Protokoll der Sitzung vom 11.11.2004

Es wurde viel darüber geredet, in welchen Ländern wann welcher Mindestlohn eingeführt worden ist – das möchte ich nicht wiederholen. Ein Fakt aber ist vergessen worden zu erwähnen, nämlich die Frage, auf wie viele Personen das zutrifft. In Spanien, Großbritannien, den Niederlanden und Irland erhalten zwischen 0,9 und 2,2 % der Beschäftigten den Mindestlohn, in Portugal dagegen 4 %, in Frankreich 13,9 % und in Luxemburg 15,5 %.

Man kann noch vieles in die Diskussion hineintragen. Man sollte bei aller Flexibilisierung und Mobilisierung, die den Arbeitnehmern abverlangt wird, beim Faktor Arbeit darum ringen, fair miteinander zu diskutieren, und dafür sorgen, dass kein freier Fall der Löhne nach unten erfolgt.

Sowohl die Theorie als auch die Praxis liefern Bündel von Argumenten, die für oder gegen einen Mindestlohn sprechen.

Bitte zum Schluss kommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Arbeitnehmer haben sich den Forderungen des Marktes nach mehr Mobilität und Flexibilität gestellt. Sorgen wir dafür, dass dies nicht zur Schwächung des Status der Arbeitnehmer führt.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU)

Wird von der SPD-Fraktion das Wort zu der Debatte gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Von der NPD-Fraktion? – Nicht. Von der FDP-Fraktion? – Auch nicht. Von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN? – Bitte, Herr Dr. Gerstenberg.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte noch einige Sätze zur Debatte beisteuern. Für die GRÜNEN ist diese Diskussion um den Mindestlohn seit der Verabschiedung von Hartz IV im Vermittlungsausschuss, also seit mindestens einem Jahr, aktuell. Die rot-grüne Koalition im Bundestag hatte eine Sicherungsgrenze nach unten eingezogen: Der ortsübliche Tarif galt als Zumutbarkeitsgrenze. In den Verhandlungen des Vermittlungsausschusses ist diese Sicherung auf Druck der CDU- und FDP-regierten Länder aufgehoben worden. Das eröffnet die Möglichkeit, Dumpinglöhne zu zahlen.

Die Diskussion hat eine ganz neue Aktualität und Qualität, aber im Grunde ist es eine alte Debatte. Das ist hier richtigerweise schon gesagt worden. Niedrigeinkommen sind in Deutschland weit verbreitet. Das liegt an tariffreien Zonen – im Osten über die Hälfte – und an niedrigen Löhnen in Tarifgebieten. Ich würde die Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion wirklich bitten, die Argumente ihres Kollegen Pietzsch noch einmal zu überdenken. Es geht darum, dass Menschen in der Lage sein müssen, existenzsichernde Einkommen zu erzielen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Entgegen der volkswirtschaftlichen Theorie hilft auch ein Blick nach Europa. Die EU-Länder, die Mindestlöhne eingeführt haben, müssen keine steigende Arbeitslosigkeit verzeichnen. Ich sage Ihnen noch einmal: Sie legen immer viel Wert darauf, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, dass die betrieblich Handelnden mitbestimmen sollen. Die Betriebsräte sind zu 80 % für die Flankierung durch Mindestlöhne. Bitte hören Sie auf die vor Ort Verantwortlichen! Wir haben vorgeschlagen, diese Debatte dadurch voranzubringen, dass die Gewerkschaften erst einmal eine Einigung finden. Das ist ein Problem, weil die Gewerkschaften sehr unterschiedliche Positionen haben. Ich denke, es ist wichtig diese Diskussion voranzutreiben und dann auf der Basis der Einigung der Tarifpartner Anknüpfungspunkte zu suchen. Wie Antje Hermenau bereits gesagt hat, knüpfen wir an die Vorstellung der IG Metall an und schlagen vor: kein einheitlicher Mindestlohn! Dieses Modell mag zwar viel Charme nach außen haben, aber wir sind für Mindestlöhne, die nach Branchen und Regionen differenziert sind. Das Gesetz über die Mindestarbeitsbedingungen aus dem Jahr 1952 könnte ein Ansatzpunkt sein, um sehr schnell zu einer Lösung zu kommen. Für mich ist es wichtig, diesen praktikablen Weg zu beschreiten, um noch in dieser Legislaturperiode im Bundestag ein Gesetz über einen gesetzlichen Mindestlohn zu verabschieden. Das ist ein wichtiger Beitrag für existenzsichernde Einkommen und ein wichtiger Schritt gegen „Armut in Arbeit“!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich erteile der Fraktion der PDS das Wort. – Sie wünscht es nicht mehr. Wird von der CDU-Fraktion das Wort gewünscht? – Das ist auch nicht der Fall. Meine Damen und Herren, damit ist die 1. Aktuelle Debatte, die von der Fraktion der PDS zum Thema „Mindestlohn statt Abschottung des Arbeitsmarktes“ beantragt wurde, beendet. Ich rufe die nächste Aktuelle Debatte auf. Wir kommen zu

2. Aktuelle Debatte Schöner leben ohne Drogen

Antrag der Fraktion der NPD

Als Antragsteller hat zunächst ein Mitglied der NPDFraktion das Wort. Die weitere Reihenfolge ist wie folgt: CDU, PDS, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Staatsregierung, wenn sie einen Redebeitrag wünscht. Die Debatte ist eröffnet. Ich bitte Herrn Paul, das Wort zu nehmen.

Sehr verehrte Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jede Debatte hat ihre langfristigen Ursachen und einen unmittelbaren Anlass. So ist es auch in der heutigen Aktuellen Debatte. Sicherlich war der Skandal um die Äußerung der Kollegin Bonk hinsichtlich der Legalisierung illegaler Drogen der un

mittelbare Anlass gewesen; die Ursachen liegen allerdings wohl ganz woanders. Seit einigen Jahren werden der Bevölkerung mit unzähligen Veröffentlichungen die Argumente der Befürworter einer Drogen-Legalisierung unter schönfärberischen Schlagwörtern wie „Entkriminalisierung“ oder „Liberalisierung“ eingehämmert. Werte Kollegen und Kolleginnen der PDS-Fraktion, acht Scheiben Mortadella, ein Liter Milch, ein halbes Brot und – ach ja – sechs Gramm Haschisch, bitte! So stellt sich Ihre PDS-Jugend den alltäglichen Einkauf in der Zukunft wahrscheinlich vor.

„Haschisch in den Supermarkt“, so forderte die PDS-Jugend in Sachsen Anfang dieses Jahres auf Postkarten, von denen sie 3 000 Stück an Schulen und in Jugend

klubs vertrieben hat. Im Jugend-Wahlprogramm 2004 für Sachsen fordert Ihre Jugend unter dem Motto „Rausch ohne Reue“ die Entkriminalisierung von Konsument, Produzent und Händler sowie die Freigabe aller bisher illegalisierten Stoffe.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wundern Sie sich angesichts solcher Forderungen tatsächlich über die unreifen Forderungen der Kollegin Bonk?

Werte Frau Bonk! Wenn für Sie Cannabis total gesund ist und nicht abhängig macht, dann muss ich Ihnen hier aufs Schärfste widersprechen. Es ist durchaus die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass Cannabis und Haschisch abhängig machen. Die meisten Heroinabhängigen haben statistisch gesehen vorher Haschisch geraucht. Haschisch stört die Gehirnfunktionen. Konzentrationsschwächen, Störungen des Kurzzeitgedächtnisses, des Lernvermögens und Leistungsabfall können die Folge sein. Haschisch schädigt die Lunge stärker als Tabak, da es mehr Krebs erregende Substanzen enthält. Dies alles, Kollegin Bonk, klingt nicht nach einer total gesunden Substanz.

Wenn Sie einmal Heroinabhängige gesehen haben und sich mit diesem Elend auseinander gesetzt hätten, würde ein gesunder Menschenverstand sicherlich nicht die Legalisierung von Heroin fordern. Wenn Sie mir heute wieder entgegenhalten, dass jeder ja auch entscheiden kann, ob er von der Brücke springt, dann haben Sie ethische Grundpositionen längst überschritten. Niemand scheidet freiwillig aus dem Leben, und nur Verzweiflung animiert Menschen zum Selbstmord. Ihre Äußerungen sprechen eine eigene Sprache und zeugen von einer Menschenverachtung, welche mit Naivität nicht erklärbar ist. Sie haben sich auf der letzten Sitzung mit Ihrem ProtestT-Shirt medienwirksam in Szene gesetzt. Ich gehe daher davon aus, dass Sie sich heute nicht hinter Ihrer Fraktion verstecken werden.

Meine Fraktion ist heute wirklich sehr gespannt, was Sie hier im Plenum zum Thema Drogen zu sagen haben. Ich kann Ihnen nur wünschen, dass Sie sich inzwischen mehr mit dem Thema Sucht auseinander gesetzt haben. Rauschgiftsüchtige sind von ihrem Suchtstoff abhängig und können sich deshalb nicht frei entscheiden, ob sie mit oder ohne Rauschgift leben möchten. Gerade Jugendliche in ihrer Findungsphase geraten oft aus Unwissenheit über die Gefährlichkeit von Rauschgiften in eine elende Drogenkarriere. Wüssten sie, wie rasch sie sich ihr Leben, ihre Gesundheit, ihre Zukunft ruinieren, würden viele Jugendliche sicherlich nicht so ungeniert zu illegalen Drogen greifen.

Sehr verehrte Damen und Herren! Werte Frau Bonk! Freiheit des Einzelnen setzt erst einmal Aufklärung und Wissen voraus. Hier ist sicherlich auch in Sachsen bei jungen Menschen ein enormer Nachholbedarf festzustellen. Solange die Aufklärung über die Risiken von Rauschmitteln nur verharmlosend und unzureichend erfolgt, werden Drogenverharmloser, wie sie bei der PDS, den GRÜNEN, in den Reihen der SPD-Jugend, aber auch bei den jungen Liberalen zu finden sind, ihr Forum finden.

Meine Fraktion hingegen stellt klar: Dem Problem Drogen wird man nicht durch Freigabe illegaler Drogen beikommen können. Stattdessen müssten

1. eine auf Drogenabstinenz ausgerichtete Präventionspolitik, 2. eine konsequente strafrechtliche Verfolgung von Drogendealern und 3. Therapie und Hilfe für Abhängige, die die Gesundheit sichern und den Ausstieg aus der Sucht bewirken sollen, das Ziel einer vernünftigen Gesundheits- und Drogenpolitik sein. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der NPD)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. – Nicht. Dann die PDS-Fraktion. Herr Prof. Porsch, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute ist Martinstag. Da wird von vielen eine Gans verzehrt im Gedenken an den Heiligen Martin, den die Gänse in seinem Versteck verrieten. Man trinkt dazu einen guten Tropfen, vielleicht auch Bier. Das Essen ist fett und man fördert die Verdauung mit einem kleinen Schnaps. Das Mahl rundet ein abschließender Kaffee ab und so manchem und mancher schmeckt dazu eine Zigarette. Nach dem Essen sollst du rauchen, sagt der Volksmund.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Gemütlichkeit pur. Wein, Bier, Schnaps, Kaffee, Tabak haben diese Gemütlichkeit begleitet. Das ist doch „schöner leben“ mit der Droge. Und warum auch nicht?

(Beifall bei der PDS)

Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren – auch das weiß der Volksmund. Analog gilt das natürlich für all die anderen Drogen, die zu unserem Alltag gehören.

(Karl Nolle, SPD: Weil es eine deutsche Gans ist! – Heiterkeit bei der PDS)

Natürlich eine deutsche Gans. Ebenfalls am Martinstag feiern die Winzer jenen Tag, an dem der Federweiße oder Sturm – ich komme noch zum deutschen – endgültig in den Zustand des neuen Weines übergeht. Es gibt dazu Brauchtum und Festivitäten. Die Landschaft ist wie vom lieben Gott gekämmt, lese ich über den Anblick von Weinbergen. Schade, dass man den Wein nicht streicheln kann, seufzt Kurt Tucholsky, und wer ein wahrer Deutscher ist, wünscht sich das Wasser des Rheines in goldenen Wein verwandelt und möchte so gerne ein Fischlein sein. Schöner leben als Fischlein im drogenvollen Weinrhein, noch dazu demnächst in den Hochburgen des deutschen Karnevals, der ja heute auch beginnt. Darauf sollten sich doch jene einlassen, die sich für die wahren Deutschen halten. Es könnte dann der Rest glücklich außerhalb des Rheins leben. Schöner leben ohne Nazis.

(Beifall bei der PDS und der SPD – Uwe Leichsenring, NPD: So ein Schmarren!)

Wenn Ihnen, meine Damen und Herren Einreicher der Aktuellen Debatte, aber Bier doch lieber sein sollte, dann

gehen Sie doch zu einem Kommers der Ihnen nahe stehenden deutsch-nationalen Burschenschaften. Da steppt der Bär, wenn die Füchse voll sind und, durch Trinksprüche angestachelt, zum dritten Mal kotzen, kultiviert natürlich; denn auf der Toilette gibt es ein eigenes Kotzbecken, groß genug, dass nichts danebengeht, und auch in der richtigen Höhe angebracht.

(Heiterkeit bei der PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Aber bitte!

Es macht einen eigenen Ton, wenn sie benutzt werden. Deshalb heißt der Vorgang bei manchen auch „Ulfrufen“. Das gehört zum „schöner leben“ eines deutschen Burschen wie die Wichser und die Beziehungen.

(Beifall bei der PDS)

Nun aber Spaß beiseite. Neben dem Gläschen in Ehren wissen wir freilich auch, dass, wer Sorgen hat, auch Likör hat. Sorgen drängen wohl öfter zur Droge als das Gläschen in Ehren. Missbrauch von Alkohol, Nikotin, Medikamenten kostet die Gesellschaft jährlich Milliarden von Euro.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

– Nein, ich will das jetzt zu Ende bringen. Die Folgen ungelöster persönlicher Probleme, entstanden in einer Gesellschaft, die Wettbewerb vor Solidarität, Ellenbogen vor Mitmenschlichkeit stellt, fallen so auf die Gesellschaft zurück. Die Opfer werden immer jünger. Käme aber deshalb jemand auf die Idee, die Weinberge zu zerstören wie die Mohnfelder in Burma? Wer wollte schon den von Gott gekämmten Scheitel zerstören! Käme jemand auf die Idee, die Schnapsbrennereien, Pharmafabriken und Brauereien zu stürmen? Ist der Winzer, ist der Braumeister schuld am Alkoholkranken? Da spricht man dann doch eher von der Freiheit und Verantwortung des Einzelnen

(Protest bei der NPD)

und stellt diese zwischen den Trinker und den Erzeuger und die Entziehungsanstalt.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

– Nein. Ich finde nur das Sprichwort bestätigt, dass getroffene Hunde bellen.