Protokoll der Sitzung vom 09.12.2004

Wenn wir noch besser dastehen als andere, heißt das keineswegs, dass wir gut dastehen. Das Wissen um Bildung als Instrument zum sozialen Aufstieg hat sich in der DDR herausgebildet und prägt nach wie vor. Daran hat sich die CDU-Schule zwar versündigt; zerstören konnte sie es allerdings noch nicht ganz.

Zweitens. Wirtschaft erfüllt dann ihre sozialstaatliche Funktion, wenn ihr Florieren mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze verbunden ist. Einfaches quantitatives Wachstum reicht dafür nicht mehr aus, noch weniger das heutige sentimentalische Jammern des Ministerpräsidenten. Einseitige Verteilung von Rationalisierungsgewinn zum Nachteil freigesetzter menschlicher Arbeitskraft hat keine Zukunft. Niedriglöhne, Minijobs statt Arbeit auf tariflicher Basis, Teil- oder Ein-Euro-Jobs lassen den Mut auf Zukunft sinken. Die Möglichkeiten der EU nutzende, grenzüberschreitende Mindestlöhne könnten Lohndumping einschränken und Kapitalflucht stoppen, also Mut zur Zukunft aufbauen.

Politik muss dafür sorgen, dass die Gesellschaft ausreichenden Nutzen aus Wirtschaftstätigkeit im Sinne der Erfüllung vor allem sozialer, ökologischer und kultureller Aufgaben zieht.

Natürlich ist es nicht allein auf Landesebene zu erreichen. Mit entsprechenden Bundesratsinitiativen muss sich deshalb Landespolitik für eine gerechte Steuerreform, die auch die öffentliche Hand wieder aktionsfähig macht und mit ausreichenden Mitteln versorgt, einsetzen. Natürlich brauchen wir auch den gerechten Ausgleich, nicht zuletzt den gerechten Finanzausgleich zwischen den Ländern. Ein primitiver Wettbewerbsföderalismus kann nicht Ziel sozialstaatlichen Handelns sein.

Das Land selbst hat aber auch Möglichkeiten. Vor allem die Förderpolitik kann gerechte und wirtschaftlich vernünftige Proportionen zwischen Wachstumskernen und Peripherie, zwischen Großen und Kleinen in der Wirtschaft herstellen. Hier liegt noch vieles im Argen und wir werden sehen, was Herrn Jurks Versprechungen wert sind.

Drittens. Es reicht nicht, auf die demografische Entwicklung allein reduktionistisch zu reagieren wie zum Beispiel bei der Schulnetzplanung, beim öffentlichen Dienst und anderswo. Bevölkerungsschwund macht Wege nicht kürzer, die Beine von Kindern nicht länger und schränkt persönliche Bedürfnisse nicht ein. Die lange Schulbusfahrt ist für weniger Kinder nicht weniger anstrengend als für viele. Für die Rentner und die Rentnerinnen bleibt der Weg zur Verwaltung oder zum Arzt gleich lang oder er wird länger, wenn die Zentren verlegt werden. Das Recht, ins Theater zu gehen, haben alle Menschen im Land, nicht mehr nur die Großstädter. Die alternde Bevölkerung braucht dezentrale Lösungen; das Gegenteil wird in Sachsen gemacht. Wir brauchen Impulse für eine Umkehr des fatalen demografischen Trends. Dazu muss man Angebote machen, auch wenn sie sich erst in 50 Jahren auswirken. Dazu muss man allen eigenen Potenzialen eine Zukunft geben, Potenzialen, die es anderswo nicht gibt und die deshalb Menschen ins Land holen.

Viertens. Die gewaltigen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft rufen nach neuen Lösungen für deren sozialpolitische Gestaltung. Natürlich steht eine Reform der sozialen Sicherungssysteme auf der Tagesordnung. Sie kann aber nur durch Solidarität getragen sein, nicht durch die rücksichtslose Individualisierung der Lebensrisiken.

(Beifall bei der PDS)

Landespolitik muss sich dazu eindeutig positionieren; sonst werden auch deren Gestaltungsspielräume und vor allem die der Kommunen in einer erstickenden Enge münden.

Fünftens. Verwaltungsmodernisierung ist nicht vornehmlich eine Frage des Personalstandes, sondern eine Frage der Aufgaben, die zu erfüllen sind. Wir brauchen eine Aufgabenkritik, die der Reform vorangeht und ihr ein Ziel gibt. Bürgermitbestimmung und Beförderung von Eigeninitiative sind gefragt, nicht simple Technokratisierung der Staatsgeschäfte oder deren vermeintliche Verbilligung durch Privatisierung.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Stellen wir uns gemeinsam diesen Aufgaben! Stellen wir uns ihnen mit Mut für die Zukunft und mit aller Kraft – aber etwas anders als August der Starke, nämlich „Sozial, mit aller Kraft“.

(Lang anhaltender Beifall bei der PDS)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Herr Dr. Hähle, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren über die erste Regierungserklärung in einer neuen politischen Situation,

auch wenn zunächst der Eindruck vorherrschen mag, es seien die gleichen Akteure wie vorher; zumindest bis zu meinem Auftritt könnte man das glauben. Doch Sie wissen: Dieser Eindruck täuscht; die nachfolgenden Redner werden dem Landtag signalisieren, dass doch einiges anders geworden ist. Der Wählerwille hat die Zusammensetzung des Sächsischen Landtages verändert. Da aber alle Gewalt vom Volke ausgeht und durch Wahlen und Abstimmungen von ihm wahrgenommen wird, steht es weder den Gewählten noch den nicht Gewählten zu, das Wahlergebnis zu beklagen.

Das Volk hat auch keine Zweifel daran gelassen, wer die Regierung in Sachsen bilden soll. Da gab es politisch und rechnerisch kaum einen Spielraum.

(Dr. Cornelia Ernst, PDS: Dann können Sie nicht rechnen!)

Ich habe gesagt: „kaum einen Spielraum“. Vor allem gab es keinen politischen Spielraum.

Im Sächsischen Landtag sind nunmehr sechs Fraktionen vertreten. Damit alle angemessen zu Wort kommen können, muss für alle Beratungen mehr Zeit eingeplant werden. Auch darüber sollten wir nicht klagen. Das Volk kann verlangen, dass seine Abgeordneten diesen Arbeitsaufwand bewältigen und es unter allen Umständen als ihre vornehmste Verpflichtung ansehen, dem Wohle des Volkes zu dienen. Darauf sind wir zu Beginn dieser Legislaturperiode verpflichtet worden.

Die Zusammensetzung des Landtages ist bunter, vielfältiger und – zumindest für Journalisten – interessanter geworden. Mir lag schon der Satz auf der Zunge: „Auf manche Farbe könnten wir verzichten!“ Aber das wäre ein falscher Zungenschlag; denn das Parlament kann von sich aus nicht auf irgendjemanden verzichten, der vom Volk in dieses Parlament gewählt worden ist.

Der Landtag ist allerdings nach Artikel 39 der Sächsischen Verfassung Stätte der politischen Willensbildung. Hier liegt neben der Gesetzgebung und der Kontrolle der Regierung unser Auftrag. Die Fraktionen sind gehalten, ihre jeweiligen Positionen klar, deutlich und für jedermann erkennbar darzulegen. Dazu sind die Plenarsitzungen des Landtages auch da.

Ich will diese Positionsbestimmung im Rahmen dieser Debatte zur ersten Regierungserklärung des Ministerpräsidenten für die CDU-Fraktion vornehmen.

Wir wollen mit unseren Parlamentsdebatten dazu beitragen, dass sich der politische Wille des Volkes wieder zugunsten der demokratischen Mitte verändert.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Wir werden die falschen Konzepte und gefährlichen Ideologien derer, die am rechten und am linken Rand des politischen Spektrums im Trüben fischen, aufdecken. Wir wollen erreichen, dass die Bevölkerung Sachsens in die eigene Kraft und Leistungsfähigkeit, in den Stolz auf das Erreichte, in die Zukunft Sachsens und unseres deutschen Vaterlandes, in das große Frieden schaffende Projekt des zusammenwachsenden Europas wieder mehr Vertrauen setzt. Wir wollen ferner erreichen, dass die

Mehrheit schließlich wieder den Institutionen des Grundgesetzes und der Sächsischen Verfassung vertraut.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir können verlorenes Vertrauen nur zurückgewinnen, wenn wir bei aller Klarheit der eigenen Positionsbestimmung niemanden ausgrenzen oder gar verachten. Die Frage der Glaubwürdigkeit entscheidet sich auch an einem würdigen Umgang miteinander.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich wünsche mir, dass nicht nur die Fraktionen der Koalition ein vernünftiges Miteinander praktizieren, sondern dass es auch gelingt, wenigstens partiell die Fraktionen der FDP und der GRÜNEN für ein partnerschaftliches Zusammenwirken zu gewinnen.

(Beifall bei der CDU sowie vereinzelt bei der SPD und den GRÜNEN)

Wie stellen wir uns den Umgang mit der NPD- und der PDS-Fraktion vor?

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Herr Hähle, langsam reicht es!)

Ganz einfach: sachlich, aber konsequent!

Auf die Frage „Setzen wir beide Fraktionen auf eine Stufe?“ – diese Frage kommt immer wieder hoch – sage ich: Nein, es sollte schon eine Differenzierung geben.

Zunächst zur NPD! Gemessen an den gut dokumentierten Aussagen der NPD-Führung und etlicher NPD-Mitglieder ist nur eine Einschätzung möglich: Die NPD verfolgt verfassungsfeindliche Ziele.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und vereinzelt bei der PDS)

Sie frönt einer Ideologie, die schon einmal nicht nur Deutschland, sondern große Teile der Welt in eine bis dahin nie da gewesene Katastrophe geführt hat. Schnauze voll, Herr Apfel!

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und vereinzelt bei der PDS – Holger Apfel, NPD: Das haben Sie nicht zu entscheiden!)

Wir werden die Mitglieder Ihrer Fraktion nicht duzen.

(Zuruf von der NPD: Darauf können wir gern verzichten!)

Wir werden auch bei Ihren Debattenbeiträgen nicht klatschen, anders, als es uns unverständlicherweise unterstellt wird. Das möchte ich festhalten.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Holger Apfel, NPD: Wir machen keine Freundewirtschaft wie Ihre Partei!)

Natürlich sind Mitglieder unserer Fraktion auch Menschen; da gibt es Emotionen. Aber der Grundsatz gilt: Wir werden Abstand zu Ihnen halten.

(Beifall bei der NPD)

Wir werden Sie als Menschen aber achten.

Nach unserer Überzeugung sehnt sich der größte Teil der NPD-Wähler natürlich nicht in die Zeit und die Verhältnisse des Nationalsozialismus zurück, sondern bei diesem Wahlverhalten handelt es sich überwiegend um ein Protestsignal gegen die von einem Teil der Wählerschaft wahrgenommene Politik der etablierten Parteien. Dieses Signal müssen wir in der Tat ernst nehmen.

Dass es darüber hinaus bei nicht wenigen jungen Leuten eine regelrechte Sympathie gegenüber rechtsextremem Gedankengut gibt, darf uns erst recht nicht ruhen lassen.

Noch so moderate Reden und die zur Schau getragene Disziplin der NPD-Abgeordneten dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es das Ziel dieser Partei ist, den demokratischen Staat zu zerstören. Fremdenfeindlichkeit und Abschottungsbestrebungen schaffen keinen einzigen Arbeitsplatz.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und vereinzelt bei der PDS)

Ganz im Gegenteil, damit werden Investoren abgeschreckt und unsere Chancen im weltweiten wirtschaftlichen Wettbewerb gemindert.

Und nun zur PDS. Die Nachfolgepartei der SED beteuert auf Schritt und Tritt ihre Verfassungstreue. Dem steht entgegen, dass es Gruppierungen innerhalb der PDS gibt, die zu Recht unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen, weil von ihnen verfassungsfeindliches Gedankengut ausgeht.