Protokoll der Sitzung vom 11.11.2004

Diese Maßnahmen sind der Vollzug von Recht, das der Deutsche Bundestag gesetzt hat. Sie sind Akte des Rechtsstaates. Sie ohne weiteres auszusetzen bedeutet, den Rechtsstaat nicht ernst zu nehmen.

Aber es geht noch weiter im PDS-Antrag. Die Härtefallkommission soll – ich zitiere – „als behördenunabhängiges Gremium eingerichtet werden. Sie soll sich in erster Linie aus Vertretern von Flüchtlings- und Emigrantenorganisationen zusammensetzen“.

Meine Damen und Herren, um es klar zu sagen: Das Zuwanderungsgesetz gibt kein behördenunabhängiges Gremium vor. Ich warne davor, sich ein Gremium nach politischem Gusto zusammenzustellen, das genau diejenigen politisch verwertbaren Ergebnisse produziert, die PDS und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben wollen. Wir lehnen deshalb diesen Antrag ab.

(Beifall bei der CDU)

Wir halten es stattdessen für sinnvoll, unter den spezifischen sächsischen Bedingungen zu prüfen, ob und gegebenenfalls in welcher Weise eine Einrichtung geschaffen werden muss, die Härtefälle im Ausländerrecht beurteilt. Bitte bedenken Sie, dass die sächsischen Verhältnisse in einigem von dem abweichen, was in den westlichen Bundesländern gegeben ist. Der Anteil der Ausländer, auch der ausländerrechtlichen Härtefälle ist dort ungleich größer. Wir haben im Freistaat Sachsen einen Ausländeranteil von etwa 2 %. Im Westen Deutschlands sind es flächendeckend mindestens 9 %, in einigen Großstädten 25 bis 30 %.

Ein Zweites möchte ich zu bedenken geben: Der Sächsische Ausländerbeauftragte führt seit Jahren erfolgreich Härtefallgespräche mit den zuständigen Ausländerbehörden, insbesondere auch mit dem Staatsministerium des Innern. Diese effizient geleistete Arbeit ist mittlerweile zu einem Markenzeichen sächsischer Ausländerpolitik geworden. Auch das sollte bei einer Entscheidung berücksichtigt werden.

Meine Damen und Herren! Ich bitte um Ihre Zustimmung zum Änderungsantrag von CDU und SPD. Wir wollen, dass ausländerrechtliche Entscheidungen weiterhin nach Recht und Gesetz neutral und objektiv gefällt werden.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU)

Jetzt erhält die SPD-Fraktion das Wort. Herr Abg. Bräunig, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wurde bereits mehrmals von meinen Vorrednern angedeutet: Das Aufenthaltsgesetz, ein Bundesgesetz, löst im Januar 2005 das bisher geltende Ausländergesetz ab und reformiert die Aufent

haltsgewährung für Ausländer in Deutschland dahin gehend, dass künftig allein der Aufenthaltszweck für die Erteilung eines Aufenthaltstitels maßgeblich ist. Im Zusammenhang mit dieser Neuregelung wartet der bereits angesprochene § 23a dieses Aufenthaltsgesetzes mit einem Novum auf: Erstmals wird es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einen rechtlich eigenständigen Aufenthaltstitel geben, der ausschließlich auf das Vorliegen dringender persönlicher und humanitärer Gründe, also das Vorliegen eines Härtefalls als Aufenthaltszweck, abzielt. Damit die Ausländerbehörden aber überhaupt von dieser Möglichkeit Gebrauch machen können, haben die Bundesländer Härtefallkommissionen einzurichten. Das verlangt der Bundesgesetzgeber. Der Gestaltungsspielraum liegt hier also bei den Ländern. Er ist sehr groß.

Die Kernfrage Ihres Antrages und auch die Kernfrage unseres Änderungsantrages ist die gleiche. Dessen sind wir uns bewusst. Sie lautet: Wollen wir, dass der § 23a des Aufenthaltsgesetzes in Sachsen Anwendung findet, oder wollen wir dies nicht?

(Zuruf von den GRÜNEN: Wir wollen! – Zuruf von der PDS: Wir müssen ihn generell anwenden!)

Wir müssen nicht, wir können ihn anwenden. Deshalb habe ich die Frage formuliert.

Die SPD-Fraktion sagt: Ja, wir wollen diesen Paragrafen zur Anwendung bringen. Ich glaube, mit dieser Meinung sind wir uns auch in übergroßer Mehrheit, zumindest in dieser Runde, einig. Das ist auch im Sinne der Gleichbehandlung der in Sachsen lebenden Ausländer mit denen in anderen Bundesländern dringend geboten.

Aber selbst wenn wir in der Kernfrage übereinstimmen, kann die SPD-Fraktion dem vorliegenden Ursprungsantrag nicht folgen. Sie fordern nämlich ganz konkret eine Härtefallkommission als behördenunabhängiges Gremium mit einer bestimmten Zusammensetzung. Damit würden wir die Staatsregierung in ihrem Ermessensspielraum einschränken, denn bei der Zusammensetzung einer Härtefallkommission gibt es – das zeigen auch die Erfahrungen aus den Bundesländern, in denen bereits derartige Gremien arbeiten – zahlreiche Varianten. Behördenunabhängig muss sie sein, was die Frage der Weisungsunabhängigkeit anbelangt.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Behördenunabhängig kann sie nicht sein, was die Frage der ebenso erforderlichen Fachaufsicht betrifft. – Bitte schön.

Bitte, Frau Dr. Ernst.

Ich wollte fragen, ob Sie möglicherweise die Verordnungen von Schleswig-Holstein und Berlin kennen. Wir haben uns praktisch daran angelehnt. Dort wird das genau in der Art und Weise ge

regelt, wie es in unserem Antrag enthalten ist. Ist Ihnen das klar?

Ja, es ist mir bekannt. Ich komme auch noch darauf zu sprechen. Bezüglich der Frage, ob Anbindung an das Innenministerium oder beim Ausländerbeauftragten, sind die Varianten zahlreich. Wir sehen, dass es hierzu noch erheblichen Prüfungsbedarf gibt. Welche der möglichen Varianten für den Freistaat Sachsen die beste und vernünftigste ist, sollte unserer Ansicht nach einer gründlichen Prüfung unterzogen werden. Wir sollten der Staatsregierung die Möglichkeit hierzu zugestehen.

Im Rahmen der Besetzung der Härtefallkommission spielen natürlich auch die Gründe der Einsetzung dieses Gremiums eine Rolle. Das, was Sie im Punkt 2 Ihres Antrags fordern, läuft auf ein personell aufgeblähtes Gremium hin. Das nützt bei uns niemandem. Das erschwert und verlangsamt Entscheidungsprozesse und kostet letztendlich unnötig Steuergelder.

(Einzelbeifall bei der CDU)

Ich sage das auch vor dem Hintergrund der zu erwartenden Fallzahlen, also der zu erwartenden Zahl der Anträge, mit denen sich diese Kommission zukünftig zu beschäftigen haben wird. Dabei können wir den Freistaat Sachsen eben nicht mit Ländern wie Nordrhein-Westfalen, Berlin oder Schleswig-Holstein vergleichen, eher mit Mecklenburg-Vorpommern.

(Dr. Cornelia Ernst, PDS: Die haben auch solche Verordnungen!)

Die dortige Härtefallkommission hat im Kalenderjahr 2003 laut ihrem Geschäftsbericht insgesamt 17 Anträge bearbeitet.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Das ist doch schön!)

Eine Flut von Anträgen ist also nicht zu erwarten. Entsprechend sollte sich das Gremium diesem Arbeitsaufkommen zahlenmäßig anpassen.

Die Krone setzen Sie Ihrem Antrag natürlich auf, indem Sie unter Punkt 3 einen Abschiebestopp für quasi alle derzeit von einer zwangsweisen Rückführung betroffenen Ausländer in Sachsen fordern. Die Forderung mag zwar politisch populär sein, zumindest gewissen Zielgruppen gegenüber, ist aber völlig überzogen und unnötig.

(Zuruf des Abg. Heinz Eggert, CDU)

Sie suggerieren damit, dass es im Moment in Sachsen keine Härtefallbehandlung gibt, dass Ausländer der Willkür – Sie haben es ja selbst angesprochen – der Ausländerbehörden ausgeliefert sind.

Sehr wohl werden aber Härtefälle in Sachsen behandelt, entweder vom Petitionsausschuss oder vom Sächsischen Ausländerbeauftragten. Das Defizit besteht lediglich darin, dass ein positives Härtefallvotum im Moment keinerlei rechtliche Wirkungen entfaltet. Das ändert sich ab Januar 2005; und das ist auch gut so.

(Beifall bei der SPD)

Im Übrigen stelle ich mir die Frage nach der Praktikabilität Ihrer Forderungen. Ich halte sie grundsätzlich für nicht praktikabel.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die SPD-Fraktion will, dass der § 23a Aufenthaltsgesetz sobald als möglich in Sachsen zur Anwendung kommt, weil wir das für wichtig halten. Wir fordern gemeinsam mit der CDUFraktion in unserem Änderungsantrag die Staatsregierung auf, in dieser Richtung tätig zu werden. Wir legen uns allerdings hier und jetzt nicht auf ein bestimmtes Verfahren, die Besetzung und Arbeitsweise dieser zukünftigen Kommission betreffend, fest.

Wir sind der Meinung, dass es keiner gesonderten Übergangsregelung für die von zwangsweiser Rückführung betroffenen Ausländer in Sachsen bedarf, eventuell auch über den 2. Januar 2005 hinaus. In diesem Sinne ist der Änderungsantrag von CDU- und SPD-Fraktion formuliert. Ich bitte um Zustimmung zu diesem Änderungsantrag und um Ablehnung des Punktes 3 im Antrag von PDS und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Ich bitte von der NPD-Fraktion Herrn Abg. Apfel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Die so genannte Härtefallkommission ist ein Lieblingskind des Sächsischen Ausländerbeauftragten. In seinem Jahresbericht 2004 ist ihr ein eigenes Kapitel gewidmet. Darin wird lang und breit begründet, warum künftig eine Härtefallkommission die bisher stattfindenden so genannten Härtefallgespräche ablösen soll. Diese Härtefallgespräche, die im Freistaat Sachsen seit 1996 zwischen dem Innenminister und dem Ausländerbeauftragten geführt werden und bei denen besonders plakative Einzelschicksale von Ausländern thematisiert werden, haben sich mittlerweile institutionell verfestigt. Unter anderem hat dies dazu geführt, dass es der Ausländerbeauftragte in seinem Jahresbericht als besonderen Erfolg zu verbuchen glaubt, dass die in den Härtefallgesprächen zustande gekommenen Lösungen regelmäßig – Zitat – „von den nachgeordneten Behörden auch übernommen und umgesetzt werden“.

Grundlage für die Einrichtung einer regulären Härtefallkommission wäre eine Rechtsverordnung der Landesregierung. Das rot-grüne Zuwanderungsgesetz sieht diese Vorgehensweise vor. Die Tätigkeit der Härtefallkommission beschreibt der Landesausländerbeauftragte wie folgt:

Zitat: „Wenn eine Härtefallkommission eingerichtet wird, so kann die Kommission ein Härtefallersuchen aussprechen. Damit kann einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer, der keinen anderen Aufenthaltstitel erhalten kann, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Voraussetzung ist, dass nach Feststellung der Kommission dringende humanitäre oder persönliche Gründe die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet rechtfertigen.“

Es wird Sie nicht verwundern, dass die NPD die Einrichtung einer Härtefallkommission im Freistaat Sachsen ab

lehnt. Sowohl das Instrument der Härtefallregelung sowie das einer institutionalisierten Kommission sind geeignet, bestehende gesetzliche Regelungen zu unterlaufen und damit einen weiteren Zustrom von Ausländern nach Deutschland zu fördern.

Gerade der Sächsische Ausländerbeauftragte sieht eigenem Bekunden zufolge die Vertretung von Ausländerinteressen als einen Akt politischer Barmherzigkeit, auch und gerade vor dem Hintergrund des rot-grünen Zuwanderungsrechts. Sie erfordere von allen politisch Handelnden viel Mut und Kraft. Das bedeutet jedoch im Klartext nichts anderes als ein Aufweichen bestehender gesetzlicher Regelungen zugunsten einer wachsenden Zahl von Einzelfallregelungen.

Eine Härtefallkommission wäre dafür ein hervorragendes Instrument. Sie trüge zu einer schwer wieder rückgängig zu machenden Verfestigung bisheriger Ausnahmeregelungen bei und schüfe ein neues Schlupfloch der unkontrollierten Zuwanderung nach Deutschland. Der Landesausländerbeauftragte von Sachsen macht keinen Hehl daraus, dass er eine solche Entwicklung begrüßen würde. Zitat: „Die Staatsregierung sollte meines Erachtens von der Möglichkeit, die der neue Paragraf des Zuwanderungsgesetzes – Aufenthaltsgewährung in Härtefällen – bietet, unbedingt Gebrauch machen, denn damit ist auch eine neue Rechtsgrundlage gegeben, auf deren Basis ein Aufenthaltstitel erteilt werden kann.“

Vor dem Hintergrund der aktuellen Asylbewerberzahlen ist eine Härtefallkommission unseres Erachtens vollkommen überflüssig. Laut Jahresbericht des Landesausländerbeauftragten wurden im Jahr 2003 in Sachsen insgesamt 3 938 Asylanträge gestellt, von denen 3 898 sofort abgelehnt wurden. In 76 Fällen ergab sich ein Abschiebeschutz, in weiteren 49 Fällen wurde ein Abschiebehindernis festgestellt. Ganze 33 Asylanträge wurden positiv beschieden. Angesichts einer solchen Größenordnung ist die Einrichtung einer eigenen Kommission zur Feststellung und womöglich Generierung von Härte- und Ausnahmefällen vollkommen ungeeignet und unbegründet. Erst recht unbegründet ist die Schaffung einer Härtefallkommission mit Blick auf das langfristige Ziel einer Ausländerrückführung, wie sie die NPD anstrebt.

(Beifall bei der NPD)

Die diesbezüglichen Regelungen werden Sonder- und Härtefälle in Zukunft noch weniger plausibel machen als gegenwärtig. Falls wirklich erforderlich, werden sich problematische Einzelfälle wie bisher in Gesprächen mit dem Innenministerium klären lassen. Der Freistaat Sachsen verfügt mit dem Landesausländerbeauftragten und seinen Mitarbeitern bereits über eine Härtefallkommission, die bisher in Kooperation mit dem Innenministerium Einzelschicksale geklärt hat. Die Installation eines weiteren Gremiums mit gleicher Aufgabenstellung ist deshalb vollkommen überflüssig.