Naturschutz ist in den Zeiten des Artensterbens und des Klimawandels nötiger denn je. Die Weltnaturschutzorganisation IUCN berichtet in Zahlen für 2004, dass 20 bis 30 % der Säugetiere, 12 % der Vögel und 31 % der Amphibien weltweit gefährdet sind. Manche sagen dann: „Na ja, es sind immer Tiere und Pflanzen ausgestorben.“ – Aber niemals waren es so viele auf einmal. Die derzeitige Aussterberate übertrifft die vermutete natürliche Rate um das Hundert- bis Tausendfache. Sie ist eindeutig durch menschliches Handeln verursacht.
Kommen wir zurück nach Sachsen. Auch hier spielt das Artensterben eine Rolle. Wie Sie den Antworten des Umweltministeriums zu unserer Großen Anfrage entnehmen können, sind nachweislich in den letzten 15 Jahren 14 Molluskenarten, drei Vogelarten und zwei Arten von Gefäßpflanzen ausgestorben. Das Ministerium selbst nennt diese Zahlen ausdrücklich mit dem Vorbehalt „ohne Anspruch auf Vollständigkeit“. Um Ihnen die Bedrohung der biologischen Vielfalt im Freistaat noch besser zu verdeutlichen, lasse ich die Zahlen aus dem Landesentwicklungsplan 2003 sprechen. Etwa 60 % der in Sachsen vorkommenden Biotoptypen und 49 % der Farn- und Blütenpflanzen werden als gefährdet eingestuft.
Nicht weniger prekär ist die Situation unserer einheimischen Fauna. 21 % des Artenbestandes an Fischen und Rundmäulern gelten im Freistaat als ausgestorben. Bei Amphibien und Reptilien geht man davon aus, dass 11,5 % des Artenbestandes bereits ausgestorben sind. 61,5 % gelten als gefährdet. Und, meine Damen und Herren, die Liste könnte fortgesetzt werden.
Aus unserer Sicht ist der Zeitpunkt gekommen, an dem wir uns fragen sollten und auch müssen: Wie können wir das Artensterben aufhalten oder gar stoppen, und das nicht nur in fernen Ländern, sondern auch bei uns zu Hause?
Aus diesem Grund muss nach Ursachen des Artensterbens gesucht und diese öffentlich benannt werden. Eine Antwort gibt das Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen aus dem Jahr 2004. Es benennt den Verlust von Lebensräumen durch Eutrophierung, Grundwasserabsenkung, Aufforstung und die intensive Landwirtschaft als wesentliche Ursachen des Artenrückganges bei Tierarten.
Ein geeigneter Ansatz zum Erhalt von Lebensräumen ist die Umsetzung von Natura 2000, dem kohärenten Netz europäischer Schutzgebiete. Die Europäische Union will mit dem Schutzgebietssystem aus SPA- oder Vogelschutzgebieten und FFH-Gebieten dauerhaft bedrohte Tiere, Pflanzen und Lebensräume schützen.
Wie wird Natura 2000 im Freistaat Sachsen umgesetzt? Sehr zögerlich und erst nach eindringlichen Mahnungen und Drohungen der EU, Strukturfondsmittel zurückzuhalten, hat der Freistaat Sachsen seine Gebietsmeldungen mit 270 FFH- und 27 SPA-Gebieten in Brüssel eingereicht.
Die Umsetzung der europäischen Schutzgebiete in Landesrecht sieht zurzeit gar nicht gut aus. Der Freistaat war bisher nicht bereit, den SPA- und FFH-Gebieten den notwendigen Schutz im Range eines Naturschutzgebietes zukommen zu lassen. Den halten wir aber für unbedingt erforderlich.
Leider hat es diese Koalition unter Mithilfe der SPD für richtig gehalten, die Unterschutzstellung von FFHGebieten in der sogenannten Grundschutznovelle vom Juli 2005 erst einmal wieder bis 2009 hinauszuschieben.
Meine Damen und Herren! Ich sage das Gleiche wie vor einem Jahr: Nach meiner Meinung ist das eindeutig europarechtswidrig!
Zurzeit laufen die Umweltverbände in Sachsen Sturm gegen die Verordnungsentwürfe für die Vogelschutzgebiete. Laut § 22a des Sächsischen Naturschutzgesetzes sollen in deren Verordnungen – Zitat – „geeignete Gebote und Verbote sowie Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen“ formuliert werden. Diese Festlegungen fehlen in den Verordnungen komplett.
Herr Staatsminister Tillich, mit diesem halbherzigen Handeln Ihrer Verwaltungsbehörden ist das Artensterben nicht aufzuhalten.
(Beifall der Abg. Kathrin Kagelmann, Linksfraktion.PDS – Angelika Pfeiffer, CDU: Noch schneller, Herr Lichdi!)
Ich komme nun zu einer weiteren Möglichkeit, dem Artensterben entgegenzuwirken. Der Aufbau eines funktionierenden Biotopverbundsystems ist die Grundlage stabiler Lebensräume und beugt einer Verinselung von Populationen vor. Entsprechend den Festlegungen in § 3 des Bundesnaturschutzgesetzes ist eine Regelung zum Biotopverbund auch in den Entwurf des neuen Sächsischen Naturschutzgesetzes aufgenommen worden. Schuldig bleibt uns die Staatsregierung aber die Auskunft, wie und bis wann sie diesen Biotopverbund umsetzen will.
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen weist ausdrücklich auf das Instrument der Landschaftsplanung bei der planungsrechtlichen Verankerung des Biotopverbundes hin. Doch das geeignete Instrument der Landschafts
planung wird im Freistaat unzureichend genutzt. Die Staatsregierung benennt uns in der Großen Anfrage über 450 Gemeinden und Ortsteile, in denen kein kommunaler Landschaftsplan vorliegt. Auf 35 % des sächsischen Territoriums fehlt also diese Planung. Wesentliche Zuwächse sind hier in den nächsten Jahren auch nicht zu erwarten, denn der bisherige Anreiz, nämlich die Förderung zur Erstellung kommunaler Landschaftspläne, wurde eingestellt.
Wir halten die Zielsetzung des Freistaates, einen Biotopverbund auf 10 % der Landesfläche einzurichten, für nicht ausreichend und fordern im Einklang mit dem Sachverständigenrat für Umweltfragen 15 %, und zwar bis 2020.
Ich möchte über einen weiteren Schwachpunkt der sächsischen Naturschutzpolitik sprechen: die Umsetzung und Kontrolle von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen.
Nach Informationen der anerkannten Naturschutzverbände existieren im Freistaat Sachsen extrem niedrige Umsetzungsraten für die Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Im Klartext heißt das: Die sächsischen Behörden legen im landschaftspflegerischen Begleitplan durchaus bestimmte Maßnahmen fest, um einen Eingriff in Natur und Landschaft auszugleichen, jedoch wird ein Großteil dieser Festlegungen in der Praxis einfach ignoriert. Eine effektive Kontrolle der Umsetzung erfolgt sehr selten. Geltendes Recht wird damit ständig gebrochen. Dazu kommt, dass dieser Sachverhalt im SMUL seit Jahren bekannt ist.
Das SMUL zeigt sich im Rahmen der Großen Anfrage aber nicht in der Lage, uns Zahlen zur Umsetzung der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen zu benennen. Stattdessen halten Sie, Herr Staatsminister Tillich, an der rechtlich abwegigen Auffassung – und Herr Mackenroth kann Ihnen erklären, was ein Jurist eigentlich meint, wenn er „abwegig“ sagt – fest, dass ein Ausgleich zu 50 % rechtskonform wäre. Das haben Sie mir noch einmal bestätigt. Herr Tillich, das ist einfach nicht hinnehmbar!
Wir könnten uns vorstellen, dass nach der Herstellungsphase nach drei Jahren weitere verbindliche Kontrolltermine und -berichte der Naturschutzbehörden festgelegt werden und die Kompensationspflicht des Eingriffsverursachers als Dauerpflicht stärker ausgestaltet wird.
An dieser Stelle möchte ich auch über die weiter zunehmende Flächenversiegelung im Freistaat Sachsen sprechen. Meine Damen und Herren, ich glaube, Sie haben gar keine Vorstellung, welchen Flächenhunger unsere Gesellschaft entwickelt. Im Jahr 2001 wurden in Sachsen 201 240 Hektar für Verkehrs- und Siedlungsflächen in Anspruch genommen. Das sind offizielle Zahlen. Aktuelle Zahlen zum Flächenverbrauch waren beim SMUL im Rahmen der Beantwortung der Großen Anfrage nicht zu bekommen. Wir haben uns daher beim LfUG und beim Statistischen Landesamt bemüht, neuere Zahlen zu erhalten. Diese liegen durchaus vor. Warum nutzte man
sie nicht für die Antwort auf die Große Anfrage? Danach betrug im Jahre 2004 der Verbrauch 214 816 Hektar für Verkehrs- und Siedlungsflächen. Das sind immer noch drei Fußballfelder oder 2,82 Hektar pro Tag, und das trotz des zurückgehenden Baubooms und der wirtschaftlichen Rezession in den letzten Jahren.
Meine Damen und Herren! Wir haben einen Flächenfraß entwickelt, der den Menschen, den Tieren und Pflanzen ihre Lebensräume nimmt. Das ist im Sinne der Bewahrung der Schöpfung nicht weiter hinnehmbar.
Gestatten Sie mir einen Verweis auf den Hochwasserschutz. Mit diesem Flächenverbrauch sind die nächsten Hochwasser mit großen gesellschaftlichen Schäden programmiert.
Meine Fraktion fordert daher die Staatsregierung auf, umgehend einen Maßnahmenplan zu erarbeiten, wie der Flächenverbrauch in Sachsen schrittweise reduziert werden kann. Wir fordern, bis 2020 den Nettoflächenverbrauch auf null Hektar zurückzufahren. Das bedeutet zum Beispiel, Neubauten nur noch auf recycelten Flächen zuzulassen, und eine konsequente Entsiegelung bei Neuversiegelung. Diese Forderung ist aufgrund der prognostizierten demografischen Effekte für Sachsen mehr als gerechtfertigt.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor Jahrzehnten gab es im Rundfunk – daran erinnere ich mich – eine Sendung unter dem Titel „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“. An diesen Slogan wurde ich erinnert, als ich mich gründlicher mit der Großen Anfrage zum Naturschutz auseinandersetzte.
282 Fragen mit 130 Seiten Antworten sind eher ein formaler Fragerekord als ein wirklich weiterhelfender Beitrag für den Naturschutz in Sachsen.
Besieht man sich den nach meiner Auffassung völlig überzogenen Fragenkatalog näher, fällt weiterhin auf, dass ein größerer Teil der Fragen gar nicht dem Naturschutz im eigentlichen Sinne, sondern touristischen Belangen, baulichen Maßnahmen, der Wirtschaftsförderung und anderen Sekundärtatbeständen gilt. Kurzum: Manchmal ist wirklich weniger mehr.
Dem SMUL sei für die geduldige Beantwortung zu danken, obwohl häufig gar keine Antwortgrundlage existierte. Das hätte man vorher erkennen können. Sich
dann hier hinzustellen und zu sagen, das SMUL antwortet nicht, halte ich für nicht ganz fair, weil man vorher hätte wissen müssen, dass es Statistiken dieser Art nicht gibt und man sie deshalb nicht abfragen kann.
Meine Damen und Herren! Dennoch ist die Thematisierung des Naturschutzgedankens ein wichtiges fachliches wie auch parlamentarisches Anliegen.
Nach zwei ähnlichen Initiativen, die in der 2. Legislaturperiode stattgefunden haben, hat es im Sächsischen Landtag jahrelang keine geschlossene Behandlung des Themas gegeben. Ob allerdings kurz vor der Verabschiedung der Naturschutzgesetznovelle die Aussprache zur Drucksache 4/6488 hilfreich genannt werden kann, wage ich zu bezweifeln. Von den teilweise sehr zugespitzten Fragen abgesehen, sehe ich in der Aussprache eine Gelegenheit, eine grundsätzliche Stellungnahme zum Stand der Naturschutzpolitik in Sachsen zu treffen. Dem Kollegen der einbringenden Fraktion will ich keinesfalls absprechen, dass er ausgesprochen und ausschließlich – jedenfalls im bisherigen Redetext – negative oder noch nicht vollständig gelöste Thematiken angesprochen hat; aber die Erfolge, die im Lande erzielt worden sind, sind ihm offensichtlich keine Erwähnung wert. Deshalb müssen wir das Bild wieder etwas geraderücken.
Blickt man auf die erreichten Ergebnisse für den Naturschutz auf der Grundlage unserer Gesetzgebung, kann man in der Tat eine formale und eine fachlich-moralische Bilanz ziehen. Wie gesagt, ausgehend von einer soliden Rechtsbasis aus Landesverfassung und dem immer noch gültigen Naturschutzgesetz sowie der intensiven parlamentarischen Begleitung kann der zurückgelegte Zeitraum vom Herbst 1990 bis heute für den Naturschutz in Sachsen grundsätzlich positiv und damit zufriedenstellend bewertet werden.
Vergleicht man das Erreichte in Zahlen, also formal, dann findet die getroffene Aussage ihre Bestätigung. Dazu einige Beispiele: Gab es auf dem Gebiet des Freistaates Sachsen zu Beginn des Jahres 1990 163 Naturschutzgebiete mit circa 12 000 Hektar Fläche, so verfügen wir heute über 215 derartige Gebiete mit circa 50 000 Hektar. Die Vervierfachung des Flächenumfanges hat auch dazu geführt, dass die mit einer Größe von durchschnittlich 72 Hektar aus DDR-Zeiten übernommenen Naturschutzgebiete in den vergangenen 15 Jahren auf 229 Hektar angestiegen sind. Damit übertreffen wir den Bundesdurchschnitt von 140 Hektar deutlich.
Ähnlich positive Entwicklungen sehen wir an der Zahl der inzwischen gültigen Flächennaturdenkmale, der völlig neuen Kategorie der Biotope, die mit immerhin 59 000 Stück auf 89 000 Hektar benannt werden können, unserer Großschutzgebiete und die Unter-Schutz-Stellung weiterer Flächen im Zuge der Umsetzung der FFH-Richtlinie und der Vogelschutzgebiete, sodass wir – vielfach auch im Vergleich zu anderen Bundesländern – das entscheidende Kriterium auf etwa 15 % der Landes
fläche angehoben haben, was dem Naturschutz zugute kommt. Dass wir nicht alle diese Flächenkategorien addieren können, weil mehrere Flächen in gleichen Schutzkategorien eingeordnet sind, soll nur am Rande erwähnt werden. Wollten wir das tun, kämen wir auf 31 %.
Auch die Landschaftsschutzgebiete und unsere zwei Naturparke muss man in diesem Zusammenhang positiv erwähnen. Wenn auch dort der strengere Charakter zur Naturbewahrung nicht immer besteht, so erfüllen sie in ihrer Großflächigkeit wichtige Funktionen als Pufferzonen, als Biotopvernetzungsstruktur oder einfach für nutzungsberuhigte Areale, in denen die Lebensbedingungen zahlreichen Arten Entfaltungs- und Erhaltungsmöglichkeiten bieten. So viel dazu.
Hingegen hält die Entwicklung des Artenbestandes bei Tieren und Pflanzen mit den Fortschritten bei Schutzgebieten nicht Schritt, im Gegenteil. Damit sind wir bei der fachlich-moralischen Bewertung. Die Situation für den Großteil der vom Aussterben bedrohten und besonders gefährdeten Tier- und Pflanzenarten hat sich trotz Ausdehnung der eingriffsminimierten Gebiete nicht grundsätzlich verbessert, sondern partiell durchaus verschlechtert. Die Existenzbedingungen am jeweiligen Standort, besonders im Offenland, werden nach wie vor durch Nutzungseinflüsse weiter zuungunsten ohnehin seltener Arten beeinträchtigt. Trotz neuer Schutzgebiete und des Einsatzes erheblicher Fördersummen für das Programm „Umweltgerechte Landwirtschaft“ sowie die speziellen Naturschutzförderprogramme wie „Naturschutz und Erhalt der Kulturlandschaft“ hat die Zahl der bedrohten Pflanzenarten in Sachsen von 1991 bis 2000 um circa 5 % zugenommen. Auch hinsichtlich der Wirbeltiere ist die Tendenz teilweise nicht günstig und für bestimmte Arten nachteilig.
Die Dinge, die Sie, Herr Lichdi, abgefragt und beantwortet bekommen haben, können natürlich auch nicht so dargestellt werden, als ob damit die Artengarnituren in Sachsen wirklich zum Aussterben verurteilt wären. Wir kennen die Prozentwerte bedrohter und gefährdeter Bestände. Wenn Sie auf die Großtrappe oder Ähnliches abheben, dann sage ich Ihnen, sie war bis 1995 – das ist nachgewiesen – vorhanden. Das Aussterben solcher Arten können Sie nicht mit der Zeitmarke 1990 versehen. Artengarnituren gehen immer nur – man könnte sagen – schleichend und in einem langfristigen Prozess verloren. Dann kommt der Punkt, an dem die Art zusammenbricht. Das Aussterben ist eine unerfreuliche Erscheinung. Man muss jedoch auch bereit sein zu sagen, was wir auf der anderen Seite an Populationszuwächsen bei bestimmten Arten in Sachsen erreicht haben, wie wir mit Artenschutzprogrammen in diesem Lande erfolgreich gewesen sind und wie wir Tierarten eine Chance zur Wiederansiedlung gegeben haben, zum Beispiel für Luchs, Wolf, Lachs, Würfelnatter, Wanderfalke und andere.
Meine Damen und Herren! Als zielführender Ausweg aus dem erkennbaren Widerspruch zwischen der Zunahme