Protokoll der Sitzung vom 05.04.2006

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

liegt auch eine generelle Warnung an die Politik, nicht unehrlich mit den Menschen umzugehen.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Neue Atomkraftwerke will schon aus rein ökonomischen Gründen ernsthaft niemand mehr bauen – es sei denn, die Politik würde eine neue Subventionswelle anschieben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Laufe des Sommers vor 20 Jahren wurde vielen deutlich, dass dieses Unglück eine große Zäsur darstellen würde, eine energiepolitische Zäsur, aber auch eine neue Zeitrechnung mit Bezug auf die Risikoabschätzung von Großtechnologien. Wir sahen plötzlich das Atomzeitalter, welches als der Inbegriff des Fortschritts erschienen war, mit anderen Augen. Wer einmal ein modernes Kernkraftwerk besichtigt hat, wird sich der Faszination erinnern, die diese so sauber erscheinende Technik auf jeden an Technologie interessierten Menschen ausübt. Mit wenigen Mitarbeitern wird aus einer extrem geringen Menge Material eine unvorstellbare Menge Energie gewonnen. Die Emissionen eines Kernkraftwerkes sind mit Ausnahme des Wasserdampfes der Kühltürme mit keinem menschlichen Sinn wahrnehmbar.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Na ja, Herr Lehmann!)

Ich will mich zu Block 1 nicht äußern. – Wir hier in Sachsen verstehen zu viel vom sparsamen Umgang mit Staatsgeldern, als dass wir dabei mittun würden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Befürworter der Kernenergie hatten 20 Jahre Zeit, in Deutschland und in anderen Ländern dieser Welt Endlagerungskonzepte vorzulegen. Mit kaum einer anderen Technologie hat sich die Politik so geduldig gezeigt. Auf Bundesebene ist in Deutschland ein schrittweiser Atomausstieg vereinbart worden, der den Energiekonzernen die Möglichkeit langfristiger Gewinne sichert und so einen zeitlich machbaren Umstieg auf Energiesparen und erneuerbare Energien möglich macht. Die Mehrzahl der Mitarbeiter von Kernkraftwerken ist nicht mit der Gewinnung der Energie beschäftigt, sondern mit der Sicherung der Anlage. Alles erscheint in einem hohen Maße technisch beherrschbar, menschliche Fehler scheinen unmöglich, der technische Fortschritt zeigt sich von seiner hochpolierten Seite.

Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl reagierte im Jahr 1986 auf Tschernobyl sehr schnell mit der Einrichtung eines neuen Ministeriums, des Bundesumweltministeriums, und berief Walter Wallmann als ersten Umweltminister der Bundesrepublik Deutschland. Ein Jahr später folgte Klaus Töpfer nach, der seit 1998 Exekutivdirektor des Umweltprogramms UNEP in Nairobi gewesen ist. Vor wenigen Tagen endete seine zweite und letzte Amtszeit. Seinen Satz: „Wir müssen Zukunft ohne Atomenergie erfinden“, hat er am 22. März dieses Jahres in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“ bekräftigt. Zitat: „Dies ist auch jetzt noch meine Überzeugung. Kernkraft hat große Risiken, besser also, wenn man sie nicht braucht. Aber dazu müssen preiswürdige Alternativen für die Energieversorgung vorhanden sein. Deswegen müssen die erneuerbaren Energien möglichst schnell wettbewerbsfähiger gemacht werden.“

Am 26. April 1986 war es vorbei mit der Mär von der sauberen Energie. Die Anlage selbst verlor ihre technische Ästhetik und Brandgeruch machte sich breit, und der Horror lag gerade darin, dass die eigentliche Gefahr auch in unmittelbarer Umgebung der Anlage für keinen Menschen ohne Messgeräte wahrnehmbar war. Tschernobyl hat damals die Risikowahrnehmung in unserer Gesellschaft entscheidend verändert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einer demokratischen Gesellschaft mit einer sozial und ökologisch gebundenen Marktwirtschaft wie der unseren geht es eben niemals allein um Marktakzeptanz, sondern stets auch um gesellschaftliche Akzeptanz. Die Verbraucher, die preiswerte, gute Produkte, wie zum Beispiel stets in ausreichender Menge zur Verfügung stehende Energie, wünschen, sind zugleich Menschen mit Meinungen und Gefühlen, mit Angst oder der Sehnsucht nach Gesundheit, Sicherheit und Glück.

Klaus Töpfer betont in diesem Interview, dass Deutschland in seinen umweltpolitischen Anstrengungen nicht zurückgefallen sei, andere Länder aber erfreulicherweise aufgeholt hätten. Mit Blick auf Deutschland äußert er sich dann besorgt. Während die schnell wachsenden Entwicklungsländer verstärkt umweltverträgliche Lösungen für ihre Wachstumsprozesse anstreben, sagen in Deutschland viele: Jetzt ist nicht die Zeit für eine offensive Umweltpolitik. – Ich sage denjenigen: Das Gegenteil ist der Fall. Das ist der Exportschlager der Zukunft.

Wir haben als Politikerinnen und Politiker die Aufgabe, nicht allein die fachlich fundierten, in Wahrscheinlichkeitszahlen gegossenen Risikofaktoren, sondern auch die von den Menschen gefühlten Risiken der existierenden Kernenergienutzung ernst zu nehmen. Übrigens: Der Markt, dem doch so viele in diesem Land vertrauen, reagiert auf diese gefühlten Risiken oft viel schneller als diejenigen, die Irrtümer nicht eingestehen wollen. Es kann dann nicht die Aufgabe der Politik sein, mit neuen Subventionen Risikotechnologien mit den Geldern der Bürgerinnen und Bürger gegen deren Befürchtungen zu fördern.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Das ist vor allem ein entscheidender Beitrag für die friedliche Entwicklung dieser Welt.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Ja, liebe Freunde von den GRÜNEN, irgendwoher müssen wir unsere Energie schon noch beziehen und insbesondere bei der Grundlast ist es so.

Techniken zur rationelleren Energieerzeugung und -nutzung sowie für erneuerbare Energien werden zukünftig auf die am schnellsten wachsenden Märkte der Welt treffen. Erneuerbare Energien und Effizienztechnologien werden als echte heimische Energieträger in weit höherem Maße nachgefragt werden als die Kernenergie.

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Herr Lichdi, ich freue mich, dass ich Sie überzeugt habe. (Beifall bei der SPD, der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN) (Johannes Lichdi, GRÜNE: Nein!)

Das „Grünbuch“ der EU-Kommission für eine europäische Strategie der Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit gibt hier wichtige Anregungen und wird bedeutsam sein für die derzeit laufende Überarbeitung des sächsischen Energieprogramms.

Vorreiter in diesen Bereichen werden demnach gute Chancen haben, sich hier als Globalplayer zu etablieren und entsprechende Impulse für den heimischen Arbeitsmarkt zu geben.

(Einzelbeifall bei der Linksfraktion.PDS)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass wir hier wenige Tage vor dem 20. Jahrestag einer furchtbaren, durch Menschen verursachten Katastrophe offen und auch kontrovers diskutiert haben, ist den Opfern, deren Zahl man nach wie vor nicht genau beziffern konnte, angemessen und wir schulden dies immer wieder auch unseren Kindern, denn es ist unsere Pflicht als Politikerinnen und Politiker, sie vor einer solchen Katastrophe zu bewahren.

Sachsen als ein Land, das schon jetzt nicht auf Kernenergie setzt, hat dabei besondere Chancen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Keine Stromerzeugungsvariante erscheint mir so wenig geeignet für die Nutzung durch die armen Länder dieser Welt wie die Kernenergie, die von Importen und Hochsicherungstechnologien abhängig macht und sich der dezentralen Nutzung verschließt.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Wir haben die Bewertung dessen, was dort geschehen ist, und die notwendigen Konsequenzen daraus eben nicht einbetoniert in einen Sarkophag des Vergessens. Dieser Jahrestag muss Anlass sein, uns über eine auf Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit angelegte intelligente Energiepolitik für die Zukunft des Freistaates Sachsen Gedanken zu machen.

Wer dazu rät, die Energieprobleme der Zukunft mit dem Ausbau der Kernenergie zu beantworten, spielt mit dem Feuer der Weiterverbreitung von Atomwaffen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Gedenken an die Kinder von Tschernobyl und im Denken an die Zukunft unserer Kinder muss festgehalten werden: Ein Land sorgt nicht nur durch den sparsamen Umgang mit Steuergeldern für Kinder vor, sondern auch durch den sparsamen Umgang mit Ressourcen und durch die Vermeidung risikoreicher Abfälle. Solchermaßen abfällig sollten wir über die, die uns nachfolgen, nicht denken.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Danke schön. – Ergibt sich daraufhin noch einmal Aussprachebedarf? – Das ist nicht der Fall. Herr Lichdi, Sie haben drei Minuten für das Schlusswort. Kein Klimaschutz ist so teuer wie die langfristigen Kosten der Kernenergie. Hier habe ich als Wirtschaftsminister auch eine besondere Verantwortung. Zum Thema „Kosten der Kernenergie“ müssen wir in Sachsen nur die Stichworte „Wismut“ – der Uranbergbau hat nicht nur wirtschaftlich viel gekostet, daran ist erinnert worden – oder „Rossendorf“ – wir plagen uns immer noch mit der Regelung und den Kosten des Rückbaus dieser kleinen kerntechnischen Anlage herum – nennen. Wir sollten nicht Zeit und Geld vergeuden, sondern uns mit aller Kraft dem Thema „Energieeffizienz in Produktion und Anwendung“, dem Übergang zu erneuerbaren Energien und bei uns in Sachsen auch der intelligenten Nutzung der Braunkohle, etwa durch Kohlevergasung, zuwenden.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Staatsminister Jurk, außer zu Ihrem Braunkohleexkurs muss ich Ihnen ausdrücklich meinen Respekt und meinen Dank für diese große Rede aussprechen. Ich möchte das ausdrücklich sagen, auch wenn ich von der Opposition bin.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der Linksfraktion.PDS)

Das war ein wohltuender Kontrapunkt zu der weitgehend argumentationsfreien Rede des Kollegen Günther. Diese ist zwar kulminiert in dem schönen Wort „Block Heinz 1“ – das werden wir uns jetzt zu Herzen nehmen und auch weiterverbreiten –, ich möchte Sie aber darauf hinweisen, Herr Günther: Es gab auch in der DDR eine AntiAtombewegung und wir fühlen uns ihr verbunden und wir fühlen uns ihr verpflichtet.

(Beifall bei den GRÜNEN)

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und des Abg. Dr. Martin Gillo, CDU – Johannes Lichdi, GRÜNE: Nein!)

Ich bitte trotzdem um Zustimmung zu unserem Antrag. Herr Lehmann, ich muss Ihnen auf Ihre Rede nur eines sagen: Vor Ihrer neuen Sachlichkeit graut mir. Vielen Dank.

(Heinz Lehmann, CDU: Das kann ich nachvollziehen!) (Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Sie haben das Niveau hier um Galaxien verfehlt 3. Vizepräsident Gunther Hatzsch: Danke schön. – Meine Damen und Herren! Es ist mehrfach um punktweise Abstimmung gebeten worden. Es sind zwei Punkte.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

und jeder, der objektiv zugehört hat, wird das genauso empfunden haben wie ich. Wir stimmen ab über die Drucksache 4/4766. Ich rufe den Punkt 1 auf. Wer dem Punkt 1 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe! – Die Stimmenthaltungen? – Bei einer Enthaltung und einer größeren Anzahl von Pro-Stimmen ist diesem Punkt mehrheitlich nicht gefolgt worden.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS – Widerspruch bei der CDU)

Frau Runge, Sie haben, wie so oft – Sie nehmen ja jede Gelegenheit wahr –, sich selbst und die Linksfraktion.PDS als möglicherweise ökologischere, zuverlässigere Partei dargestellt und Sie haben den Streit um das Endlagergesetz angesprochen. Ich möchte Ihnen eine Antwort nicht schuldig bleiben. Ich sage Ihnen ganz eindeutig:

Ich rufe den Punkt 2 auf. Wer diesem Punkt 2 folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Die Gegenprobe! – Die Enthaltungen? – Dem Punkt 2 – so stelle ich fest – ist einheitlich gefolgt worden, meine Damen und Herren. Ich stehe auf der Seite von Reinhard Loske. Ich beteilige mich nicht an der Denkmalpflege, die von Teilen der Bundestagsfraktionen betrieben wird, und bin mir sehr sicher, dass das eine erhebliche Diskussion in der Partei ausgelöst hat. Ich bin sehr zuversichtlich, wie diese Diskussion in unserer Partei ausgehen wird.

Damit ist dieser Tagesordnungspunkt abgeschlossen und die 45. Sitzung beendet. Wir sehen uns morgen Früh, am 6. April, um 10:00 Uhr hier wieder.