Bei dem informellen Gespräch bestätigt Herr Dr. Külow sehr freimütig und offen alle dem Bewertungsausschuss vorliegenden Hinweise auf seine Arbeit mit dem MfS. Er erläutert, wie es zu dieser Mitarbeit kam und wie und weshalb er diese Mitarbeit freiwillig und überzeugt angenommen habe. Er berichtet von Details seiner Auslandsarbeit für die HVA. Die Berichte und Sachverhalte, die sich nach innen richteten und die dem Bewertungsausschuss ab 2007 bekannt wurden, wurden an keiner einzigen Stelle erwähnt.
Nach diesem Gespräch mit Dr. Külow hat der Bewertungsausschuss nach ausführlicher Diskussion keinen weiteren Aufklärungsbedarf, der über die zugesandten Unterlagen und die von Dr. Külow gemachten Erläuterungen hinausging. Es war klar, dass Herr Dr. Külow wissentlich und willentlich mit dem HVA des MfS zusammengearbeitet hat, was von ihm auch nie geleugnet wurde. Deshalb leitete der Bewertungsausschuss kein Verfahren für einen Erörterungstermin ein, und damit war die Bewertung für Herrn Dr. Külow abgeschlossen.
Am 24.01.2007 zur 17. Sitzung des Bewertungsausschusses stellt dessen Sprecher den Mitgliedern des Bewertungsausschusses neu erschlossene Rechercheergebnisse der Behörde betreffs Herrn Dr. Külow vor, die am 18.12.2006 beim Präsidenten des Sächsischen Landtages eingingen. Die Bewertungsausschussmitglieder verständigen sich, bis zur 18. Sitzung des Bewertungsausschusses, die am 07.02. stattfindet, entsprechend dem Reglement Einsicht in die Akten zu nehmen.
Nach kontroverser Diskussion wird mehrheitlich festgestellt, dass es sich bei den Unterlagen um eine qualitativ neue Dimension handelt, da die vorliegenden Berichte das Maß einer Mitarbeit für einen Auslandsspionagedienst weit überschreiten. Es handelt sich vorwiegend um Berichte aus dem Umfeld von Herrn Dr. Külow.
Wenige Bewertungsausschussmitglieder zweifeln an, ob der Ausschuss berechtigt sei, das Verfahren überhaupt
noch einmal zu eröffnen, nachdem er es ja bereits einmal geschlossen habe. Diese Mitglieder waren auch der Meinung, dass Herr Dr. Külow zu dem inoffiziellen Gespräch vor über einem Jahr bereits alles bekannt gegeben habe, was seine damalige Tätigkeit betrifft. Trotzdem beschließt der Bewertungsausschuss, einen Erörterungstermin mit Herrn Dr. Külow durchzuführen, wobei er aufgefordert wird, dem Bewertungsausschuss alle bisher der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Tatsachen vorzulegen.
Nach einer weiteren Diskussion, ob es den Mitgliedern des Bewertungsausschusses zuzumuten sei, sich innerhalb der sitzungsfreien Zeit mit den Akten zu befassen, wird der Erörterungstermin mehrheitlich auf den 27.02.2007 festgelegt. Am 15.02.2007 veröffentlicht Herr Dr. Külow eine umfangreiche Presseerklärung zu den StasiVorwürfen, die er auch über den Juristischen Dienst allen Bewertungsausschussmitgliedern zukommen lässt.
An dieser Stelle stellte ich in der nicht öffentlichen Sitzung einige inhaltliche Angaben und einige ausgewählte Berichte vor, die für die Mehrheit des Bewertungsausschusses für die Entscheidung prägend waren. Das darf ich heute nicht wiederholen.
In der 19. Sitzung des Bewertungsausschusses am 27.02. fand dann die umfangreiche stenografierte Befragung von Herrn Dr. Külow statt. Hier erläutert er ausführlich seine „partielle Verdrängung“ betreffs der jetzt aufgefundenen Berichte im Laufe der Neunzigerjahre. Weiterhin erläutert Dr. Külow das zu DDR-Zeiten übliche sogenannte Berichteschreiben für einen staatlichen Leiter als eine selbstverständliche Tätigkeit, was erst einmal mit den Berichten für das MfS nichts zu tun hatte. Wie in seiner Presseerklärung erläutert er seine damalige Überzeugung als Historiker und wissenschaftlicher Assistent an der KMU Leipzig und seine Bemühungen, die DDR, die sich nach seiner Sicht damals in existenzieller Bedrohung befand, retten zu wollen. Dafür hielt er auch eine Mitarbeit beim MfS für legitim.
Zu diesem Verhältnis gehört sein freundschaftliches Verhältnis zu seinem damaligen Führungsoffizier, was er auch öffentlich äußerte. Und er erläuterte, wie er die Berichte damals sah und wertete.
Zur Frage, weshalb Dr. Külow seinen „anderen offenen Umgang“ mit seiner damaligen Tätigkeit nicht bereits nach der Wende bekannte, gab es eine lange Frage- und Antwortrunde, die aber für die Mehrheit des Ausschusses unbefriedigend blieb. Zu einzelnen Berichten hatte Dr. Külow eine ganz andere Einschätzung als die Bewertungsausschussmitglieder.
In einem Bericht setzte er sich auch für einen inhaftierten Studenten ein. Auch das gehörte zu seinem damaligen Rechtsgefühl.
Weitere Fragen betrafen seine Haltung im heutigen politischen System und seine Einschätzung dazu und welche Bedeutung bei der Bewertung die Frage hat, ob
Herr Dr. Külow bittet am Schluss, seine Verfehlungen von damals vor dem historischen Hintergrund der inzwischen vergangenen Zeit und in Abwägung seiner Entwicklung nach der Wende zu beurteilen.
In der 20. Sitzung wird der Antrag von Dr. Külow angekündigt, folgende zwei Zeugen vor dem Bewertungsausschuss anzuhören. Erstens Hans-Rüdiger Minow, Korrespondent des WDR, der Anfang 1990 eine Fernsehdokumentation über Herrn Dr. Külow anfertigte, und zweitens Herrn Heinz Lichtwark, ehemaliger Führungsoffizier von Herrn Dr. Külow. Zusätzlich beantragte Herr Dr. Külow, dass sich der Bewertungsausschuss den von Herrn Minow gedrehten Film „Ich werde kämpfen“ ansieht, bevor Herr Minow befragt wird.
Das kann ich hier ohne Probleme benennen, da beide Personen unmittelbar nach der Befragung im Landtag öffentlich auftraten.
Allen diesen Anträgen ist der Bewertungsausschuss am 24.04.2007 in seiner 22. Sitzung nachgekommen. Allerdings hatte der Film keinerlei Bezug zu der Tätigkeit von Herrn Dr. Külow für das MfS. Er stellt lediglich dar, wie Herr Dr. Külow als junger Kommunist versucht, den alten verkrusteten SED-Parteiapparat der Hochschule in Leipzig der Neuzeit anzupassen und wie er sich inhaltlich mit den neuen Freiheiten auseinandersetzt.
Auch die Befragung von Herrn Minow ergab keinerlei Hinweise auf die früheren Verstrickungen von Herrn Dr. Külow mit dem MfS.
Interessanter war die Befragung des ehemaligen Führungsoffiziers, der klar herausstellte, dass Herr Dr. Külow mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen konnte, dass alle über ihn existierenden Unterlagen komplett vernichtet seien.
Es wurde sehr klar, dass die Berichte, die an andere Diensteinheiten gingen, nie mit Klarnamen, sondern immer nur mit – Zitat – „IM der Abteilung“ oder – weiteres Zitat – „Quelle“ gekennzeichnet wurden.
Am 22.05.2007 hat der Bewertungsausschuss in seiner 24. Sitzung die eigentliche Bewertung vorgenommen. Die restlichen Sitzungen waren der Vorstellung der Beschlussempfehlung und ihrer Abstimmung vorbehalten. Dabei war es im Bewertungsausschuss strittig, wie ausführlich und in die Details gehend die Ihnen jetzt vorliegende Beschlussempfehlung sein sollte.
Die Vertreter der Linksfraktion wendeten gegen den Entwurf der Beschlussempfehlung ein, er entspreche nicht den gesetzlichen Anforderungen § 1 Abgeordnetengesetz und den Richtlinien für die Tätigkeit des Bewertungsaus
schusses, weil er nicht ausreichend den Gang des Verfahrens, die wesentlichen Ergebnisse der Ermittlung und die Darlegungen des Betroffenen darstelle. Die Mehrheit folgte dieser Argumentation jedoch nicht und beschließt diese Beschlussempfehlung mit 10 : 1 : 0 Stimmen.
Die für die Bewertung wichtigen Kriterien darf ich Ihnen heute ebenfalls nicht nennen, da sie zu den persönlichen und internen Informationen gehören.
In einer Gesamtabwägung – das ist mein letzter Satz – stimmt der Bewertungsausschuss mit 8 : 2 : 0 Stimmen dafür, dem Landtag zu empfehlen, Anklage gemäß Artikel 118 Sächsische Verfassung gegen Herrn Dr. Külow zu erheben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist allgemein bekannt, dass die Linksfraktion den Artikel 118 der Sächsischen Verfassung für grundgesetzwidrig hält. Aber selbst wenn man dieser Auffassung nicht folgen sollte, dann fehlt immer noch ein gesetzlich ausgeregeltes Verfahren für die sogenannte Abgeordnetenanklage wegen einer früheren Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit. Auch sind wir dezidiert der Auffassung, dass es mit rechtsstaatlichen Grundsätzen völlig unvereinbar ist, einem vom Volk gewählten Abgeordneten für vermeintliches oder tatsächliches Fehlverhalten, das beinahe 20 Jahre zurückliegt, sein Mandat aberkennen zu wollen.
Im Bewertungsausschuss selbst gab es einmal mehr eine ganze Reihe formaler Verstöße gegen die vom Landtag beschlossenen Verfahrensrichtlinien, mit denen ich Sie hier allerdings nicht weiter behelligen möchte, die aber natürlich von Belang sein werden, wenn der Fall am Ende entgegen aller Vernunft doch wieder beim Landesverfassungsgericht landen sollte.
Fakt ist, dass es kein anderes Bundesland gibt, in dem einem Abgeordneten für Verhalten vor seinem Mandat sein Parlamentssitz entzogen werden kann. Vor zwei Jahren hat sich auch Thüringen von einem solchen Weg verabschiedet, nachdem die dortigen Verfassungsrichter die bis dato geltende Regelung für verfassungswidrig erklärt hatten. Allein in Sachsen hält man weiter stur an einer Übergangsbestimmung zur Abgeordnetenanklage fest, obwohl bislang alle fünf auf dieser Basis angestrengten Verfahren ziemlich kläglich scheiterten, und wir sind sicher, dass das auch diesmal der Fall sein wird.
Dies gilt umso mehr, als der Fall Volker Külow eine ganze Reihe Besonderheiten aufweist, von denen die
Mitglieder dieses Hauses in der überaus dürftigen Beschlussempfehlung des Bewertungsausschusses leider so gut wie nichts lesen konnten.
Bei Volker Külow waren die wesentlichen Kernfakten vor seiner Wahl öffentlich bekannt. Er hatte von sich aus darüber informiert, dass er als Inoffizieller Mitarbeiter in der Hauptverwaltung Aufklärung des damaligen Ministeriums für Staatssicherheit tätig war. Sein Deckname war ebenso bekannt wie die ja wohl unbestritten relativ kurze Dauer der Zusammenarbeit mit dem MfS.
Die Situation im vorliegenden Fall unterschied sich daher deutlich von anderen derartigen Vorgängen, die bisher hier im Landtag im Zusammenhang mit dem Artikel 118 der Sächsischen Verfassung behandelt worden sind. Der Umstand, dass Herr Külow als IM tätig war – der erste Teil der Voraussetzungen für eine Abgeordnetenanklage nach Artikel 118 –, stand nie in Zweifel. Der Betroffene hatte zudem wiederholt erklärt und auch öffentlich gemacht, dass dies aus heutiger Sicht wahrlich kein Ruhmesblatt in seiner Biografie darstellt. Umso unverständlicher ist es, dass der zweite Teil der Voraussetzung für die Abgeordnetenanklage, nämlich die Abwägung hinsichtlich der sogenannten Untragbarkeit einer fortdauernden Innehabung des Mandats, weder im Bewertungsausschuss noch in der Beschlussempfehlung Berücksichtigung gefunden hat.
Grundlage für diese Bewertung ist das sogenannte Königstein-Urteil von 1997, in dem es um den dortigen Bürgermeister ging, dem MfS-Vorwürfe gemacht wurden. Damals, vor inzwischen zehn Jahren, scheiterte das angestrengte Amtsenthebungsverfahren, weil das Gericht keine Untragbarkeit sah. In dieser zweiten Stufe hat im Übrigen die frühere Tätigkeit für das MfS außen vor zu bleiben. Hier geht es allein darum, wie sich der Betreffende danach, im Prozess der Wende und in den Strukturen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entwickelt hat. Genau diese Seite ist im Bewertungsausschuss weitgehend ausgeblendet worden.
Insbesondere entlastende Punkte blieben im Beschlusstext völlig unberücksichtigt. Deshalb möchte ich gerade hierzu noch einiges ausführen.
Volker Külow war eines derjenigen Mitglieder der SED, die nach 1989 hier in Sachsen den PDS-Landesverband mit aufgebaut haben. Er übernahm innerhalb der Partei frühzeitig Verantwortung, unter anderem als stellvertretender Landesvorsitzender.
Bereits vor seiner damaligen Wahl hatte er übrigens auch auf seine Zusammenarbeit mit dem MfS hingewiesen. Aufgrund seiner Ausbildung, seines Sachverstandes und seiner politischen Kompetenz spielt er seit damals eine wichtige Rolle im Landesverband und wäre durchaus auch als Kandidat für ein Parlamentsmandat auf Bundes- oder Landesebene in Betracht gekommen.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an Positionen aus den Wendetagen und Forderungen früherer Bürgerrechtler, dass sich ehemalige Mitarbeiter des MfS zunächst nicht um politische Mandate bewerben, sondern ein oder zwei Wahlperioden Zurückhaltung üben sollten.
Derartige Forderungen waren nicht unumstritten und juristisch ohnehin problematisch, Herr Hähle. Fakt ist aber: Volker Külow hat genau das getan. Er hat nicht nur eine oder zwei, nein, er hat sogar drei Wahlperioden auf eine Kandidatur für einen Parlamentssitz verzichtet
und sich beruflich anderweitig orientiert. Ich weiß, dass das Ihre Argumentation stört, aber ich werde es Ihnen trotzdem sagen.