Hierzu können die Fraktionen wiederum Stellung nehmen. Die erste Runde: PDS, GRÜNE, CDU, SPD, NPD, FDP und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich erteile nun der PDS-Fraktion das Wort. – Frau Abg. Dr. Ernst.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sachsen braucht – und zwar unverzüglich – eine Härtefallkommission für Ausländerinnen und Ausländer, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, das heißt, vor der Abschiebung stehen. Ich bitte Sie, diese Entscheidung nicht irgendwann zu treffen, sondern heute.
Meine Damen und Herren! Das ist die wichtigste Gegenwartsforderung der Flüchtlingsorganisation hier in Sachsen und es gibt auch eine juristische Grundlage dafür. Man mag zum Zuwanderungsbegrenzungsgesetz stehen, wie man will, und Sie kennen unsere Kritiken, aber aus dieser Frage ist etwas Positives entstanden, nämlich dass Härtefallkommissionen zulässig sind und die Länder dies regeln können.
Um Missverständnissen bei allen, die das nicht so ganz koscher finden, vorzubeugen: Eine solche Kommission regelt keine Altfälle, das heißt, sie regelt nicht für ganze Personengruppen oder auch Einzelpersonen das Bleiberecht – das ist es nicht. Die Härtefallkommission hat eine andere Funktion: Sie regelt den Umgang mit Härtefällen und prüft, inwieweit soziale, persönliche und humanitäre Gründe einer Abschiebung entgegenstehen – und zwar im Einzelfall. Sie vermag daher im Einzelfall abweichend vom Gesetz – für diejenigen, die das monieren und den darin festgelegten Erteilungs- und Verlängerungsfristen einen Aufenthaltstitel erwirken. Sie soll das Recht erhalten, dies nach einem geregelten Beratungsverfahren zu tun, also nicht nach irgendwelchem Handling von einzelnen Personen, sondern in einem Beratungsver
fahren, um dann den Innenminister aufzufordern, sich möglicherweise in einer Anordnung für eine Aufenthaltserlaubnis auszusprechen und die Dinge in die Wege zu leiten.
Erstens. Aus eigener Erfahrung, die ich selbst seit vielen Jahren mit Härtefällen habe, kann ich Ihnen sagen, dass das Ausländerrecht nicht in der Lage ist – nie und nimmer –, jeden Lebensfall ausländischer Flüchtlinge zu regeln, wie zum Beispiel den Fall der in Sachsen lebenden palästinensischen Familie, die aus dem Libanon geflohen und staatenlos ist. Deren Asylantrag wurde nach sieben Jahren abgelehnt. Sie leben jetzt schon seit zehn Jahren im Asylbewerberheim und es ist ihnen unmöglich, in ihr Herkunftsland zurückzugehen – aus dem Grund, weil sie keine Pässe ausgestellt bekommen.
Oder denken wir an ein anderes Schicksal einer Familie aus dem Kosovo in Sachsen, die seit 12 Jahren hier ist: Vater herzkrank, Mutter traumatisiert, und zwar nachweislich, und es ging kein Weg hinein, dass diese Familie hier bleiben kann bzw. Regelungen getroffen werden können, die es ermöglichen, dass wenigstens die Kinder ihre Schulabschlüsse machen können.
Außerdem denke ich an die Familie Özer. Es ist ja durch viele Medien gegangen, als vor ein paar Jahren darum gekämpft wurde, dass diese Familie nach 13 Jahren nicht mehr in die Türkei zurück muss, weil sie dort als kurdische Familie überhaupt keine Grundlagen mehr hat.
Ich denke also, es gibt viele solcher Einzelfälle, über die man ernsthaft reden muss. Wir sind der Meinung, sie müssen eine Möglichkeit haben, wenigstens eine Chance erhalten, über eine Härtefallprüfung ihr Schicksal prüfen zu lassen, inwieweit sie tatsächlich eine weitere Aufenthaltsgenehmigung erhalten können. Wir wollen eine Härtefallkommission und keine Kungelrunde, Herr Staatsminister de Maizière, das sage ich ganz offen, wo Ausländerbeauftragter, Behörde und Innenminister aus
handeln, wie das Ganze laufen soll. Wir halten das für falsch und wollen deshalb einen anderen Ansatz; das sage ich gleich zum Änderungsantrag.
Zweitens. Es hat schon immer Härtefälle gegeben und es gab auch immer Verordnungen zu Härtefällen, das wissen wir. Aber im Gegensatz zu anderen Ländern, wie Berlin, Schleswig-Holstein, Bremen, Nordrhein-Westfalen, die Härtefallkommissionen eingerichtet hatten, war dies ein Handling zwischen dem Innenminister und dem Ausländerbeauftragten. Ich will nicht sagen, dass dabei nichts herausgekommen ist. Sicher war vieles auch gut, aber wir denken, dass dies nicht der geeignete Weg ist und der Willkür Tür und Tor öffnet. Wir meinen, dass auch andere daran mitwirken müssen. Wir wollen, dass die Kirchen in einer solchen Härtefallkommission sind, Flüchtlingsvertreter, Vertreter aus den Kommunen. Wir sind auch der Meinung, dass der Ausländerbeauftragte natürlich dabei sein und das Innenministerium mit beratender Stimme in einer solchen Härtefallkommission mitwirken muss. Das, denke ich, ist schon wichtig, und es gibt auch eine Grundlage dafür.
Wenn wir in das Zuwanderungsbegrenzungsgesetz § 23a schauen, ist dort etwas geregelt, was es bislang noch nicht gab und ein wirkliches Novum ist, nämlich dass Härtefallklauseln eine gesicherte Rechtsgrundlage erhalten und ein Umgang damit geregelt wird. Ich glaube, das ist ein richtiger und wichtiger Weg, und ich bin froh, dass dies darin festgeschrieben ist. Wir denken auch, das ist die seriöseste Grundlage im Umgang mit Härtefällen, die immer auch etwas Subjektives an sich haben. Man muss immer schauen, wie man agieren muss und entscheidet. Insofern ist es auch wichtig, Vertreter verschiedener Bereiche an einem Tisch zu haben.
Drittens. Mit einer solchen Härtefallkommission kann man den Petitionsausschuss erheblich entlasten, denn er hat zig Petitionen zu solchen Fällen in den letzten zehn bis 14 Jahren auf dem Tisch gehabt, und wir meinen, dass das eine Härtefallkommission besser tun kann.
Viertens. Wir brauchen diese Härtefallkommission wirklich unverzüglich noch in diesem Jahr, weil im Zuwanderungsbegrenzungsgesetz die Aufenthaltsgewährung in Härtefällen an die Existenz einer solchen Kommission gebunden ist. Das heißt im bösesten Sinne des Wortes und im Umkehrschluss: Ohne Härtefallkommission kann ich tatsächlich kaum noch Härtefälle regeln. Das wäre die schlimmste Variante, sie wäre aber nach dem Gesetz möglich. Ich denke, das wäre für die Betroffenen wirklich katastrophal.
Ein letzter Satz zu unserem Antrag: Wir haben im Punkt 3 die so genannte Vorgriffsregelung verankert. Damit soll gewährt werden, dass bis zur Arbeitsaufnahme einer solchen Härtefallkommission von jeglichen den Aufenthalt beendenden Maßnahmen – sprich: Abschiebungen – abzusehen ist, dass man also nicht in den letzten Wochen beim Einrichten einer solchen Kommission tatsächlich abschiebt – vor allem diejenigen, die von einer solchen Härtefallregelung begünstigt werden könnten. Alles andere, denke ich, wäre zynisch.
Meine Damen und Herren! Ich weiß, dass heute sehr viele Interessenvertreter von Flüchtlingsorganisationen in Sachsen zuhören und fragen: Was kommt bei der heutigen Debatte heraus? Sie erwarten eine Entscheidung,
und zwar eine positive, hier aus diesem Raum. Das, denke ich, ist nach den vielen Jahren, in denen wir zu diesem Problem gestritten haben, notwendig. Wir haben vor zwei Jahren mit der SPD gemeinsam für eine Härtefallkommission gestritten und sind an der absoluten Mehrheit der CDU gescheitert. Wir sind an der absoluten Mehrheit der CDU gescheitert. Wir haben heute eine neue Chance. Ich bitte Sie, dass wir diese neue Chance auch tatsächlich wahrnehmen, weil wir sonst, wenn wir diesen Schritt nicht gehen, nicht nur Enttäuschung erzeugen, sondern auch schlimme Auswirkungen für die hier lebenden Ausländer möglich machen. Wir haben nicht nur Verantwortung gegenüber deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, sondern auch gegenüber denjenigen, die hierher kommen. Ich bitte Sie, das im Auge zu haben, wenn wir über diesen Antrag entscheiden.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor zwei Tagen, am 9.11., haben die Fraktionen hier im Landtag gemeinsam mit Gästen des historischen Augenblicks des Mauerfalls gedacht. Der Tag vor fünfzehn Jahren stellte eine Zäsur innerhalb der Ereignisse der friedlichen Revolution in der ehemaligen DDR dar. Der ehemalige ungarische Außenminister, Herr Gyula Horn, wies in seiner Rede auf die europäische Bedeutung dieses Tages hin. Dieser Prozess des Zusammenbruchs verlief nicht in allen Ländern des ehemaligen sozialistischen Lagers gleichermaßen friedlich. Stellen Sie sich vor, Sie wären zu diesem Zeitpunkt Bürger eines Landes wie Jugoslawien gewesen, eines Landes, das bis dahin als durchaus privilegiert unter den sozialistischen Ländern galt. Plötzlich ist Krieg, nicht irgendwo, sondern direkt vor Ihrer Haustür. Sie sind mittendrin. Familie B – Vater, Mutter, drei Kinder, damals zehn, neun, drei Jahre alt, Albaner aus dem Kosovo – verlässt das Land und kommt nach Deutschland. Sie entfliehen dem Trauma des Krieges, wollen wie alle Eltern ihre Kinder in Frieden aufwachsen sehen. Es entstehen enge Kontakte zu den deutschen Nachbarn in Leipzig-Markkleeberg, auch zu Mitschülern innerhalb der besuchten Sportgemeinschaften. Das war also eine gelungene Integration. Die Genannten und dazu die evangelische Kirchgemeinde vor Ort, Ärzte, Lehrer und der Kinderund Elternvertreter setzen sich für ein Bleiberecht der Familie B ein. All dies und auch die Petition scheitern am fehlenden Arbeitseinkommen. Durch den auch nach elf Jahren Aufenthalt in Deutschland eingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt kann diese Situation trotz Bemühungen nicht verbessert werden. Die in Deutschland aufgewachsenen und nun erwachsenen Söhne erhalten keine Arbeitserlaubnis. In einer überfallartigen Abschiebeaktion werden die Söhne außer Landes befördert. Der Vater erleidet einen lebensbedrohlichen Zusammenbruch. Die Mutter ist wegen
Kriegstraumata ausgenommen von der Abschiebung. Die Tochter ist minderjährig. Das stellt man allerdings erst auf dem Flughafen fest. Sie darf bleiben.
Meine Damen und Herren! Die Aufnahme von Flüchtlingen ist eine völkerrechtliche Verpflichtung und kein Gnadenakt.
Der Umgang mit Flüchtlingen in unserem Land ist nicht nur Spiegel unserer politischen Kultur, sondern Ausdruck unseres Willens, die Zustände dieser Welt auch über die Grenzen Sachsens hinaus wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren.
Im Frühsommer dieses Jahres stimmte die Union im Bundesrat dem Zuwanderungsbegrenzungsgesetz zu. Es wird am 1. Januar nächsten Jahres in Kraft treten. Dieses Gesetz regelt in § 23a Abs. 2 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes die Aufenthaltsgewährung in Härtefällen als besondere aufenthaltsrechtliche Möglichkeit. Dazu bedarf es allerdings der Einrichtung einer Härtefallkommission auf Länderebene, die die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen vorschlagen kann, wenn dringende humanitäre und persönliche Gründe vorliegen.
Wir schlagen in dem gemeinsamen Antrag vor, wie diese Kommission aussehen könnte, und zwar behördenunabhängig unter Mitarbeit gesellschaftlicher Einrichtungen. Sie können das lesen.
Es gab auch bisher schon die Möglichkeit, eine Härtefallkommission einzurichten. Einige Länder haben das getan, wenn auch auf anderer Grundlage.
In Nordrhein-Westfalen hat sich die seit acht Jahren arbeitende Härtefallkommission zu einer akzeptierten Einrichtung entwickelt, an die sich in dieser Zeit 4 500 Ausländer und Ausländerinnen gewandt haben. 1 000 Ausländer und Ausländerinnen haben in acht Jahren durch die Arbeit der Kommission ein längeres Aufenthaltsrecht erhalten. Die enger gefassten Kriterien im neuen Gesetz werden diese Zahlen allerdings eher verringern.
Durch die Einrichtung einer Härtefallkommission in Sachsen, meine Damen und Herren, kann die Koalition erstens deutlich machen, dass Sachsens Zustimmung im Bundesrat nicht nur ein formaler Akt war, sondern in diesem Land mit Leben erfüllt werden soll. Zweitens ist dies gleichzeitig ein deutliches Zeichen an die Kommunen und Landkreise, dass sie mit den schwierigen Problemen im Zusammenhang mit Zuwanderung und Integration nicht allein gelassen werden. Drittens können wir mit einer entsprechenden Rechtsverordnung einen Beitrag zur Gleichbehandlung von zur Ausreise verpflichteten Ausländerinnen und Ausländern in allen Bundesländern leisten.
Meine Damen und Herren! Zu einem weltoffenen Sachsen gehört auch der Blick über den Tellerrand. Es gehört dazu, dass wir im Rahmen der geltenden Gesetze angemessene Formen entwickeln, wie wir mit Menschen umgehen, die aus anderen Ländern bei uns Zuflucht suchen. Eine sächsische Härtefallkommission stellt eine angemessene Form dar.
Ich möchte Sie ermutigen, unserem Antrag zuzustimmen, und bin mir sicher, dass diese Zustimmung auch außerhalb von Sachsen deutlich positiv zur Kenntnis genommen werden wird.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es freut mich, dass ich meine erste Rede als Abgeordneter des Sächsischen Landtages zu einem so interessanten Thema wie der Einrichtung einer Härtefallkommission für ausländerrechtliche Härtefälle halten darf.
(Vereinzelt Beifall bei der CDU und der SPD – Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Das haben Sie uns zu verdanken!)
Es ist ein Thema, das nicht nur Menschen in Not und staatliche Behörden, sondern auch ein wenig unser Selbstverständnis als Rechtsstaat betrifft.
Meine Damen und Herren! Unzweifelhaft gibt es ausländische Staatsangehörige, die den Begriff eines Härtefalls erfüllen. Ich denke an die Fälle von Vietnamesen, die in den neunziger Jahren nicht in ihre Heimat zurückkehren konnten, weil die Sozialistische Republik Vietnam sie schlicht nicht zurückkehren ließ und sie die Fristen zur Aufenthaltsgenehmigung versäumt hatten. Für diese Menschen musste eine Lösung gefunden werden. Das ist in Sachsen auch gelungen.
Mit dem Zuwanderungsgesetz des Bundes vom 30. Juli 2004 wird nun den Ländern die Möglichkeit eröffnet, Härtefallkommissionen auf gesetzlicher Grundlage ab dem 1. Januar 2005 einzurichten. Wohlgemerkt – es besteht künftig die Möglichkeit, aber keine Pflicht zur Einrichtung einer Härtefallkommission. Diese Regelung ist überdies bis 2009 befristet. Darauf lege ich Wert.
Die Härtefallkommission soll – ich zitiere – „darum ersuchen dürfen, dass einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von den in diesem Gesetz festgelegten Erteilungs- und Verlängerungsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird“.
Auf der Grundlage dieses Ersuchens kann dann die Oberste Ausländerbehörde unter Berücksichtigung insbesondere finanzieller Umstände eine solche Härtefallanordnung treffen. So weit die Rechtslage.
Die vorliegende Drucksache der PDS und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geht weit über das hinaus, was das Zuwanderungsgesetz erlaubt. So wird etwa in Nr. 3 beantragt, dass bis auf weiteres jegliche aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu unterlassen sind.
Meine Damen und Herren! Ich stelle fest: Dies ist schlicht rechtswidrig. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen sind in der Regel durch einige Verwaltungsbehörden und Gerichte auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft worden.
Diese Maßnahmen sind der Vollzug von Recht, das der Deutsche Bundestag gesetzt hat. Sie sind Akte des Rechtsstaates. Sie ohne weiteres auszusetzen bedeutet, den Rechtsstaat nicht ernst zu nehmen.