mehr Jahre zurückliegt, im Maßstab des Willens des Volkes – denn er wird gleich einmal unterstellt – unwürdig ist, das ihm verliehene Mandat über die gesamte Legislatur, für die er gewählt wurde, zu bekleiden.
Davon abgesehen stellt die Abgeordnetenanklage selbst ein Rechtsinstitut dar, das in der Frühphase des Parlamentarismus, zu Zeiten des Konstitutionalismus, zur Disziplinierung des Parlaments durch die Exekutive der Monarchie eingeführt wurde, weshalb die Abgeordnetenanklage von vornherein einer obrigkeitsstaatlichen und im Ansatz demokratiefeindlichen Tradition entspringt. Soweit sie heute in einzelnen Bundesländern als Abgeordnetenanklage noch in der Verfassung vorgesehen ist, bezieht sie sich immer auf gravierendes Fehlverhalten von Volksvertretern im Mandat, etwa um Fälle des Missbrauchs des Mandats zum eigenen Nutzen, etwa im Kontext mit Korruption, mit Bestechlichkeit und dergleichen mehr. Ein Verfahren auf Aberkennung des Abgeordnetenmandats via Abgeordnetenanklage aus solchem Grund freilich gab es in der nunmehr 45-jährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nicht. Nicht eine einzige Abgeordnetenanklage – außer dem, was im Hohen Haus des Freistaates Sachsen erfolgt ist.
Erinnern wir uns. Auch die Verfassung des Freistaates Sachsen sollte, als sie in den Anfangszeiten des neuen demokratischen Sachsens und seines Parlaments in dem maßgeblichen Verfassungs- und Rechtsausschuss erarbeitet wurde, die Abgeordnetenanklage nur mit der Maßgabe enthalten, dass sie als Sanktion „gegen Mandatsmissbrauch in gewinnsüchtiger Absicht“ vorbehalten wird. So war sie im Gohrischer Entwurf drin. Ich nenne Artikel 53 – Kollege Schiemann wird sich erinnern. Der Vorschlag, dieses im Maßstab der Volkssouveränität und des freien Mandats generell fragwürdige Institut umzufunktionieren, es, wie es seinerzeit hieß, „für den Übergang von der Diktatur zur freiheitlichen Grundordnung“ einzusetzen, kam vom seinerzeitigen Sonderausschuss des Sächsischen Landtages zur Untersuchung von Amts- und Machtmissbrauch als Folge der SED-Herrschaft mitten im Verlauf der Erarbeitung des dem 1. Sächsischen Landtag vorzulegenden Verfassungsentwurfes durch den Verfassungs- und Rechtsausschuss.
Nachdem dieser Vorschlag des Sonderausschusses in der 5. Verfassungsklausurtagung – in der 5. erst – in Gohrisch auf den Tisch kam, erhoben die Berater der Fraktionen, die Fraktionen der CDU und der FDP zum einen und der SPD-Fraktion zum anderen, nämlich die beratenden Sachverständigen Prof. von Mangold und Prof. Dr. HansPeter Schneider – beide später langjährige Verfassungsrichter in Sachsen – erhebliche Bedenken, dass eine dergestalt angelegte Abgeordnetenanklage gegen Artikel 18 Abs. 1 und Artikel 28 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoßen und dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot nicht hinreichend genügen würde. Noch in der 7. Klausurtagung sprachen sich ausweislich der Edition von Volker Schimpff und Dr. Rühmann von Protokollen der Klausuren des verfassungsgebenden Ausschusses des Sächsischen Landtages die Vertreter der Fraktion Bündnis
90/Grüne, Kollege Gerstenberg, in Gestalt von Herrn Donner, der SPD-Fraktion mit Herrn Kunzmann und der Linken Liste/PDS für die Streichung des damaligen Artikels 53, jetzt Artikel 118, aus, wie auch noch in der 7. Klausurtagung Prof. von Mangold und Prof. Schneider als Berater ihre verfassungsrechtlichen Bedenken geäußert haben. Lesen Sie in der Edition der Verfassungsprotokolle nach!
Nach langem Hin und Her und nicht zuletzt im Handel um von den einzelnen Seiten gewünschte andere Verfassungsrechtsbestimmungen landete die Abgeordnetenanklage einschließlich ihrer jetzigen, von vornherein politisch-funktionellen Endfassung als Artikel 118 in den Übergangsbestimmungen, allerdings mit der Maßgabe, dass dessen Abs. 4 ausdrücklich vorgab: „Das Nähere bestimmt ein Ausführungsgesetz.“ Dieses spezielle Ausführungsgesetz zu Artikel 118 – was Sie sagten, Kollege Steinbach, ist hier überhaupt nicht richtig –, das Artikel 118 Abs. 4 aufgibt, hat dieser Landtag nie verabschiedet. Er hat Torsoregelungen ins Abgeordnetengesetz hineingenommen, er hat Einzelregelungen ins Verfassungsgerichtshofgesetz für das letzte Stadium aufgenommen. Er hat nirgendwo irgendwann den Immunitätsausschuss als Bestandteil des Abgeordnetenprüfungsverfahrens erwähnt.
Er ist nicht erwähnt. Schon deshalb sind wir der festen Überzeugung, dass dieser ganz intensive Eingriff in das Mandat von Peter Porsch, der sein passives Wahlrecht betrifft, in jedem Fall auf höchst dünnem Eis steht.
Was weiter jeder von Ihnen weiß, meine sehr verehrten Damen und Herren, und jeder von Ihnen zumindest wissen kann, der die Experimente mit dem Artikel 118 und die Rechtsprechung dazu in der Vergangenheit nachverfolgt hat, ist, dass tatsächlich alle anderen Länder und auch der Bund aus gutem Grunde davon abgesehen haben, über die Ehren-Enquete, über die Frage der Bewertung der Parlamentsunwürdigkeit hinaus weitere rechtliche Sanktionen anzuknüpfen, und nämlich deshalb, weil es gegen Europarecht verstößt. In der Resolution des Europarates 1096 vom 27.06.1996 auf der Grundlage des Menschenrechtsausschusses Nr. 7568 vom 3.2.1995 hat der Europarat die Unanwendbarkeit der Lustrationsgesetze, also dieser Formen der Aberkennung des Mandats, auf Abgeordnete wegen Verstoßes gegen das Gleichheitsrecht der Wahl in der Menschenrechtskonvention zurückgewiesen und abgelehnt.
Unabhängig von all diesen verfassungsrechtlichen Fragen, die generell bei der Abgeordnetenanklage zu sehen sind, hat der Fall Peter Porsch fünf Dimensionen, die einmalig sind, die über die normalen verfassungsrechtlichen Bedenken hinausgehen und die die Unterstützer der Beschlussempfehlung bedenken sollten.
1. Hier wird klipp und klar im Bericht gesagt: „Herr Prof. Peter Porsch ist zur Überzeugung des Ausschusses unter dem Decknamen ‚Christoph’ als Inoffizieller Mitar
beiter für das MfS in der Art und Weise, wie in der Drucksache 4/883 dargestellt, wissentlich und dienlich tätig geworden, sodass sich der dringende Verdacht einer Tätigkeit nach Artikel 118 Abs. 1 Nr. 1 und 2 der Verfassung erhebt.“ Diese Feststellung steht im Widerspruch zu den Entscheidungen einer Vielzahl von ordentlichen Gerichten in der Bundesrepublik Deutschland in Verfahren in Sachen Peter Porsch gegen Medien wegen Presserechts, im Verfahren anderer Art, zum Beispiel im Arbeitsrechtsstreit.
Diese Urteile der ordentlichen Gerichte haben den ohnehin im Überprüfungsverfahren nicht legitimierten Immunitätsausschuss ebenso wenig berührt wie vorher den Bewertungsausschuss. Die Urteile wurden von beiden Ausschüssen in den jeweiligen Verfahren nicht einmal beigezogen, wobei zumindest der Bewertungsausschuss das nach seiner gesetzlichen Stellung durfte. Die Urteile und die Erwägungen der ordentlichen Gerichte, weshalb man das anders sieht als die Beschlussempfehlung, hat der Immunitätsausschuss nicht einmal geprüft, nicht einmal ein Urteil gelesen.
2. In kaum einem anderen Fall als im Fall von Peter Porsch war der Sachverhalt, der der Abgeordnetenanklage zugrunde gelegt wird, in einem solchen Maße vor dessen Wahl in den Sächsischen Landtag in der Öffentlichkeit wie bei Prof. Porsch. Mein Kollege André Hahn hat das schon einmal angedeutet. Die Genesis der wohlfeilen Zuarbeit der Birthler-Behörde für den „Focus“ und andere Medien hat im Bewertungsausschuss wie im Geschäftsordnungs- und Immunitätsausschuss für jeden nachvollziehbar die Eindeutigkeit gebracht.
Ich will Ihnen nur folgenden Fakt zu bedenken geben: Die Birthler-Behörde, die mit Beginn des 3. Sächsischen Landtages durch den Präsidenten aufgefordert war, zu allen Abgeordneten zu informieren, wenn Erkenntnisse aus den Unterlagen der Staatssicherheit vorliegen, hat in den Anfangsjahren der 3. Wahlperiode zu Peter Porsch Fehlmeldung gebracht. Sie hat sich danach von sich aus erst wieder im Juli 2004 gerührt, aber im Februar 2004 wurde der gesamte Fundus der Akten, wie wir jetzt definitiv wissen, auch wie die Anwälte von Peter Porsch uns sagen können, dem „Focus“ zur Verfügung gestellt. Es hätte zumindest die Contenance vor dem Parlament erfordert, dass Birthler wenigstens parallel dem Parlament sagt: Zu Porsch liegt jetzt Folgendes vor... Als der Brief von der Birthler-Behörde an den 3. Sächsischen Landtag kam, blieb das Kuvert, das im Juni oder Juli 2004 an den Bewertungsausschuss zu geben war, ungeöffnet, weil im Bewertungsausschuss Herr Adler oder Herr Kunckel nicht mehr drin waren und der Ausschuss nicht mehr arbeitsfähig war.
Ja, was hat denn das für eine rechtliche Bedeutung, wenn ich ein Kuvert bekomme, mir eine Nachricht zugestellt wird? Dann beginnt damit die Frist, in der der Landtag in der Lage ist, von dem erheblichen Sachverhalt Kenntnis zu nehmen. Glauben Sie denn, wenn Sie eine Mitteilung von der Bußgeldstelle bekommen, weil Sie einen Rot
lichtverstoß begangen haben oder zu schnell gefahren sind, und Sie machen das Kuvert nicht auf, dann können Sie einen Monat später damit kolportieren, dass Sie sagen, bei mir macht regelmäßig die Frau die Post auf und die war gerade zur Kur?
Herr Präsident, wir haben von vornherein gesagt, dass wir uns wegen der Rechtswidrigkeit des Verfahrens im Immunitätsausschuss vorbehalten, unsere Rechtsstandpunkte in der Plenarsitzung darzustellen. In allen bisherigen Verfahren ist uns immer die Möglichkeit gegeben gewesen, unbegrenzt zu diesen Fragen zu sprechen. Ich möchte, weil ich es auch im Protokoll für das Verfassungsgericht haben möchte, das hier ordentlich zu Ende bringen, die rechtlichen Erwägungen der Fraktion.
Ich kann Ihnen nur sagen, dass das Präsidium empfohlen hat, die Redezeit der Abgeordneten auf 10 Minuten zu begrenzen.
Ich respektiere alle Empfehlungen, alle Entscheidungen des Präsidiums. In dieser Frage, bei der es um so viel geht – auch um das Ansehen des Landtages und eine solche Gewissensentscheidung der Abgeordneten –, muss die Zeit sein, ohne Begrenzung der Redezeit, gravierende Bedenken, die die Fraktion des Betroffenen hat, hier darzulegen und den Abgeordneten vor ihrer Entscheidung zu bedenken zu geben.
Dann brauchen wir auch nicht mehr zu entscheiden, wenn Sie es überhaupt nicht hören wollen. Zu Protokoll geben: Das ist ja auch bezeichnend, was Parlament heute noch ist.
Einen besonderen Drive an Öffentlichkeit bekam der Fall Peter Porsch bekanntermaßen, indem der vermeintliche, jetzt das Anklagerecht rechtfertigende vorgeworfene Sachverhalt dann noch, wie vom Kollegen Dr. Hahn schon hervorgehoben, durch die breite mediale Reflexion der Auseinandersetzung zwischen Prof. Porsch und dem Freistaat Sachsen aus Anlass der fristlosen Kündigung als Universitätsprofessor an der Universität Leipzig eine Rolle spielte.
Abgesehen davon, dass es ein Unding in einer Demokratie ist, dass der Vorsitzende der größten Oppositionsfraktion des Parlaments von einem Minister der mit dieser konkurrierenden Regierung auf der Basis einer Verdachtslage fristlos nach Jahrzehnten verdienstvoller wissen
schaftlicher Arbeit von der Hochschule vertrieben wird; im Übrigen ohne Rücksicht auf betreute Studenten und laufende Promotionsverfahren.
Wenn der Verdacht nach der gleichen Aktenlage, die dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst im Arbeitsrechtsstreit vorgelegen hat, so dringend war, wie es die Beschlussempfehlung bewertet, weshalb dann ein verfahrensbeendender Vergleich mit Peter Porsch mit allen auch für den Freistaat Sachsen folgenden Kosten?
Das eher nur am Rande. Worum es mir eigentlich geht, ist Folgendes: Kein Geringerer als der seinerzeitige rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Kollege Gerlach, in der ersten Wahlperiode meine ich jetzt, und später der Mitkommentator der Verfassung des Freistaates Sachsen, Dr. Kunzmann, stellte bereits im Juli 1998 in einem Beitrag in den Sächsischen Verwaltungsblättern, Zeitschrift für öffentliches Recht und öffentliche Verwaltung, Mitherausgeber der Innenminister des Freistaates Sachsen, unter dem Titel „Darf das Volk in Sachsen Stasimitarbeiter als Landtagsabgeordnete oder Bürgermeister wählen?“ zur Erörterung des Artikels 118 fest: „Die Verfassungsordnung in den Ländern muss dem Homogenitätsgebot des Artikels 28 Abs. 1 Grundgesetz genügen. Danach muss die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtstaates entsprechen. Die Länder müssen eine Volksvertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen Wahlen hervorgegangen ist. Die Wahlrechtsgrundsätze sind dieselben wie die des Bundes nach Artikel 38 Abs. 1. Die Allgemeinheit der Wahl darf nur aus zwingenden Gründen eingeschränkt werden. Das gilt auch für das passive Wahlrecht. Zu fragen wäre, ob eine Person als Abgeordneter des Sächsischen Landtages nach Artikel 118 Sächsische Verfassung untragbar sein kann, gleichzeitig aber dieselbe Person als Bundestagsabgeordneter tragbar wäre.“
Und weiter Kunzmann: „Artikel 118 Sächsische Verfassung ließe sich im Hinblick auf die Verfassungsgrundsätze der Sächsischen Verfassung wie auch des Grundgesetzes verfassungskonform auslegen.“ Er war dafür, dass man – das sage ich zwischendurch – praktisch ins Landeswahlgesetz Regelungen aufnimmt, und sagt dann: „Es soll aufgenommen werden, dass Stasimitarbeiter nicht in Unkenntnis ihrer Tätigkeit für das MfS in den Landtag gewählt werden können. Darum ist eine Offenlegungspflicht der Stasimitarbeit für alle Wahlbewerber zu fordern und gesetzlich zu verankern. Die vorsätzliche Wählertäuschung diesbezüglich sollte mit der Möglichkeit, das Mandat durch Beschluss des Verfassungsgerichtes abzuerkennen, geahndet werden können. Die bewusst in Kenntnis der MfS-Mitarbeit getroffene Wählerentschei
dung aber darf einer nachträglichen Korrektur nicht ausgesetzt werden. Für eine so zu verstehende Regelung fehlt der Verfassung sowohl die demokratische Legitimation als auch der notwendige Gestaltungsfreiraum durch das Grundgesetz. Lediglich eine vom Volk selbst in einem Volksentscheid angenommene Verfassungsbestimmung könnte dem Legitimationszweifel an der nachträglichen Korrektur einer freien Wählerentscheidung desselben Volkes standhalten. Eine solche Verfassung aber hat Sachsen nicht.“
Wie rechtfertigen Sie das, meine Damen und Herren der SPD-Fraktion, mit dem, was der Geschäftsordnungsausschuss angibt und hinter dem Sie stehen? Kunzmann, kann man mit gutem Grund sagen, war einer der Hauptkompetenzträger auf dem Gebiet der Verfassungs- und Rechtspolitik für die SPD.
Zum Dritten verlangt Ihnen die durch die hierfür regierende Mehrheit des Geschäftsordnungs- und Immunitätsausschusses vorgelegte Beschlussempfehlung, gegen Prof. Porsch die Abgeordnetenanklage zu erheben, nicht nur demokratiewidriges, sondern letztlich in der verbindlichen Auslegung des Artikels 118 durch das eigene sächsische Verfassungsgericht widersprechendes gesetzwidriges Handeln ab. Ihnen wird gesetzwidriges Handeln abverlangt. Dies deshalb, weil im Fall Peter Porsch die für eine Abgeordnetenanklage nach § 38 Abs. 1 des Verfassungsgerichtshofgesetzes mit Verbindlichkeit für jedermann geregelte einjährige Anklagefrist definitiv verstrichen ist.
Der Verfassungsgerichtshof hat bei Gelegenheit seiner Verwerfungsbeschlüsse in allen drei Fällen von bisherigen Abgeordnetenanklagen, in denen das relevant war, immer betont, und zwar auch mit Bindungswirkung für den Sächsischen Landtag als einzig denkbaren Anwender des Artikels 118, dass die Frist von einem Jahr, innerhalb derer der Landtag die Anklage wegen eines ihm zur Kenntnis gelangten vermeintlich nach Artikel 118 inkriminierten Sachverhalts erheben kann, eben nicht durch den Eingang des Auskunftsberichts der Gauck- oder Birthler-Behörde in Gang gesetzt wird. Vielmehr komme es bezüglich des Fristbeginns ausschließlich auf den Zeitpunkt an, da der Sachverhalt für die Abgeordneten des Landtages mit nachvollziehbarem Beweis in der Öffentlichkeit war. So wörtlich der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung 16 IX 98 vom 6. November. Zitat: „Im Sinne des § 38 Abs. 1 Sächsisches Verfassungsgerichtshofgesetz bekannt geworden ist der maßgebliche Sachverhalt nicht erst, wenn er dem Landtag als Ganzem, Erkenntnisquellen und Nebensachverhalt förmlich zur Kenntnis gebracht wurde, sonst wäre die Ausschlussfrist manipulierbar. Vielmehr genügt es, dass der Sachverhalt in der Öffentlichkeit ist, dass die Fakten zutage liegen, sodass der Sachverhalt den Mitgliedern des Landtages jederzeit zugänglich ist und es nur an ihnen liegt, wenn sie davon Kenntnis nehmen.“ Ende des Zitats. Bezogen auch auf die Bundesverfassungsgerichtssprechung zur Präsidialklage.
Wie im Lichte dieser eindeutigen Rechtssätze Raum bleiben soll, den Fristbeginn für die jedem Abgeordneten des 4. Sächsischen Landtages mögliche Kenntnisnahme von dem Peter Porsch vorgeworfenen Lebenssachverhalt hinter den Beginn der wochen- und monatelangen Pressekampagnen um den vermeintlichen IM Christoph alias Peter Porsch zu verlegen, mindestens aber den Zeitpunkt des Fristbeginns später anzusetzen als die dem Landtag jederzeit mögliche und gebotene Informationseinholung im Kontext mit dem Kündigungsvorgang des Staatsministers für Wissenschaft und Kunst, entzieht sich jeder Nachvollziehbarkeit.
Mehr noch: Die Einjahresfrist, die sich der Landtag zurechnen lassen muss, beginnt, legt man auch im Fall Porsch den rechtsstaatlichen Maßstab „in dubio pro reo“ an, zu dem Zeitpunkt, als der 3. Sächsische Landtag von der Birthler-Behörde den Auskunftsbericht bezogen auf Peter Porsch erhalten hat, nämlich im Juni 2004. Damit war im Juni 2005 die Jahresfrist abgelaufen.
Es ist völlig abstrus einzureden, nur weil das Kuvert durch den damaligen Bewertungsausschuss nicht aufgemacht worden ist, sei keine Frist in Gang gesetzt worden. Das ist abstrus. Das ist die Rechtsprechung. Wenn Kollege Dr. Martens und Kollege Lichdi noch in irgendeiner Form distanziert und auch rechtlich an den Sachverhalt herangehen, können sie das doch nicht bestreiten. Das ist doch ein Witz! Jeder Bürger, der einen Bescheid bekommt und ihn nicht aufmacht, muss die Rechtsfolgen tragen.
Lesen Sie einfach einmal die Beschlussempfehlung auf Seite 11. Lesen Sie das bitte einmal durch, was auf Seite 11 angeboten wird. Dort wird in einer an Dreistigkeit kaum noch zu überbietenden Art und Weise der Verfassungsgerichtshof belehrt. Es wird ihm einfach gesagt, dass man seine Rechtsauffassung nicht teilt. Einfach einmal durchlesen.
Viertens. Die eng mit der Erwägung im Zusammenhang stehende Sache hat eine weitere Besonderheit. Nach allem, was vorhersehbar ist, wird der Verfassungsgerichtshof über den Antrag auf Aberkennung des Mandats für Peter Porsch in der Anklageform, wie sie jetzt eingereicht werden soll, nicht vor Ablauf dieses Jahres entscheiden. In allen bisherigen Verfahren, die als Abgeordnetenanklage beim Verfassungsgerichtshof waren, hat es, bis der Verfassungsgerichtshof zum ersten Mal in der Sache entschieden hat, wenigstens sieben bis acht Monate gedauert und in keinem Fall ist eine Verhandlung durchgeführt worden. Alle Entscheidungen wurden gewissermaßen durch Beschluss verworfen, durch Stuhlurteil. Das heißt, entschieden wird über die Anklage zu einem Zeitpunkt, wo nach §§ 20, 21 Stasi-Unterlagen-Gesetz bereits
eine Rechtslage eingetreten ist, nämlich am 29.12.2005, wo nach dieser Bestimmung Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes zum Zwecke der Überprüfung von Abgeordneten nicht mehr beigezogen werden dürfen, Inhalte des Sachverhalts nicht mehr ausgewertet werden dürfen und nach dem Gesetz direkt Sachverhalte nicht mehr vorgehalten oder zum Nachteil des Betroffenen verwendet werden dürfen.
Sie wissen also ganz genau, dass die Anklage, die Sie erheben wollen, in eine Rechtslage hineinkommt, bei der der Verfassungsgerichtshof, wenn er sie aufmacht, jenseits des Datums 29.12.2005 liegt. Ins Juristische übersetzt bedeutet dies, dass offenkundig während des Verlaufes der Prüfung der Anklage die zum Zweck des Beweises der behaupteten Involvierung in die Tätigkeit des MfS vorgelegten Unterlagen nicht mehr verwendet werden dürfen, ja, mehr noch: aus selbigen Erkenntnissen Peter Porsch keine Rechtsnachteile mehr entstehen dürfen. Jeder Staatsanwalt, der, wenn er genau weiß, dass er mit der Anklage in die Verjährung kommt, dennoch Anklage erhebt, wenn er genau weiß, es wird vor der Verjährung kein Urteil in erster Instanz geben, steht wegen Rechtsbeugung vor dem Kadi. Auch das wissen Sie.