Protokoll der Sitzung vom 13.10.2006

haben Sie mir nie erklärt. Ich möchte einfach wissen, wie Sie genau dazu kommen. Ist Ihnen, nebenbei bemerkt, schon einmal aufgefallen, dass aus Kleinstkindern unter Umständen Schulkinder werden?

(Staatsminister Dr. Albrecht Buttolo: Entschuldigung, ich habe das schon festgestellt!)

Wird deren erfolgreicher Schulabschluss schlimmstenfalls ein Abschiebegrund? Denn Sie haben diejenigen definitiv nicht in Ihrem Landtagsauslegungsbeschluss bedacht – auch nicht die Azubis, obwohl Sie gesagt haben, sie seien irgendwie dabei; sie stehen nicht drin.

Was, Herr Innenminister, wird aus den minderjährigen Flüchtlingen, die unbegleitet hierhergekommen sind? Das ist offen. Genau sie sind die am meisten Schutzbedürftigen, weil nämlich die Konvention hier noch nicht einmal für sie ausgelegt wird, weil die EU-Kinderrechtskonvention in diesen Teilen von Deutschland nicht ratifiziert wurde. Mit 16 Jahren wandern sie ab ins Asylbewerberheim und sind dann irgendwie unter Erwachsenen; das habe ich jetzt erst erlebt.

Wie können Sie, Herr Innenminister Buttolo, angesichts solcher Dinge ruhigen Gewissens von einem Kompromiss sprechen? Das verstehe ich nicht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, circa 150 000 der 200 000 Menschen, die ohne gesicherten Aufenthaltsstatus hier leben, leben seit acht Jahren und länger hier. Ich kenne eine Familie, die seit 16 Jahren hier lebt – mehr als mancher Ministerialbeamter aus dem Westen, wenn ich das einmal erwähnen darf.

(Zurufe der Abg. Rita Henke, CDU, und Jürgen Gansel, NPD)

Dennoch würde diese Familie nach Ihrer Rechnung, Herr Innenminister, nicht anerkannt werden. Die haben keinen eigenen Wohnraum, wohnen im Asylbewerberheim und nur einer hat Arbeit – sie können also ihren Lebensunterhalt nicht selbstständig decken. Trotzdem wird diese Familie, obwohl sie schon so lange hier lebt, nicht abgeschoben. Sie können sie nämlich gar nicht abschieben, weil sie einer Minderheit angehören und dort, wo sie hin müssten, Verfolgungen ausgesetzt werden würden. Was passiert also? Sie leben in diesem Schwebezustand der Duldung.

Ich frage Sie: Wollen Sie, dass Zigtausende Menschen weiter so leben? Machen Sie sich damit nicht mitschuldig daran, dass der unselige Zustand der Kettenduldungen, der für viele Flüchtlinge einen Albtraum auf gepackten Koffern darstellt, nicht aufhört? Alle sagen, die Kettenduldung muss abgeschafft werden. Das ist ja prima, aber so praktizieren Sie es nicht. Bitte vergegenwärtigen Sie sich, warum das so ist, warum wir hier mit 200 000 Menschen leben, die praktisch geduldet sind und keinen rechtmäßigen Aufenthalt haben.

Welchen Weg hat denn das Asylrecht in Deutschland genommen? Das Grundgesetz von 1949 beinhaltete als

Lehre aus dem Nazismus unter anderem die Gewährung eines liberalen Asylrechts,

(Jürgen Gansel, NPD: Für politisch Verfolgte, nicht für Asylparasiten!)

später untersetzt durch die Genfer Flüchtlingskonvention. Bis weit in die Sechzigerjahre – ich möchte daran erinnern – kamen Flüchtlinge aus den Ostblockstaaten in die Bundesrepublik. Ihre Anerkennungsquote lag zwischen 50 und 80 %. Ab den Siebzigerjahren wandelte sich das Bild. Zum einen war die Wirtschaft aufgebaut und außerdem kamen andere Flüchtlinge nach Deutschland, nämlich aus der sogenannten Dritten Welt. Seither begann der Wandel im Asylrecht, der 1993 in den unseligen Asylkompromiss – der ebenso kein Kompromiss, sondern eine Verschlechterung war – gemündet ist.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Situation war aufgrund des Flüchtlingsstromes aus Ex-Jugoslawien zustande gekommen. Bürgerkriegsflüchtlinge waren in sehr großer Zahl hierhergekommen. Das wurde ausgenutzt und die sogenannten Kompromissparteien – im Übrigen außer der PDS und den GRÜNEN – haben das Asylrecht verschlechtert. Seitdem gibt es Abschottungspolitik, Zwangshaltung in Massenquartieren, Abschiebegefängnisse, Asylbewerberleistungsgesetz; später kamen die sogenannte Drittstaatenregelung und die Verschärfung der Anerkennung als Flüchtling hinzu.

Es sieht doch wie folgt aus: Wer als Flüchtling anerkannt werden will, der muss faktisch mehr oder weniger Verfolgung oder Folter direkt nachweisen; er braucht amtliche Papiere dazu. Wie soll denn das laufen? Die meisten können natürlich einen solchen Nachweis nicht beibringen, weil er nicht zu führen ist. Und selbst wenn sie ihn führen können, selbst wenn sie als Flüchtling anerkannt werden, gibt es viele, denen dieser Flüchtlingsstatus wieder aberkannt wird; das kommt noch dazu.

So passiert das völlig Absurde: dass zum Beispiel eine Iranerin, die aus politischen Gründen mit ihrer Familie aus dem Iran geflüchtet ist, weder anerkannt noch abgeschoben wird. Man kann sie auch nicht abschieben. Sie lebt also viele, viele Jahre in diesem Asylbewerberheim, sie kann ihren Beruf nicht ausüben, es gibt keine Anschlussqualifikation usw. und schon gar keine Tätigkeit. Das ist der Zustand von so vielen Menschen hier in Deutschland.

Ein letztes Beispiel möchte ich nennen, wie mutig wir doch hier in diesem Hause sind: Seit ungefähr einem Jahr liegt ein von uns, den GRÜNEN und der FDP eingebrachter Abschiebestoppantrag, der unter anderem den Abschiebestopp für afghanische Staatsbürger fordert, im Ausschuss. Keiner von der Koalition traut sich, ihm zuzustimmen; keiner von der Koalition traut sich, ihn abzulehnen. Also ist auch dies in der Schwebe.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Duldung heißt das!)

Duldung nennt man das. Und zugleich passiert es, dass Afghanen – nämlich alleinstehende – sehr wohl abgeschoben werden. Ich kenne eine Anwältin in Dresden, die de facto per Eilantrag vier Afghanen aus dem Flieger oder aus dem Polizeiauto herausgeholt hat.

Meine Damen und Herren! Um nicht missverstanden zu werden: Auch ich bin der Ansicht, dass wir mit dem deutschen Asylrecht nicht die Probleme der Welt lösen können. Deutschland betreibt eine verfehlte Entwicklungspolitik; Fluchtursachen sind vor Ort, nicht hier zu lösen. Aber wenn wir noch nicht einmal das tun, was wir hier tun können – im Übrigen wird das Bleiberecht, egal wie es im Groben geregelt wird, landesspezifische Regelungen zulassen –, dann verfehlen wir die Ziele gänzlich.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was wir wollen, lässt sich in fünf Punkte fassen:

Erstens. Die im Landtagsbeschluss beschlossenen Kriterien dürfen nicht restriktive Ausschlussgründe sein und nur als solche behandelt werden.

Zweitens. Die Dauer des Aufenthalts von Asylsuchenden muss irgendwo eine Rolle spielen. Fünf Jahre sagen wir; mit sechs Jahren kann ich auch leben. Das ist nicht mein Hauptproblem. Aber die Aufenthaltsdauer muss eine eigenständige Berücksichtigung finden.

Drittens. Wir wollen keine Begrenzung auf Familien mit schulpflichtigen Kindern. Wichtig sind die minderjährigen Flüchtlinge, die allein hergekommen sind. Dazu muss es eine Regelung geben. Das lege ich Ihnen sehr ans Herz.

Viertens. Der Bezug öffentlicher Leistungen darf kein Ausschlusskriterium sein.

Fünftens. Wir wollen eine gesetzliche Regelung von Altfällen; denn wir werden sie immer wieder brauchen. Insofern ist eine gesetzliche Regelung der sichere Weg.

Meine Damen und Herren! Kompromisse sind eben nicht immer gleich Kompromisse, vor allem dann nicht, wenn man keine Lösungen anbietet. Deshalb lohnt es sich, heute noch einmal darum zu kämpfen. Das tun wir auch.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich möchte an den Beschluss dieses Hohen Hauses vom Juni dieses Jahres anknüpfen. Sie haben damals einem Änderungsantrag der CDU- und der FDP-Fraktion zugestimmt, in dem die Staatsregierung aufgefordert wird, sich bei der Bleiberechtsregelung entsprechend zu verhalten.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Immer noch CDU und SPD, nicht FDP!)

CDU und SPD.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Sie haben „FDP“ gesagt!)

Dann bitte ich das zu entschuldigen. Ich meinte auf jeden Fall die Koalitionsfraktionen.

Wir als Staatsregierung haben dem Landtag auf diesen beschlossenen Antrag die entsprechende Antwort gegeben. Meine Positionierung in der Öffentlichkeit möchte ich heute, wie schon beim letzten Mal im Landtag, als durchaus konform mit den Festsetzungen in diesem Antrag bezeichnen.

Was habe ich getan? Frau Ernst, wenn Sie mich fragen, ob ich ruhig schlafen könne, dann möchte ich zurückfragen: Können Sie das auch? Sie wissen – ich habe es Ihnen mehrfach erläutert –, wie das mit dem Kompromiss gemeint ist. Sie tun so, als hätten Sie das nie gehört. Sie sollten also wirklich darüber nachdenken, ob auch Sie ruhig schlafen können, wenn Sie sich so in der Öffentlichkeit darstellen.

Sie wissen, dass die Innenministerkonferenz Beschlüsse nur einstimmig fassen kann; ansonsten gibt es keine Beschlüsse. Zu Fragen des Bleiberechts ist die Bandbreite der Positionen sehr groß: von der Position, möglichst keiner solle bleiben, bis hin zu der Position, möglichst alle sollten bleiben.

Mein Bestreben im August war es, in die Diskussion zwischen diesen Extrempositionen mit einem Vorschlag zu gehen, der das Gros der Problemfälle beinhaltet. Ich bin meinem Kollegen Schünemann dankbar, dass er einen ähnlichen Vorschlag wie ich formuliert hat.

In meinem Vorschlag stehen die Kinder im Mittelpunkt. Warum? Sie hatten bewusst danach gefragt, wieso ich Familien mit Kleinstkindern oder Familien ohne Kinder eine Reintegration in die Länder, aus denen sie ursprünglich kommen, zumute, aber Familien mit Kindern, die die Schule besuchen, nicht. Ganz einfach: Ich versuche mir die Chancen klarzumachen, die diese Kinder, die hier in die Schule gehen, in ihrem ursprünglichen Heimatland hätten. Uns sind Fälle vorgetragen worden, dass jemand über mehrere Jahre, bis hin zum Gymnasium, die Schule besucht hatte und dann aufgrund der geltenden Rechtslage ausgewiesen wurde. Ich bin in der Tat der Meinung, dass man diesen Kindern, ihren Familien bzw. den Alleinerziehenden dieser Kinder die Chance einräumen sollte, weiterhin in der Bundesrepublik Deutschland zu leben; denn wenn sie hier die Schule besucht haben, wären ihre Voraussetzungen ungleich schlechter, wenn sie in ihr Heimatland zurückgehen müssten.

Frau Herrmann, Sie haben weiterhin gefragt, weshalb das Verhalten der Behörden beim nicht selbst verschuldeten Sozialhilfebezug angeführt wurde. Ganz einfach: Wenn Asylbewerber keine Arbeitserlaubnis erhalten, laufen sie im Prinzip im Kreis. Sie können nicht arbeiten, brauchen also Sozialhilfe. Dieser Kreislauf muss durchbrochen werden. Das ist aber nicht Landesrecht, sondern Bundes

recht. Wenn es zu einer Bleiberechtsregelung kommt, wird es auch dazu eine Lösung geben müssen.

Lassen Sie mich an dieses Hohe Haus einen Appell richten: Wenn Sie heute dem Antrag folgen und mir bindende Vorgaben für meine Verhandlungsposition auf der nächsten Innenministerkonferenz machen, passiert Folgendes: Ich kann mich dann mit hoher Wahrscheinlichkeit an verschiedenen Stellen in der Innenministerkonferenz nicht positionieren und mich nicht hinter die Vorstellungen meiner Kollegen stellen. Das bedeutet im Klartext, dass ich den geplanten Festsetzungen nicht zustimmen könnte. Ich erinnere daran, dass die Innenministerkonferenz nur einstimmig beschließen kann. Unter dem Strich könnte es also keine Bleiberechtsregelung geben. Ich weiß nicht, ob Sie das wollen.

Ich bitte Sie daher, meine sehr verehrten Damen und Herren, diesen Antrag abzulehnen und darauf zu vertrauen, dass ich mir sehr wohl darüber im Klaren bin, was ich meinem sozialen Gewissen schuldig bin, wenn ich in der Innenministerkonferenz über das Bleiberecht in der Bundesrepublik Deutschland mit zu entscheiden habe.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Für die CDUFraktion erhält Herr Seidel das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte für die CDU-Fraktion zu dem vorliegenden Antrag „Schaffung einer humanitären Bleiberechtsregelung für langjährig in der Bundesrepublik Deutschland lebende Flüchtlinge“ reden. Meine Damen und Herren! Wir haben in unserem Landtagsbeschluss den Herrn Innenminister aufgefordert, sich auf der IMK-Ebene für eine humanitäre Bleiberechtsregelung einzusetzen. Wir haben ferner gefordert, dass diese Bleiberechtsregelung klaren, nachvollziehbaren Kriterien genügen müsse. Dies tut sein Kompromissvorschlag für diese Innenministerkonferenz. Wir haben in unserem Beschluss beispielhaft vier Kriterien genannt, die aus der Sicht des Landtages für die konkrete Ausgestaltung ebendieser Altfallregelung infrage kommen. Diese Kriterien liegen Ihnen vor. Ich meine, ihnen genügt der Kompromissvorschlag unseres Innenministers zur anstehenden Konferenz vollkommen.

Meine Damen und Herren, es mag sein, dass Ihnen dieser Kompromissvorschlag nicht weit genug geht und dass Sie den Beschluss, den wir in unserer Juni-Sitzung gefasst haben, gern anders interpretiert sehen möchten; Frau Dr. Ernst hat es gerade so dargestellt. Genau hierin besteht aber das Problem. Der Beschluss ist von uns bewusst nicht im Detail ausformuliert. Dass die Interpretation durch den Innenminister gegen den Beschluss verstoßen würde, vermag ich nicht zu erkennen. Diesen Vorwurf, der hier mündlich vorgetragen wurde und der auch im Antrag steht, möchte ich deshalb ausdrücklich zurückweisen.

(Beifall bei der CDU)