Protokoll der Sitzung vom 12.05.2006

(Lachen der Abg. Andrea Roth, Linksfraktion.PDS)

Das kann mir keiner erklären. Auch die Staatsregierung tut es nicht. Aber die Daten von Tausenden von Bürgern werden dorthin gegeben. Wer nur Tüteneis im Umkreis von 500 Metern oder gar nur von zwei Kilometern um das Stadion verkaufen möchte, der muss sich sicherheitsüberprüfen lassen.

(Klaus Bartl, Linksfraktion.PDS: 21 Fragen!)

Mindestens 21 Fragen. Ich glaube, da wird sogar noch nach der Religionszugehörigkeit gefragt. Ich meine, die Sicherheitsbedrohung eines muslimischen Softeisverkäufers muss ja erst einmal evaluiert werden, und zwar vom Verfassungsschutz, vom Bundesnachrichtendienst, dem Militärischen Abschirmdienst und von der FIFA.

(Lachen des Abg. Matthias Paul, NPD)

Zu all dem steht in diesen Berichten, der Stellungnahme der Staatsregierung, nichts drin.

Ich sage auch: Natürlich müssen die Spiele sicher sein. Sie sollen auch sicher sein, aber nicht um jeden Preis. Die Stellungnahme der Staatsregierung lässt mich daran zweifeln, ob die Staatsregierung diesen Grundsatz beherzigt hat.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der Linksfraktion.PDS)

Herr Lichdi, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Antragsteller begehren Auskunft über das Ausmaß der

Einschränkungen der Bürgerrechte durch das Sicherheitskonzept.

Ich möchte vorausschicken, dass auch die GRÜNEFraktion die Notwendigkeit besonderer Vorkehrungen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit anerkennt. Deswegen möchte ich ein Thema aus der Fragestunde noch einmal aufgreifen.

Herr Staatsminister Buttolo, wir halten daher die Gründe, die Sie auf die Frage des Kollegen Zastrow zur Genehmigung des Public-Viewing-Standorts Königsufer genannt haben, durchaus für stichhaltig. Herr Zastrow hätte vielleicht genauer hinsehen müssen, dann hätte er bemerkt, dass die Fehler eigentlich hier in der Stadt Dresden gemacht worden sind. Unter anderem hat die Sportjugend Dresden schon vor zwei Jahren vorgeschlagen, ein öffentliches Zeltlager mit Viewing usw. im Ostra-Gehege zu organisieren. Leider war die Stadt nicht in der Lage, das aufzugreifen. Von daher, denke ich, muss die Kritik in eine andere Richtung gehen.

Die Innenminister haben ein umfangreiches Sicherheitskonzept vorgelegt. Es ermöglicht im Interesse einer vermeintlichen Rundumsicherheit die Verletzung vieler Grundrechte. Das sage ich Ihnen jetzt so. Wir haben uns daher am Montag, als wir eine Veranstaltung als GRÜNEFraktion gemacht haben, erlaubt, dies unter das schöne Motto zu stellen „Die Welt, überwacht von Freunden“. Vielleicht ist das ein provokativer Titel, der manche zum Nachdenken bringt. Warum haben wir das gemacht?

1. Der Ticketverkauf führt zum gläsernen Fan. Die Kaufinteressenten mussten sich datenmäßig vollkommen ausziehen. Die für den Ticketverkauf erhobenen Daten sollen offensichtlich zu Werbezwecken weitergegeben werden.

2. Das so genannte Akkreditierungsverfahren für alle Personen, die außer den Fans und den Spielern in das Stadion wollen, ist eine präventive Massenrasterung ohne Rechtsgrundlage. Kollegin Ernst hat zu Recht darauf hingewiesen, dass dies auch Journalisten betrifft.

3. „Die Bündelung aller Eingriffsmöglichkeiten bei der WM führt zu einem Überwachungsgroßprojekt“, so ein Zitat des schleswig-holsteinischen Datenschutzbeauftragten, Dr. Tilo Reichert.

Wie sieht es nun mit dem Ticketverkauf aus? Die Fans mussten bei der Bestellung ihre vollständige Personalausweisnummer angeben. Das ist zur sicheren Identifizierung aber nicht erforderlich. Dafür genügen die letzten vier Ziffern. Dies hat auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Schaar kritisiert. Es ist unklar, wofür eigentlich die vollständigen Ausweisnummern gebraucht werden. Nach dem Personalausweisgesetz ist die Verwendung der Personalausweisnummer zur Erschließung anderer Dateien nämlich unzulässig.

Weiterhin mussten die Kaufinteressenten ihr Geburtsdatum angeben. Der DFB als Ticketverkäufer hat nur ein berechtigtes Interesse zu wissen, ob der Käufer geschäftsfähig, also 18 Jahre alt ist. Die Angabe „über 18“ hätte

daher vollkommen ausgereicht. Die Angabe des Geburtsdatums macht deshalb so misstrauisch, weil über diese Angabe üblicherweise Dateien verschiedener Herkunft miteinander verknüpft werden. Offensichtlich ist doch beabsichtigt, dass die nationalen Förderer, die wir jetzt überall mit großen Plakaten bewundern können, diese Daten zur Werbung und zum Weiterverkauf nutzen wollen.

Schließlich sind die Tickets mit RFID-Chips versehen. RFID heißt Radio Frequency Identification bei dieser Technik. Es werden auch nicht viele Radio-FrequenzIdentifizierungen – –

(Andrea Roth, Linksfraktion.PDS: Was heißt das?)

Ich erkläre es jetzt.

Bei dieser Technik wird ein sehr kleiner Chip mit einem Sender auf einen Gegenstand aufgebracht. Mit einem Empfänger können dann die auf dem Chip gespeicherten Daten ausgelesen werden, und zwar – das ist das Interessante – unbemerkt.

Meine Damen und Herren! Wenn man sich die Überwachungsmöglichkeiten vorstellt, die dadurch eröffnet werden, kann einem durchaus angst und bange werden, denn dadurch ist die Totalüberwachung auf Schritt und Tritt technisch möglich geworden. Mit den Chipdaten kann festgestellt werden, dass mit dem von Herrn X gekauften Ticket ein Stadion betreten wird. Allerdings wird dadurch nicht gewährleistet, dass auch der Ticketkäufer selbst das Stadion betritt. Der RFID-Chip bringt also keinen zusätzlichen Sicherheitsgewinn. Damit wird aber der datenschutzrechtliche Grundsatz einer anonymen Beteiligung am allgemeinen Geschäftsverkehr verletzt. Es besteht hierbei der Verdacht, dass die Hersteller der Technik die WM als Großversuch nutzen, um die Einsatzfähigkeit ihrer Technik nachzuweisen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion.PDS und der FDP)

Was passiert nun mit den Daten? Können sie zu kommerziellen Werbezwecken weitergegeben werden, insbesondere an die WM-Sponsoren, nationale Förderer genannt? Das Ticketverfahren sah zwar ein so genanntes Ort-outVerfahren vor. Man konnte also auf der Internetseite anklicken, dass man keine Werbepostillen ins Haus geschickt haben wollte. Allerdings war das konkrete Verfahren, die Benutzeroberfläche, so ausgestaltet, dass beim Käufer der Eindruck entstehen musste, dass er nur dann beim Ticketverkauf berücksichtigt wird, wenn er sich mit Werbezusendungen einverstanden erklärt. Datenschützer halten deshalb diese Einwilligung für rechtswidrig.

Dr. Martens hat in seinem Beitrag die Frage gestellt, ob denn die Staatsregierung die Frage des Datenschutzes beantwortet oder bedacht hat. Herr Martens, ich kann Ihnen sagen, sie hat es nicht. Das hat sich auch schon durch eine Reihe Kleiner Anfragen ergeben, die ich im

Januar dieses Jahres gestellt habe, und deren Beantwortung durch die Staatsregierung.

Worum geht es bei Akkreditierungsverfahren? Alle Personen, die kein Ticket haben und Zutritt zu Veranstaltungsorten und dem äußeren Sicherheitsring haben wollen, werden einem Akkreditierungsverfahren unterworfen. Dies betrifft das gesamte Servicepersonal wie auch Journalisten. Nach Schätzungen handelt es sich dabei voraussichtlich um etwa 250 000 Personen. Meine Damen und Herren, 250 000 Personen! Das Verfahren läuft so, man muss es so sagen, dass Arbeitgeber die Daten ihrer Arbeitnehmer beim DFB einreichen. Wer ist der DFB? Sie haben es zu Recht gefragt. Wer ist die FIFA, wer ist der DFB? Der DFB, man höre, gibt die Daten weiter an das Bundeskriminalamt. Das Bundeskriminalamt fragt die Geheimdienste des Bundes – BND, Verfassungsschutz usw. – sowie die sächsische Polizei und das Landesamt für Verfassungsschutz ab, ob so genannte sicherheitsrelevante Erkenntnisse über einen Arbeitnehmer vorliegen. Die Sicherheitsfirmen treffen dann eine Wertung, ob ein Sicherheitsrisiko bei Beschäftigung des Arbeitnehmers vorliegt. Das Ergebnis wird dem DFB wieder über das BKA mitgeteilt, und dann wird entsprechend der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer zu einer Dienstleistung vom DFB zugelassen oder nicht. Das Markante daran ist, dass der Betroffene weder den Grund der Ablehnung erfährt noch irgendeine Rechtsschutzmöglichkeit hat.

Meine Damen und Herren! Sie können sich das leicht vorstellen. Wenn der Arbeitgeber jetzt eine Liste seiner Arbeitnehmer eingereicht hat, dann kommt aber: „Arbeitnehmer 15 b wird nicht zugelassen“, steht der Arbeitgeber vor der Alternative: Entweder schmeiße ich ihn raus oder ich bekomme den Auftrag nicht. Wir können uns ausrechnen, was die Folge ist. Wenn ich Sie vorhin richtig verstanden habe, ist es dann wohl durchaus möglich, den Arbeitnehmer zu entlassen.

Der Datenschutzbeauftragte hier in Sachsen hat das Akkreditierungsverfahren auch als rechtswidrig auf Bundesebene kritisiert. Es handelt sich nämlich um eine verdachtslose präventive Massenrasterung. Eine Rechtsgrundlage dafür besteht nicht, Herr Lehmann. In einer Kleinen Anfrage hat die Staatsregierung dagegen die Ansicht vertreten, dass die Einwilligung, die die Arbeitnehmer ihrem Arbeitgeber unterschreiben müssen, ausreicht. Aber, meine Damen und Herren, was ist von einer Freiwilligkeit einer solchen Einwilligung zu halten, die unter Androhung des Arbeitsplatzverlustes erteilt werden muss? Ich meine, gar nichts.

Die Staatsregierung hat nun nachgebessert. In ihrer Entgegnung auf die Kritik des Datenschutzbeauftragten stellt sich die Staatsregierung jetzt, am 4. Mai – schade, dass Sie telefonieren, Herr Staatsminister! –, auf den Standpunkt, dass eine gesetzliche Vorschrift zum Akkreditierungsverfahren geprüft werden müsse. Na, wunderbar! Im Klartext bedeutet das, dass Sie wissen, dass das Akkreditierungsverfahren rechtswidrig ist. Man will aber vor der WM weitermachen und keine Konsequenzen aus

seinem rechtlichen Verfahren ziehen. Sie werden uns wahrscheinlich im Herbst mitteilen, dass die Prüfung ergeben hat, dass tatsächlich eine Rechtsgrundlage erforderlich war. Aber die WM ist ja dann schon vorbei, und das Problem ist gelöst.

Aber, meine Damen und Herren, wann liegen nun solche sicherheitsrelevanten Erkenntnisse vor, die einen Ausschluss vom Arbeitsplatz WM rechtfertigen? Ich habe dies in einer Kleinen Anfrage in der Drucksache 4/4165 nachgefragt. Danach werden – durchaus verständlich – alle Verbrechen und Vergehen gemeldet. Es wird aber auch gemeldet, wenn nach Ansicht der Polizei oder des Verfassungsschutzes die Gefahr besteht, dass der Betreffende Gewalttaten begehen oder aber zu Gewalttaten aufrufen wird. Das klingt ja auch schon einmal ganz gut. Worum geht es da?

Es geht hierbei nicht um gesicherte Erkenntnisse, sondern allein um die polizeiliche Prognose und damit nicht um den Ausschluss erwiesener Gewalttäter. Selbst bei den verurteilten Straftätern erfolgt keine Differenzierung, ob sich denn aus einer Verurteilung tatsächlich auch eine Gefahrenprognose für die WM ableiten lässt. Nach Zeitungsmeldungen wurden bisher 400 Personen wegen Sicherheitsbedenken in Deutschland ausgeschlossen, und, wie gesagt, es steht zu befürchten, dass bis zur WM noch weitere 150 000 Personen in Deutschland dort „durchgerastert“ werden.

Meine Damen und Herren! Das war vielleicht etwas fachlich, aber mir ging es einfach darum, Ihnen einmal die Untiefen dieses Sicherheitskonzeptes vorzuführen, wozu Sie dann immer sagen: Ja, das ist wichtig, wir wollen hier sichere Spiele haben, und wir vertrauen unserer Polizei. Es geht nicht darum, ob wir unserer Polizei vertrauen oder nicht, sondern wir müssen schon genau hinsehen, denn der Teufel sitzt im Detail.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich komme zurück auf das, was ich gesagt habe. Es handelt sich hier tatsächlich um den Großversuch einer Totalüberwachung in Deutschland aus Anlass dieses Ereignisses.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Herr Bartl, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Lichdi, Kollege Dr. Martens, ich bin stolz auf den Berufsstand. Vor allem Kollege Dr. Martens hat meiner Auffassung nach alles zum Ausdruck gebracht, was im Wesentlichen zu sagen ist, wenn man über Konsequenzen aus dem Sicherheitskonzept nachdenkt.

Herr Staatsminister, ich habe wirklich ein Problem damit, wenn eine Fraktion in einem Berichtsantrag das Ausmaß der Be- und Einschränkung der Bürger-, Grund- und

Freiheitsrechte von Teilnehmern an den Veranstaltungen der Fußball-WM 2006 und Nichtbeteiligter durch das Sicherheitskonzept, vorgesehene Maßnahmen, Instrumente einschließlich verfassungsrechtlicher Rechtfertigung des Umgangs und der Tiefe der konzeptionell vorgesehenen Eingriffe in Grundrechte zu beschreiben bzw. darüber zu berichten bittet. – Definitiv!

Darauf antwortet die Staatsregierung mit folgendem – wie man sagt – phraseologischem Dreizeiler: „Vor dem Hintergrund der hohen nationalen und internationalen Bedeutung der Fußball-WM besteht die Zielstellung, trotz eines hohen Niveaus der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Beeinträchtigung des Einzelnen durch Sicherheitsmaßnahmen so gering als möglich zu gestalten. Die vorgesehenen Maßnahmen werden auf der Grundlage des geltenden Rechts unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit getroffen.“ – Um Himmels willen, was ist das für eine Antwort von einer Staatsregierung auf die Anfrage einer Fraktion des Landtags zur Beachtung der Reichweite der Grund- und Bürgerrechte, Freiheitsrechte etc.?! Was erwarte ich denn mit dieser Überschrift für eine Antwort? Wir sind doch nicht in der Klippschule.

Genau das ist das Problem: Ich will von Ihnen wissen – und zwar wirklich wissen –, ob die 250 000, die Dienstleistungen erbringen, bzw. das Quorum davon, dass in Sachsen im Umfeld der Fußball-WM von Menschen entsprechende Dienstleistungen erbringen, nach dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz durchgecheckt sind und all jene, die Fragebögen beantworten müssen, einschließlich zu den sensiblen Daten befragt werden, die wir mit dem Datenschutzgesetz als verfassungswidrig angegriffen haben: jeder Würstchenverkäufer, jeder Losverkäufer, jeder, der irgendwo eine Signaltrommel rührt usw. – Das will ich von Ihnen wissen, und das ist die Antwort, die ich auf solche Fragen haben möchte.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte von Ihnen wissen, ob es aus Sicht eines Staatsministers des Innern bei der Fragestellung „Gewährleistung von Grundrechten und Freiheitsrechten“ tatsächlich annehmbar ist, dass sich Ihr Pressesprecher hinstellt und sagt: Bei uns wird seit Jahr und Tag jeder Hooligan mit DNA erfasst. Wie und auf welcher Grundlage soll es gehen? Wie soll es im Maßstab der Verhältnismäßigkeit Ihrer Überschrift entsprechend passen?

(Beifall der Abg. Prof. Dr. Peter Porsch und Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS)