Tradition der Erzgebirgsweihnacht auf. Das Weihnachtsland Erzgebirge – meine Vorredner sprachen es bereits an – ist ein touristisches Highlight, das mit historischem Hintergrund ein Markenzeichen sächsischer Brauchtumspflege darstellt und für die Region ein nicht zu unterschätzender – das gebe ich zu – Wirtschaftsfaktor für den Tourismus ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den Zeiten der DDR war es unter den uns bekannten viel geringeren Möglichkeiten des Einzelhandels bereits so, dass die Adventssonntage, die Bergmannstradition und eben auch die dafür weihnachtlich geschmückten Einzelhandelsgeschäfte der Innenstädte das Bild der Erzgebirgsweihnacht prägten.

(Zurufe der Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU, und Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Diese Tradition wurde auch nach der Wende mit sehr viel besseren Angebotsbedingungen von den Menschen gepflegt – eben bis zum vorigen Jahr ohne Probleme.

Leider schließt sich der sächsische Wirtschaftsminister in seiner Stellungnahme zum Antrag der Koalition der Argumentation an, dass diese Tradition wohl überwiegend den Interessen des Handels folgt, also mehr wirtschaftlicher Art ist und damit im Jahre 2004 mit dem Ladenschlussgesetz nicht mehr vereinbar. Ich kann darauf nur erwidern: Wer sich so zur Weihnacht im Erzgebirge äußert, hat wohl die Geschichte und die Kultur der bekanntesten sächsischen Region noch nicht richtig verstanden.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und des Abg. Heinz Eggert, CDU)

Insofern ist der Zeitpunkt, zu dem wir dieses Problem diskutieren, für die eine oder den anderen in diesem Hohen Hause geeignet, die vor uns liegende Weihnachtszeit zu nutzen und einmal das Erzgebirge zu besuchen. – Das war eine sehr freundliche Einladung von mir.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich aber konkret zu den beiden vorliegenden Anträgen komme, möchte ich Sie noch darauf hinweisen, dass wir, wenn wir sie heute beschließen, auf keinen Fall die Gewähr bieten würden, dass im Dezember dieses Jahres eine Entscheidung des neu gewählten Bundestags wirksam werden

würde. Das ist wohl Fakt. Aus der Sicht der Linksfraktion ist es aber auch für dieses Jahr nicht notwendig. Wir sind der Meinung, dass der geschilderte Sachverhalt, den ich eben angesprochen habe, den meine Vorredner durch Fakten untersetzt haben und zu dem den Fraktionen die Argumentation des Handelsverbandes Sachsen zugegangen ist, genügend Argumente liefert. Was die Auswirkungen der jährlichen Besucherströme und ihre Versorgungsansprüche betrifft, wären darin genügend Anhaltspunkte enthalten, dass die Sächsische Staatsregierung nach den Bestimmungen des § 23 Abs. 1 des Ladenschlussgesetzes, der Rechtsverordnung, eine Ausnahmegenehmigung für entsprechende Kommunen der Erzgebirgsregion für die Adventssonntage erteilt.

Alles andere wird dazu führen – auch das wurde schon angesprochen –, dass in diesem Jahr die Attraktivität der Weihnachtsmärkte leidet oder eben erneut Bußgeldbescheide an Einzelhändler verschickt werden.

Unser Ministerpräsident, der heute leider nicht da sein kann, will ja nicht selten in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, dass er energisch für die Entschlackung und Reformierung von bürokratischen Hemmnissen kämpft – für unsere Beschäftigten. Die Linksfraktion würde ihn in diesem Fall in der Sache vorbehaltlos unterstützen. Er müsste eben nur bald den Mut aufbringen, für dieses Jahr eine direkte Ausnahmegenehmigung zu veranlassen; und selbst wenn jemand aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juni vorigen Jahres dagegen klagen würde, sind wir der Meinung, dass hierzu das Gericht durchaus anders entscheiden könnte. Wenn die Sächsische Staatsregierung dies versuchen würde, wäre das aus meiner Sicht das richtige Signal, das sich die Menschen meiner Region von der Landespolitik erhoffen. Genau genommen wäre es der Ministerpräsident und, meine Damen und Herren von der SPD, wären Sie es der Sache schuldig.

Meine sehr geehrten Kollegen von CDU und SPD, eines kann ich Ihnen dabei nicht ersparen: Es wirkt schon etwas hilflos, wenn man gerade von Ihnen hört, dass Sie dieses Ladenschlussgesetz wenigstens teilweise auf die Hoheit der Länder übertragen wollen oder dass Sie die Ausnahmeregelung selbst mitbestimmen wollen. Immerhin ist die entstandene Situation – das darf man in dieser Debatte einmal mit ansprechen – das Ergebnis der von CDU und SPD an die Wand gefahrenen Föderalismuskommission; denn genau hier – so war die Vereinbarung – sollte die Übertragung auf die Länder geregelt und besprochen werden.

Dass dieses Gesetz auf Bundesebene in der gerade zu Ende gegangenen Legislaturperiode des Bundestages – wie vom Verfassungsgericht vorgeschlagen – nicht novelliert wurde, lag wohl auch an der ablehnenden Haltung der SPD.

(Zuruf des Abg. Mario Pecher, SPD)

Immerhin hat Ihr Partei- und Fraktionsvorsitzender Franz Müntefering der Gewerkschaft ver.di im Oktober vorigen

Jahres im Ergebnis dieses Gerichtsurteils zugesagt, dass er das Ladenschlussgesetz bis zum ursprünglichen Ende der Legislaturperiode – er ging damals vom Jahr 2006 aus – nicht mehr antasten wolle. Deshalb, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, müssen Sie sich heute schon entscheiden, was Sie wirklich wollen. Die Linksfraktion jedenfalls wird Ihrem Koalitionsantrag zustimmen; und wenn Sie es mit der Sache ernst meinen, möchte ich meine SPD-Kollegen noch einmal ermuntern, den Vorschlag einer Ausnahmeregelung offensiv in die Koalitionsregierung zu tragen.

Etwas gedämpfter ist meine Freude über den Antrag der FDP. Einmal ganz davon abgesehen, dass Punkt 1 Ihres Antrages nach unserem Vorgehen nur in diesem Jahr noch zur Anwendung käme, macht mir der Vorstoß zur allgemeinen Aufweichung des Ladenschlussgesetzes viel mehr Kopfzerbrechen – mein Vorredner hat davon gesprochen –, den Sie im Punkt 2 – und wenn man Ihre Begründung liest, dann wird es noch deutlicher – Ihres Antrags ganz offen einbringen.

Ich sage Ihnen ganz klar: Die Problematik der Ladenöffnung an Adventssonntagen im Erzgebirge gleich noch dafür zu nutzen, um grundsätzlich und generell die Öffnungszeiten zu erweitern, das ist mit uns nicht zu machen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Das hat im Übrigen auch niemand vom Handelsverband, den Kirchenvertretern und den beteiligten Gewerkschaften, die sich in den letzten Wochen vor Ort für eine Lösung des Problems eingesetzt haben, verlangt.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Oh! – Lachen der Abg. Rita Henke, CDU)

Deshalb sage ich Ihnen auch als Gewerkschafter, dass die von Ihnen vorgeschlagene Beschränkung des Ladenschlussgesetzes – sozusagen eine Aufhebung – viel zu weit geht. Ich darf vielleicht auch noch einmal daran erinnern: Im Jahre 2003 war die Ausweitung das letzte Mal in Kraft getreten: bis 20:00 Uhr nachweislich kein Umsatzfluss.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der FDP, ich will es noch einmal auf die Kurzformel bringen, was Kollege Brangs bereits angesprochen hat: Den Menschen in Sachsen fehlt nicht die Zeit zum Einkaufen – das ist einfach eine falsche Auffassung –, den Menschen fehlt das Geld. Das ist das Problem.

Mit dem, was Sie mit Ihrem Frontalangriff auf das Ladenschlussgesetz erreichen wollen und mit Flexibilisierungen entscheiden würden, wird nur noch das verschärft, was im Handel schon lange geschieht.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Günther, bitte.