Protokoll der Sitzung vom 25.01.2006

Herr Steinbach hat deutlich gemacht, dass es hier um eine Frage geht, die mehr ist, als nur ein paar Verwaltungsstrukturen zu ändern. Es ist eine grundlegende Frage, wie wir auf die Zukunftsanforderungen an unser Land reagieren, wie wir die Verwaltungs- und Funktionalstrukturen neu ausrichten. Ich denke, das ist es wert, hier im Parlament eine deutliche Debatte dazu zu führen.

Bisher habe ich nur Folgendes erlebt: Es gab eine Staatsregierung, die eine Expertengruppe, eine Kommission eingesetzt hat, was erst einmal möglich ist. Das will ich gar nicht in Abrede stellen. Diese von der Staatsregierung beauftragte Gruppe hat ohne Zielvorstellung – das ist auch schon angesprochen worden – einen Bericht vorgelegt. Das ist für mich erst einmal noch relativ unproblematisch, auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass wir im Vorhinein eine Debatte geführt hätten. Dann setzt sich ein Lenkungsausschuss der Koalitionsfraktionen dieses Hauses zusammen und bewertet, was dort geschrieben wurde. Auch da sehe ich noch keine Einbeziehung des Parlaments. Aber es ist Ihr legitimes Recht. Sie können sich ja zusammensetzen, um Ihre Positionen zu finden. Damit habe ich kein Problem.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Kommen wir endlich zum Schluss!)

Dann gibt es, was ich zumindest aus dem Eckwertepapier aufnehme, eine Steuerungsgruppe auf Staatssekretärsebene. Da kommen wir zu dem Problem, Herr Dr. Martens, weshalb es nicht nur in den Innenausschuss gehört, weil es nämlich ein übergreifendes Thema ist. Hier können sich nicht nur die paar – Entschuldigung – Hanseln, die im Innenausschuss sitzen, über die Gesamtthematik Verwaltungs- und Strukturreformen und Kreisgebietsreform unterhalten, weil es nicht nur ein originär

und einzig innenpolitisches Thema ist, sondern hier geht es um Kulturfragen, um Schulentwicklungsfragen, um Forst- und Landwirtschaft, um Umwelt und, und, und.

Da hätte unsere Fraktion gern, das ist unser Anliegen – wie es in anderen Landtagen, zumindest der ostdeutschen Bundesländer üblich ist –, einen gesonderten Ausschuss, der sich mit diesen gesamten Fragen beschäftigt, und zwar als übergreifendes Gremium. Das ist das Anliegen des Antrages.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich erinnere an Mecklenburg-Vorpommern, das einen Sonderausschuss Verwaltungsreform eingerichtet hat; ich erinnere an Brandenburg, das einen Sonderausschuss zur Überprüfung von Normen und Standards eingerichtet hat; ich erinnere an Thüringen, die gerade eine Enquete-Kommission zur Verwaltungsreform eingerichtet haben; und ich erinnere auch an Sachsen-Anhalt – übrigens noch ein kleines Bonbon dabei: Sachsen-Anhalt hat in sein Gesetz hineingeschrieben, dass die Kreise höchstens 200 000 Einwohner haben dürfen. Es ist anscheinend immer alles Geschmackssache, wo man die Grenze setzt. Ich hätte gerne im Parlament eine Debatte dazu, bevor hier die staatstragenden Fraktionen einfach mal ihre Entscheidung treffen und das Parlament außen vor ist. Ich denke, es ist das legitime Recht des Parlaments, dass wir in diesen Prozess einbezogen werden.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS, der FDP und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir haben ein politisches Projekt von großer Tragweite, das uns die gesamte Legislatur über noch begleiten wird – in den Auswirkungen wie auch im Prozess dorthin. Dieses Parlament ist die Stätte der Willensbildung – nicht die andere Seite der Elbe. Wir hier müssen entscheiden, wo die Reise hingehen soll, und ich hätte gern – und da schaue ich jetzt dezidiert die Koalitionsfraktionen an –, dass wir uns an den Widersprüchen, die wir vielleicht haben, produktiv reiben können. Also kommen wir vielleicht dazu, einen solchen Ausschuss zu gründen und uns selbst als Parlament ernst zu nehmen.

Ansonsten kann ich Ihnen noch ein wunderschönes Zitat von Johann Gottfried Seume, einem deutschen Schriftsteller, mit auf den Weg geben, der gesagt hat: „Herrschaft ist Unsinn, Regierung ist Weisheit. Man herrscht also, weil man nicht regieren kann.“

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Wird von den Fraktionen noch einmal das Wort gewünscht? – Herr Dr. Hähle, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Von meinem Vorredner

wurde die Verfassungswirklichkeit in Sachsen völlig auf den Kopf gestellt.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Was?)

Es weiß doch praktisch jeder Schüler, der diesen Landtag einmal besucht hat, wie ein Gesetz zustande kommt. Wer ist denn antragsberechtigt? – Eine Fraktion, die Staatsregierung oder das Volk! Das Volk will ich hier mal ausschließen; es wird wohl kaum jemanden geben, der hier einen Volksantrag einbringt, es möge bitte eine Verwaltungs- und Funktionalreform stattfinden. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass vom Volk jemand den Willen hat, dem Parlament den Auftrag zu geben, eine Kreisgebietsreform durchzuführen. Denn die Meisten wollen, wie ich jetzt schon vermute, alles so lassen, wie es ist.

Ausschüsse bekommen Aufträge vom gesamten Parlament. Da wird ein Gesetzentwurf, wenn er denn vorliegt, in die Ausschüsse überwiesen. Es liegt noch kein Gesetzentwurf vor, sondern wir sind in der Phase der Erarbeitung eines großen Werkes, eines Gesetzentwurfes bzw. mehrerer Gesetze, die in der Tat große Auswirkungen auf unser Land haben werden.

Nun sind wir doch nicht den Weg gegangen, das alles im stillen Hinterzimmer zusammenzuschmieden, sondern wir sind ja schon in die Öffentlichkeit gegangen. Es gibt einen Lenkungsausschuss – das ist wohl wahr –, da bezieht die Staatsregierung von vornherein die beiden regierungstragenden Fraktionen ein – ein ganz normaler Vorgang –, und wir haben unsere Arbeit abgeliefert. Die Staatsregierung hat das entgegengenommen, es weitgehend gebilligt, was wir entworfen haben, und hat von diesen beiden Fraktionen einen Auftrag bekommen, nämlich genau das zu tun – Aufgabenkritik usw. – und dann Gesetzentwürfe zu erarbeiten.

Wir werden das auch in diesem Parlament – wir tun es ja gerade wieder – Schritt um Schritt diskutieren, aber die Verantwortung haben die, die die Regierung stellen, und die Regierung selbst. Für die Verwaltung hat die Regierung sowieso eine ganz eigene Verantwortung, ja, sogar die Hoheit, es selbst zu bestimmen.

Nun verstehe ich dieses Gezeter überhaupt nicht, dass das alles undemokratisch sei; ganz im Gegenteil, es entspricht unserer Verfassung und es entspricht unserem Verständnis von politischer Kultur. Da verbitte ich mir eigentlich solche Angriffe, wie sie jetzt gekommen sind.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS, zeigt Redebedarf an.)

Herr Lichdi, bitte. – Herr Lichdi hatte sich eher gemeldet; Herr Porsch, Sie kommen dann bitte als Nächster dran.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Wir haben eine längere historische Perspektive; wir können warten! – Allgemeine Heiterkeit)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! – Herr Prof. Porsch, ich wage zu bezweifeln, dass Sie eine längere historische Perspektive haben als wir; das werden wir noch mal sehen.

Aber zur Sache. Herr Dr. Hähle, es ist völlig klar, dass die Regierung und die Koalitionsfraktionen in erster Linie aufgerufen sind, hier Vorschläge zu machen, das ist völlig unstreitig, das ist ihre Aufgabe. Aber: Sie müssen sich entscheiden, was Sie wollen. Wenn Sie den Redebeiträgen, die ich, aber auch andere – beispielsweise auch Herr Scheel oder Herr Dr. Friedrich – gehalten haben, aufmerksam zugehört hätten – vielleicht haben Sie es ja –, dann wäre Ihnen aufgefallen, dass Ihnen hier manche Mitglieder dieses Hauses, die nicht den Koalitionsfraktionen angehören, so etwas wie eine Hand reichen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Wir wollen helfen!)

Ist Ihnen das aufgefallen? Wir bieten Ihnen unsere Mitarbeit an, und diese Mitarbeit wollen Sie offensichtlich ausschlagen.

(Oh-Rufe von der CDU – Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich bedauere das zutiefst. Sie müssen einfach sehen, was Sie wollen.

(Zuruf des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)

Herr Steinbach, was Sie gesagt haben – entschuldigen Sie, ich muss es so hart sagen –, waren Allgemeinplätze.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Richtig!)

Ich möchte, dass wir in der Diskussion, nachdem wir jetzt schon immerhin drei Monate diesen Bericht haben – vielleicht haben ihn ja einige gelesen; ich habe es getan –, gemeinsam weiter fortfahren könnten. Die Frage ist, ob Sie das gemeinsam wollen. Der heutigen Debatte entnehme ich, dass Sie es nicht wollen. Da frage ich Sie tatsächlich, ob Sie denn damit klug beraten sind.

Ich möchte es an einem Beispiel deutlich machen. Wir sind uns doch alle einig, dass diese Verwaltungsreform eine der grundlegenden Reformen dieser Legislaturperiode ist, die bis zum Jahre 2020 halten soll. Das ist eine der entscheidenden Reformen. Sie werden sich noch warm anziehen, was Ihnen im Lande alles begegnen wird. Es geht nicht nur um die Landkreiszusammenlegung. Es geht schlicht und ergreifend um Folgendes – und ich bitte Sie, sich das einmal klar zu machen; deswegen haben wir auch diesen Antrag bei den Verwaltungsstellen, was Herrn Dr. Martens so amüsiert hat, gestellt; da steht etwas dahinter, wir wissen es doch –: Wir haben 29 Kreise, und Sie haben sich für das 12+3-Modell entschieden. Das heißt, Plauen, Zwickau, Görlitz, Hoyerswerda werden eingekreist.

Es steht die Frage, was Sie denn mit den 14 Städten, die jetzt keine Kreisstädte mehr sind, bei denen die Kreisverwaltungen zusammengelegt werden, machen. Was machen Sie mit diesen Städten? Wollen Sie sie in ein Loch

fallen lassen? Wollen Sie denen einen Ausgleich geben? Wollen Sie denn tatsächlich diese Diskussion im Lande über das ganze Jahr 2006 laufen lassen? Glauben Sie denn tatsächlich allen Ernstes, dass Sie diese Debatte zwei Jahre lang aushalten mit den Leuten in Delitzsch, Borna, Mittweida, Glauchau, Stollberg, Werdau, Aue oder wie sie alle heißen, die davon betroffen werden, ohne dass Sie den Leuten auch nur im Ansatz versuchen zu erklären, was sie als Ausgleich erhalten sollen oder wie es denn in ihrer Region weitergehen soll? Es weiß ja jeder: Die Karten sind seit über einen halben Jahr intern immer herumgegangen. Ich weiß nicht, ob sie aus dem Innenministerium sind, ich möchte es auch nicht sagen, aber wir wissen doch alle, wie es werden wird – auch wenn Sie jetzt noch so sehr behaupten: Wir wissen es gar nicht, wir haben uns noch nicht entschieden.

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei dieser Debatte, und ich hoffe, dass Sie sich vielleicht noch eines Besseren besinnen und möglicherweise Schritte auf die Opposition zugehen. Ich möchte es auch noch einmal sagen, Herr Brangs – Frau Weihnert hat sich da etwas vorgewagt, konnte sich offensichtlich in der Koalition nicht durchsetzen. Wir bedauern das und werden diesen Prozess weiter, aber umso kritischer betrachten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und ganz vereinzelt bei der Linksfraktion.PDS)

Herr Prof. Porsch, bitte.

Herr Kollege Hähle, was Sie hier gesagt haben, kann nicht unwidersprochen bleiben,

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Es könnte schon!)

denn wenn das stimmt, was Sie gesagt haben, dann hätten Sie die Verfassung in der Mitte durchgeschnitten und es würde nur die Hälfte gelten, nämlich dass hier die Stätte ist, in der Gesetze gemacht und verabschiedet werden. Und dann ist klar: Jemand macht den Antrag, jemand arbeitet den Entwurf aus und dann werden wir diesen diskutieren.

In der Verfassung steht – Gott sei Dank! – noch mehr. Demnach ist das Parlament auch Ort der politischen Willensbildung. Wenn wir über ein Leitbild der Verwaltungsreform debattieren, dann ist das ein ganz wesentliches Element politischer Willensbildung; denn man muss ja politisch wissen, was man will und wie die Verwaltung aufgebaut sein soll.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Es ist nicht nur eine Struktur- und eine Effektivitätsfrage, sondern auch eine zutiefst politische Frage. Aus diesem Grund muss die Verwaltungsreform vom Anfang bis zum Ende von Debatten am Ort der politischen Willensbildung begleitet sein. Nur dann werden wir der Verfassung gerecht.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Stefan Brangs, SPD: Wer hat denn wem widersprochen? – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Herr Dr. Hähle! – Stefan Brangs, SPD: Ach, Quatsch!)

Wer möchte sich jetzt noch an der Diskussion beteiligen? – Bitte, Herr Dr. Hähle.