Protokoll der Sitzung vom 14.12.2006

Eine Wirtschaftsordnung, die sich anders als eine soziale Marktwirtschaft darstellt, wäre mit unserem Freiheitsverständnis, auch individuellen Rechten, auch der Eigentumsgarantie, nicht vereinbar.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Artikel 15 Grundgesetz hat ein historisches Herkommen. Dieser Artikel ist – das kann man sagen – überholt, er ist niemals angewendet worden. Natürlich hat auch das Ahlener Programm der Union die Forderung nach der Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien, Grund und Boden. Ich glaube, wenn jemand aus der CDU heute manche Sätze aus dem Ahlener Programm in einem Antrag formulieren würde, hätte er flugs ein Parteiausschlussverfahren an der Backe.

(Heiterkeit des Abg. Torsten Herbst, FDP)

Aber anders als Parteiprogramme, die meistens ungelesen bleiben und manchmal in Vergessenheit geraten, ist eine Verfassung nicht zu vergessen, sondern sie bestimmt die staatliche Ordnung und hat sehr großen Einfluss auf die gesellschaftliche Ordnung. Eine Verfassung kann auch einer Verfassungslage, die faktisch seit längerer Zeit eingetreten ist, angepasst werden. Eine Verfassung lebt.

Der Artikel 15 Grundgesetz lebt nicht, er ist noch nicht auf die Welt gekommen, er ist noch nicht einmal angewandt worden. Er war das Trostpflaster, um im Jahre 1949 im Parlamentarischen Rat die Sozialdemokraten mit dem Grundgesetz und der Idee einer Marktwirtschaft überhaupt versöhnen zu können, Herr Kollege Bartl.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Bartl, bitte.

Ich ändere jetzt meine Frage. Meinen Sie, dass man heute die Sozialdemokraten nicht mehr mit der Idee der sozialen Marktwirtschaft versöhnen muss und sie deshalb streichen kann?

Nein, es ist in der Tat richtig, auch die Sozialdemokraten müssen heute ab und zu an die soziale Marktwirtschaft erinnert werden. Im Gegensatz zu manchen aus der Linksfraktion.PDS, Herr Kollege Bartl, glaube ich, haben die Sozialdemokraten das Prinzip schon verstanden.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Artikel 15 Grundgesetz ist keine Eigentumsregelung, er regelt nicht die Eigentumsverhältnisse an konkreten Gegenständen – das macht Artikel 14, der eine Sozialverpflichtung des Eigentums konstatiert.

Es gibt noch eine Zwischenfrage.

Den einen Satz möchte ich gern noch zu Ende bringen.

Ja, bitte.

Artikel 15 Grundgesetz ist eine Regelung zur Wirtschaftsordnung, eine potenzielle Regelung zur Einführung einer anderen Wirtschaftsverfassung, aber diese Regelung hat sich überholt. Sie würde heute übrigens im Widerspruch zu den Regelungen des EU-Vertrages stehen, speziell nach Artikel 98, der seine Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, ihre Wirtschaft nach dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb auszugestalten.

Herr Prof. Porsch, bitte.

Herr Kollege Martens, Ihre Rede suggeriert mir, deshalb muss ich Sie genauer fragen: Sind Sie ganz sicher, dass mit dem Eintreten der Liberalen in die Geschichte und ihrer Auffassung von Wirtschaft das Ende aller Wirtschaftsgeschichte eingeläutet ist?

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Nein, das ist nicht der Fall. Aber eines kann ich Ihnen sagen, das wesentlich sicherer ist: Wenn wir vom Ende der Geschichte im Fall des Kommunismus sprechen, bin ich mir sehr, sehr sicher.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Das habe ich mir gedacht.

Es ist keine Frage, dass es hierbei an und für sich um gute Ideen geht. Artikel 15 Grundgesetz ist Ausdruck dieser Hoffnung, man könne mit einer solchen Sozialisierung von Produktionsmitteln Frieden zwischen den Menschen schaffen. Es heißt immer, die Idee war nicht schlecht. Es wird selbst in Ihrer Partei weiter behauptet, dass der Sozialismus an und für sich ganz gut war, nur in der konkreten Ausführung, wenn es Honecker und Mielke gemacht haben, war das Ganze nicht prickelnd, sondern zum Untergang verurteilt.

Ich sage Ihnen dazu eines: Der Sozialismus/Kommunismus ist in über 80 Jahren in einem der wohl größten globalen Feldversuche an mehreren Milliarden Menschen in über 60 Staaten ausprobiert worden – zu verschiedenen Zeiten, mit verschiedenen Anläufen und Systemen, angefangen von der Oktoberrevolution bis heute in Nordkorea. Aber eines hat sich gezeigt: Er ist überall gescheitert.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Es ist also mitnichten die konkrete Ausgestaltung der Sozialisierung, die vielleicht fehleranfällig wäre. Der Fehler liegt nicht im System, der Fehler war das System!

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Prof. Dr. Porsch, bitte.

Herr Kollege Martens, könnten Sie mir vielleicht noch erklären, wo in Artikel 15 Grundgesetz all das, was Sie gerade aus der Vergangenheit zitiert haben, versteckt ist? Würden Sie nicht mit mir übereinstimmen, dass zumindest die Formulierung „zum Wohle der Allgemeinheit“ so etwas wie in Nordkorea oder anderswo verhindern würde?

Das würde es dann tun, Herr Prof. Dr. Porsch, wenn der Begriff des „Wohles der Allgemeinheit“ absolut feststehen und

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das hat etwas mit Geschichte zu tun!)

nicht jeweils einzeln in einem dialektischen Prozess – bitte merken und noch einmal nachschauen unter „Dialektik“ – festgestellt werden müsste.

(Heiterkeit bei der FDP)

Das machen wir in diesem Saal und in anderen Parlamenten. Wir ringen darum, um festzustellen: Was ist das Beste für die Allgemeinheit? Zum Glück gibt es keine Partei mehr, die im Alleinbesitz der Wahrheit ist, die weiß, wie die Gesetzmäßigkeiten der historischen Entwicklung, der Klasse der Werktätigen, der Herrschenden in diesem Land usw. auszusehen haben. Das ist vorbei. Aus und Schluss.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Das sind die Mottenfiffis der Geschichte, und Artikel 15 gehört dazu.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Artikel 15 Grundgesetz ist irrelevant. Das wissen alle, das hat sich in ganz Europa gezeigt mit Ausnahme …

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Na?)

ja, von – Ihnen. Aber das macht nichts. Es ehrt uns, dass Sie so eilig auf den Antrag der Bundestagsfraktion aufgesprungen sind, zeigt er doch, welche Durchschlagskraft Sie dem Antrag der FDP im Deutschen Bundestag beimessen. Noch bevor die Frage einer Zustimmung Sachsens im Bundesrat zu einem verfassungsändernden Gesetz ansteht, bemühen Sie uns bereits in dieser Debatte. Das ist wirklich herzerfrischend, vielen Dank. Es war sicherlich notwendig, Herr Bartl, dass wir auch darüber einmal gesprochen haben. Ansonsten noch einen schönen Tag.

(Beifall und Heiterkeit bei der FDP – Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Herr Weichert spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt Debatten, da verstehe ich weder den Anlass noch den Antragsteller. Diese Debatte ist so ein Fall. Anlassgeber ist eine Initiative der FDPBundestagsfraktion zur Streichung von Artikel 15 Grundgesetz.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: …, der wortgleich mit unserem Antrag ist!)

Dieser Artikel – so die Begründung der FDP im Deutschen Bundestag – steht dem – ich zitiere – „Erhalt einer sich dynamisch weiterentwickelnden sozialen Marktwirtschaft“ entgegen, weil unsere Wirtschaft auf Freiheit und nicht auf Vergesellschaftung baut. Jetzt kommt der Höhepunkt: „Allein die Existenz des Artikels 15 Grundgesetz stellt eine wesentliche Bedrohung der Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland dar.“

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Mir wird ganz angst!)

Frage an die FDP-Fraktion des Deutschen Bundestages: Steht in Ihrer Bedrohungsliste Artikel 15 Grundgesetz vor oder hinter Bin Laden?