Protokoll der Sitzung vom 09.12.2004

Gestatten Sie mir, die Gelegenheit zu nutzen, auch dafür den Verantwortlichen einfach einmal ein Dankeschön zu sagen.

(Beifall bei der FDP)

Wir sind stolz auf Sachsen, aber wir müssen aufpassen, dass das so bleibt. Wenn die letzten Wahlen uns eine Lehre vermittelt haben, dann ist es die, dass das Gefühl bei den Bürgern, ob wir in Sachsen auf dem richtigen Weg sind, nicht mit der Einschätzung übereinstimmt, die Sie in der Regierungserklärung abgegeben haben. Ich glaube, dass der Stolz geringer geworden ist. Ich glaube, dass die Probleme 14 Jahre nach der deutschen Einheit inzwischen stärker in das Bewusstsein vieler Wählerinnen und Wähler gekommen sind und dass wir deswegen Acht darauf geben müssen, dass wir diese Wähler zurückgewinnen.

Wir haben viel in diesem Land erreicht, wir haben aber in ganz wesentlichen Punkten nicht die gewünschten Erfolge erzielt. Wir haben beispielsweise das große Problem Arbeitslosigkeit nicht in den Griff bekommen. Wir müssen auch feststellen, dass über die Hälfte aller Sachsen von Transferleistungen lebt und nicht von eigener Arbeit. Wir müssen auch feststellen, dass es noch nicht in ausreichender Form gelungen ist, einen soliden, kräftigen und wachsenden Mittelstand hier in Sachsen zu etablieren.

Sie haben in Ihrer Regierungserklärung viele aus meiner Sicht hervorragende Analysen vorgenommen. Sie haben gesagt: Der Rohbau steht; für den weiteren Aufbau, für den Ausbau brauchen wir neue Werkzeuge. – Ich unterstütze das voll und ganz. Für die nächsten 15 Jahre brauchen wir neue Werkzeuge. So wie bisher können wir ganz gewiss nicht weitermachen. Das Einzige, was ich vermisst habe, ist, dass Sie uns diese Werkzeuge in der Regierungserklärung auch benennen.

(Beifall bei der FDP)

Ihre Erklärung hat eine zweite Überschrift, die „Mut zur Zukunft“ heißt. Genau diesen Mut brauchen wir. Genau der Mut ist es, den ich persönlich und den wir als FDP in Ihrer Regierungserklärung und vor allem auch in der Koalitionsvereinbarung vermissen. Es gibt aus meiner Sicht einen sehr großen Widerspruch zwischen dem Anspruch, den Sie hier vermittelt haben, und dem, was Sie quasi als Regierungsprogramm eben vorgestellt haben.

Ihre Koalitionsvereinbarung ruht sich auf dem bisher Erreichten aus. Sie zementieren das, was bisher erreicht wurde, Sie verwalten, aber gestalten nicht. Es ist eine Vereinbarung der verpassten Chancen und ungenutzten Möglichkeiten und es ist aus meiner Sicht eine Verein

barung ohne Biss, ohne Kreativität und auch ohne den Mut, notwendigen Konflikten ins Auge zu sehen.

(Beifall bei der FDP)

Ich möchte Ihnen eines sagen: Mut und ein ehrgeiziges Programm sehen für mich ganz anders aus. Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele nennen.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Autowaschanlage!)

Herr Lichdi, okay. Darüber reden wir morgen. – Mut wäre aus meiner Sicht gewesen, sich tatsächlich auf eine Analyse darüber einzulassen, was in den letzten 14 Jahren gut gelaufen ist und was in den letzten Jahren vielleicht auch falsch gelaufen ist in diesem Land. Es wäre der Mut gewesen, jetzt – zu einem Zeitpunkt, bevor es zu spät ist – beim Aufbau unseres Landes korrigierend einzugreifen.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen. Jeder, der im Osten groß geworden ist – manche sind ein bisschen älter und haben das länger erlebt –, ist heute schockiert über die Bürokratie, die wir in diesem Land wieder verspüren, über die Regelungsdichte, die wir wieder verspüren. Wir haben in Sachsen sogar einen „Paragrafenpranger“ erfunden – Herr de Maizière hat es dankenswerterweise gemacht –, und zwar deswegen, weil wir eingesehen haben, dass diese Bürokratie eine Last für die Entwicklung in unserem Land ist und dass wir in Sachsen diese Bürokratie nicht brauchen.

Ich hätte mir in der Koalitionsvereinbarung klare Aussagen zu einer straffen Verwaltungsreform gewünscht. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie sich darin dazu bekennen, zum Beispiel die Regierungspräsidien abzuschaffen.

(Beifall bei der FDP)

Ich hätte mir auch gewünscht, dass Sie sich zu einer aus meiner Sicht sehr notwendigen Kreisgebietsreform, die in Sachsen ansteht, äußern. Ich möchte nämlich ganz gern wissen, wie diese einmal aussehen soll. Wird es das, was in der Presse herumgeistert, dass es nur noch Monsterkreise gibt, oder wird es das sein, was wir wollen, nämlich eine Kreisgebietsreform, die landsmannschaftliche Besonderheiten und den Willen der Bürger berücksichtigt? Dazu fehlt mir jede Aussage in der Koalitionsvereinbarung. Es ist aber aus meiner Sicht ein wichtiges Thema.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, PDS)

Ich möchte Ihnen ein weiteres Thema nennen. Ich glaube nicht, dass es das westdeutsche Wirtschaftswunder nach dem Krieg gegeben hätte, wenn der Westen, die westdeutsche Wirtschaft damals dieselben Regelungen, dieselben hohen Steuern, dieselben Abgaben, dieselben Rahmenbedingungen gehabt hätte, wie wir sie heute haben. Das Wirtschaftswunder hätte es nicht gegeben; diese einzigartige Entwicklung Westdeutschlands hätte es nicht gegeben.

Wir in Sachsen wissen selber, dass, so sehr wir uns in den letzten 14 Jahren auch gemüht haben, unsere Unternehmen zu langsam wachsen, zu klein sind und die Ertragsstärke unserer Unternehmen zu gering ist. Ich muss

Ihnen ehrlich sagen: Der Osten braucht einen zweiten Atem und braucht neue Chancen. Auch wenn es wie ein alter Hut klingt: Ich wünsche mir von dieser Regierung – weil ich weiß, dass Sie, Herr Milbradt, auch für diese Idee brennen und weil wir mit der SPD in der Regierung jetzt auch einen direkten Draht zur Bundesregierung haben –, dass die Idee „Sonderwirtschaftsregion“ wieder auf die Tagesordnung kommt.

Wenn wir in Sachsen nicht endlich die Chance bekommen, mit unserer Flexibilität, mit unserer Bereitschaft länger zu arbeiten, auch weniger Geld zu verdienen, weniger Urlaub zu machen, auch nicht diese Tarifbindung zu haben, all dass, was wir in den Wirtschaftsprozess einbringen, auch in Wachstum umzusetzen – und dazu brauchen wir völlig andere Rahmenbedingungen –, dann werden wir mit dem Aufbau dieses Landes scheitern, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Ein Land der Gründer braucht andere Regeln als ein Land der Erben. Ich weiß, dass dieser Spruch 15 Jahre zu spät kommt. Aber es ist nicht zu spät, heute, wenn wir sehen, dass wir vielleicht auf einem falschen Weg gehen, korrigierend einzugreifen.

Sehr geehrte Damen und Herren, wissen Sie, was noch Mut gewesen wäre? – Wenn Sie nicht irgendwelche kleinkosmetischen Korrekturen an unserem Bildungssystem vorgenommen hätten, sondern wenn Sie bereit gewesen wären, einen Systemwechsel, einen Systemwandel auch im Bildungswesen anzustoßen.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Wir reden jetzt über einen Modellversuch. Was ist das für ein Modellversuch? Ich glaube, den Modellversuch hatten wir schon einmal 40 Jahre lang. Wir wissen genau, wie das funktioniert, was die SPD aus meiner Sicht eigentlich will. Wir brauchen nicht wieder eine neue Kommission, neue Experten oder Modellschulen. Lassen Sie es uns doch einfach mal probieren! Schauen wir uns – ohne den politischen Ballast, nur von der pädagogischen Struktur her – die alte POS doch einfach einmal an und stecken sie in den Wettbewerb mit anderen Schulformen, die wir in Sachsen haben. Probieren wir es einfach! Einen Modellversuch brauchen wir nicht. Wir wissen genau, was herauskommt. Sie sind alle durch diese Schule gegangen und Sie wissen genau, dass aus Ihnen vernünftige Menschen geworden sind.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Andrea Roth, PDS)

Ich sage Ihnen eines: Wir sind froh, dass Sachsen im Bereich der Bildung an der Spitze liegt. Doch wer heute Mittelmaß duldet – und Deutschland ist international gesehen leider noch Mittelmaß –, der verspielt unsere Zukunft. Wir als FDP werden Mittelmaß nicht zulassen!

(Beifall bei der FDP)

Zum Schluss gestatten Sie mir, Ihnen als Regierung ein Angebot zu machen. Erstens wünsche ich Ihnen wirklich Glück, dass Sie die wichtige Aufgabe in diesem Land

gut meistern. Wir als FDP werden – anders vielleicht als unsere Kollegen von den Oppositionsbänken – keine Fundamentalopposition betreiben, sondern wir wollen mit unseren Erfahrungen, mit unseren Ideen konstruktiv für dieses Land mitarbeiten. Wenn Sie dieses Angebot annehmen würden, würde ich mich freuen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort erhält die Fraktion der GRÜNEN. Frau Hermenau, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Herr Ministerpräsident, gestatten Sie mir ein persönliches Wort, bevor ich beginne, mich sachlich mit der Koalitionsvereinbarung auseinander zu setzen. Ich möchte Ihnen als Bürgerin des Freistaates Sachsen persönlich dafür danken, dass Sie heute hier klar und entschieden deutliche Worte gefunden haben bezüglich des Einzugs, des Verhaltens und der politischen Ziele der NPD. Ich danke Ihnen ausdrücklich dafür. Ich freue mich auch, dass die Fraktionsvorsitzenden Herr Dr. Hähle und Herr Prof. Weiss diese Linie, die Sie als Ministerpräsident skizziert haben, unterstützen und ebenfalls markant vorgetragen haben, und ich danke ihnen dafür.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Ich gehe davon aus, dass die Ressortminister in den nächsten Wochen und Monaten, im Januar beginnend, sicherlich über Details aus den einzelnen Ressorts sprechen wollen. Aber natürlich reden wir hier auch über Leitlinien der nächsten fünf Jahre, und die müssen in dieser Debatte erörtert werden.

Die erste Leitlinie, die Sie auch selber hervorgehoben haben, Herr Milbradt, war die Frage der Nachhaltigkeit. Sie haben sie nur zu kurz gegriffen. Sie haben sie nur auf die Finanzpolitik bezogen.

Ich persönlich bin der Auffassung, dass die finanzpolitische Nachhaltigkeit in Sachsen ganz bemerkenswert ist. Das habe ich immer gesagt. Es ging damit los, dass man Lehrer nicht verbeamtet hat. Das war ein erster wichtiger und guter Schritt.

Aber das finanzpolitisch Richtige muss man auch mit echtem Leben erfüllen. An dieser Schwelle stehen wir jetzt. Das hat etwas zu tun mit Umweltpolitik, mit Sozialpolitik, mit Bildungspolitik und mit Kulturpolitik. Es geht darum, auch diese Bereiche zu bedenken, zu finanzieren und zu gestalten. Die nachfolgenden Generationen sind nicht nur diejenigen, die vielleicht zu hohe Steuern zahlen müssten, wenn man sich über Gebühr verschuldete, sondern sie sind auch diejenigen, die dieses Land, diese Demokratie und das, was wir hier aufgebaut haben, genießen und verteidigen sollen und müssen.

Ich denke zum Beispiel, dass die Planungsphilosophie der frühen neunziger Jahre, als es noch eine gewisse Gigantomanie gab und man Straßen überdimensioniert konzipierte, längst in die Akten gehört und dass man kleinteiliger vorgehen muss. Dann bleibt auch Geld

übrig, das man für stärkeres Engagement bei Umwelt, Soziales, Bildung und Kultur einbringen kann.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Natur ist auch eine unserer Lebensgrundlagen, es sind nicht nur die Bevölkerung, die Gesellschaft und die Straßen. Es geht dabei auch um Tourismus und Wirtschaft. Wir reden zum Beispiel über die Energiepolitik. Sie haben selbst vor wenigen Tagen weitere 50 Millionen Euro für die Braunkohle in Sachsen freigegeben. Sie wollen weg vom Öl. Wir sagen: Wir wollen auch weg von der Braunkohle!

(Gottfried Teubner, CDU: Die Arbeitsplätze!)

Die Braunkohle ist in Sachsen der größte Emittent. Mehr als die Hälfte aller gesundheitsschädlichen Emissionen kommen aus der Braunkohle. Es wäre doch viel klüger, wenn wir anfingen, die Landwirte davon zu überzeugen, nicht nur Landwirt, sondern auch Energieproduzent und Energiewirt zu sein. Das würde die Einkommenssituation auf dem Lande stabilisieren. Das lässt sich erreichen. Dann brauchen Sie auch nicht mehr jahrzehntelang auf die Braunkohle zurückzugreifen.

Wir wollen in Sachsen einen Technologieschub bei erneuerbaren Technologien. Das haben wir im Wahlkampf immer gesagt. Von der Meinung gehen wir nicht ab.

Es gibt in Sachsen starke ingenieurwissenschaftliche Traditionen. Wenn man die nutzen und damit beitragen möchte, dass die Hochschulen und Fachhochschulen in Sachsen international stärker nachgefragt werden, wenn man Weltoffenheit nicht nur fordert, sondern auch wirklich leben will, dann muss man erreichen, dass diese Hochschulen etwas anbieten, das man woanders nicht studieren kann.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Sehr richtig!)

Die Sachsen haben mit ihrem ingenieurwissenschaftlichen Potenzial durchaus die Möglichkeit, Weltmarktführer im Bereich der erneuerbaren Energien zu werden. Wir wollen das erreichen!