Protokoll der Sitzung vom 05.04.2006

Drucksache 4/2884, Gesetzentwurf der Fraktion der FDP

Drucksache 4/4796, Beschlussempfehlung des Innenausschusses

Zweites Gesetz zur Änderung des Sächsischen Verfassungsschutzgesetzes

Drucksache 4/3609, Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der SPD

Drucksache 4/4797, Beschlussempfehlung des Innenausschusses

Den Fraktionen wird das Wort zur allgemeinen Aussprache erteilt. Die Reihenfolge in der ersten Runde: GRÜNE, FDP, CDU, SPD, Linksfraktion.PDS, NPD und die Staatsregierung, wenn gewünscht.

Für die Fraktion der GRÜNEN hat der Abg. Herr Lichdi das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir feiern heute – wieder einmal vor leeren Sälen, wie immer nach der Mittagspause – einen wahrhaft historischen Moment. Der Sächsische Landtag nimmt nämlich eine Eingriffsbefugnis für Sicherheitsbehörden zurück. Wir freuen uns, dass sich die Koalition unserem Vorschlag vom August 2005 angeschlossen hat und die OK-Zuständigkeit des Verfassungsschutzes streichen wird. Dieses Verdienst gebührt aber weniger der Koalition als dem sächsischen Verfassungsgeber und dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof. Artikel 83 der Sächsischen Verfassung verlangt die Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten. Daher muss der Aufgabenbereich des Verfassungsschutzes auf

den im Jahre 1992 bestehenden Aufgabenbestand beschränkt bleiben.

Der Verfassungsgerichtshof hat dazu Worte gesprochen, die es verdienen, im Sächsischen Landtag vorgetragen und zu Herzen genommen zu werden – ich zitiere –:

„Als Konsequenz aus den historischen Erfahrungen sollte vermieden werden, einen Geheimdienst zu schaffen, der mit nachrichtendienstlichen Mitteln in weite Bereiche der Gesellschaft eingreifen kann. Wird damit aber in Artikel 83 Abs. 3 Satz 1 Sächsischer Verfassung vorausgesetzt, dass der Aufgabenbereich des Landesamtes für Verfassungsschutz nicht über den nach Bundesrecht notwendigen Umfang hinausgeht, sind sowohl die zu sichernden Rechtsgüter als auch die Handlungsschwellen auf den traditionellen Kernbereich des Verfassungsschutzes beschränkt.“

Der Verfassungsgerichtshof führt einen weiteren wesentlichen Aspekt an: Das Polizeirecht ist Ende des 19. Jahrhunderts rechtsstaatlich ausgeformt worden, das Recht des Verfassungsschutzes aber traditionell nicht. Ist

eine Zuständigkeit für den Verfassungsschutz erst einmal eröffnet, dann werden die Handlungsoptionen des Verfassungsschutzes kaum mehr beschränkt. Für die enge Beschränkung der Aufgaben des Verfassungsschutzes spricht auch – ich zitiere wiederum den Verfassungsgerichtshof –, „dass im Unterschied zu polizeilichen Mitteln, deren Einsatz durch rechtsstaatlich ausgeformte Handlungsschwellen eingegrenzt wird, nachrichtendienstliche Mittel letztlich immer schon dann zum Einsatz kommen können, wenn nach geheimdienstlichen Erfahrungen eine Entwicklung möglich erscheint, die zur Beeinträchtigung von Verfassungsschutzgütern führen kann. Insofern werden die nachrichtendienstlichen Befugnisse kaum situativ begrenzt und bedürfen daher einer gegenständlichen Eingrenzung des Aufgabenbereiches des Geheimdienstes.“

Ich drücke es weniger juristisch aus: Weil der Verfassungsschutz fast alles machen kann, darf er nur in wenigen Fällen tätig werden. Gerade hierin liegt der Dammbruch bei einer OK-Zuständigkeit des Verfassungsschutzes. Die so genannte Organisierte Kriminalität ist geradezu ein Paradebeispiel für eine undefinierbare allgemeine Aufgabenermächtigung, mit der sich der Verfassungsschutz jede beliebige Eingriffsmöglichkeit selbst schaffen könnte, denn die Definition von OK ist seit 30 Jahren nicht gelungen. Sie ist auch nicht definierbar. Zwar reden viele von OK, auch in diesem Hause, aber kaum einer legt sich Rechenschaft darüber ab, was sie denn sein soll. Das offizielle Wortungetüm, das mit einem siebenmaligen „Oder“ höchst unbestimmte Begriffe aneinander reiht, ist geradezu das Beispiel einer Nichtdefinition ohne jede Kraft zur Abgrenzung und Unterscheidung.

Auf der Homepage des Berliner Wissenschaftlers Klaus von Lampe, www.organised-crime.de, habe ich eine Definition gefunden, die mir den Nagel auf den Kopf zu treffen scheint: „Organisierte Kriminalität ist das, was die Behörden als organisierte Kriminalität verfolgen.“ Ich will nicht bestreiten, dass es Kriminalität gibt, die mit hoher Professionalität, hoher Arbeitsteiligkeit, hierarchischer Organisation, großer Brutalität und mit dem Versuch einer Beeinflussung staatlicher Behörden einhergeht. Aber auch hier lehrt ein Blick in das aktuelle „Lagebild OK“ des Bundeskriminalamtes vom Juni 2005, dass die OK nicht die Bedrohung der Grundfesten der freiheitlich demokratischen Grundordnung ist, zu der sie gerne hochstilisiert wird. Übrigens, Herr Bandmann, Sie haben das in diesem Hause öfter einmal verwechselt: Terrorismus gilt selbst nach den polizeilichen Definitionsversuchen nicht als OK.

Nach dem Lagebild OK des BKA geht die Zahl der OK-Ermittlungsverfahren im vierten Jahr hintereinander zurück. Insgesamt wurden 2004 bundesweit 620 OKVerfahren geführt, davon viele Fortführungen aus den letzten Jahren. Von sächsischen Behörden wurden demnach 2004 ganze 23 Verfahren geführt. Übrigens, Herr Staatsminister Buttolo, wenn die OK angeblich so gefährlich und wichtig ist, warum haben Sie denn als Innenminister bei der Vorstellung der polizeilichen Kriminalstatis

tik das Wort OK überhaupt nicht erwähnt? In Ihrer Pressemitteilung finden wir keinerlei Hinweise auf den derzeitigen Stand der OK.

Die besondere Gefährlichkeit wird oft mit dem der OK eigenen Versuch begründet, Einfluss auf Politik, Verwaltung und Justiz zu nehmen. Auch hier rückt ein Blick ins Lagebild des BKA übertriebene Bedrohungsvorstellungen zurecht. Die Einflussnahmeversuche machen den geringsten Teil der OK-Verfahren aus, nach dem BKA 27 %. Zudem ist die Einflussnahme offensichtlich sehr allgemeiner Natur. Das BKA vermerkt ausdrücklich, dass schon „verwerfliche Formen der Einflussnahme unterhalb der strafrechtlich relevanten Korruptionsvorwürfe als OK-relevant gezählt werden“. Das ist im Grunde alles: wo der ermittelnde Beamte meint, na ja, hier hat einer einmal versucht, mit der Verwaltung zu sprechen. Die Befürworter einer OK-Zuständigkeit für den Verfassungsschutz versprechen uns wesentlich bessere Aufklärungsansätze durch die eigene Beobachtung weit im Vorfeld. Die stimmt auch nicht. Obwohl bisher vier Landesverfassungsschutzämter eine OK-Zuständigkeit hatten, wurden ganze vier von 620 Verfahren, also sage und schreibe 0,6 %, die im Jahr 2004 bearbeitet wurden, nach Hinweisen von Nachrichtendiensten eingeleitet.

Schließlich: Wie oft hat man der Öffentlichkeit weiszumachen versucht, dass man den großen Lauschangriff gerade zur Abwehr und Aufklärung von Straftaten der OK brauchen würde! Die Studie des Max-Planck-Institutes zur Rechtswirklichkeit des großen Lauschangriffs von 2005 berichtet, dass nur sehr wenige Verfahren, in denen gelauscht wurde, überhaupt OK-Bezug hatten. Da Polizeipraktiker natürlich wissen, dass die offizielle OK-Definition untauglich ist, versuchen sie, die behauptete besondere Gefährlichkeit der OK mit einem Zusatzindikator einzufangen, dem so genannten OK-Potenzial. Damit soll der „BKA-Organisations- und Professionalisierungsgrad“ ausgedrückt werden. Dieses so genannte OK-Potenzial wird auf einer Skala von eins bis 100 ausgedrückt. Das durchschnittliche OK-Potenzial verharrte 2004 bei 41 %. Nur 12 % der Verfahren, also bundesweit ungefähr 75, wiesen ein relativ hohes Potenzial von über 60 auf. Welche Deliktsfelder werden als OK erfasst? Es sind die altbekannten: Der Rauschgifthandel und -schmuggel einschließlich Cannabis macht ein Drittel der OK-Verfahren aus, die nächst größere Gruppe, 17 %, sind die Kfz-Verschiebungen nach Osteuropa.

Es ist zu sehen: Als OK kann man fast alles bezeichnen, was man will. Eine OK-Definition würde es dem Verfassungsschutz ermöglichen, praktisch in alle gesellschaftlichen Bereiche hineinzuleuchten, von denen er glaubt, sie könnten sich zu OK entwickeln, etwa schon bei undefinierbaren verwerflichen Einflussnahmen unterhalb der Schwelle von Bestechungsdelikten. Die Orientierung und Eingrenzung staatlichen Handelns an der Abwehr und Verfolgung fest umrissener Straftatbestände geht verloren, und dies alles unter der traditionellen besonderen Geheimhaltungssphäre des Verfassungsschutzes. Der Herr Innenminister – ich muss es Ihnen sagen, Herr Buttolo –

hat es sich mittlerweile zur Angewohnheit gemacht, meine Kleinen Anfragen nicht zu beantworten, so auch die, wie viele Mitarbeiter im Landesamt für Verfassungsschutz die OK nach der Gesetzesänderung denn beobachtet haben. Alles so geheim, dass Abgeordnete nichts davon erfahren dürfen! Sie sehen daran, wie sich der Verfassungsschutz einer öffentlichen Kontrolle entzieht. Ich bin fast tot vom Hocker gefallen, als ich in Ihrem Personalabbaubericht geblättert habe. Dort finden sich diese Zahlen. Aber offiziell können Sie sie mir nicht mitteilen. Ich empfinde das als eine Unverschämtheit, Herr Staatsminister!

Wenn die Orientierung an der Straftat wegfällt, dann treten allgemeine Erfahrungen, Einschätzungen und Erwartungen der Behörde an diese Stelle. Jede Behörde hat aber Eigeninteressen, nämlich das Eigeninteresse, die eigene Existenz zu rechtfertigen und die Anzahl ihrer Aufgaben und Mitarbeiter zu steigern. De facto wird bei der OK-Zuständigkeit des Verfassungsschutzes die staatliche Eingriffsbefugnis an das Eigeninteresse dieser Behörde gekoppelt. Dies ist eine Umkehrung der Verhältnisse des Grundgesetzes, in dem der Bürger erst einmal frei ist und der Staat sehr gut begründen muss, wenn er den Bürger behelligen will.

Der Pressesprecher des Innenministers hat uns im Sommer 2005 eine Verharmlosung der OK vorgeworfen, weil wir die OK-Zuständigkeit abschaffen wollten. Dies tun Sie jetzt. Ich bin gespannt, ob Herr Schumann oder Sie, Herr Staatsminister, heute diesen Vorwurf wiederholen wollen. Es zeigt aber deutlich, wie hier bewusst Ängste der Bevölkerung geschürt werden, wie wenig an Fakten entlang argumentiert wird, mit welch geringen intellektuellen Ansprüchen, ja, ich sage es auch, wie wenig redlich Politik der öffentlichen Sicherheit betrieben wird. Es darf bei der Frage OK nie vergessen werden: Das LKA war und bleibt zuständig. Es konnte sogar seine Mitarbeiterzahl zwischen 2003 und 2005 von 55 auf 64 aufstocken. Ich bin gespannt, ob es bei den Eigeninteressen des Apparates – hier des Verfassungsschutzes und des LKA – gelingt, den Personalabbau zu stoppen.

Meine Damen und Herren! Ich habe es mir nicht nehmen lassen, hier grundsätzliche Ausführungen zur OK zu machen, da mir die gesamte Debatte auch in den Ausschüssen und in der Öffentlichkeit dazu wesentlich zu kurz gekommen ist. Ich bitte Sie, unserem Gesetzentwurf, der die OK-Zuständigkeit streicht, zuzustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Die FDP-Fraktion kann sich an der Debatte beteiligen. Herr Dr. Martens, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu dem eben angesprochenen Bereich der Organisierten Kriminalität vorweg so viel: Auch

wir begrüßen es, wenn heute der Landtag einen Fehler wieder rückgängig macht, den er mit der Ausdehnung der Aufgabenbefugnis des Landesamtes für Verfassungsschutz auf den Bereich der Organisierten Kriminalität begangen hat. Die Übertragung originär polizeilicher Aufgaben auf den mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeitenden Verfassungsschutz widersprach dem Trennungsgebot. Die Effekte einer solchen Arbeit waren faktisch fraglich. Der Verfassungsgerichtshof hat dies deutlich gesagt. Dem ist Folge zu leisten. Die Zuständigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz im Bereich der Organisierten Kriminalität wird zurückgenommen und beschränkt sich zukünftig wie auch vorher bereits nur auf Organisierte Kriminalität, soweit diese Bestrebungen und Tätigkeiten entwickelt, die sich gegen die freiheitlichdemokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes selbst richten. Diese Beobachtungstätigkeit im engen Aufgabenbereich des Verfassungsschutzes war vor der Gesetzesänderung bereits möglich. Das wird auch wieder so sein.

Lassen Sie mich zu dem Gesetzentwurf, den wir vorgelegt haben, etwas sagen; denn er betrifft einen zweiten Bereich, dem sich die sächsische Politik zuwenden muss, nämlich die Umsetzung von verfassungsgerichtlichen Vorgaben, die den Schutz der Rechte der Bürger betreffen, in diesem Fall die Umsetzung der Vorgaben des Verfassungsgerichtes zur akustischen Wohnraumüberwachung. Unser Gesetzentwurf für das Polizeigesetz regelt diese Materie der akustischen Wohnraumüberwachung neu, und zwar im Bereich der polizeilichen Gefahrenabwehr. Lassen Sie mich dazu allerdings auch anmerken, dass wir grundsätzlich diesem Instrument der akustischen Wohnraumüberwachung sehr kritisch gegenüberstehen; denn wie das Verfassungsgericht gesagt hat, ist die Wohnung als letztes Refugium auch vom Staat zu achten, ein Bereich, in dem jeder Anspruch darauf hat, in Ruhe gelassen zu werden. Wir haben den Polizeigesetzentwurf allerdings in der Hoffnung eingebracht, dass er hier eine Mehrheit findet, weil wir es für selbstverständlich halten, dass der Gesetzgeber – und natürlich auch der Landtag und die Staatsregierung in Sachsen – den Vorgaben der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung in Bezug auf die Wahrung der Bürgerrechte auch tatsächlich nachkommen.

Mit dem Gesetzentwurf, wie wir ihn vorlegen, werden die Eingriffsvoraussetzungen, also auch die Voraussetzungen der Anordnung, präzise definiert, und die Anordnung durch die Staatsschutzkammer nach unserem Gesetzentwurf dient der gründlichen richterlichen Vorprüfung, wie auch die vorgesehene laufende richterliche Kontrolle der Maßnahme.

Meine Damen und Herren, im besonderen Maße wichtig erscheint uns allerdings die Umsetzung der Verfassungsgerichtsrechtsprechung im Hinblick auf den Schutz des Kernbereiches der privaten Lebensgestaltung. Dort heißt es in unserem Gesetzentwurf: Die Datenerhebung ist unzulässig, soweit Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Daten erfasst werden, die dem Kernbereich privater

Lebensgestaltung zuzurechnen sind. Eine solche Regelung einzuführen ist dringend notwendig; denn es gibt Bereiche, die von staatlichen Zugriffen eben nicht berührt werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig festgestellt. Unser Gesetzentwurf vermeidet die Probleme, wie sie der Gesetzentwurf der GRÜNEN enthält, indem er darauf verzichtet, eine gesonderte gesetzliche Normierung des Kernbereiches privater Lebensgestaltung vorzunehmen, sondern sich darauf verlässt, dass dieser Kernbereich durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes in ausreichender Trennschärfe abgegrenzt werden kann. – So viel zum Entwurf des Polizeigesetzes.

Zum Entwurf des Verfassungsschutzgesetzes, den die Koalition vorgelegt hat, ist anzumerken: Die notwendigen Vorgaben des Verfassungsgerichtshofes werden hier zwar umgesetzt; gleichwohl haben wir erhebliche Probleme damit, uns dem Gedanken zu nähern, dass der Verfassungsschutz mit nachrichtendienstlichen Mitteln im Bereich der akustischen Wohnraumüberwachung tätig werden kann. Hier befinden wir uns nämlich nicht im Bereich der Strafverfolgung oder im Bereich der polizeilichen Gefahrenabwehr, sondern in einem weiten Vorfeldbereich, der restriktivere Anwendungsregelungen verlangt, als sie im Gesetzentwurf vorgesehen sind.

Herr Dr. Martens, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Lichdi, bitte.

Vielen Dank. – Herr Kollege Dr. Martens, ist Ihnen bekannt, dass die FDP-Bundestagsfraktion im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zur Novellierung der StPO im Frühjahr/Sommer 2005 entsprechende Vorschläge zur positiven Umgrenzung des Kernbereiches vorgelegt hat?

Das ist im Bereich der Rechtsprechung für die Strafprozessordnung wohl gemacht worden. Wir – nach Beratung in der Fraktion der FDP in Sachsen – halten das nicht für zwingend erforderlich, sondern wir sagen, das Bundesverfassungsgericht hat diesen Kernbereich erwähnt und wir brauchen ihn nicht gesetzlich anders zu definieren, weil wir dann Abgrenzungsschwierigkeiten haben zwischen dem, was das Bundesverfassungsgericht sagt, und dem, was möglicherweise der sächsische Gesetzgeber im Polizeigesetz auf der anderen Seite sagt. Hier kommen wir unter Umständen zu verschiedenen Definitionen und Rechtsprechungen, und das wollen wir vermeiden.

Eine weitere Zwischenfrage; Herr Lichdi, bitte.

Wie wollen Sie dann mit dieser Haltung der ausdrücklichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung vom 3. März 2004 nachkommen, das unmissverständlich zum

Ausdruck gebracht hat, dass der Gesetzgeber aufgerufen ist, eingrenzende Regelungen vorzuschlagen?

Der Gesetzgeber ist aufgerufen, die Eingriffsvoraussetzungen genau zu bestimmen und im Übrigen den Kernbereich selbst unangetastet zu lassen. Die Feststellung, was Kernbereich ist, ist nicht zwingend vom Gesetzgeber vorzunehmen, Herr Kollege.

(Lachen bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, im Hinblick auf den Koalitionsentwurf des Gesetzes zur Änderung des Sächsischen Verfassungsschutzgesetzes haben wir erhebliche Unzulänglichkeiten festgestellt, insbesondere die Möglichkeit der Datenerhebung nach § 5a Abs. 4 in der Fassung des Änderungsantrages. Danach kann die Datenerhebung, das Abhören in Wohnräumen, fortgesetzt werden, wenn bei den ermittelnden Beamten tatsächlich Zweifel darüber bestehen, ob sie sich im Kernbereich der privaten Lebensgestaltung befinden oder nicht.

Das ist nun eine rechtspolitische Entscheidung, ob man bei Zweifeln mit der Maßnahme, mit dem Abhören, fortfährt und hinterher ein Gericht festzustellen bittet, ob das der Kernbereich war oder nicht, oder ob man – wie wir es tun – sagt, wir respektieren den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung als einen Teil der Würde des Menschen, grundrechtlich unantastbar, und bei Zweifeln wird dort eben nicht eingegriffen. Das ist eine andere Güterabwägung, die wir vornehmen, und wir glauben, dass dies dem verfassungsrechtlichen Gebot der Achtung und des Schutzes der Menschenwürde besser gerecht wird als der Entwurf der Koalitionsfraktionen.

(Beifall bei der FDP)

Grundsätzlich halten wir auch die vorgesehenen Benachrichtigungsregelungen für Betroffene, insbesondere für Drittbetroffene, die selbst gar nicht Ziel der Abhörmaßnahme sind, gleichwohl aber mit abgehört werden, für unzureichend – wie wir auch die Regelung in § 5a Abs. 5 für unzureichend halten, wenn dort über die Reichweite einer gerichtlichen Entscheidung zur Verwertbarkeit von Erkenntnissen keine klaren Definitionen bestimmt werden. Das heißt, es ist unklar, wie weit eine solche gerichtliche Entscheidung reicht und wen sie alles bindet.

Aus diesem Grund können wir dem jetzt vorgelegten Verfassungsschutzgesetzentwurf so nicht zustimmen, obgleich wir es ausdrücklich begrüßen, dass jetzt mit dem Unfug aufgehört wird, den Verfassungsschutz auch auf die so genannte Organisierte Kriminalität anzusetzen, obwohl er dort nach unserem Verständnis nichts auszurichten hat.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)