Die EU-rechtlichen Vorstellungen zur Gentechnik haben die Koexistenz des Anbaus von Pflanzen der unterschiedlichsten Züchtungsmethoden zum Ziel. Koexistenz kann organisiert werden, wenn dies gewollt ist. Dafür sind faire Bedingungen und Toleranz erforderlich. Da es in Deutschland möglich ist, die Koexistenz zum Beispiel zwischen dem Anbau von Doppel-Null-Raps und dem Anbau von Eruca-säurehaltigem Raps zu organisieren, sollte der Anbau von Bt-Mais in Koexistenz zum Anbau von herkömmlich gezüchtetem Mais überhaupt kein
Problem sein – es sei denn, es gibt ein politisches Interesse daran, dies unbedingt zum Problem machen zu wollen.
Wir haben keine Angst vorm Fortschritt, ob beim Genmais oder beim Brückenbau. Deshalb lehnen wir diesen Antrag ab.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Linksfraktion.PDS zählt auf ein Moratorium beim Anbau der Genmaissorte MON 810. Im Kern stehen damit einmal mehr grundsätzliche Fragen der Agrarpolitik auf der Tagesordnung, die da heißen: Welche Art von Landwirtschaft wollen wir hier in Sachsen haben, welche Form der Bewirtschaftung unserer Äcker wollen wir fördern, was ist gut für die Natur, für Böden, Wasser und Luft, welche Art von Nahrungsmittelerzeugung beschert uns gesunde Produkte und wie erhalten wir die Vielfalt des Lebens?
Meine Damen und Herren! Der Einsatz von gentechnisch verändertem Saatgut ist für uns und die große Mehrheit der sächsischen Bevölkerung eine Risikotechnologie mit vielfältigen Folgen, die derzeit niemand abschätzen kann.
Dagegen hat sich die Landesregierung in diesen Fragen festgelegt. Für sie ist die grüne Gentechnik eine Innovationstechnologie, die Anspruch auf gleichberechtigte Förderung hat. Die Staatsregierung glaubt immer noch an das gleichberechtigte Miteinander von verschiedenen Anbauformen. Ich fürchte, selbst wissenschaftliche Erkenntnisse werden die Regierung nicht dazu bewegen, von diesem Glauben Abstand zu nehmen. Wie wir wissen, ist aber Glauben eben die Kompensation von Nichtwissen.
Meine Damen und Herren! Mit Bescheid des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, BVL, vom 27. April wird der Firma Monsanto, in Deutschland der weitere Verkauf der einzigen derzeit zugelassenen und auf dem Markt verfügbaren Gentechnikmaissorte MON 810 bis zum Vorliegen eines Beobachtungsplanes untersagt. Neue wissenschaftliche Informationen, so das BVL, „geben berechtigten Grund zu der Annahme, dass der Anbau von MON 810 eine Gefahr für
die Umwelt darstellt“. Der Bescheid, der sofort vollziehbar ist, kommt allerdings zu einem Zeitpunkt, zu dem das Saatgut für den diesjährigen Anbau längst bei seinen Kunden ist. Folgt daraus auch ein Anbauverbot?
Der Verbotsbescheid des Bundesamtes, der in keiner Pressemitteilung oder anderweitigen Form öffentlich gemacht wurde, bezieht sich ausschließlich auf das sogenannte Umweltmoratorium, also die Nachbeobachtung des Gentechnikanbaus. Ein Moratoriumplan ist nach der EU-Richtlinie zur Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen und nach dem deutschen Gentechnikgesetz vorgeschrieben, wurde aber von Monsanto bisher nicht vorgelegt.
Eine Reihe von wissenschaftlichen Arbeiten, die schädliche Auswirkungen des in MON 810 enthaltenen BtToxins auf Nichtzielorganismen nachweisen, also zum Beispiel auf Schmetterlinge und Insekten, die sich von Maiszünslerlarven ernähren, oder auf Bodenorganismen, die das Gift der Pflanzen aufnehmen, geben laut Bundesamt Anlass zur Sorge. Daraus ergebe sich die Notwendigkeit einer eingehenderen Überwachung, als es bisher der Fall ist. Die Behörde hat von Monsanto verlangt, einen Moratoriumplan mit acht Prüfpunkten vorzulegen. Unter Punkt e) wird verlangt, „langfristige und großflächige Wirkungen auf die Biodiversität zu beobachten“. Im Umkehrschluss können wir aus dieser Auflage schließen, dass das Saatgut MON 810 bisher schon großflächig auch hier in Sachsen in Verkehr gebracht wurde, ohne dass die langfristigen und großflächigen Wirkungen auf die Biodiversität bekannt oder untersucht wurden. Will sagen, die Böden, das Wasser, die Schmetterlinge und die Bienen wurden und werden als Versuchskaninchen eines Agrarkonzerns missbraucht.
Erst einmal in Verkehr bringen und dann schauen, was passiert – die in Berlin regierende Koalition wird das nun zur Maxime des Handelns machen. Das legt jedenfalls der Entwurf des neuen Gentechnikgesetzes aus dem Hause Seehofer nahe. Der Entwurf wird einen weitreichenden Schutz für die Produzenten und die Landwirte bieten, die gentechnisch veränderte Organismen erzeugen und in den Verkehr bringen. Auf der Strecke bleiben Natur und Umwelt und all jene Landwirte, die sich an den Großversuchen einer naiven Innovationsgläubigkeit nicht beteiligen wollen.
Meine Damen und Herren! Ich erwarte von Herrn Staatsminister Tillich keinerlei politische Aktivität in Richtung des Schutzes von Unbeteiligten. Es werden Toxine, also Gifte, in Umlauf gebracht, die ein Ziel haben, nämlich den Maiszünsler. Erste Kollateralopfer sind die Bienen. Wer sonst noch so alles auf der Strecke bleibt, wissen wir nicht, aber das ist ja das Schöne an den Innovationen – der Ausgang des Experiments ist offen, es gibt immer Überraschungen. Nur eines ist gewiss: Die Saatgutfirmen werden gut daran verdienen.
Meine Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird sich an solchen globalen Experimenten nicht beteiligen. Gentechnik kommt mit uns nicht auf die Äcker und damit auch nicht auf den Tisch.
Frau Präsidentin! Werte Damen und Herren Abgeordnete! Im März wird Staatsminister Tillich in der Presse auf die Frage, ob er den Anbau von Genkartoffeln befürworte, wie folgt zitiert: „Ich empfehle keinem Landwirt mit ruhigem Gewissen den Anbau, da die Haftungsrisiken schwer kalkulierbar sind.“ Im Juni erweitern Sie, Herr Staatsminister, Ihre Bedenken laut Presseberichten um den Genmais. Recht haben Sie, Herr Staatsminister! Auch ein Staatsminister kann ab und zu recht haben.
Allerdings gehe ich noch weiter. Nicht nur Haftungsfragen sind ungeklärt. Vor allem sind die langfristigen Risiken für die Natur nur unzureichend untersucht, und, Herr Schmidt, Sie haben es selbst gesagt, wir stehen am Anfang einer Entwicklung. Ich sage, wir stehen am Anfang eines ungewissen Experiments. Da die Wirkungen auf die Umwelt daher generell unkalkulierbar sind und dies alle gentechnisch veränderten Organismen in offenen Systemen betrifft, lehnen wir die grüne Gentechnik in offenen Systemen ab.
Aus ebendiesen Gründen schlagen wir heute den vorliegenden Antrag zum Anbau-Moratorium für im speziellen Fall Genmais der Linie MON 810 vor. Allerdings, Herr Staatsminister, steht Ihre Einsicht im Widerspruch zu den Zustimmungen Ihres Hauses zu Freisetzungsversuchen mit gentechnisch veränderten Kartoffeln in Nerchau, zu Freisetzungsversuchen mit gentechnisch verändertem Mais der Firmen Monsanto und Pioneer in Raßlitz, Uebigau und Grauschwitz. Diese Ihre Einsicht steht im Widerspruch zu der laxen Aufgabenwahrnehmung im Naturschutz, das heißt, zu der Verpflichtung, für alle infrage kommenden Standorte des kommerziellen Anbaus – darum geht es, das betone ich noch einmal – von Genmais der Linie MON 810 eine FFH-Verträglichkeitsprüfung abzusichern.
Der Einschätzung, wie diese Aufgabe in Sachsen erfüllt wurde, will ich Folgendes vorwegschicken: Nach dem Bescheid des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit vom 27. April 2007 an Monsanto Europe darf dieses Unternehmen Saatgut von gentechnisch verändertem Mais der Linie MON 810 erst wieder an landwirtschaftliche Unternehmen in Deutschland verkaufen, wenn es dem Bundesamt einen Plan zur Beobachtung der Umweltauswirkungen vorgelegt hat. Das ist heute schon mehrfach angesprochen worden.
Landwirtschaftlichen Unternehmen, die künftig Mais der Linie MON 810 anbauen wollen, steht nach diesem Plan zur Beobachtung der Umweltauswirkungen einiges bevor. Prüfpunkte zur Vermeidung von Gefährdungen der Schutzziele Artenschutz, Bodenschutz und Biodiversität sollen insbesondere sein:
1. die Ausbreitung keimfähiger Maiskörner in der Umwelt, Verluste bei Ernte, Transport und Verarbeitung;
2. die Ausbreitung des Bt-Toxins in der Umwelt, beispielsweise über Pollen, Silage oder Pflanzenreste im Boden, Verbleib des Bt-Toxins im Boden auf den Anbauflächen und in betroffenen Lebensräumen in der Umgebung der Anbauflächen.
3. die Auswirkungen auf Nichtzielorganismen, also andere Organismen als den Maiszünsler, auf den Anbauflächen und in betroffenen Lebensräumen in der Umgebung der Anbauflächen,
Ich stelle fest: Diese Prüfpunkte sind weitaus umfänglicher als die vorläufigen Prüfhinweise, die das Umweltministerium am 9. März 2007 betreffs des Anbaus gentechnisch veränderter Nutzpflanzen in oder in der Nähe von Natura-2000-Gebieten als Erlass an die drei Regierungspräsidien gerichtet hat und die diese an die Landratsämter weitergeleitet haben. Dort wird ausschließlich auf Schmetterlingsarten des Anhangs II der FFH-Richtlinie als Prüfpunkte verwiesen. Bereits mit dieser Aufgabe sind die Landratsämter als zuständige Naturschutzbehörde zumeist fachlich überfordert.
Nach dem, was bisher an FFH-Verträglichkeitsprüfungen der Anbaustandorte von Genmais in den Landkreisen Kamenz, Delitzsch, Torgau-Oschatz, Riesa-Großenhain und Meißen bekannt ist, komme ich nicht umhin festzustellen: Das Umweltministerium schuf sich mit dem Erlass ein Alibi und die unteren Naturschutzbehörden sind auf sich allein gestellt.
Anders ausgedrückt: Sie sollen die Kohlen aus dem Feuer holen und Entscheidungen für unsere ökologisch sensibelsten Gebiete treffen; für Gebiete, die als letzte Refugien für ohnehin besonders bedrohte Arten von existenzieller Bedeutung sind, und Entscheidungen, zu denen sich weder der Umweltfachbereich des RP Dresden noch das LfUG vollumfänglich in der Lage sehen, und zwar wegen fehlender wissenschaftlicher Erkenntnisse. Hier wird Russisch-Roulett mit der Artenvielfalt gespielt.
Deshalb erwarte ich von Ihnen, Herr Staatsminister Tillich, dass Sie den Erlass qualifizieren. Die unteren
Naturschutzbehörden der Landkreise benötigen eine fundierte Handlungsanleitung für die Abschätzung der Erheblichkeit des Anbaus von Mais der Linie MON 810 in Bezug auf Schutz und Entwicklungsziele von Natura2000-Gebieten. Die unteren Naturschutzbehörden müssen wissen, wie sie im Falle der Anordnung von Maßnahmen gegen die Genmais anbauenden Agrarbetriebe, etwa dem Unterpflügen, mit Schadensersatzansprüchen umzugehen haben. Ansonsten scheuen sie derartige Anordnungen.
Die Wahrheit ist doch: Wenn nicht das Aktionsbündnis für gentechnikfreie Landwirtschaft, wenn nicht die Grüne Liga und der NABU in Sachsen so hartnäckig gedrängt hätten, wären so gut wie keine FFH-Verträglichkeitsprüfungen eingeleitet worden. Ich kann Ihnen nur empfehlen, Herr Staatsminister, sich selbst einen Überblick zu verschaffen, wie es tatsächlich um die FFH-Verträglichkeitsprüfungen steht. Diese liegen für die infrage kommenden Anbaustandorte eben nicht vor. Da frage ich mich schon, Herr Staatsminister Tillich: Wollen Sie allen Ernstes ein EU-Vertragsverletzungsverfahren riskieren?
Deshalb bekräftige ich noch einmal, was meine Kollegin Altmann bereits angeführt hat: Auch wenn Monsanto ein Beobachtungsprogramm vorgelegt hat, bestehen die Probleme weiter, weil die wissenschaftlichen Grundlagen über die Beobachtungsmodalitäten fehlen. Sie sollen mit dem besagten Bundesforschungsprogramm erst geschaffen werden.
Gibt es weiteren Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Das sieht nicht so aus. Herr Minister Tillich, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Bei einer so komplexen Materie sollten wir zunächst einmal Ruhe bewahren und Hysterie vermeiden. Wir brauchen bei einem so emotionsgeladenen und strittigen Thema wie der grünen Gentechnik mehr Sachlichkeit und Besonnenheit. Ich bedanke mich bei den Rednern der Koalition und bei Tino Günther von der FDP, dass sie diese auch so an den Tag gelegt haben. Auch Frau Altmann war insofern noch „zu ertragen“; aber was Frau Kagelmann sowie die NPD hier geboten haben, ist zumindest Grund, den Appell für viel mehr Sachlichkeit und Besonnenheit zu wiederholen.