Was wissen wir denn, wie die Schule in fünf oder zehn Jahren aussehen wird? Was wissen wir über Bedarf? Was wissen wir über Mobilität oder über zukünftige Bildungssysteme?
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns mutig sein, lassen Sie uns über den Tellerrand hinaussehen! Unser Antrag gibt Ihnen die Chance, ein zukunftsträchtiges Lehrerbildungsmodell in Sachsen noch weiter entwickeln zu können.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Reform der Lehrerbildung ist eine der obersten Prioritäten der deutschen Bildungspolitik. Die herrschende Meinung
scheint mit dem derzeitigen internationalen Trend übereinzustimmen, wonach die Lehrerbildung als ein offenes und dynamisches System sowie als fortdauernder Prozess zu betrachten ist.“
Diese Einschätzung – Sie ahnen es wahrscheinlich schon, meine Damen und Herren – stammt nicht von mir, sondern aus der OECD-Lehrerstudie „Anwerbung, berufliche Entwicklung und Verbleib von Lehrkräften“ vom September 2004.
Sosehr mir dieses Zitat im Hinblick auf die herrschende Meinung zu optimistisch erscheint, so sehr teile ich jedoch die Ansicht zur Bedeutung der Lehramtsreform für unser Bildungssystem. Worum geht es bei dieser Reform?
Nach übereinstimmender Bewertung aller Fachleute gibt es in drei zentralen Bereichen einen Reformbedarf. Die bisherige Lehramtsausbildung weist erstens eine sehr starke Fachorientierung, jedoch eine sehr geringe Ausbildung pädagogischer Kompetenzen aus. Es gibt zweitens einen für jeden Lehramtsstudierenden wahrnehmbaren Bruch zwischen Ausbildung und Berufstätigkeit, den berühmten Praxisschock, der aus der geringen Orientierung der Lehrerbildung an den realen Problemen der Schulen resultiert. Es gibt drittens in mehrfacher Hinsicht das Problem der zu starken Differenzierung. Die starke Fachorientierung erschwert das pädagogische Handeln in fächerübergreifenden Zusammenhängen. Die Schulartorientierung der Lehrerbildung erschwert das integrative pädagogische Denken und die von Land zu Land unterschiedliche Ausgestaltung erschwert die berufliche Mobilität.
Diese drei Problembereiche haben ganz direkte Auswirkungen auf die pädagogische Qualität der Schulen, und das nicht erst seit „Pisa“. Es ist also höchste Zeit zu handeln.
Die sächsischen Hochschulen haben gehandelt. Meine Kollegin Werner hat das bereits geschildert. Die beiden federführenden Hochschulen, also sowohl die Universität Leipzig als auch die Technische Universität Dresden, haben Konzepte ausgearbeitet, die im Wesentlichen die allseits geäußerten Kritikpunkte aufgreifen. Beide Konzepte stärken die bildungswissenschaftlichen Anteile innerhalb der Lehramtsausbildung. Die Phasen, in denen die Lehramtsstudierenden mit der schulischen Praxis in Berührung kommen, setzen wesentlich früher ein, auch wenn ich Ihnen ganz offen sage, dass ich mir ein verpflichtendes Schulpraktikum vor dem Studium wünsche. Außerdem wird die erwähnte Differenzierung zumindest aufgeweicht, indem die Lehrerbildung in die BachelorMaster-Struktur überführt wird und Kerncurricula zum Einsatz kommen, die sich an den nationalen Bildungsstandards orientieren.
Unser Hauptkritikpunkt ist der Umgang der Staatsregierung mit den Unterschieden in den Konzepten. Die Universität Leipzig hat ein Konzept vorgelegt, das den bereits erläuterten polyvalenten Bachelor vorsieht, der für die jeweilige Ausrichtung des anschließenden Masters offen ist. Diese unterschiedlichen Master orientieren sich
Die TU Dresden macht einen entscheidenden innovativen Unterschied. Sie orientiert sich in der Masterphase nicht an den Schularten, sondern an Altersstufen und bleibt damit offen für künftige Änderungen in der Schulstruktur. Ich mache kein Geheimnis daraus, dass unsere Fraktion dieses zweite Modell der Lehrerbildung favorisiert. Dafür gibt es gute schulpolitische Gründe. Dazu wird meine Kollegin Astrid Günther-Schmidt sprechen. Ich möchte Ihnen jetzt einige hochschulpolitische Argumente nennen.
Es muss im Interesse jeder Hochschule liegen, ihren Studierenden die inhaltlich beste Bildung zu geben. Die Aufhebung der Schulartorientierung ermöglicht es, die Inhalte, die unabhängig von der Schulartspezifik sind, deutlicher zu vermitteln und die Vernetzung zwischen den Schularten durch ein übergreifendes Verständnis zu verbessern.
Darüber hinaus müssen Hochschulen ihren Absolventen eine größtmögliche berufliche Offenheit sichern, in diesem Falle für verschiedene Schularten, für Schulstrukturen auch anderer Bundesländer und für politisch bedingte Änderungen der Schulstrukturen.
Und Hochschulpolitik hat schließlich darauf zu achten, dass Ressourcen optimal genutzt werden. In der Lehrerbildung können insbesondere personelle Ressourcen durch die Aufhebung der Schulartspezifik und die Orientierung an Altersstufen deutlich besser ausgeschöpft werden.
Sehr geehrte Damen und Herren, unsere Fraktion plädiert an dieser Stelle ausdrücklich nicht dafür, den sächsischen Hochschulen vorzuschreiben, den Schulartbezug in der Lehramtsausbildung zu streichen. Wir plädieren für Offenheit. Wir wollen eine Offenheit für verschiedene Modelle, die sich dann auch in der entsprechenden Lehramtsprüfungsordnung wiederfinden muss.
Nicht nur Oppositionsfraktionen, sondern auch Staatsregierung und Koalitionsfraktionen sprechen häufig von der Autonomie der Hochschulen. Wer nicht nur davon spricht, sondern es ernst meint, muss den Hochschulen die Freiheit geben, eigene Modelle anzubieten und sich im Wettbewerb zu bewähren. Wer es ernst meint mit der Autonomie und dem Wettbewerb, der muss auch die finanziellen und personellen Rahmenbedingungen dafür schaffen.
Beides gewährleistet die Staatsregierung in keiner Weise. Indem sie sich für eines der beiden Modelle, nämlich das Leipziger, entschieden hat, schränkt sie die inhaltliche Freiheit der Hochschulen ein. Darüber hinaus ist aber fraglich, inwiefern die anspruchsvollen Konzepte der Hochschulen, gerade auch das der Leipziger, personell
untersetzt werden. Insbesondere an der Universität Leipzig ist es doch ein offenes Geheimnis, dass die wesentlich stärkeren psychologischen Anteile des reformierten Studiengangs auf personelle Engpässe stoßen. Obwohl das Wissenschaftsministerium darüber unterrichtet ist und die Studiengänge jetzt im Herbst starten, wird es erst mittelfristig eine Überprüfung der Personalsituation geben. Das heißt, das Wissenschaftsministerium riskiert bei seinem bevorzugten Modell eine nicht ordnungsgemäße Durchführung des Studiengangs. Dies grenzt meines Erachtens an einen hochschulpolitischen Skandal.
Der ständige Verweis auf die bestehende Hochschulvereinbarung hilft da nicht weiter, denn eine so weitgehende Umstellung der Lehramtsausbildung war zum Zeitpunkt des Abschlusses der Hochschulvereinbarung allenfalls in Ansätzen erkennbar. Die Personalprobleme an den Hochschulen sind sicherlich vorrangig intern zu lösen; aber wenn dieser neue Studiengang nicht von Beginn an gefährdet werden soll, dann muss es zumindest zwischenzeitlich eine Unterstützung mit zusätzlichen Ressourcen geben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus unserer Sicht gibt es also in doppelter Hinsicht Handlungsbedarf für die Staatsregierung. Geben Sie den Hochschulen die notwendige inhaltliche Freiheit, indem Sie beide Modelle anerkennen, und sichern Sie die Umsetzung durch die entsprechenden Ressourcen ab! Vor dem Hintergrund eines spätestens ab 2011 auch in Sachsen wieder steigenden Bedarfs an Lehrerinnen und Lehrern ist die Zeit günstig. Versäumen Sie jetzt nicht die richtigen Weichenstellungen und stimmen Sie unserem gemeinsamen Antrag zu!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Lehrerin/der Lehrer hat es bekanntlich nicht leicht in unserer Gesellschaft.
Eine gewisse Verachtung derjenigen, die sich ein Leben lang mit Kindern beschäftigen, hat zwar schon Theodor Adorno einst festgestellt,
hinzu kommt aber heute in besonderem Maße, dass dem Lehrer bereitwillig die Verantwortung für Unterricht und Erziehung von Kindern und Jugendlichen in der Schule übertragen wird. Das Schicksal der zukünftigen Generation wird in die Hände der Lehrerinnen und Lehrer gelegt und dabei hat der angehende Lehrer zunächst einmal ein ganz handfestes Problem: Er wähnt sich schon während
Wir als Politiker haben die Aufgabe, unser Bestes zu tun, um die Position des Lehrers zu stärken, und natürlich auch, um eine exzellente Bildung der Kinder zu sichern. In der Umstrukturierung der Lehramtsausbildung, wie sie derzeit in Deutschland im Gange ist, sehe ich den richtigen Weg, Professionalisierung und Flexibilität der Lehrer in Zukunft sichern zu können.
Für uns in Sachsen ist es ganz konkret das Leipziger Modell, das in diesem Zusammenhang zu nennen ist. Das Dresdner Modell – es wurde hier auch schon vorgestellt – halte ich hingegen für nicht geeignet. Deswegen werden meine Fraktion und ich dem Antrag auch nicht zustimmen,
(Beifall des Abg. Rolf Seidel, CDU – Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Da gibt es nichts zu klatschen!)
und das aus folgendem Grund: In dem zwischen den staatlichen Hochschulen und der Sächsischen Staatsregierung geschlossenen Vertrag ist ein Splitting der Lehramtsausbildung entsprechend dem gegliederten Schulsystem formuliert. Konkret heißt das: Die Ausbildung von Grund- und Mittelschullehrern wird in Leipzig konzentriert. Daraus ergibt sich eine Konzentration der Ausbildung von Gymnasial- und Berufsschullehrern in Dresden.
Vor dem Hintergrund der geforderten europaweiten Angleichung der Universitäts- und Hochschulabschlüsse – Stichwort „Bologna“ – wurden für die Lehrerausbildung die beiden schon genannten Modelle entwickelt. Das Leipziger Modell sieht eine schulartbezogene Ausbildung vor, das Dresdner eine schulartübergreifende, schulstufenbezogene. Dies lässt sich mit dem Hochschulvertrag jedoch nicht ohne Weiteres vereinbaren. Da heißt es, dass die Lehrer für Mittelschulen in Leipzig ausgebildet werden, die Lehrer für das Gymnasium hingegen in Dresden.
Sie mögen diesen erklärenden Diskurs entschuldigen, meine Damen und Herren. Ich hielt ihn für notwendig, um Ihnen den Zusammenhang zwischen den derzeitigen faktischen Gegebenheiten und dem, was Linksfraktion.PDS und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit diesem Antrag erreichen wollen, vor Augen führen zu können. Sie möchten nämlich die Sicherung einer praxisnahen und vielseitigen Lehramtsausbildung.
Praxisnähe und Vielseitigkeit sind in meinen Augen jedoch nicht Fragen einer Alternative zwischen alterstufenbezogener und schulartbezogener Schulartausbildung. Ersteres ist vielmehr eine Frage des Curriculums, also der Inhalte des Studiums. Was ist eigentlich Vielseitigkeit in diesem Zusammenhang? – Nehmen wir an, es gibt zwei
Arten der Ausbildung entsprechend den beiden Modellen. Der angehende Student kann sich somit entscheiden, ob er eine Ausbildung möchte, die mit dem geltenden Schulgesetz kompatibel ist,
und er kann damit auch ein entsprechendes Berufsbild anvisieren. So das Leipziger Modell. Oder er entscheidet sich für eine Ausbildung, nach der er einen Abschluss bekommt, mit dem er sich in Brandenburg oder Niedersachsen bewerben kann. Sie merken schon, dass mir Letzteres nicht sonderlich schmecken kann.
Was Sie wollen, liebe Kollegen der Linksfraktion.PDS und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ist freilich auch etwas anderes: Sie möchten eine andere Schulform, als im Sächsischen Schulgesetz festgelegt, und zäumen das Pferd von hinten auf. Eine Ausbildung mit einem Abschluss, der nicht mit dem Schulgesetz kompatibel ist, bedeutet vor allem eines: Verunsicherung der Studenten anstatt Sicherung einer praxisnahen und vielseitigen Lehramtsausbildung.
Meine Damen und Herren! Ich möchte Ihnen sagen, was in meinen Augen eine Sicherung der Qualität der Lehramtsausbildung darstellt: eine engere Verzahnung zwischen bildungswissenschaftlichem, fachdidaktischem Studium und Schulpraxis, daneben eine avancierte Didaktik und Methodik. Das alles ist unter dem Schlagwort „Professionalisierung“ fassbar, das oft als Gegenbegriff zur Flexibilität verwendet wird. Es ist aber längst kein Geheimnis mehr, dass Flexibilität eine Folge von Professionalität sein kann. Es kommt eben wie so oft vielmehr auf das Ausfüllen der Struktur als auf die Struktur selbst an.