Protokoll der Sitzung vom 15.03.2007

Es geht um die Frage: Welches Recht muss Gesetz werden und welches Recht gilt im Augenblick? Die Frage nach einer Rechtsänderung ist immer erlaubt! Sie ist für sich nicht verfassungswidrig.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD – Zurufe der Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Sebastian Scheel und Dr. Andre Hahn, Linksfraktion.PDS)

Ich bin dem Innenminister und dem Justizminister für ihre Worte dankbar. Es ist klar, worum es geht: Es geht um eine sehr schwierige Frage, die man nicht in der Art, in der die Diskussion teilweise gelaufen ist, abhandeln kann, nämlich die Abwägung zwischen der Freiheit des Einzelnen, auch des Straftäters und seiner Menschenwürde, und der Sicherheit potenzieller Opfer.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Darüber muss man vorher nachdenken!)

Dies muss abgewogen werden. Diese Abwägung kann nur in einer Diskussion erfolgen. Genau diese Diskussion haben wir zu führen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Er hat erst die Antwort gegeben, bevor er abgewogen hat!)

Entschuldigung, ich glaube, dass gerade die Ausführungen des Justizministers gezeigt haben, dass ein Teil der Vorschläge genau die Diskussion wiedergibt, die wir auf Bundesebene unter dem Stichwort Sicherungsverwahrung führen. Daran ist nichts, aber auch gar nichts Verfassungswidriges.

(Zuruf von der Linksfraktion.PDS: Natürlich!)

Man muss darüber diskutieren, wie, wann und unter welchen Voraussetzungen Sicherungsverwahrung angeordnet wird. Man muss auch darüber reden können, wie lange eine Führungsaufsicht dauert und ob bei jemandem, der fünfmal hintereinander einschlägig bestraft wird, nach fünf Jahren die Führungsaufsicht ohne Weiteres endet und die Straftaten faktisch aus den Registern gelöscht werden und er als unschuldig gilt.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Darum geht es!)

Darüber muss man diskutieren. Man muss darüber diskutieren, ob nicht in diesem Fall die Öffentlichkeit – nicht jeder Einzelne – ein berechtigtes Interesse hat, an Informationen zu kommen. Wie können Sie sonst verhindern, dass zum Beispiel jemand als Bademeister eingestellt wird, der vielleicht schon drei- oder viermal einschlägig vorbestraft ist?

(Klaus Bartl, Linksfraktion.PDS: Dann muss er Berufsverbot bekommen!)

Einen Moment, bitte. – Es muss auch die Arbeitsagentur in der Lage sein, Vermittlungen für solche Leute in bestimmte Bereiche nicht vorzunehmen.

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, Linksfraktion.PDS)

Man kann nicht alles und jedes unter Berufsverbot stellen. Das wissen Sie doch ganz genau, Herr Bartl.

(Zurufe der Abg. Klaus Bartl und Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Berufsverbote für einen schmalen Bereich bringen in dieser Situation überhaupt nichts. Darüber muss man doch nachdenken können, ohne dass sofort die Keule kommt. Es ist doch völlig erlaubt, darüber nachzudenken und zu sprechen.

Ich stelle mich – das gilt auch für den Innenminister und den Justizminister – der schwierigen Abwägungsfrage, die man nicht pauschal vornehmen kann, sondern man muss schon etwas genauer hinschauen. Um nichts weiter bitte ich Sie in der Diskussion im Interesse der Opfer.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Wir haben die Abwägung in die Debatte gebracht! – Lachen bei der CDU)

Nein, Sie haben sie nicht hineingebracht. Sie haben eine Vorverurteilung vorgenommen!

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Die Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist für uns Deutsche im Gegensatz zu anderen Völkern außerordentlich schwierig, weil wir selbst die Freiheit in unserer Geschichte zweimal verspielt haben.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Dann sollten wir wieder den Pranger einführen!)

Das ist unser Problem; das macht eine Diskussion in Deutschland so schwierig. Die Frage darf sich stellen, ob in dem einen oder anderen Fall unsere bisherige Abwägung der Weisheit letzter Schluss ist und ob man nicht selbst zu anderen Ergebnissen kommen kann, ohne dass sofort die Diskussion mit der Keule der Verfassungswidrigkeit totgeschlagen wird. Meine Damen und Herren, wir müssen sehr genau prüfen, was wir tun.

Noch einmal: Ich bitte Sie – auch diejenigen, die hier kritisch diskutiert haben –: Die Richtung muss klar sein und die Prioritäten müssen eindeutig sein.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das haben wir nicht infrage gestellt!)

Sie sind für mich eindeutig. Wer zuerst nach den Rechten der Täter fragt, kommt immer zu spät,

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

nämlich dann, wenn es schon einen Täter und ein Opfer gibt. Für mich steht fest: Wir dürfen nicht zu spät kommen, denn bestraft werden durch unsere Fehler andere: die Opfer. Deshalb, sage ich noch einmal, muss die erste Frage sein: Wie können wir unsere Kinder am besten schützen? Diese Frage ist erlaubt und sie ist auch der Ausgangspunkt jeder Diskussion. Wie können Kinder in unseren Familien unbehelligt aufwachsen? Wie können Kinder ihr Glück und ihre Hoffnung an das Leben behalten? Was können wir tun, um die Kleinsten unserer Gesellschaft durch das Strafrecht möglichst vor den größten Schandtaten zu bewahren?

Darum, meine Damen und Herren, bemühen wir uns, bemüht sich die Staatsregierung, und vieles von dem, was vorgeschlagen worden ist, bedarf auch gesetzgeberischer Maßnahmen. Das heißt, letztlich entscheidet dieser Landtag oder der Bundestag darüber und nicht irgendein Minister oder die Regierung.

Wir können Anstöße zur Diskussion geben. Von wenigen Ausnahmen und Vorschlägen abgesehen, ist hier nicht eine Umsetzung durchgeführt oder in Aussicht gestellt worden.

Deswegen sage ich noch einmal: Kehren wir zum Ausgangspunkt der Diskussion zurück. Deshalb, meine Damen und Herren, halte ich den Antrag der Linksfraktion.PDS für ungeeignet für diese Diskussion. Er war, das gebe ich gern zu, ein schöner Anlass für mich, hier Grundsätzliches zu diskutieren.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Dafür müssen Sie uns schon dankbar sein!)

Aber Sie werden verstehen, dass ich Ihrem Anliegen nicht nachkomme. Der Innenminister hat mein Vertrauen.

(Anhaltender Beifall bei der CDU, des Abg. Stefan Brangs, SPD, und der Staatsregierung)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sehe, dass Herr Abg. Bartl noch einmal sprechen möchte.

Herr Ministerpräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir brauchen eine Politik zum Schutz unserer Kinder. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass Sie aus diesem Anlass zum Beispiel bei der Behandlung eines Armutsberichtes für Sachsen an das Pult gegangen wären.

(Rita Henke, CDU: Ach nein!)

Ja, eines Kinderarmutsberichtes.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wir haben 10, 15 und mehr Prozent Kinderarmut. Wo ist denn Ihre Wortmeldung, um diese zu bekämpfen? Ich hätte mir sehr gewünscht, dass Sie ehrbar mit dem Antrag umgehen. Wir haben mitnichten gesagt, wir wollen den Herrn Staatsminister von Ihnen entlassen wissen, nur weil er die fünf Maßnahmen im Katalog vorgeschlagen hat.

(Rita Henke, CDU: Was? – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Richtig!)

Ich sage es zum dritten Mal. Es begann mit dem Bruch des Artikels 83 Abs. 2 Ziffer 1 – ohne jeden Anstand, ohne jede Rücksprache, ohne jede Konsultation und ohne jede Rücksicht auf die Verfassung, trotz der Vereidigung auf diese.

Es setzte sich mit diesem unseligen Referentenentwurf fort, der die Kühnheit hat, das Strafprozessrecht gewissermaßen eins zu eins zur Gefahrenabwehr zu transformieren, und gipfelt in dem, was jetzt mein Problem ist, Herr Ministerpräsident: Vielleicht haben Sie wirklich damit recht, dass wir mit dem Antrag auf den Falschen abzielen. Wenn das, was Herr Dr. Buttolo in den fünf Punkten niedergelegt hat – und diese stehen schwarz auf weiß, man kann sie nicht wegdiskutieren: „jedem Einsicht …“ etc. pp. –, dieselbe Auffassung ist, die Sie vertreten, und wenn die Staatsregierung ihre Maßnahmen heute von Empfindungen abhängig macht, die derzeit unter dem Eindruck von solch schlimmen Ereignissen wie mit Mitja stehen, so wie der Mensch, der betroffen ist, reagiert, so ist die Politik in wenigen Jahren in einer Situation, dass wir überhaupt keine Differenzierungspotenziale mehr

haben. Es war immer eine langjährige Erfahrung, dass sich der Gesetzgeber in einer solchen Situation in gewisser Weise überlegt, besonnen und auch ein wenig distanziert von Emotionen verhalten muss.

Wenn hier ein Ministerpräsident, zwei Staatsminister und ein innenpolitischer Sprecher anfangen, uns bei diesem Thema die beiden schlimmen Kindermordfälle als Rechtfertigung für den tatsächlich schon begonnenen und auf den Weg gebrachten Verfassungsbruch zu bringen, so ist dies schlicht und ergreifend keine besonnene Politik.

Herr Ministerpräsident, 77 % der Bevölkerung sind gegen Tornado-Einsätze in Afghanistan. Warum sind sie dann beschlossen worden?

(Widerspruch bei der CDU)

Das ist doch genau das Gleiche. Wir hatten vor wenigen Tagen eine Anhörung im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss. Dort fiel von einem der Gutachter, der, nebenbei bemerkt, auch der Vorsitzende der Diätenkommission war, der Satz, es gehe doch nicht an, dass sich das Parlament bei der Gesetzgebung auf das gesunde Volksempfinden stützt. Es geht doch nicht an, dass ein Innenminister sagt, wir brauchen das Maximum des Opferschutzes.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: In Amerika haben sie die Todesstrafe dafür!)