Protokoll der Sitzung vom 24.01.2006

Meine Damen und Herren! Es ist die FDP gewesen, die im Rahmen der Gesetzgebung gefordert hat: Lasst uns ein Jahr mehr Zeit nehmen! Lasst das Gesetz nicht krampfhaft so schnell in Kraft treten! Wir brauchen mehr Zeit, um diese – zugegebenermaßen große – Reform im Sozialbereich richtig und gut machen zu können!

Aber auf diese Bedenken und Einwände der FDP hat man damals nicht gehört. Die alte Bundesregierung hatte versucht, das Gesetz Knall und Fall durchzupeitschen,

weil man Politik damit machen wollte. Auf ernst zu nehmende Einwände aus verschiedenen Bereichen, auch aus meiner Partei, hat man nicht gehört.

Frau Ministerin, Sie haben ausgeführt, die Agentur sei nicht in der Lage, Daten zum Vergleich zwischen den ARGEn und den optierenden Kommunen zu liefern. Auch hier habe ich einen Verdacht: Vielleicht will man die Vergleichsdaten seitens der Agentur gar nicht vorlegen! Es könnte ja sein, dass die Vergleichsdaten für die Agentur verheerend aussehen.

Meine Auffassung ist, dass die optierenden Kommunen weit, weit besser mit den Problemen umgehen als die Arbeitsgemeinschaften, diese Riesenbürokratie zwischen Kommunen und Arbeitsagentur. Auch hier hätte man auf die Vorschläge meiner Partei hören sollen, die von Anfang an eine Kommunalisierung in diesem Bereich gefordert hat.

(Staatsministerin Helma Orosz: Das haben wir ja auch gemacht!)

Es gibt eine bestimmte Anzahl von optierenden Kommunen. Das ist in dem großen Kompromiss zwischen CDU und SPD festgeschrieben worden. Aber wir haben eben nur eine festgeschriebene Zahl von optierenden Kommunen. Sie müssen doch zugestehen, dass eine Kommune, die inzwischen zu dem Ergebnis gekommen ist, dass das ARGE-Modell falsch ist, überhaupt nicht mehr die Möglichkeit hat zu optieren. Die Dinge liegen doch alle fest! Hier gibt es Handlungsspielraum, um etwas zu verbessern, um zu sagen: Wir machen das wieder auf. Die Kommunen sollen vor Ort nach der Erkenntnis der bisherigen Jahre entscheiden, ob sie die Dinge selbst in die Hand nehmen wollen. Aber das geht momentan nicht.

(Staatsministerin Helma Orosz: Es ist im Gespräch!)

Ich freue mich, dass es im Gespräch ist. Es wäre schön, wenn es bald umgesetzt würde, damit diejenigen vor Ort, die Ahnung haben, in der Lage sind, konkret etwas zur Lösung der Probleme beizutragen. So geht es auf jeden Fall nicht weiter.

(Beifall bei der FDP)

Das Grundproblem besteht darin – insoweit hat die alte Bundesregierung den Menschen Sand in die Augen gestreut –, dass Hartz eine Reform der Arbeitsvermittlung war und sein soll, aber nicht geeignet ist, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Es ist ein Stück weit Verlogenheit vonseiten der Politik gewesen, dass sie suggeriert hat: Durch eine Reform der Arbeitsvermittlung schaffen wir locker – –

(Stefan Brangs, SPD: Da war die FDP doch vorn dabei! Jetzt spinnt er hier aus der Mütze!)

Lieber Herr Kollege Brangs!

(Stefan Brangs, SPD: Ich bin doch wohl im falschen Film!)

Lieber Herr Kollege Brangs! Nennen Sie mir einen Politiker der FDP, der tatsächlich gesagt hätte, durch die Hartz-Reform ließen sich zwei Millionen Arbeitsplätze schaffen! Den kenne ich nicht!

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Dirk Niebel!)

Es war von vornherein klar: Durch die Hartz-Reformen lassen sich keine neuen Arbeitsplätze schaffen. Kollege Brangs, Arbeitsplätze schafft nicht die Agentur; Arbeitsplätze schaffen die Unternehmen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Die machen es ja auch nicht!)

In der DDR ist das anders gewesen. Aber heute schaffen Unternehmen und nicht der Staat Arbeitsplätze.

(Beifall bei der FDP)

Das müssen Sie bitte zur Kenntnis nehmen.

(Unruhe bei der SPD)

Wenn wir hier wieder Ruhe haben, kann ich vielleicht meine Ausführungen fortsetzen.

Weil es so ist, dass Arbeitsplätze von Unternehmen geschaffen werden, müssen, wenn man Reformen im Sozialbereich durchführt, zeitgleich auch die Möglichkeiten der Unternehmen verbessert werden, diese Arbeitsplätze zu schaffen. Ich habe das Thema „Bürokratieabbau“ angesprochen. Nicht zum ersten Mal spreche ich in diesem Hause das Thema „Sonderwirtschaftsregion“ an.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Niedriglohn! Kündigungsschutz!)

Kündigungsschutz, richtig! Sie kennen die Themen. Das Problem ist: Sie setzen sie nicht um.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Sie sitzen sie aus!)

Wenn beides gemacht worden wäre – den Druck auf die Menschen erhöhen und ihnen die Möglichkeit geben –, hätte es auch funktioniert. Sie haben das eine gemacht und das andere gelassen. Deswegen ist die Reform fehlgeschlagen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Für die Fraktion der GRÜNEN Frau Herrmann, bitte.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Debatte zu diesem Antrag der Linksfraktion.PDS ist deutlich geworden, dass wir alle in einem Punkt einer Meinung sind: Auf der Grundlage einer umfassenden Datensammlung müssen wir weitere Analysen vornehmen. – Unsere Fraktion begrüßt es auch, dass die Diskussion in den Ausschüssen weitergeführt werden soll. Ich möchte mich deshalb an

dieser Stelle auf einen Aspekt dieser arbeitsmarktpolitischen Reformen beschränken.

Dass die Reformen ein Kompromisspaket zwischen sehr verschiedenen politischen Konzepten darstellen, ist uns allen klar. Für uns standen von Anfang an zwei Punkte im Vordergrund.

Erstens. Im internationalen Vergleich zeigte sich, dass die Zahlung von Transferleistungen anstelle von Investitionen in Arbeit kein zukunftsfähiger Weg ist. Die Menschen verlieren immer mehr an Motivation, Kreativität und Mut, je länger sie arbeitslos sind.

(Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS: Sie sind jetzt auch arbeitslos!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen: Langzeitarbeitslosigkeit macht seelisch und körperlich krank. Deshalb genügt es nicht, die Betroffenen finanziell zu unterstützen. Sie brauchen vor allem Unterstützung, um für sich neue Wege in Arbeit zu finden.

Zweitens. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe – das ist schon angesprochen worden – ist für Menschen, die arbeiten können und wollen, ein Schritt, den Zugang zu Arbeitsförderprogrammen zu öffnen.

Der Preis für diese Dinge war in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit und notwendiger Haushaltskonsolidierung hoch. Das war und ist uns bewusst. Mit der Qualität der Arbeitsvermittlung und der Arbeitsförderung sind auch wir derzeit nicht zufrieden. Ich möchte aber anmerken, dass im Zuge der Hartz-Reformen Einschränkungen vorgenommen worden sind, die aus altem Misstrauen geboren wurden und den knappen Kassen geschuldet sind. Diese Einschränkungen sind kein Ausdruck vorausschauender Politik und aktiver Förderung individueller Selbstverantwortung.

Qualifizierung und Kompetenzentwicklung dürfen unserer Ansicht nach nicht in Widerspruch zu einigen einschränkenden Anforderungen, insbesondere bei Hartz IV, geraten. Eine dieser Einschränkungen ist die Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft. Auch darüber haben wir hier im Hohen Haus schon diskutiert.

Es ist nicht hinzunehmen, dass nunmehr langzeitarbeitslose Frauen oder Berufsrückkehrerinnen nach Erziehungszeiten oder Pflege keinerlei Zugang genau zu den Maßnahmen der Arbeitsförderung erhalten.

Wenn die Kostenexplosion bei Hartz IV angesprochen wird, dann wurde doch auch diese Kostenexplosion durch die Einführung dieser Bedarfsgemeinschaften mit verursacht. International ist aber andersherum belegt, dass individuelle Rechte und Ansprüche sinnvoll und realistisch sind. Das gilt natürlich auch für Menschen, die in Familien zusammenleben. Dann nimmt auch die Verantwortung der Familienmitglieder füreinander zu und nicht ab, wie wir es hier erleben können. Die Konstruktion der Bedarfsgemeinschaften führt offensichtlich dazu, dass Familien auseinander ziehen. So ist das Ergebnis, dass wir ohne Not nicht nur Grundsicherung, sondern obendrein

auch noch die Kosten der Unterkunft an die Vermieter bezahlen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Erfolg der Hartz- IV-Gesetze – auf die beziehe ich mich jetzt – hängt wesentlich von der Kreativität bei der Entwicklung von Arbeitsangeboten und der Qualität der Beratung ab. So kritisch, wie Sie von der Linksfraktion das in Ihrer Begründung schreiben, sehen die Wirtschaftsinstitute momentan die Reformen nicht.

(Caren Lay, Linksfraktion.PDS: Aber die Menschen!)

Ich spreche aber jetzt von den Wirtschaftsinstituten.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsförderung, Klaus Zimmermann, hat von Anfang an gesagt, dass deutliche Effekte erst nach 2006 eintreten werden. Es handelt sich um eine Schlüsselreform, aber man benötigt einige Jahre Geduld.

Auch heute wurde deutlich, dass es sich um einen Prozess handelt. Auch unsere Fraktion ist dieser Ansicht. Es ist ein Prozess. Im Moment sind keine abschließenden Bewertungen vorzunehmen. Deshalb ist es genauso nötig, wichtig und richtig, die Wirkungen des Reformpakets hier im Land zu untersuchen und gegebenenfalls auch Daten für die Nachjustierung zu finden. Diese Untersuchungen und die darauf folgenden Nachjustierungen sind dann auch Ausdruck dafür, dass wir die Sorgen und Nöte der Betroffenen ernst nehmen. Sie sind Ausdruck für unseren Willen, Fehler zu korrigieren und auf die Entwicklung zu reagieren.

(Caren Lay, Linksfraktion.PDS: Man müsste die Bedarfsgemeinschaften abschaffen!)

Vor allem aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, dürfen wir in diesem Zusammenhang nicht die Frage übersehen, die viele Menschen sehr bewegt. Die Frage lautet in erster Linie: Werde ich in dieser Gesellschaft noch gebraucht?