Protokoll der Sitzung vom 11.11.2004

Um es auf den Kern zu bringen: Warum ist denn DHL von Brüssel weggegangen? Das war mitnichten ein Geschenk zum 15. Jahrestag des Mauerfalls; das hatte knallharte betriebswirtschaftliche Gründe. Es waren sicher auch die guten Standortbedingungen und die Fördergelder, die geflossen sind. Aber nicht mit Millionen und Abermillionen aufzuwiegen ist etwas ganz anderes, nämlich die fast bedingungslose – sicher unter Auflagen –, durchgängige Nachtflugerlaubnis mit dem internationalen Rekordwert, dass man das der DHL gleich für 30 lange, sehr lange Jahre gewährleistet. So etwas ist international einmalig.

Da gibt es, sehr verehrte Damen und Herren, nur eine Schlussfolgerung: Entweder sind die Einwohner von Brüssel und Umgebung wesentlich lärmempfindlicher als die rund um Leipzig – das aber halte ich aus ontogenetischen wie phylogenetischen, kurz: biologischen Gründen für eine eher gewagte These –, oder aber die Brüsseler Menschen sind einfach aufgeklärter. Sie haben zugegebenermaßen geringere Arbeitslosenzahlen als in Leipzig, aber auch sie werden keine Arbeitsplätze praktisch ohne dringende Gründe davonziehen lassen. Wenn aber die geforderten 34 000 statt 13 000 Nachtflüge in Brüssel politisch nicht durchsetzbar waren, in Leipzig aber sind, sollten wir dringend einmal darüber nachdenken, warum dem so ist.

Natürlich habe ich mit beiden Bürgerinitiativen gesprochen. Man muss sicher nicht jede Forderung unterschreiben, zumal ein bedingungsloses Nachtflugverbot jetzt ohnehin außerhalb der Diskussion ist. So etwas kann am Ende nur das Bundesverwaltungsgericht kippen, wenn denn eine solche Entscheidung fallen sollte.

Der rationale Kern der Forderungen der Bürgerinitiativen ist, dass man angesichts der massiven Betroffenheit mehr tut, als nur im Gesetz steht: dass man das technisch Mögliche tut. Ich habe versucht – ich bin noch nicht durch –, diesen umfangreichen Planfeststellungsbeschluss zu lesen. Knapp 700 Seiten sind eine schwierige Lektüre. Zum Glück steht der Beschluss in der Homepage des Regierungspräsidiums Leipzig. Das ist positiv. So etwas würde man sich immer wünschen.

Wir haben einen Änderungsantrag gestellt, mit dem wir das technisch Mögliche wirklich durchführen wollen. Wir bitten die Staatsregierung, in dieser Weise initiativ zu werden. Ich sage ausdrücklich: Wir wissen, dass das Geld kostet. Möglicherweise wird es mehr Geld kosten als die jetzt eingestellten 60 Millionen Euro. Mein Kollege Volker Külow wird dazu noch sprechen. Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag. Dann könnten wir diesem Antrag in geänderter Fassung auch zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Ich rufe die NPDFraktion auf. Herr Abg. Leichsenring, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Sprichwort sagt: Nichts ist älter als die Zeitung von gestern. Wir freuen uns, dass die Ansiedlung von DHL so kommt. Wir halten diesen Antrag der CDU-Fraktion für obsolet und sehen auch keinen Grund, hier noch länger zu schwadronieren. Wir hätten dem Antrag zugestimmt und freuen uns über die Entwicklung. Danke.

(Vereinzelt Beifall bei der NPD)

Die FDP-Fraktion, bitte.

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Ich möchte mich, gerade als Leipziger Stadtrat, sehr herzlich bei den handelnden Personen bedanken, die diese Ansiedlung letztendlich möglich gemacht haben. Aber ich denke, wenn wir uns überlegen, warum die Ansiedlung möglich geworden ist, müssen wir ein paar Jahre, vielleicht auch ein Jahrzehnt nach hinten schauen. Ich möchte deswegen in den Dank ganz ausdrücklich den ehemaligen Ministerpräsidenten, Prof. Biedenkopf, einschließen, weil, wie ich meine, damals durch eine weitsichtige Standortpolitik für den Leipziger Flughafen überhaupt die Voraussetzung geschaffen wurde, dass man heute über solche Dinge diskutieren kann. Die FDP-Fraktion würde sich freuen, wenn man in diesem Stile auch zukünftig wieder Politik im Freistaat machen würde.

(Beifall bei der FDP)

Dieser Antrag – das ist von anderen Fraktionen schon angesprochen worden – ist auch ein bisschen politisch motiviert. Wenn die Regierungsfraktion ihre eigene Regierung auffordert etwas zu tun, ist das schon ein bisschen komisch; wenn aber der Fraktionsvorsitzende Jurk den Minister Jurk auffordert, endlich zu handeln, dann ist eine gewisse Komik nicht zu bestreiten. Offensichtlich hat die SPD-Fraktion

(Widerspruch der Abg. Dr. Gisela Schwarz, SPD)

mit ihrem Fraktionsvorsitzenden in der Vergangenheit so schlechte Erfahrungen gemacht, dass sie solche Anträge stellen muss.

(Staatsminister Thomas Jurk: Sie müssen noch einiges lernen, Herr Morlok!)

Wir haben durch schnelle Entscheidungen diese Ansiedlung mit möglich gemacht.

(Zuruf von der PDS: Wer ist „wir“?)

Wir, das sind der Freistaat Sachsen, aber auch die Stadt Leipzig und das Regierungspräsidium.

(Widerspruch bei der CDU)

Hier haben wir das Problem, dass das immer nur dann gilt, wenn die Großen kommen, wenn Großinvestitionen

anstehen. Ich würde mich freuen, wenn der kleine Mittelständler, wenn er irgendwo Arbeitsplätze schafft, das sind nämlich auch eine ganze Menge, ähnlich schnelle Entscheidungen bekommen könnte.

(Frank Kupfer, CDU: Das liegt am Stadtrat in Leipzig!)

Das Hauptargument für die Ansiedlung von DHL war neben dem 24-Stunden-Flugbetrieb ganz ausdrücklich, wenn man den Verlautbarungen glauben kann, das niedrige Lohnniveau. Ich möchte darauf ausdrücklich hinweisen, weil wir zu Beginn des Tages schon über das Thema Mindestlohn diskutiert haben. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Lohnniveau und wirtschaftlicher Entwicklung. Das soll denen, die für Mindestlöhne sind, noch einmal in Erinnerung gerufen werden.

Sie haben das Bundesverkehrswegebeschleunigungsgesetz angesprochen. Dieses Gesetz wird von uns sehr begrüßt, da es Modellcharakter hat. Daran kann sich der Westen ein Beispiel für die Entbürokratisierung in den alten Bundesländern nehmen. Im Planfeststellungsbeschluss des Regierungspräsidiums sind neue Wege hinsichtlich der Definition von Lärmschutzmaßnahmen gegangen worden. Wir begrüßen das, aber wir sind auch der Auffassung, dass diese Lärmschutzmaßnahmen ausreichend sind und dass es keines Draufsattelns mehr bedarf.

Einen technisch bestmöglichen Lärmschutz zu beantragen, wie es die PDS-Fraktion getan hat, führt am Ziel vorbei. Wir müssen immer zwischen dem technisch Möglichen und dem wirtschaftlich Machbaren unterscheiden. Es kann nicht sein, dass wir eine Politik nach dem Motto „Lärmschutz, koste es, was es wolle!“ betreiben. Das kann nicht verantwortungsvolle Politik sein. Deswegen werden wir den Änderungsantrag ablehnen.

(Beifall bei der FDP)

Der Leipziger Flughafen hat die Chance, im internationalen Wettbewerb durch seine Lage auch weitere Ansiedlungen zu ermöglichen, weil eine ganze Menge freier Flächen um den Leipziger Flughafen herum vorhanden ist. Ich kann Ihnen, Herr Ministerpräsident, insoweit folgen, dass, wenn man Leipzig mit anderen Flughäfen in Deutschland vergleicht und die Bebauung ringsherum anschaut – denken wir einmal an den Frachtflughafen Düsseldorf – wir in Leipzig eine weit geringere Besiedlung haben. Wer in der Stadt Düsseldorf schon einmal übernachtet hat und den dortigen Fluglärm erlebt hat, der weiß, wovon ich rede. Ich komme aus Stuttgart, wie Sie meiner Stimme vielleicht entnehmen können, und habe sehr, sehr lange am Flughafen Echterdingen gewohnt. Ich weiß, was es heißt, über Fluglärm zu reden.

Dennoch bin ich der Auffassung, dass das, was zurzeit vom Regierungspräsidium auferlegt wurde, ausreichend ist. Denjenigen, die sich in Leipzig vor zwei, drei oder vier Jahren in Flughafennähe ein Häuschen gebaut haben und sich jetzt ganz massiv gegen diesen Flughafen wenden, muss man sagen, dass es nicht Aufgabe des Staates sein kann, diese zu entschädigen; denn dass ein Flughafen Lärm verursacht, hätte man, als man sich vor zwei oder drei Jahren das Grundstück gekauft hat, schon er

kennen können. Das heißt, auch diese staatlichen Ausgleichsmaßnahmen haben irgendwo eine Grenze.

Wir sind zufrieden, dass es geklappt hat. Wir halten das für ein wichtiges Signal für die Region. Wir sind sicher, dass nicht nur die Region Leipzig, sondern der gesamte Freistaat und auch der Nachbarstaat Sachsen-Anhalt von dieser Entscheidung profitieren wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Ich bitte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Herr Lichdi, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen!

(Uwe Leichsenring, NPD: Vergiss es nur nicht!)

Unsere Fraktion begrüßt die Ansiedlung von DHL – das als Allererstes. Demgegenüber lehnen wir den Punkt 2 des Antrages entschieden ab. Er enthält eine unbegrenzte Nachtflugerlaubnis. Uns stört insbesondere daran, dass mit diesem Argument Frankfurt und Brüssel auskonkurriert wurden und dass das in der öffentlichen Debatte sehr stark in den Vordergrund geschoben wird. Was hier stattfindet, ist aus unserer Sicht eine Form des Umweltdumpings, die nicht vertretbar ist. Wir sehen darin eine Umsetzung der Linie des Herrn Ministerpräsidenten, Umwelt- und Sozialstandards abzusenken, um den Wirtschaftsaufbau Sachsens voranzutreiben. Dies halten wir für eine grundsätzlich kurzsichtige Politik.

Was passiert in Leipzig? DHL fliegt Flugzeuge des Typs MD-11 Mc Donald-Douglas. Die Flugbewegungen werden von 13 000 auf 34 000 Starts im Jahr gesteigert. Ich möchte darauf verweisen, dass wir eine internationale Regelung ICAO, Anhang 16, Kapitel 3, haben. Dort werden die Flugzeuge nach ihren Lärmemissionen und den erforderlichen Schutzstandards kategorisiert. Ich weiß, das hören Sie nicht gern, aber es ist wichtig, dass dies im Hohen Haus gesagt wird. Die Konferenz der Minister für Raumordnung hat im Jahr 1998 beschlossen, dass gerade für diese Flugzeuge ein Nachtflugverbot zwischen 22.30 Uhr und 6.00 Uhr gelten soll. Dieses Verbot hebeln Sie bewusst aus.

Der von der Koalition vorgelegte Antrag wendet sich aktiv gegen diese Festlegung. Wir halten deswegen diese Investition auch aus wirtschaftlichen Gründen, da sie auf Kosten der Gesundheit der Anwohner geht, für wirtschaftlich nicht nachhaltig, also dauerhaft.

Punkt 2 des Antrages spricht sich für eine 30-jährige Aufrechterhaltung der uneingeschränkten Nachtflugerlaubnis aus. In der Öffentlichkeit ist der Eindruck erweckt worden, dass der Planfeststellungsbeschluss des Regierungspräsidiums Leipzig, welches hier sehr stark gelobt worden ist, diese 30-jährige Nachtflugerlaubnis festschreibt. Meine Damen und Herren, das Gegenteil ist der Fall.

Der Planfeststellungsbeschluss behält sich ausdrücklich vor, nachträgliche Anordnungen zum Schutz der Nachtruhe der Anwohner festzulegen. Ich empfehle Ihnen die Lektüre der Nebenbestimmungen 4.9 ff.

Auf Deutsch: Die 30-jährige Nachtflugerlaubnis wurde gerade nicht festgeschrieben. Es ist offensichtlich, dass die Behörde die nachträgliche Anordnung nur deshalb vorgesehen hat, um die zu erwartenden Klagen der Anwohner vor Gericht abwehren zu können, denn sonst wäre der Beschluss schlicht und ergreifend rechtlich nicht haltbar.

Worum geht es also? Es geht um das politische Signal, dass Sachsen aktiv auf Gesundheits- und Umweltschutz verzichten möchte, um Ansiedlungen zu erreichen und an Land ziehen zu können.

Wir halten es für verhängnisvoll, Sachsen wirtschaftlich durch Umwelt- und Sozialdumping im Ausland zu bewerben. Diese Investitionen haben kurze Beine; denn was machen wir eigentlich, wenn der Lärm am Standort unerträglich wird und dann tatsächlich nachträgliche Anordnungen festgesetzt werden müssen und DHL sagt, dann gehen wir einfach wieder. Dann sind diese erheblichen Steuermittel, die hier in die Subvention fließen, auch in den Sand gesetzt, meine Damen und Herren.

Zum Punkt 3 des Antrages der PDS: Zunächst wundert es mich sehr, dass sich die PDS mit diesem Antrag, da es ein Ergänzungsantrag ist, für die uneingeschränkte Nachtflugerlaubnis ausspricht. Das wundert mich sehr. Sie geben hier sozusagen den Gründen des vermeintlichen Wirtschaftsausbaus zulasten der Umwelt nach.

Der Antrag mit dem bestmöglichen technischen Umweltschutz, den Sie als Punkt 3 gestellt haben, hat natürlich den richtigen Kern, dass wir diese Summenwirkung im Sinne der Umgehungslärmrichtlinie gemeinsam betrachten und dass wir auch die Vorschläge des DLR hier umsetzen müssen.

Es bleibt aber für mich die Feststellung, dass der Umweltschutz eben bei uns GRÜNEN, liebe PDS, in besserer Hand ist als bei Ihnen. Wir werden deshalb den Punkt 2 des Antrages ablehnen, bitten aber das Präsidium, für punktweise Abstimmung zu sorgen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Wird noch weiter das Wort gewünscht? – Bitte, die Staatsregierung, Herr Ministerpräsident.