Protokoll der Sitzung vom 23.06.2006

(Beifall bei der CDU und bei der Staatsregierung)

Herr Abg. Bräunig spricht für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist in der Tat eine höchst unbefriedigende Situation, in der sich die Ausländer ohne gesicherten Aufenthaltsstatus im Freistaat Sachsen befinden. Wir sollten uns aber zunächst klar machen, welche Ausländer das eigentlich sind. Die Ausführungen meiner Vorredner waren in diesem Punkt etwas undurchsichtig. Deshalb schneide ich das noch einmal an.

Es sind in aller Regel abgelehnte Asylbewerber, über die wir hier sprechen, die nunmehr aufgrund ihres abgelehnten Asylantrages „vollziehbar ausreisepflichtig“ sind – so weit der Begriff aus dem Amtsdeutsch. Die Ausreise kann aus verschiedenen Gründen nicht vollzogen werden. Das können eine spezielle Situation im Heimatland, Probleme bei der Passbeschaffung, ungeklärte Staatsangehörigkeit, Schulausbildung der Kinder etc. pp. sein. Was passiert nun mit diesen Ausländern? Sie werden für die Zeit nach Ablehnung des Asylantrages amtlich geduldet. In der Regel wird diese Duldung für drei bis sechs Monate ausgestellt. In der Praxis bedeutet das, der Aufenthalt ist räumlich auf den Landkreis oder die Kreisfreie Stadt beschränkt, in der der Ausländer wohnt. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist erheblich erschwert. Gleiches gilt für den Zugang zum Lehrstellenmarkt. Es gibt keinen Zugang zum Arbeitslosengeld II, weil das Asylbewerberleistungsgesetz mit seinem Sachleistungsprinzip für diesen Personenkreis weiter gilt.

Bei einem Teil der Betroffenen ist tatsächlich absehbar, dass die Ausreisehindernisse in einem überschaubaren Zeitraum wegfallen, wenn zum Beispiel die zuständige Auslandsvertretung die Ausstellung eines Reisepasses zugesagt hat. In solchen Fällen ist aus meiner Sicht die Erteilung einer zeitlich befristeten Duldung mit all den Einschränkungen, die damit verbunden sind, durchaus vertretbar. Wenn wir nur solche Fälle hätten, gäbe es weniger Probleme. Nun ist es leider so, dass das Leben kompliziert ist. Es gibt eine Anzahl von Ausländern – das betrifft vor allem Familien mit Kindern, teilweise sehr vielen Kindern nach unseren Maßstäben –, die seit zehn, zwölf, 13 und teilweise 15 Jahren hier leben und trotzdem nur geduldet werden, mit all den Einschränkungen, die sich daraus ergeben und die ich eben genannt habe.

Nun gibt es Politiker, die fordern, die Ausländer mögen sich in die Gesellschaft integrieren. Da stellt sich für mich die Frage, was wir diesen Menschen im Gegenzug dafür bieten, dass sie sich hier integrieren.

(Jürgen Gansel, NPD: Wer hat denn hier die Bringschuld?)

Die Antwort ist: Nichts, meine Damen und Herren. Wir bieten ihnen nichts, null Komma nichts, obwohl wir wissen, dass diese abgelehnten Asylbewerber für einen bestimmten Zeitraum hier bleiben müssen, weil sie nicht ausreisen können. Teilweise über Jahre bieten wir ihnen keinen gesicherten Aufenthalt. Deshalb sollten wir uns davor hüten, vor allem wir als Politiker, in dem Zusammenhang von diesen Menschen Integrationsbemühungen zu verlangen, bevor wir nicht selbst unsere Hausaufgaben gemacht haben.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion.PDS, der FDP und den GRÜNEN)

Dennoch, viele dieser Familien, vor allem die Kinder, haben sich mittlerweile viel stärker in unsere Gesellschaft integriert als mancher Deutsche, der aus dem Ausland zugewandert ist. Das ist einfach ein Fakt. – So viel zur Situation.

Nun zum Antrag: Genau wie die Antragsteller sehen wir als SPD-Fraktion bzw. Koalitionsfraktionen die Notwendigkeit einer bundesweiten Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete Ausländer. Aber natürlich geht das nicht so pauschal, wie Sie das wollen. Wir brauchen vor allem im Interesse der Betroffenen verlässliche und klare Kriterien, an denen sich eine solche Altfallregelung orientiert. Dabei muss der Personenkreis, der von einer solchen Regelung erfasst werden soll, ebenso klar abgegrenzt sein wie gewisse persönliche Voraussetzungen. Das ist im Interesse der Ausländer auch geboten. Je klarer die Vorgaben einer solchen Regelung sind, umso geringer fällt der Ermessensspielraum der Ausländerbehörde aus. Damit wiederum wird sichergestellt, dass es einen bundesweit einheitlichen Standard gibt und dass bundesweit einheitliche Standards angewendet werden.

Ich kann Ihnen eines sagen: Mit zunehmendem Ermessensspielraum werden auch die Unterschiede in der Praxis der Aufenthaltsgewährung in den einzelnen Bundesländern deutlich. Ein krasses Beispiel hierfür ist der § 25 Aufenthaltsgesetz, zu dem ich gleich noch etwas sagen werde. Also, eine bundeseinheitliche Aufenthaltsregelung bleibt unser Ziel.

Trotzdem haben wir noch ein Problem, nämlich: Bis zu dieser Altfallregelung ändert sich leider nichts an der Tatsache, dass es in Sachsen eine signifikante Anzahl von Ausländern gibt, die immer wieder geduldet wird, ohne wirklich eine reelle Chance oder einen Ausblick auf ein normales Leben inmitten unserer Gesellschaft zu haben. Beispielhaft seien hier die ethnischen Minderheiten aus dem Kosovo angesprochen. Sie wissen, ich habe zwei Jahre im Kosovo gelebt und gearbeitet. Deshalb kenne ich die Situation aus erster Hand, und wir haben zum Beispiel in Sachsen Familien, die der Minderheit der Aschkali angehören, die seit zehn oder mehr Jahren in Sachsen leben. Die Kinder gehen in die Schule. Sie streben zum Teil das Abitur an.

Wie sieht die Praxis in den Ausländerbehörden aus? Die Ausländerbehörden verlängern die Duldung mit Hinweis

auf die Gespräche, die zwischen der Interimsverwaltung der Vereinten Nationen im Kosovo und der Bundesregierung geführt werden, wonach Minderheiten irgendwann wieder in den Kosovo zurückkehren, zumindest die Möglichkeit dazu erhalten sollen. Ich sage Ihnen ganz eindeutig: Der Zug ist abgefahren, meine Damen und Herren.

Ich bin wie viele andere mit einem Traum zu den Vereinten Nationen gegangen, nämlich dass wir gemeinsam im Kosovo eine demokratische und multiethnische Gesellschaft aufbauen.

(Lachen bei der NPD)

Zum Letzteren: Die multiethnische Gesellschaft wird wohl so in absehbarer Zeit nicht Realität werden. Deshalb ist es aus meiner Sicht nicht sinnvoll, wenn wir vor allem diesen Familien und diesen Kindern die Zukunft verbauen, indem wir eine wirkliche Integration in unsere Gesellschaft verwehren. Damit wäre ich wieder beim § 25 Aufenthaltsgesetz. Ich gebe zu, das ist eines meiner Lieblingsthemen.

Der Bundesgesetzgeber hat sich mit der Novellierung des Zuwanderungsrechts des Problems der langjährigen Duldungen angenommen. Es ist ja nicht so, dass es hier keine Regelungen gibt. Im § 25 Abs. 5 – ich glaube, Frau Dr. Ernst hat es schon einmal angesprochen – ist ein humanitäres Aufenthaltsrecht bei Ausreisehindernissen festgeschrieben. Es ist eben genau das beschriebene Problem, dass Duldungen um drei bis sechs Monate verlängert werden, und das viele, viele Jahre; deshalb auch der Begriff „Kettenduldung“. Dieses Problem sollte dadurch gelöst werden. Wie sieht nun die Praxis in der Bundesrepublik Deutschland aus?

Die Rechtsprechung ist noch sehr jung und es gibt auch noch keine höchstrichterlichen Urteile. Es ist ja auch erst zum 01.01.2005 in Kraft getreten. In Literatur und Rechtsprechung wird in diesem Zusammenhang die so genannte Verwurzelungstheorie vertreten, nach der im Prinzip mit zunehmender Aufenthaltsdauer die Integration immer stärker wird, bis schließlich und letztlich eine Rückkehr der Ausländer in ihre Heimat unzumutbar geworden ist. Man nimmt das an, wenn die Ausländer faktisch wie Inländer leben und vor allem die Kinder kaum noch Sprach- und Schriftkenntnisse in der Muttersprache besitzen.

(Jürgen Gansel, NPD: Wir haben ein Drittel Türken in Deutschland!)

Demzufolge ist die Anwendung des § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz in einigen Bundesländern durch Erlass an die Ausländerbehörden geregelt. Das ist in den Bundesländern Berlin, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz der Fall.

Wenn ich jetzt wieder auf unsere Aschkali-Familie zurückkomme, dann sage ich, in diesen Ländern hätten sie bereits eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. In Sachsen besteht ein solcher Erlass nicht, woraus folgt, dass die

Ausländerbehörden bei uns diesen Paragrafen nicht anwenden. Im Freistaat Sachsen bleibt im Moment weiterhin leider nur der beschwerliche Weg über die Härtefallkommission oder das Petitionsverfahren. Aber, meine Damen und Herren, ich glaube nicht, dass das eine ernsthafte Lösung für die Zukunft sein kann. – Jetzt sind meine Aufzeichnungen zu Ende.

(Beifall bei der CDU)

Wenn es der politische Wille der Mehrheit dieses Hauses ist, glaube ich, dass wir auch in Sachsen im Hinblick auf die Auslegung des Aufenthaltsgesetzes zu einem Kompromiss kommen können, unabhängig von den Forderungen des Antrages.

Zusammenfassend gesagt: Die SPD-Fraktion bekennt sich zur Notwendigkeit einer Altfallregelung, aber wir wollen natürlich klare Kriterien formulieren und werden Ihrem Antrag gern zustimmen, allerdings nur in der Form der Änderungsfassung, die die Koalitionsfraktionen vorschlagen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Für die NPD ist Herr Leichsenring gemeldet.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die entscheidende Zielrichtung lesen wir im Punkt 1 des Antrages. Die Linksfraktion.PDS möchte eine bundeseinheitliche Regelung, dass langjährig geduldete Ausländer ein dauerhaftes Bleiberecht bekommen. Außerdem wünscht man noch ein dauerhaftes Bleiberecht für jene Ausländer, deren Kinder hier geboren wurden. Bekommen wir das Land nicht voll genug? Ich kann Sie nicht verstehen. Wissen Sie, wenn die FDP über die Öffnungszeiten von Waschanlagen an Sonntagen spricht, dann muss man nicht unbedingt dieser Meinung sein, aber man kann es zumindest nachvollziehen. Wenn die GRÜNEN über Atomkraft oder Gentechnik sprechen, muss man nicht einer Meinung sein, aber man kann es nachvollziehen. Aber ich kann nicht nachvollziehen, was die Linksfraktion.PDS hier will.

Wir haben 15,3 Millionen Ausländer im Land. Das sind 19 %. Das ist immer noch nicht genug?

(Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS: Wir reden nicht über Deutschland, sondern über Sachsen!)

Gut, reden wir über Sachsen. Die Zeitung „Die Welt“ hat am 22.04.2006 die Untersuchung des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld veröffentlicht, also keine Vorfeldorganisation der NPD, wie ich vermute. Und diese Studie besagt, dass die Mehrzahl der Sachsen der Meinung ist, dass zu viele Ausländer in Deutschland leben. 65,4 % der Sachsen empfinden so. Fast jeder zweite Sachse ist der Meinung,

(Zurufe von der Linksfraktion.PDS)

dass Ausländer zurückgeführt werden müssen, wenn Arbeitsplätze für Deutsche frei werden. Ich weiß, dass das eine andere Klientel ist.

Die Linksfraktion.PDS kennt die angespannte Lage in Deutschland und auch in Sachsen. Die Linksfraktion.PDS kennt die gigantischen finanziellen Belastungen durch abgelehnte Asylbewerber.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Mir kommen die Tränen!)

Sie haben den Haushalt doch mit beschlossen. Sie wissen, was darin steht.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Wir kürzen Ihre Diäten!)

Diese ungebetenen Gäste sollen laut Antrag der Linksfraktion.PDS einen Duldungsstatus erhalten. Warum?, fragt man sich. Was bezwecken Sie? Jeder Ausländer, dem es gelingt, eine deutsche Frau zu schwängern, darf dauerhaft bleiben. Einreisende Schwangere dürfen bleiben.

(Zurufe von allen Fraktionen – Glocke des Präsidenten)

Sie alle erhielten Bleiberecht, wenn der Antrag der Linksfraktion.PDS geltendes Recht würde. Da können Sie noch so geifern, wie Sie wollen. Das steht schwarz auf weiß in dem Antrag. Schon jetzt landen ganze Flotten von Booten an Europas Küsten. Das befördern Sie ja noch, wenn Sie eine noch ausländerfreundlichere Politik machen wollen. Nein, Sie wissen das alles und Sie wollen das auch alles!

Sie gehören ja nicht einmal zu denen, von denen man sagen könnte, sie wissen nicht, was sie tun.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Nein, Sie kümmern sich um alle Mühseligen und Beladenen dieser Welt, nur nicht ums eigene Volk. Was Ihnen das eigene Volk wert ist, haben wir erst bei den Ausfällen von Frau Bonk gesehen.

Wenn man die Abstimmung, die in der Linksfraktion.PDS zu diesem Thema stattgefunden hat, sieht, weiß man, dass das keine Einzelmeinung in der Linksfraktion.PDS ist. Es ist ganz interessant, dass das keine Einzelmeinung ist. Es gab eine Abstimmung darüber in der Linksfraktion.PDS.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Sie verwechseln die Farbenlehre mit Menschlichkeit!)

Ach, wissen Sie, Sie sagen immer: Alle Menschen sind Ausländer fast überall. Das ist ja Ihr Leitspruch. Wir setzen unseren dagegen: Ja, alle Menschen sind Ausländer, nur dort nicht, wo sie hingehören!

(Beifall bei der NPD – Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Die Linksfraktion.PDS weiß auch, wir sind in Sachsen nicht einmal in der Lage, unseren eigenen Landsleuten, nämlich den Sachsen, hier in Sachsen Arbeit und Brot zu geben. Es gibt Abwanderungen, es gibt Armut. Aber die