Protokoll der Sitzung vom 05.07.2007

Das sind zumindest einige Punkte, die eine verantwortungsbewusste Regierung aus Sicht der NPD-Fraktion zu bedenken hätte.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Ich erteile der Fraktion GRÜNE das Wort; Frau Herrmann, bitte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! – Herr Dr. Müller, wundert es Sie im Ernst, dass keine Ärzte aus dem europäischen Ausland in den Landkreis Sächsische Schweiz kommen, wenn ihm doch der Ruf der Fremdenfeindlichkeit vorauseilt?!

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der Linksfraktion und der SPD – Oh-Gott!-Rufe von der NPD – Holger Apfel, NPD: Genauso wie die Tourismusmühle!)

Also ich wundere mich darüber nicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen jetzt zum wiederholten Male die Debatte um Ärztemangel in Sachsen – heute sind die Kinderärzte dran, und man kann dieses Thema gewiss zu anderen Zeiten auch auf Orthopäden, Hautärzte, Augenärzte usw. ausdehnen. In diesem Fall ist der Auslöser eine Meldung der Sächsischen Landesärztekammer, dass sehr viele Ärzte schon über 60 Jahre alt sind und demnächst ihre Praxis schließen werden.

Was aber dabei übersehen wird, ist, dass es eine relativ große Gruppe von Ärzten gibt, die zwischen 40 und 50 Jahre alt sind; dass wir also an dieser Stelle nicht unbedingt in Hektik verfallen sollten. Wir sollten uns überlegen, wie wir mit der Situation umgehen; aber so dramatisch, dass wir alle Leute aufscheuchen und ihnen Angst machen, ist es im Moment wirklich noch nicht.

(Beifall des Abg. Johannes Gerlach, SPD)

Wir sollten uns überlegen, was wir denn machen können, um uns Ärzte zu „backen“. Da bin ich auf Ihr Konzept, Herr Zastrow, das Sie nachher vorstellen wollen, sehr gespannt.

Wir brauchen ein ganz differenziertes Bild zu den einzelnen Regionen, und es gibt sicher kein „Rezept“, das sich überall gleichermaßen umsetzen lässt. Also: Wie sieht die Arzt-Patienten-Relation bei Kindern und Jugendlichen vor Ort wirklich aus? Wie sieht das Arzt-PatientenVerhältnis bezogen auf die Städte aus? Welche Regionen sind es, in denen mögliche Unterversorgung droht? Und welche Maßnahmen brauchen wir demzufolge?

Ausbildung wurde schon angesprochen – sie ist sicher eine Stellschraube, mit der man viel verändern kann. Die Frage ist: Gibt es genug Plätze für Facharztausbildung oder ist das verstärkte Werben für die Ausbildung zum Allgemeinmediziner nicht zum Teil genau auf Kosten der Kinder- und Jugendärzte gegangen? Das wäre natürlich kontraproduktiv. Andererseits muss man überlegen: Wenn wir es nicht schaffen, vermehrt Kinder- und Jugendärzte in die Region zu locken, wäre dann nicht vielleicht sogar zu überlegen, die Ausbildung zum Allgemeinmediziner so zu strukturieren, dass ein kinder- und jugendärztlicher Anteil dort viel stärker als bisher vorhanden ist?

Mentoring ist eine gute Idee, wird in Sachsen zum Teil schon umgesetzt; das heißt, dass angehende Kinderärzte schon während der Ausbildung mit niedergelassenen Kinderärzten Kontakt haben, dass sie in die Landarztpra

xen vor Ort hineinschnuppern können, dass sie ein Gefühl dafür bekommen, was auf sie zukommt.

Damit hängt ein weiteres Problem zusammen: So eine Praxis muss auch auskömmlich sein, und wenn nun einmal die Bevölkerung bei den unter 15-Jährigen am stärksten zurückgeht, dann ist die Frage, wovon dieser Arzt denn leben soll. Da müssen wir uns überlegen, ob nicht das Konzept, dass zum Beispiel in einer Allgemeinmedizinerpraxis einmal in der Woche ein Kinderarzt eine Sprechstunde hat, vielleicht für manche Region sozusagen der Stein der Weisen wäre; für andere wiederum ist er es nicht.

Weitere Ideen sind medizinische Versorgungszentren oder die Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung. Es gibt eine Vielzahl von Maßnahmen, die greifen könnten. Wir sollten alle prüfen und versuchen, diese in Sachsen umzusetzen. Dazu gehört natürlich auch der Wiedereinstieg für Frauen, wofür ein Programm in Sachsen angelaufen ist. Zu denken ist auch an Programme für hoch qualifizierte MigrantInnen. Dabei kann es sein, dass die Module, die wir derzeit anbieten, nicht auf die entsprechende Situation der MigrantInnen passen. Wir müssen überlegen, wie wir solche Module noch anders anbieten können, sodass sie angenommen werden.

Fakt ist, dass wir eine gute Versorgung brauchen, auch im ländlichen Raum. Gebraucht wird mindestens ein Ansprechpartner, der auch Allgemeinmediziner sein kann und dann weitervermittelt. Wir werden wahrscheinlich akzeptieren müssen – alles andere ist Augenwischerei –, dass die Wege länger werden. Damit müssen wir leben, es sei denn, Sie von der FDP haben das tolle Backrezept in der Tasche und unterbreiten uns das gleich.

Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich erteile der Fraktion der FDP das Wort. Herr Zastrow, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Nicolaus, ist das wirklich Populismus? Ist es Populismus, wenn man angesichts dieser Zahlen über das Thema spricht? Ich glaube nicht. Es gibt noch zwölf niedergelassene Ärzte unter 40 Jahren. Deswegen ist das Thema nicht populistisch, sondern es ist verdammt notwendig, dass wir in diesem Haus darüber sprechen, meine Damen und Herren.

(Vereinzelt Beifall bei der FDP und der Linksfraktion)

Frau Lauterbach hat nicht die Zahl der niedergelassenen Ärzte, sondern die Zahl der angestellten Ärzte genannt. Wenn man sich die Zahl vergegenwärtigt, sieht man noch viel mehr, wie notwendig es ist, hier darüber zu sprechen. Sie hat vorhin gesagt, die Anzahl der unter 40-jährigen berufstätigen Fachärzte im Klinikum-Praxisbereich ist von 1995 bis 2006 von 223 auf 69 gesunken. Der Anteil der Fachärzte über 60 Jahre ist inzwischen bei 31 %

angekommen. Sie sehen daran, dass wir ein richtiges Problem haben.

Das Problem ist nicht neu, denn wir kennen es seit 2001. Damals hat die Landesärztekammer das erste Mal darauf hingewiesen. Ich weiß auch, dass die Politik reagiert hat, nur viel zu schwach. Ich weiß auch, warum das so war. Wir hatten 2001 – es ging auch anderen in diesem Haus so – die niedrigen Geburtenraten im Blick. Wir hatten damals erwartet, dass die Bevölkerungszahl von Sachsen viel mehr sinkt, als es jetzt eingetreten ist. Damals hat man auf die anstehenden Altersabgänge bei Ärzten nicht genug Augenmerk gelegt. Das trifft übrigens nicht nur auf den Gesundheitsbereich zu, sondern genauso auf die Polizei und die öffentliche Verwaltung, wo wir in absehbarer Zeit mit erheblichen Altersabgängen zu rechnen haben, ohne dass wir die nötigen Einstellungskorridore freigehalten haben. Das Problem wird uns in diesem Hause auch in anderen Bereichen noch häufig verfolgen.

(Beifall bei der FDP)

Warum das so dramatisch ist, hat noch eine ganz andere Bedeutung. Über das Thema haben wir schon oft gesprochen. Die Kinderärzte sollen nach unseren Konzepten demnächst noch viel mehr Aufgaben übernehmen. Sie sind beispielsweise der entscheidende Baustein in dem Frühwarnsystem, wenn es darum geht, Verwahrlosung und Missbrauch von Kindern zu entdecken. Dabei spielen Kinderärzte eine wichtige Rolle.

(Staatsministerin Helma Orosz: Eine Rolle!)

Sie spielen eine Rolle, aber eine sehr wichtige, entscheidende Rolle. Wenn sie diese Rolle ausfüllen sollen, ist es notwendig, dass wir flächendeckend in Sachsen die kinderärztliche Grundversorgung sichern können. Darum geht es uns mit dieser Aktuellen Debatte, meine Damen und Herren.

Was müssen wir tun? Wir müssen es ähnlich machen, wie wir es bei den Hausärzten schon angefangen haben. Einige Maßnahmen wurden bereits vorgestellt. Das Darlehen ist sicher ein richtiger Weg, aber noch viel zu wenig. Das ist der Tropfen auf dem heißen Stein, aber ich glaube, dass wir insgesamt viel mehr Engagement in diese Richtung entwickeln müssen. Von Verbänden wurden verschiedene Vorschläge gemacht, die wir uns ansehen sollten. Schauen wir in die Wirtschaftsförderung, welche Instrumente dort funktionieren. Warum sollen die nicht auch funktionieren, wenn es darum geht, eine Praxis zu übernehmen, neu einzurichten oder, was ich für einen ganz wichtigen Weg halte, Zweitpraxen zu entwickeln? Wir sollten viel stärker über die Zahlung von Investitionspauschalen nachdenken. Das ist kein Darlehen, sondern ein Zuschuss. Wir müssen über Bonuszahlungen pro Fall nachdenken. Bei der Förderung von Weiterbildungsstellen und von Patenschaften zwischen niedergelassenen Ärzten und, was Frau Nicolaus schon angesprochen hat, Studenten, die in Sachsen studieren und möglichst hier gehalten werden sollen, haben wir noch viele Reserven, wenn man der Landesärztekammer glauben kann.

Wir müssen auch Ärzte ins Land holen. Wir müssen Sachsen attraktiv für junge Ärztinnen und Ärzte machen und ihnen bei uns eine Berufsperspektive geben. Dafür ist es notwendig, die Arzthonorare auf Westniveau zu heben. Sie haben das probiert und sich nicht durchgesetzt – das ist ganz klar –, ich bin aber sicher, dass ein neuerlicher Vorstoß im Bundesrat dringend nottut. Dazu fordere ich die Regierung auf.

(Beifall bei der FDP)

Dass Sie die Probleme der Gesundheitsreform in Sachsen nicht lösen können, ist mir schon klar. Die Gesundheitsreform ist eine absolute Fehlentwicklung. Sie hat dazu geführt, dass der Traumberuf Arzt kein Traumberuf mehr ist, weil sich der Arzt – Herr Gerlach hat es angedeutet – vor der Selbstständigkeit scheut. Es ist für viele Ärzte inzwischen sicherer und attraktiver geworden, in ein Angestelltenverhältnis zu gehen. Das ist auch bei den MVZ und dem Modell, das auch in Sachsen seit einiger Zeit vorangetrieben wird, schon erkannt worden, um dafür zu sorgen, dass auch im nichtselbstständigen Bereich eine Lösung geschaffen wird. Ich denke trotzdem, dass wir noch viel, viel mehr machen müssen, zumal eine Anhebung des Ärztehonorars auf Westniveau das Problem nicht löst. Wir haben inzwischen Abwanderungszahlen von deutschen Ärzten nach Skandinavien und Holland, die dramatisch sind und die gesundheitliche Grundversorgung im gesamten Land infrage stellen.

Ich kann die Staatsregierung nur auffordern, noch mehr Augenmerk darauf zu richten, aktiv zu werden und ihre gewaltige Stimme im Bund in die Waagschale zu werfen. Vielleicht wäre es ganz gut, wenn der Ministerpräsident auch zu diesem Thema die spezifisch sächsische und ostdeutsche Situation in der Bundes-CDU und im Bundesrat über die Regierungsbeteiligung zur Sprache bringt

Herr Zastrow, bitte zum Schluss kommen.

und dafür wirbt, dass unsere ostdeutschen Besonderheiten mehr Beachtung finden.

Herr Zastrow, ich entziehe Ihnen gleich das Wort.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Ich erteile der CDU-Fraktion das Wort. Frau Nicolaus, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, Herr Zastrow, ich bleibe dabei, dass Sie Populismus an den Tag legen. Ich denke zum Beispiel an Ihre Annoncen zum Mammo-Screening oder zu fehlenden Krippenplätzen. Sie lassen nichts aus, um die Bevölkerung zu verunsichern. Aus meiner Sicht ist es nicht seriös, das so zu betreiben. Durch die Annoncen entsteht der Eindruck, als ob die kinderärztliche Versorgung momentan total gefährdet sei und die Kinder gar

nicht mehr medizinisch betreut werden könnten. So kann man das nicht tun. Ihre Annonce habe ich hier vor mir liegen, Herr Zastrow.

(Holger Zastrow, FDP: Lesen Sie vor!)

Ja, lesen kann ich gerade noch.

Ich denke, wir sind uns einig, dass das unseriös ist. Wie sollen wir Ärzte nach Sachsen holen? Mit dem Lasso oder irgendwelchen anderen Anreizen? Anreize sind geschaffen worden. Ich habe sie schon vorgetragen, und Sie haben sie in Abrede gestellt.

(Holger Zastrow, FDP: Das ist ein Offenbarungseid, Frau Nicolaus!)

In Ihrem zehnten Redebeitrag haben Sie darauf abgestellt, dass das eine oder andere in die Gänge gekommen ist. Der Freistaat Sachsen hat einiges dafür getan, um die Honorierung zu verbessern. Es nützt aber nichts, wenn nur der Freistaat Sachsen diese Initiative gen Bund startet. Selbst wenn alle fünf neuen Bundesländer das tun würden, und das haben sie getan, entsteht trotzdem keine Mehrheit.

(Holger Zastrow, FDP: Fangen Sie wenigstens an!)

Die Honorierung orientiert sich an der Grundlohnsumme, und die ist nun einmal in den neuen Bundesländern niedrig. Man muss die Realität ins Auge fassen.

Ich möchte Ihnen noch etwas zum Frühwarnsystem sagen. Lesen Sie doch erst einmal, was das Frühwarnsystem beinhaltet. Nicht nur die Kinderärzte allein sind hier der Schlüssel, sondern es ist ein Netz von bestimmten Institutionen. Es sind die Kindergärtnerinnen, es sind die Jugendämter vor Ort und wir müssen natürlich auch die Eltern mit ins Boot holen. Sie können es in der Öffentlichkeit nicht so darstellen, als wenn die Kinderärzte die Schlüsselfunktion hätten und jetzt auch das Frühwarnsystem scheitern würde. Dagegen wehre ich mich. Das ist purer Populismus, den Sie hier an den Tag legen.