Protokoll der Sitzung vom 15.03.2007

Sie fördern die Gefahr des Abtauchens; denn welcher sexuelle Straftäter, der dann noch gefährlich ist, wird dort wohnen bleiben? Die Vorstellung ist doch absurd. Wie wollen Sie den fangen? Wie wollen Sie ihn im Zaum halten? Nein, Ihre Vorschläge sind populistisch, sie sind vielleicht aus einer verständlichen moralischen Erregung über die schlimmen Morde verständlich, aber sie sind trotzdem aktionistisch. Sie wollen aktionistischerweise Entschlossenheit und Härte im Interesse der Kinder demonstrieren.

Es ist ja zu verstehen, dass Sie angesichts des schrecklichen Falles Mitja alle möglichen Mittel ergreifen wollen. Aber, Herr Minister, ich sage Ihnen auch ganz deutlich: Sie haben nicht das Privileg naiver Unkenntnis über die

Verfassungswidrigkeit und die Wirkungslosigkeit bestimmter Maßnahmen wie vielleicht ein zu Recht entsetzter Bürger.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Sie sind Minister. Sie sind auf die Verfassung vereidigt und Sie haben einen Apparat, der Sie informieren kann, wenn Sie schon selbst nichts wissen. Sie haben Ihre Verantwortung in überlegter Weise wahrzunehmen, und das haben Sie auch hier in dieser Debatte vermissen lassen.

Herr Staatsminister, meine Fraktion hat sich im Fall Stephanie in der Tonlage der Kritik an Ihnen und der Polizei sehr zurückgehalten. Wie diese Debatte zeigt, war das ein Fehler. Ein Fehler, der den Beamten im Fall Stephanie unterlaufen ist, ist zwar unverzeihlich, aber er passiert nun einmal. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Beamten, denen der Fehler unterlaufen ist, mit dieser Erkenntnis genug gestraft sind. Aber, Herr Buttolo, Sie tragen als zuständiger Minister die Verantwortung dafür. Sie tragen auch die Verantwortung für die schlechten Arbeitsverhältnisse der Soko. Ich zitiere aus dem Ihnen allen bekannten internen Bericht: „Die Soko Stephanie war unterorganisiert, personell schwach und materiell nicht ausreichend ausgestattet.“

Herr Buttolo, ich sage Ihnen: Stellen Sie erst einmal die erforderliche Qualität der einfachen kriminalistischen Arbeit sicher, bevor Sie hier verfassungswidrige Vorschläge vortragen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Das ist unerhört.

Nun zum Antrag der Linksfraktion.PDS: Ich finde zwar ehrlich Ihre Forderung nach einer Entlassung etwas vordergründig, aber die Debatte hat mich in meiner Auffassung und die Auffassung meiner Fraktion bestätigt, dass hier eine Entlassung in der Sache tatsächlich gerechtfertigt wäre. Natürlich wird die Koalition dies ablehnen. Ich habe deswegen gewisse Skepsis, weil eine Entlassung ja nichts bringen würde, denn Sie werden offensichtlich von Ihren Kabinettskollegen unterstützt. Die Distanzierung, die Herr Bandmann in der ersten Reaktion durchaus hat erkennen lassen, ist in der heutigen Debatte zurückgenommen worden.

(Volker Bandmann, CDU: Blödsinn!)

Wissen Sie, mit Ihrer Entlassung wäre das Problem nicht gelöst. Das Problem ist schlicht und ergreifend dieses seltsame Verfassungsverständnis. Ich habe tatsächlich den Eindruck, Ihnen sind die Grundlagen der Verfassung, was Rechtsstaat und Grundrechte sind, nicht bekannt. Ich finde das bedauerlich. Ich finde das schlimm. Ich sage Ihnen ganz klar: Mir wird da angst und bange.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Herr Staatsminister der Justiz Mackenroth hat jetzt das Wort. Bitte schön, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die antragstellende Linksfraktion.PDS wirft dem Sächsischen Staatsminister des Innern verfassungswidrige Äußerungen vor. Vorsichtig, wenn wir es denn mit der Verfassung genau nehmen – dafür bin ich –, dann sollten sich auch die Antragsteller daran halten. Sie tun es nicht. Ihr Antrag steht selbst nicht im Einklang mit unserer Verfassung.

Selbst wenn der Sächsische Landtag antragsgemäß beschließen sollte, wäre dies verfassungsrechtlich ohne jede Relevanz. In der Sächsischen Verfassung findet sich nämlich keine Ermächtigung des Landtages, den Ministerpräsidenten in rechtlich verbindlicher Weise zur Entlassung eines Ministers aufzufordern.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Wir fordern ihn auf!)

Vielmehr liegt die Entscheidung über die Entlassung eines Staatsministers ebenso wie die über seine Berufung allein beim Ministerpräsidenten.

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Der Ministerpräsident handelt insoweit nach seinem freien politischen Ermessen, ohne von der Zustimmung des Landtages abhängig zu sein.

Bitte schön, Herr Prof. Porsch.

Herr Staatsminister, stimmen Sie mir zu, dass nach der sächsischen Landesverfassung der Landtag auch Stätte der politischen Willensbildung ist und ein solcher Beschluss dann doch ein Politikum von erheblichem Ausmaß wäre?

Ich stimme Ihnen völlig zu, Herr Prof. Porsch. Sie wollen möglicherweise ein politisches Signal setzen, aber ziemlich genauso verhält es sich mit dem, was unser Innenminister wollte. Auch er wollte hier ein politisches Signal setzen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das ist aber nicht verfassungsgemäß!)

Wenn wir politische Signale setzen, sollten wir insoweit für die Gleichbehandlung eintreten.

(Zurufe von der CDU)

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Jetzt reicht es. Ich habe gesagt, was ich sagen wollte, Herr Prof. Porsch.

Zur Sache: Was ist eigentlich passiert? Der Innenminister hat in Reaktion auf ein schweres Kapitalverbrechen ein ganzes Bündel von Maßnahmen vorgeschlagen, das nach seiner Auffassung erforderlich ist, um vergleichbare Taten in der Zukunft noch besser zu bekämpfen und auszuschließen. Wir sollten uns – so meine ich jedenfalls – zunächst mit dem Innenminister in seinem Ziel einig sein: Es geht um größtmögliche Sicherheit, um den Schutz vor gefährlichen Rückfalltätern, und zwar all dies innerhalb der Grenzen der Sächsischen Verfassung und des Grundgesetzes. Dieses Ziel heiße auch ich uneingeschränkt gut.

Zur Klarstellung, Herr Bartl: Die Staatsregierung ist und bleibt natürlich an Gesetz und Recht gebunden. Sie hält sich in den Grenzen der Verfassung und wird dies auch künftig tun, aber es ist gerade Aufgabe der Rechtspolitik, nach solchen schlimmen Taten zu prüfen, ob und wo das vorhandene rechtliche Instrumentarium greift oder eben zu kurz greift. Das hat mit Populismus gar nichts zu tun, Herr Dr. Martens. Die Grundrechte der Täter, ihre Menschenwürde, bleiben davon völlig unberührt, Herr Lichdi.

Meine Damen und Herren! Es ist das gute Recht der Opposition, sich aus den vielen vom Innenminister vorgeschlagenen Maßnahmen im Wesentlichen einen einzelnen Punkt herauszugreifen. Der Vorschlag, eine öffentliche Datei einzurichten, in der die Namen und Anschriften von Wiederholungstätern aus dem Gebiet des Sexualstrafrechts gespeichert sind, hat bei Datenschützern, aber auch in der Politik Kritik hervorgerufen. Es hat aber auch viel Lob gegeben, nicht nur von Stammtischen und von der falschen Seite, sondern unter anderem auch sehr deutlich vom saarländischen SPD-Vorsitzenden Heiko Maas. Die Meinungsbildung in der demokratischen Gesellschaft erfolgt üblicherweise im Diskurs. Das heißt, nach einem Vorschlag wird ausgelotet, ob und wofür Mehrheiten vorhanden sind. Dann wird gegebenenfalls versucht, innerhalb der Exekutive und/oder des Parlamentes Mehrheiten zu bekommen. Ein Gesetz steht meistens irgendwann mit Modifikationen gegenüber dem Ursprungsvorschlag im Gesetzblatt. Erst dann kann über dessen Verfassungswidrigkeit entschieden werden. Zu dieser Entscheidung, meine Damen und Herren, ob ein Gesetz verfassungskonform ist oder nicht, sind weder selbst ernannte Meinungsführer noch Fraktionen oder Einzelpersonen und auch nicht der Datenschützer aufgerufen, der sich im Übrigen durchaus mit guten Vorschlägen in die Debatte eingebracht hat.

Nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung treffen derartige Entscheidungen mit Bindungswirkung – mit Verbindlichkeit für und gegen alle – allein unsere Verfassungsgerichte.

(Widerspruch des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Natürlich kann jeder, auch die Linksfraktion.PDS, seine Meinung kundtun und sagen, dass er bestimmte Dinge für verfassungswidrig hält; aber verbindlich stellen das in unserer Rechtsordnung nur die Verfassungsgerichte fest. Wäre es anders, hätten wir überhaupt keinen Spielraum. Mit der Behauptung der Verfassungswidrigkeit könnten wir jede politische Arbeit, jede Gesetzgebungstätigkeit einstellen. Im Übrigen, Herr Bartl, Sie wissen das auch, orbita dicta in früheren Entscheidungen binden eben nicht, sondern die Urteile entscheiden den Prozess inter partes. Vielleicht trägt auch dieser Hinweis zur Beruhigung der Diskussion bei. Im Übrigen ist das nicht der Zeitpunkt für einen Streit über Details oder über eine abschließende verfassungsrechtliche Bewertung von konkreten Vorschlägen. Es geht um das politische Ziel und die grundsätzliche Frage, in welches Verhältnis wir Opferschutz und Täterschutz setzen. Das ist eine uralte Debatte. Das Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Rechtsgütern müssen wir uns sorgfältig ansehen.

Dieser Diskussion, so finde ich, verleiht der Vorschlag des sächsischen Innenministers einen Impuls in die richtige Richtung. Nach meiner Kenntnis hat der Innenminister zudem gefordert und klargestellt, er möchte die Einsicht in ein solches Register von einem berechtigten Interesse abhängig machen – ein in der Juristensprache völlig gebräuchlicher Terminus und letztlich eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Er hat den viel gescholtenen amerikanischen Verhältnissen – es gibt ja nicht nur negative – ausdrücklich eine Absage erteilt.

Um die Position des Sächsischen Staatsministers der Justiz noch einmal klarzustellen: Ich bin mit dem Innenminister der Auffassung, dass wir auf dem Gebiet des Schutzes vor rückfälligen Sexualstraftätern trotz des Vielen, was in den letzten Jahren geschehen ist, weitere Hausaufgaben zu erledigen haben. Wir müssen auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse der Kriminologie reagieren, nach denen ein bestimmter Prozentsatz von Sexualstraftätern wohl nicht dauerhaft therapiert werden kann, mit anderen Worten, dauerhaft ein Risiko darstellt. Inhaltlich geht es mir dabei aus Sicht der Strafverfolgung unter anderem um Folgendes:

Erstens. Wir handeln fahrlässig, wenn wir die modernen Möglichkeiten der Datenverarbeitung nicht auch, soweit zulässig und möglich, zur Strafverfolgung einsetzen. Das heißt, wir müssen die vorhandenen Daten zwischen Gerichten, Vollzug, sozialen Diensten und Polizei stärker vernetzen. Wir müssen prüfen, ob möglicherweise weitere Beteiligte, wie Arbeitsämter (siehe Fall Mitja), Meldebehörden, vielleicht Kindergärten oder Schulen, in das Datennetz zu integrieren sind oder Einsichtsrechte erhalten sollen, damit der Schutz vor solchen Tätern optimiert wird. Dies werden und wollen wir nicht gegen, sondern mit den Datenschützern tun.

Zweitens. Der zuständige Bundesgesetzgeber wird Lücken im Recht der Sicherungsverwahrung zu schließen haben, unter anderem die bekannte Regelungslücke im Einigungsvertrag, die dazu führt, dass in Sachsen-Anhalt

ein offenbar weiterhin kreuzgefährlicher Mensch rund um die Uhr von der Polizei bewacht werden muss. Wir brauchen – auch das sage ich deutlich – die Sicherungsverwahrung für zur Tatzeit Jugendliche und Heranwachsende, wenn sie schwerste Kapitalverbrechen begangen haben. Auch diese können nach langen Jahren der Haft im Alter von dann 26 oder gar 30 Jahren gefährlich sein. Sicher sind das nur ganz wenige Fälle – die Kriminologen sagen, im einstelligen Bereich –, aber mit Statistiken schützen Sie keine Opfer. Ich bin zuversichtlich, dass die Bundesjustizministerin demnächst ihren lange angekündigten Gesetzentwurf zur Sicherungsverwahrung auf den Tisch legen wird.

Drittens. Wir müssen darüber nachdenken, ob und wie wir die Führungsaufsicht intensivieren und in der Praxis verbessern. Ich erinnere daran, dass der Beschuldigte im Fall Mitja die Höchstfrist von fünf Jahren für die Führungsaufsicht absolviert hatte und sich nicht mehr unter staatlicher Aufsicht befand. Ob wir uns dies in derart gravierenden Fällen – nur um diese geht es – weiter leisten können, erscheint mir zumindest fraglich. Auch das wird, meine Damen und Herren, wenn wir uns entschließen, die Führungsaufsicht in der Praxis umzustellen und zu verbessern, Geld kosten; aber ich glaube, es ist gut angelegtes Geld.

Meine Damen und Herren, diese drei Punkte sind nicht abschließend. Das Ziel jedenfalls, die Bevölkerung innerhalb der Grenzen der Verfassung zu schützen, bleibt eine vorrangige Aufgabe der Staatsregierung. Ich wiederhole: Wir können, dürfen und sollten dabei bis an die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen gehen. Das wäre jedenfalls kein Verfassungsbruch. Verfassungen sind änderbar, auch in Bezug auf Grundrechte. Denken Sie an die erfolgten Gesetzesänderungen zum Asylkompromiss. Dies rechtfertigt sich aus dem hohen Rechtsgut, das wir schützen wollen.

Nun höre ich in der Diskussion vom Abg. Dr. Martens, der Vorschlag des Innenministers zur Einrichtung dieser Datei mache die Eltern verantwortlich, wenn ihren Kindern etwas passiere, begrabe also letztlich das staatliche Gewaltmonopol. Diesen Ansatz halte ich für grundsätzlich falsch. Niemand kann die leider allgegenwärtige Gefahrenlage allein lösen, weder die Justiz oder die Polizei, auch nicht die Kindergärten, auch nicht die Schulen noch die Eltern. Alle diese Gruppen und noch viele mehr tragen die Verantwortung und müssen ihren Teil dazu beitragen, dass Kinder nicht Opfer von Pädophilen und Sexualstraftätern werden. Dieser Verantwortung wird der Sächsische Staatsminister des Innern meiner festen Überzeugung nach gerecht.

Meine Damen und Herren, ich empfehle Ihnen, den Antrag abzulehnen, schon aus den von mir zu Beginn genannten formellen Gründen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Ich frage jetzt die Vertreter der Fraktionen, ob noch Aussprachebedarf besteht. – Das kann ich nicht sehen. Dann hat Herr Ministerpräsident Prof. Dr. Milbradt um das Wort gebeten.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon gesagt worden: Mitja wäre heute zehn Jahre alt geworden, aber er ist vorher – vermutlich von einem mehrmals einschlägig vorbestraften Täter – missbraucht und danach ermordet worden. Wie es dazu kommen konnte, diese Frage wühlt mich auf. Diese Frage bewegt auch wie keine andere unsere Bürgerschaft.

Es geht um die Sicherheit unserer Kinder vor Triebtätern. Das ist das Thema der Debatte, Herr Porsch! Genau das. Aber das Thema haben Sie verfehlt.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der NPD)