Protokoll der Sitzung vom 21.07.2006

Herr Lichdi, wenn Sie meiner Rede weiter folgen, werden Sie feststellen, dass ich auf diesen Aspekt noch eingehe.

Ich bedanke mich herzlich.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Er ist sehr ungeduldig!)

Damit eines klar ist: Ich bin nicht grundsätzlich gegen Verbote, um Sucht oder andere Folgen zu bekämpfen. Aber der Schutz der Gesundheit Dritter muss natürlich geachtet werden und gewährleistet sein. Doch auch hier gibt es Grenzen. Wenn man alle Freizeiteinrichtungen und öffentlichen Plätze für rauchfrei erklärt, verlagert sich die Problematik einfach in den privaten Bereich. Dort sind vor allen Dingen Familienangehörige und die Kinder die Betroffenen.

Wenn man per Polizeiverordnung ein Trinkverbot von Alkohol auf öffentlichen Plätzen erlässt und das Mitführen von Alkohol verbietet, dann hat man diese Problematik zwar aus dem öffentlichen Blickfeld entfernt, aber noch lange nichts zur Prävention getan.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Zurück zu den vorliegenden Anträgen. Ich bin froh, dass mit diesen Anträgen der richtige, wenn auch schwierige Weg der Prävention und Nachsorge unterstützt werden soll. Den Worten müssen jetzt aber auch Taten folgen. Die Haushaltsverhandlungen stehen bevor und aufgrund der steigenden Anzahl von Drogenkonsumenten, insbesondere des deutlichen Anstiegs der Anzahl der Erstkonsumenten von harten Drogen, muss dies eine finanzielle

Untersetzung dieser Problematik nach sich ziehen. Wir dürfen und sollten uns nicht vor der Verantwortung drücken.

In diesem Zusammenhang ist der Antrag zur Erstellung eines Drogen- und Suchtberichtes zu sehen, dem wir ebenfalls zustimmen werden.

Am Ende meiner Rede möchte ich noch an alle, insbesondere an uns Abgeordnete, appellieren, weniger mit Verboten, sondern mehr mit dem gutem Beispiel und dem eigenen Vorleben Sucht zu bekämpfen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Ich erteile der Fraktion GRÜNE das Wort. Frau Herrmann, bitte.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sucht kommt von Suche. Wir alle suchen Erfolg, wir suchen Glück, wir suchen Belohnung. Sucht wird gelernt: Wie komme ich am erfolgreichsten zu einer Belohnung? – Wie wir die Süchtigen beurteilen, hängt stark davon ab, wie wir die Folgen ihrer Sucht bewerten. Workaholics finden wir meist prima. Menschen mit Essstörungen machen uns betroffen. Von Rauchern und Alkoholikern fühlen wir uns belästigt. Aber am meisten Angst machen uns schneller wirkende stoffliche Substanzen, weil hier der Weg vom riskanten Konsum zur Abhängigkeit am kürzesten zu sein scheint.

Wichtiger als die Bewertung, die immer noch den Umgang mit Drogen bestimmt, ist unserer Meinung nach die Erkenntnis, dass die Wirkung von Drogen davon abhängt, dass sich Menschen von ihnen Glück und Erfolg versprechen. Diese Orientierung steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Selbstwertgefühl, dem Gefühl, erfolgreich zu sein und sich dadurch wohl zu fühlen.

Deshalb ist es richtig, dass die Staatsregierung den Schwerpunkt der Präventionsbemühungen auf die Entwicklung und Stabilisierung von Lebenskompetenzen legt. Die wichtigste Prävention, liebe Kolleginnen und Kollegen, beginnt nicht mit der Aufklärung über Drogen- und Suchtgefahren, über Suchtformen oder geschlechtsspezifische Risiken und Konsummuster, wie der Antrag in Drucksache 4/4268 der Koalition zur Stärkung der Suchthilfe in Sachsen formuliert.

Die Stellungnahme der Staatsregierung macht darauf aufmerksam, dass der Schwerpunkt auf das möglichst frühe Kindesalter gelegt werden muss. Suchtprävention muss in der Kita mit der Umsetzung des Sächsischen Bildungsplanes beginnen. Die beste Prävention ist die umfassende Bildung im Sinne des Bildungsplanes, und zwar vom ersten Jahr an. Dabei geht es zum Beispiel um das altersgerechte Erlernen von Konfliktlösungsstrategien, seien es Konflikte mit anderen Kindern, seien es Konflikte mit Erwachsenen. Vor allem aber sollen Kinder lernen können, dass sie selbst für andere wichtig sind, so wie sie sind, und dass es Spaß macht, mit diesem So-Sein die Welt zu erkennen und Einfluss zu nehmen. Sie sollen

vom ersten Jahr an lernen: Ich kann etwas bewirken und das erfüllt mich mit Stolz; Erfolg kann ich aus meiner Kraft heraus haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Betreuungsschlüssel in der Kita muss diese individuelle Förderung möglich machen. Das ist die beste und effektivste Primärprävention auch gegen Sucht.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Kerstin Nicolaus, CDU)

Auf folgende Punkte sollte im Drogen- und Suchtbericht eingegangen werden:

Schwangere und drogenabhängige Frauen und Mütter: Ihr Anteil an den drogenabhängigen jungen Erwachsenen wächst. In der Großen Anfrage der Linksfraktion.PDS werden zirka 100 angenommen, mit vielen Fehlmeldungen und ohne Entwicklungstendenz. Von Dresden wissen wir, dass der Anteil Schwangerer an den jungen drogenabhängigen Frauen, die zur Suchtberatungsstelle kommen, immer größer wird. Die Beratungsstelle schätzt dabei ein, dass viele Kontakte zu betroffenen jungen Frauen noch immer nur zufällig entstehen. Diese Entwicklung muss viel deutlicher in unseren Blick rücken, weil die Folgeprobleme dramatisch sein können. Junge Schwangere können durchaus in der Phase der Schwangerschaft aus Vernunft heraus abstinent sein, aber oft hält diese Abstinenz nicht lange an, wenn das Kind geboren ist und Schwierigkeiten auftreten. Unter Drogen sind die jungen Mütter nicht in der Lage, eine Beziehung zu ihrem Kind aufzubauen. Selbst wenn sie es schaffen, dass das Kind satt, sauber und gepflegt ist – diese Kinder sind einer ganz akuten Gefahr von massiven Entwicklungsstörungen ausgesetzt, und auch diese Kinder brauchen ihre Mütter.

Kinder von suchtkranken Eltern: Kinder von suchtkranken Eltern haben ein ganz erhebliches Risiko, selbst süchtig zu werden. Wenn nicht ganz sensibel auf ihre Situation eingegangen wird, machen sie nämlich ähnliche Erfahrungen wie ihre Eltern: Ausgrenzung, Abscheu, Ablehnung. Ihnen wird nichts zugetraut und in der Folge trauen sie sich selbst nichts mehr zu. Deshalb brauchen diese Kinder und ihre Eltern eine besondere Aufmerksamkeit kompetenter Erzieherinnen.

Ein Thema, das im Allgemeinen ausblendet wird, ist Sucht im Alter. Sucht ist nicht nur ein Thema der Jugend und der Lebensmitte. Auch die Suchtgefahr bei älteren Menschen nimmt zu und wird kaum thematisiert. Auch hier ist der Auslöser meist eine Überforderung. Eine Krise muss gemeistert werden, und wenn keine andere Belohnung zu erwarten ist, dann kann die Droge Alkohol oder Medikament ersatzweise einspringen.

Weil so viele Entwicklungen nicht bekannt sind, unterstützen wir ausdrücklich den Antrag der Koalition in Drucksache 4/5258 mit der Forderung nach einem umfassenden sächsischen Drogen- und Suchtbericht, in dem auch Maßnahmen der Suchtprävention weiterentwickelt werden sollen.

Sucht hat mit Erfolg und Belohnung zu tun. Da Mädchen und junge Frauen und Männer verschiedene Erfolge suchen und sich unterschiedliche Belohnungen wünschen, ist Sucht ganz offensichtlich ein geschlechtspezifisches Thema. Warum sind denn zwei Drittel der Drogenabhängigen männlich? Das ist eine Frage, die man sich im Drogenbericht von Nordrhein-Westfalen stellt und die auch wir behandelt wissen wollen. Es muss auch etwas mit den Perspektiven von jungen Männern zu tun haben, vielleicht mit dem Druck, nur durch Leistung und Beruf eine Lebensperspektive haben zu können und gleichzeitig für ebendiese Perspektive schlecht gerüstet zu sein.

Wie wichtig die beruflichen Chancen aber sind, zeigt sich unter anderem auch an der Korrelation von Schulabschluss bzw. Berufsausbildung und Suchtverhalten. Man kann sagen, dass mit wachsendem Schulerfolg weniger Ersatzbefriedigung mittels Drogen gesucht wird. Von 100 % der Klienten der Suchtberatungsstellen haben 67 % die Hauptdiagnose Alkoholiker. Allein 56 % fallen auf die Gruppe mit dem Abschluss Realschule. Bei den anderen substanzbezogenen Diagnosen fallen die Spitzenanteile von 30 bis 40 % eher auf die Gruppe mit niedrigem Schulabschluss.

Ein ähnliches Bild zeigt die Korrelation zur Berufsausbildung. Harte Drogen korrelieren mit nicht abgeschlossener Berufsausbildung. Deshalb ist die Verzahnung von Langzeittherapie mit Ausbildung zu modularen Teilberufsabschlüssen, wie sie zum Beispiel an der Therapieeinrichtung „Alte Flugschule“ in Großrückerswalde entwickelt wurde, nicht hoch genug einzuschätzen. Es geht nicht nur um Entwöhnung – das ganze Leben muss neu gestaltet werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sagte es schon: Sucht hat mit Suche zu tun, mit der Suche nach einem Lebenssinn und nach dem eigenen Platz in der Gesellschaft. Die Entwicklung der Abhängigkeit von Ersatzbefriedigung ist damit auch ein Spiegel der Entwicklungschancen und der Teilhabe aller.

Wir befürworten die beiden heute vorliegenden Anträge, obwohl uns der Antrag in Drucksache 4/4268 etwas zu kurz gesprungen vorkommt.

Zum PDS-Antrag möchte ich sagen, dass viel Mühe aufgewandt wurde, um zu präzisieren, was im Suchtbericht erscheinen soll. Aber auch uns erscheint der Zeitraum von zwei Jahren willkürlich gewählt. Wir können nicht immer mehr Aufgaben an die Verwaltung und an die Ministerien delegieren, wenn wir gleichzeitig dort Personal abbauen wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich denke, wir sollten den ersten Bericht abwarten und dann sehen, wie das weitere Vorgehen gestaltet werden sollte.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Frau Nicolaus.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich sehr gefreut, dass Sie, Frau Klinger – Sie haben ja für Ihre Fraktion gesprochen –, auf unsere Linie eingeschwenkt sind. Vor über einem Jahr haben wir von Frau Bonk ganz andere Töne gehört. Wir sind sehr glücklich, wenn Sie in unserem Schlepptau sind. Das ist ganz wunderbar.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der Linksfraktion.PDS)

Mir geht es darum, dass einige Dinge hier noch einmal klargestellt werden. Es wurde gesagt, wir würden nur auf Prävention abzielen. Diese Prävention gliedert sich ja in drei Teile: in die Primärprävention, in die Sekundärprävention und in die Tertiärprävention.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf die Primärprävention – da danke ich Elke Herrmann für ihren Beitrag – richten wir unser Hauptaugenmerk, darauf, die Kinder, die Jugendlichen zu stärken, die Kinder von Kindesbeinen an mit ihren Eltern gemeinsam stabil zu halten.

(Beifall bei der CDU und der Staatsministerin Helma Orosz)

Ja, das ist einen Applaus wert. – Wir dürfen auch den Eltern danken, dass dies so sein kann. Aber es bedarf auch der gesellschaftlichen Unterstützung, das ist überhaupt keine Frage.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Nur wenn wir es hinbekommen, dass die Kinder in ihrer Persönlichkeit stabil sind, dann wehren sie Suchtgefahren ab, auch im jugendlichen Alter. Hier müssen wir unterscheiden – darauf komme ich dann noch einmal –, was die illegalen Drogen anbetrifft.

Primärprävention bedeutet, der Ansatz erfolgt so früh wie möglich, und wenn Früherkennungen möglich sind, wenn Suchtgefahren erkennbar sind, zusätzlich auch eine präventive Maßnahme einzusetzen.

Sekundärprävention bedeutet, dass der Betreffende schon süchtig ist, egal ob alkoholabhängig oder von illegalen Drogen abhängig. Das bedeutet stationären Aufenthalt oder – je nachdem – eine Beratung in der Suchtberatungsstelle.

Die Tertiärprävention setzt dann an, wenn die Sekundärprävention abgeschlossen ist. Es ist eine Nachsorge in den jeweiligen Behandlungen der Rehabilitation oder in den Arbeitsprojekten, die schon benannt worden sind.

Aber es bedeutet auch Repression, gerade was den Strafvollzug anbetrifft, Repression im Bereich illegaler Drogen, sodass auch diese Ansätze gewählt werden müssen. Das sind nicht die populären Ansätze, aber auch diese Ansätze müssen hier mit angeführt werden, meine sehr verehrten Damen und Herren.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal ansetzen. Der Bereich illegaler Drogen betrifft vornehmlich Jugendliche, junge Erwachsene, zumindest in den neuen Bundesländern, weil sich mit der Wende die Gesellschaft geöffnet und der illegale Drogenkonsum in den neuen Bundesländern zugenommen hat. Ich will nicht sagen, über sie hineingebrochen ist, aber zumindest gab es Strömungen, die sich hier verfestigt haben. Wir haben jetzt fast das Niveau der Altbundesländer erreicht, was den Prozentsatz an von illegalen Drogen Abhängigen betrifft. Das ist ein beklagenswerter Zustand. Wir können dem nur alle gemeinsam entgegentreten.

Ich stehe dazu, dass wir in diesem Hohen Hause keine Verniedlichung von illegalen Drogen vornehmen dürfen. Vielmehr müssen wir alle Kraft dafür einsetzen, diese illegalen Drogen zurückzudrängen. Wir müssen auch Obacht geben, dass man nicht sagt: Cannabis ist nur eine Gebrauchsdroge und es ist nicht ganz so schlimm. – Es ist eine Einstiegsdroge, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU und des Abg. Matthias Paul, NPD)